Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin - Buch.de

Ihr und damit der DFG sei für die Finanzierung der. Summerschool ... in der medizinethischen Diskussion zentrale Bedeutung erlangt. Die Auto- ren beziehen ...
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Ach (Hrsg.) · Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin

Darf sich der behandelnde Arzt unter bestimmten Bedingungen über eine Patientenverfügung hinwegsetzen? Wie eingehend sollte ein Patient über Untersuchungsergebnisse oder Behandlungsmöglichkeiten informiert werden? Welche Formen der Patientenautonomie sind im Klinikalltag überhaupt realisierbar? Über den hohen normativen Stellen­wert der Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten gibt es in der modernen medizinethischen Diskussion kaum noch einen grundsätzlichen Dissens. Strittig aber ist, was genau unter Patientenselbstbestimmung bzw. Patientenautonomie zu verstehen ist und wie sich die normative Autorität, die das Prinzip der Autonomie Patientinnen und Patien­ten in Fragen der medizinischen Behandlung oder Nichtbehandlung einräumt, begründen lässt. Kontrovers diskutiert werden insbesondere auch die Grenzen der Reichweite von Selbstbestimmung. Damit ist zum einen die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit selbstbestimmten Entscheidens und Handelns aufgeworfen; zum anderen aber auch die Frage danach, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Gründen die Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten eingeschränkt werden darf.

Johann S. Ach (Hrsg.)

Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin

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Ach (Hrsg.) · Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin

Johann S. Ach (Hrsg.)

Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin

mentis MÜNSTER

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INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

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I BEGRIFF, BEDINGUNGEN UND GRENZEN DER SELBSTBESTIMMUNG Lisa Peters Was meinen wir, wenn wir »Autonomie« sagen? – Ein kritischer Blick auf die Verwendung des Autonomiebegriffs in der Medizinethik 13 Barbara Advena-Regnery Informed Consent – Geeignetes Instrumentarium zur Wahrung der Patientenautonomie? 29 Johann S. Ach Der konsequentialistische Wert der Autonomie

II AUTONOMIE UND PATERNALISMUS IM RECHT Tristan Barczak Staatliche Gesundheitssteuerung zwischen Nachtwächterstaat und Nanny-State – Grundsatzfragen der Rechtsfindung und Rechtsetzung in einem ethischen und rechtlichen Graubereich 65

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Inhaltsverzeichnis

Thomas Gutmann Short cuts to happiness – Zu den rechtlichen Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin 138 Andrea Sautter Freiwilligkeit von Patientenentscheidungen

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Daniel Brauer Familienangehörige als entscheidungsbeteiligte Personen 169 Dorothea Magnus Selbstbestimmung am Ende des Lebens – Rechtliche und rechtsvergleichende Betrachtungen zur Sterbehilfe 187

III SELBSTBESTIMMUNG UND PATERNALISMUS IN MEDIZIN UND FORSCHUNG Reinold Schmücker Wieviel Probandenautonomie verträgt die medizinische Forschung? 209 Felix Krause Der Einsatz der tiefen Hirnstimulation bei therapieresistenter Depression und die Frage nach der Selbstbestimmung 231

Inhaltsverzeichnis

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IV SELBSTBESTIMMUNG UND PATERNALISMUS IN DER PSYCHIATRIE Thomas Schramme Paternalismus, Zwang und Manipulation in der Psychiatrie 263 Simone Aicher Odysseus-Verfügungen als Mittel zur Selbstbestimmung in der Psychiatrie? 282 Torben Götz Die rechtlichen Grenzen der Selbstbestimmung bei psychischen Erkrankungen 301 Martina Schmidhuber Überlegungen zu den Grenzen der Patientenverfügung für die Selbstbestimmung von Demenzbetroffenen im Anschluss an die DworkinDresser-Debatte 317 Die Autorinnen und Autoren

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VORWORT

Das Prinzip des Respekts vor der Autonomie von Patientinnen und Patienten spielt in der medizinethischen Diskussion spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. Nach wie vor aber werden eine Reihe von Fragen kontrovers diskutiert: Was genau ist unter Patientinnen- bzw. Patientenselbstbestimmung zu verstehen? Wie lässt sich das AutonomiePrinzip begründen und warum ist uns Autonomie eigentlich wichtig? Welche Rolle spielt das Autonomie-Prinzip im Zusammenhang anderer ethischer Prinzipien, insbesondere den Prinzipien des Nichtschadens und des Wohltuns? Unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen lässt sich Patientinnen- und Patientenselbstbestimmung realisieren? Wann und mit welchen Gründen darf die Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten eingeschränkt werden? Unter welchen Voraussetzungen ist ein medizinischer Paternalismus gerechtfertigt? Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen diesen Fragen aus medizinethischer, philosophischer und rechtswissenschaftlicher Perspektive nach. Sie gehen zurück auf Vorträge, die die Autorinnen und Autoren im Rahmen einer Summerschool Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin im Juli 2012 in Münster gehalten haben. Der Herausgeber bedankt sich bei allen, die das Erscheinen dieses Bandes möglich gemacht haben – insbesondere bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Summerschool, die mit ihren Beiträgen zu einer anregenden Woche beigetragen haben, und die ihre Vortragsmanuskripte bereitwillig und unkompliziert für die Publikation zur Verfügung gestellt haben. Besonderer Dank gebührt darüber hinaus Ruth Langer, Stefan Klatt und Konstantin Schnieder, ohne deren tatkräftige Unterstützung weder die Durchführung der Summerschool noch die Vorbereitung des vorliegenden Bandes für die Publikation möglich gewesen wären. Die Summerschool Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin wurde von der an der Universität Münster angesiedelten Kolleg-Forschergruppe »Theoretische Grundfragen der Normenbegründung in Medizinethik und Biopolitik« veranstaltet, die seit 2010 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Ihr und damit der DFG sei für die Finanzierung der Summerschool sowie der Publikation gedankt. Johann S. Ach

