Geschichten aus der Zukunft

Charlotte Karner, Atelier Diotima, Obergrafendorf. Umschlagabbildungen: anonym bleibende SchülerInnen. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten.
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eschichten aus derZukunft Wie Jugendliche sich Natur, Technik und Menschen in 20 Jahren vorstellen

Impressum Gedruckt mit UnterstŸtzung des Bundesministeriums fŸr Unterricht, Kunst und Kultur in Wien; des Rektors und der Stiftungs- und Fšrderungsgesellschaft der Paris-Lodron-UniversitŠt Salzburg und der Kšck Privatstiftung Ð Initiative Neues Lernen

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren Ð nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen Þnden Sie unter www.oekom.de. BibliograÞsche Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen NationalbibliograÞe; detaillierte bibliograÞsche Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 oekom, MŸnchen oekom verlag, Gesellschaft fŸr škologische Kommunikation mbH, Waltherstra§e 29, 80337 MŸnchen Umschlaggestaltung, Satz + Layout: Charlotte Karner, Atelier Diotima, Obergrafendorf Umschlagabbildungen: anonym bleibende SchŸlerInnen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Dieses Buch wurde auf 100%-igem Recyclingpapier gedruckt. Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-233-9

e-ISBN 978-3-86581-355-8

Ulrike Unterbruner

Geschichten aus der Zukunft Wie Jugendliche sich Natur, Technik und Menschen in 20 Jahren vorstellen

Inhalt Eigentlich wollte ich spannende Geschichten erzählen Wie die Geschichten aus der Zukunft zustande kamen Wie sich Jugendliche die Zukunft vorstellen Globalisierte Zukunftsvisionen? Ein kurzer Streifzug durch 25 Jahre internationale Forschung zu Jugend & Zukunft Was sich in 20 Jahren verändert hat: Die zentralen Ergebnisse meiner Studien von 1988/89 und 2008/09 im Vergleich Natur ist mehr als eine Kulisse Intakte Natur ist Bestandteil eines guten Lebens Umweltzerstörung raubt Perspektiven Klimawandel macht Sorgen Ökologische Desaster ziehen soziale Desaster nach sich Wer löst die Umweltprobleme? Technik in der zukünftigen Welt Fabriken als Umweltverpester Autos Der technikorientierte Großstädter Über neue Medien spricht man nicht, die hat man Menschen in der zukünftigen Welt Familie – berufliche Karriere – Wohlstand Privatleben versus Gesellschaft? Hektik und soziale Kälte Konsequenzen für die Umweltbildung Umweltängste – wie damit umgehen? Gefühle in den Unterricht integrieren Lust auf Zukunft fördern Abschließende Bemerkungen Details zur Forschungsmethodik Literatur

… 007 … 011 … 17 … 23 … 25 … 000 … 29 … 37 … 39 … 45 … 52 … 58 … 62 … 65 … 74 … 77 … 83 … 85 … 91 … 92 … 101 … 106 … 111 … 112 … 115 … 120 … 127 … 131 … 138

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Eigentlich wollte ich spannende Geschichten erzählen, É Geschichten Ÿber eine Welt in 20 Jahren, die mir 13- bis 17-jŠhrige MŠdchen und Jungen aus …sterreich und Deutschland im Rahmen meines Forschungsprojekts Ÿber Zukunftsvorstellungen erzŠhlt haben. Knapp 700 Jugendliche ÈreistenÇ dabei in ihrer Fantasie in eine zukŸnftige Welt und berichteten anschlie§end, was sie gesehen und erlebt hatten. Ich stellte mir vor, dass Sie als Leserin und Leser von diesen Geschichten Ÿber eine zukŸnftige Welt ebenso fasziniert sein wŸrden wie ich und die originellen und facettenreichen Zukunftsgeschichten mit unbeschwertem Interesse lesen wŸrden. Aber dann passierte die Atomkatastrophe in Fukushima. Nicht, dass die Zukunftsberichte der Jugendlichen dadurch ihren Charme und ihre OriginalitŠt verloren hŠtten! Aber in Anbetracht der japanischen Katastrophe lassen sich die Geschichten nicht mehr entspannt auf einem gemŸtlichen Sofa lesen. Fukushima rŸttelt auf. Fukushima erschŸttert das blinde Vertrauen in eine lebensgefŠhrliche Technik und es drŠngt uns, der Frage nicht aus dem Weg zu gehen, wie wir zukŸnftig leben wollen. Welchen Lebensstandard wollen wir Ð fŸr uns selbst wie fŸr die gesamte Menschheit? Was deÞnieren wir als Fortschritt und welche Form des Wirtschaftens und der Energiegewinnung streben wir an? Welches Risiko sollen oder dŸrfen wir dafŸr in Kauf nehmen? Fukushima macht es uns schwer, diese Fragen zu verdrŠngen, auch wenn wir darin sehr routiniert sind. Und so rŸtteln auch die Zukunftsberichte der Jugendlichen auf. Sie fordern. Sie drŠngen. Sie lesen sich nach Fukushima weniger als interessante Geschichten denn vielmehr als Appelle an uns Erwachsene, den Zukunftsdiskurs aktiver zu fŸhren. Die MŠdchen und Jungen, die in meiner Studie zu Wort kommen, haben noch keine Stimme in der Politik. Mit diesem Buch will ich ihnen Gehšr verschaffen. Denn sie erzŠhlen uns mit ihren Zukunftsgeschichten, wovon sie trŠumen, was sie sich wŸnschen und wovor sie Angst haben. Und sie tun das in ihrer Sprache und mit ihren eigenen, vielfŠltigen und

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Geschichten aus der Zukunft

originellen Bildern. Ich lasse daher die MŠdchen und Jungen, denen ich Þktive Namen gegeben habe, so oft wie mšglich selbst zu Wort kommen. Das Buch fasst die Ergebnisse meiner Studie zu den Zukunftsvorstellungen von 13- bis 17-jŠhrigen Jugendlichen zusammen. Ich arbeitete mit insgesamt 728 Jugendlichen aus 29 Klassen aus acht šsterreichischen und fŸnf Berliner Schulen, grš§tenteils Gymnasien (8. bis 10. Schulstufe). Das Gros der Erhebungen fŸhrte ich im Jahr 2009 durch. Die Untersuchung gliederte sich in zwei Teile, in denen Zukunftsvisionen, ZukunftswŸnsche und -Šngste mit einer Fantasiereise in eine Welt in 20 Jahren und mittels Fragebogen erhoben wurden. Bereits vor zwei Jahrzehnten habe ich diese Studie zum ersten Mal mit šsterreichischen Jugendlichen durchgefŸhrt1. Die Frage, ob sich die Vorstellungen der heutigen Jugendlichen wohl von denen aus den Jahren 1988/89 unterscheiden wŸrden, motivierte mich, 20 Jahre spŠter nochmals eine Forschungsrunde zu starten, diesmal auch mit Jugendlichen aus Deutschland. Auf dem Hšhepunkt der Friedens- und Antiatombewegung Ende der 80er Jahre befŸrchteten 55% der befragten Jugendlichen eine lebensfeindliche, von Umweltzerstšrung beeintrŠchtigte Welt. Welche Visionen wŸrden MŠdchen und Jungen jetzt schildern? WŸrden Umweltthemen nach wie vor eine zentrale Rolle in der BeschŠftigung mit Zukunft spielen oder wŸrden die neuen Medien Natur verdrŠngt haben? Schlie§lich wachsen heutige Jugendliche wie keine Generation zuvor mit alten wie neuen Medien auf. Um es gleich vorwegzunehmen: Der Vergleich der Ergebnisse von damals und heute zeigt die eine oder andere erwartete VerŠnderung. Mehr noch aber Ÿberrascht, was sich nicht verŠndert hat.

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Unterbruner, U. (1991). Umweltangst – Umwelterziehung. VorschlŠge zur BewŠltigung der €ngste Jugendlicher vor Umweltzerstšrung. Linz: Veritas

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Dank Meine Forschungstour fŸhrte mich in šsterreichische und deutsche Schulen. Schon das Betreten der SchulgebŠude war spannend, das erste Scannen von AtmosphŠre, Farben, GerŸchen, SchŸlerarbeiten an den WŠnden, Lehrerstimmen und ArbeitslŠrm hinter den KlassentŸren. Der erste Smalltalk mit dem Direktor oder der Direktorin der Schule, der Blick in die Lehrerzimmer, die Kontaktaufnahme mit den Lehrerinnen und Lehrern, die mich zu den jeweiligen Klassen begleiten. Und dann die ersten, immer wieder aufregenden Minuten mit den SchŸlerinnen und SchŸlern: Neugierige ÈWer ist denn das?Ç-Blicke, mehr oder weniger rasches Setzen und zur Ruhe kommen, ein paar wohlvorbereitete SŠtze Ÿber mich und mein Forschungsanliegen. Heiterkeit rufe ich bei den Berliner Jugendlichen mit meinen šsterreichischen AusdrŸcken hervor und ich lerne rasch, dass man in Berlin nicht ÈverkŸhltÇ, sondern ÈerkŠltetÇ ist und dass es dort natŸrlich keine ÈBurschenÇ gibt. Ich bedanke mich bei allen, die mein Forschungsanliegen unterstŸtzt haben: bei den Lehrerinnen und Lehrern, die mir ihre Unterrichtszeit zur VerfŸgung gestellt haben, den SchulleiterInnen und den VertreterInnen der Schulbehšrden, die ihre Erlaubnis fŸr die Forschungsarbeit gegeben haben, und bei den MŠdchen und Jungen, die sich auf das Thema Zukunft eingelassen und mir spannende, vielfŠltige und manchmal auch berŸhrende Einblicke in ihre Gedanken und Vorstellungen gewŠhrt haben. Um in Ruhe an diesem Buch arbeiten zu kšnnen, hatte ich das Privileg, mich an zwei besondere Orte zurŸckzuziehen: Mein Dank gilt der Schweizer Dr. Robert und Lina Thyll-Dürr-Stiftung fŸr die gro§zŸgige Gastfreundschaft in der Casa Zia Lina und dem erfrischenden interdisziplinŠren Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft. Gertraud Höntzsch und Walter Freller bin ich fŸr die herzliche Gastfreundschaft im New University Pyramidvillage in Ft. Myers, Florida, dankbar.