I BEGRIFF, BEDINGUNGEN UND GRENZEN DER SELBSTBESTIMMUNG

Lisa Peters WAS MEINEN WIR, WENN WIR »AUTONOMIE« SAGEN? Ein kritischer Blick auf die Verwendung des Autonomiebegriffs in der Medizinethik

1. Einleitung Was bedeutet »Autonomie« in medizinethischen Kontexten? Diese Frage wird in der Literatur auf unterschiedliche Weise beantwortet. Das mag daran liegen, dass nicht alle das gleiche meinen, wenn sie von »Autonomie« sprechen. In diesem Beitrag wird exemplarisch der Autonomiebegriff von Tom L. Beauchamp und James Childress, wie sie ihn in Principles of Biomedical Ethics entwickelt haben, untersucht. Der prinzipienethische Ansatz ebenso wie die Autonomiekonzeption von Beauchamp und Childress haben in der medizinethischen Diskussion zentrale Bedeutung erlangt. Die Autoren beziehen sich, was ihren Autonomiebegriff angeht, nach eigener Aussage insbesondere auf Kant und Mill. Dies gibt Anlass zu einer etwas umfassenderen Betrachtung. Die bekanntesten Kritiker des prinzipienethischen Ansatzes sind Gert, Culver und Clouser. Ein weiterer Schwerpunkt des vorliegenden Beitrages wird daher in einer Auseinandersetzung mit deren Kritik am Ansatz von Beauchamp und Childress sowie mit deren eigenem Ansatz, den sie in Bioethics. A Return to Fundamentals vorgelegt haben, bestehen. Die drei Autoren entwickeln dort ein umfassendes Theoriegebäude, den sog. Dartmouth-Deduktivismus, in dessen Zentrum zehn moralische Regeln stehen, von denen wiederum weitere Regeln ableitbar sein sollen. Diese Theorie soll nach Auffassung der Autoren ohne den Autonomiebegriff auskommen. Wie sich im Fortgang der Überlegungen zeigen wird, ist die Argumentation von Gert et al. überzeugend. Allerdings scheint mir mit dem Verzicht auf den Autonomiebegriff noch nicht das letzte Wort gesprochen. Möglicherweise bietet, wie ich am Ende des Beitrages andeuten werde, Virginia Helds Ansatz einer mutual autonomy eine Alternative.

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Lisa Peters

2. »Autonomie« bei Beauchamp und Childress 2.1 Rahmen: Prinzipienethik Beauchamp und Childress haben 1977 mit den Principles of Biomedical Ethics ein medizinethisches Werk veröffentlicht, das schnell zum Standardwerk avancierte und mittlerweile in sechster Auflage vorliegt. Sie entwickeln dort einen medizinethischen Ansatz, der insbesondere durch seine Praxisnähe zu überzeugen sucht. Im Zentrum des prinzipienethischen Ansatzes stehen nicht Werte oder Regeln, sondern handlungsleitende Prinzipien. Namentlich schlagen die beiden Autoren vier Prinzipien mittlerer Ebene vor: respect for autonomy, beneficence, nonmaleficence und justice. Auf die breite Kritik, die der Prinzipenethik ein »spärliche[s] theoretische[s] Fundament« 1 vorwarf, reagierten Beauchamp und Childress in späteren Auflagen mit einer Erweiterung ihres Ansatzes, die vor allem eine Einbeziehung der common morality und eines reflective equilibrium nach dem Vorbild Rawls’ vorsieht. 2 Tatsächlich spielt die begründungstheoretische Ebene in der Prinzipienethik aber auch weiterhin eine untergeordnete Rolle. Die vier Prinzipien haben sich in den Augen der Autoren in der klinischen Praxis längst etabliert. Sie verdanken sich, folgt man den beiden Autoren, einer Rekonstruktion der common morality, und sollen in der Praxis Orientierung bieten und den Handelnden ein Werkzeug an die Hand geben, das ihnen die kritische Auseinandersetzung mit bestimmten Fragen erleichtert bzw. überhaupt erst ermöglicht. 3 Die Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von »moral guidelines for the formulation of more specific rules« 4. Unter einer common morality verstehen Beauchamp und Childress »the set of norms shared by all persons committed to morality« 5. Sie legen dabei großen Wert auf die Differenzierung zwischen der common morality und verschiedenen theories of common morality. Während letztgenannte eine eigene Entstehungsgeschichte hätten und fallibel seien, sei erstgenannte ein universales Produkt menschlicher Erfahrung und unabhängig von persönlichen und kulturellen Umständen. 6

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Rauprich, Prinzipienethik in der Biomedizin, S. 19. Vgl. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit. Vgl. Wiesing, Nutzen und Nachteil der Prinzipienethik, S. 74 ff.; Vgl. Beauchamp /Childress, Principles of Biomedical Ethics, S. 25. Beauchamp /Childress, Principles of Biomedical Ethics, S. 12. Ebd., S. 3. Vgl. ebd., S. 3f.