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FŸr die kritische Durchsicht meines Manuskripts und wertvolle Anregungen danke ich Monica Lieschke und meinem Mann Gernot. FŸr die statistische Auswertung danke ich Iris Venus-Wagner. Gudrun Starzer-Eidenberger hat mich bei den Textanalysen unterstŸtzt. Walter Gruber hat fŸr die hochwertige Digitalisierung der Zeichnungen der Jugendlichen gesorgt. Dass das Buch diese Form gefunden hat, verdanke ich Charlotte Karner und ihrer Kunst, aus Texten schšne BŸcher zu machen. FŸr die Þnanzielle UnterstŸtzung bei der Drucklegung, insbesondere fŸr die Mšglichkeit, die vielen Zeichnungen der Jugendlichen farbig abbilden zu kšnnen, mšchte ich ganz herzlich den folgenden Institutionen danken: ¥ dem Rektor und der Stiftungs- und Fšrderungsgesellschaft der Paris-Lodron-UniversitŠt Salzburg ¥ dem Bundesministerium fŸr Unterricht, Kunst und Kultur in Wien ¥ der Kšck Privatstiftung Ð Initiative Neues Lernen

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Wie die Geschichten aus der Zukunft zustande kamen

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ein Forschungsinteresse gilt schon seit Langem den Zukunftsvorstellungen von Jugendlichen, und dies aus mehreren GrŸnden. Vorstellungen lenken uns in erheblichem Ma§e. Sie helfen uns die Welt zu verstehen. Sie bestimmen, was wir wahrnehmen und was wir ausblenden. Ohne uns dessen gewahr zu sein, prŠgen sie uns in unserem Handeln und Verhalten und nehmen Einßuss auf Werthaltungen und Interessen. Das macht diese Vorstellungen Ð man spricht auch von Alltagsvorstellungen oder Alltagsphantasien2 Ð so bedeutsam fŸr das VerstŠndnis und Herangehen an Natur und Umwelt. Denn Vorstellungen Ÿber die Zukunft kšnnen unsere Schritte im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung in einen behutsamen Umgang mit der Natur oder in ein von einer Endzeit-Stimmung geprŠgtes Verprassen unserer Ressourcen lenken. Zukunftsvorstellungen sind auch Ausdruck unserer gegenwŠrtigen BeÞndlichkeit. Wenn ein Zukunftsforscher Ÿber die Zukunft nachdenkt, dann tut er es als wissenschaftliche Profession. Er stellt die Systembildung an den Beginn des prognostischen Prozesses, fragt nach den Elementen im ÈZukunftsraumÇ und trifft mit Hilfe von Modellen langfristige Vorhersagen und Wahrscheinlichkeiten. Wenn wir, egal welchen Alters Ð ZukunftsforscherInnen eingeschlossen Ð, unsere Fantasien zu einer zukŸnftigen Welt spielen lassen, dann sind das hšchst subjektive Prozesse. Unsere Zukunftsvorstellungen sind wie ÈVerdichtungenÇ unserer BeÞndlichkeit und Weltsicht. Das, was uns beschŠftigt und bewegt, Þndet Eingang in unsere Vorstellungen. Wir entwerfen die Zukunft sozusagen aus unserer Gegenwart heraus. WŸnsche und €ngste, die fŸr uns im Hier-und-Jetzt bedeutsam sind, projizieren wir in unsere Zukunftsvorstellungen hinein, die dadurch zu Indikatoren fŸr unsere BeÞndlichkeit werden. Zu diesen Vorstellungen, unseren individuellen mentalen Konstrukten, mengt sich 2

vgl. z. B. Gebhard (2007 a,b), Combe & Gebhard (2007)

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Geschichten aus der Zukunft

aber natŸrlich auch das, was wir als Zeitgeist bezeichnen, und so sind Zukunftsvorstellungen niemals losgelšst von gesellschaftspolitischen und soziokulturellen Bedingungen. Um die Zukunftsvorstellungen von Jugendlichen zu erheben, wollte ich Forschungsmethoden einsetzen, die mit einem Minimum an inhaltlichen Vorgaben auskommen. Die jungen Leute sollten einen mšglichst gro§en Spielraum haben, ihre Gedanken, Vorstellungen und GefŸhle auszudrŸcken. Als zentrales Erhebungsinstrument wŠhlte ich daher neben einem klassischen Fragebogen eine projektive Methode, eine Fantasiereise in eine Welt in 20 Jahren.