Gedanken zu Tschaikowsky`s 5

Vielmehr gilt es die kleinsten Details der Stimmungen zu beobachten und jede musikalische Phrase. Teil der Erzählung werden zu lassen. Die Grundstimmung ...
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Gedanken zu Tschaikowskys Symphonie Nr. 5 Manfred Honeck Kaum einem Komponisten haftet so sehr das Klischee an, sentimental oder lärmend zu sein, wie Tschaikowsky. Nicht, dass das Sentiment oder die triumphalen Fortissimi in seiner Musik geleugnet werden müssten - für mich besteht das Geheimnis darin, diese Eigenschaften nicht noch zu verstärken, da sie ja schon "wegkomponiert" (G. Mahler) wurden. Sonst wird aus Sentiment unerträgliche Gefühlsduselei und aus einem Triumphmarsch nichts als hysterischer Lärm. Tschaikowsky hat in seinem Notizheft ein Programm für seine fünfte Symphonie angedeutet. Ob sich Tschaikowsky an der fünften Symphonie von Beethoven (bekannt als Schicksalssymphonie) orientiert hat, mag eine interessante Frage sein, ist aber letztendlich nicht von entscheidender Bedeutung. Vielmehr gilt es die kleinsten Details der Stimmungen zu beobachten und jede musikalische Phrase Teil der Erzählung werden zu lassen. Die Grundstimmung der Einleitung des ersten Satzes, angelegt als ein sich "völliges Ergeben in das Schicksal" (Tschaikowsky), die leichten und ausgelassenen Tänze, die Zweifel und Sehnsüchte gilt es ebenso herauszuarbeiten wie die Unerbittlichkeit der Coda, die für mich einen Todesmarsch in den tiefsten Abgrund darstellt. Hier müssen die Celli und Bässe meines Erachtens mit größter Wucht spielen, bevor der Satz leise ausklingt, quasi in der Dunkelheit verschwindend. Bezeichnenderweise lässt Tschaikowsky den Gesang des zweiten Satzes aus dieser Dunkelheit wiederentstehen, ein Satz, in dem er sich mit der Frage "Sollte man sich nicht dem Glauben in die Arme werfen?" konfrontiert. Eine sanfte Weise, vom Komponisten als "Lichtstrahl" bezeichnet, voll ehrlich erspürter Schönheit, Farben und Ahnungen, wird zweimal durch das Hereinbrechen des Schicksalsthemas unterbrochen. Insbesondere nach dem zweiten "Einbruch", den Tschaikowsky am dramatischen Höhepunkt mit Akzenten auf jeder Note versieht und so die Unerbittlichkeit des Schicksals bis zum Exzess steigert, muss die Musik innehalten. Es ist unmöglich, so fortzusetzen, als sei nichts gewesen. Zum Ende sorgen ein wehmütiger Klagegesang und ein ruhiger Abgesang, zuletzt in den Klarinetten, für eine Entrückung. Der dritte Satz, ein russischer Walzer, dient als Überleitung und ist nicht nur von instrumentaltechnischer Brillanz, sondern auch reich an vielfältigen Ideen und Klängen (z. B. gestopfte Hörner). Der vierte Satz begeistert mich wegen der kunstvollen Verarbeitung typisch russischer Themen. Er schöpft tief aus dem Reichtum russischer Volksmusik, er ist ein einziges Fest russischer Folklore. Dass Johannes Brahms, der Tschaikowsky in Hamburg bei einer Probe getroffen hat, ihn abgelehnt haben soll, ist verständlich, hat er doch keine (für Brahms) notwendigen gesanglichen Ruhepunkte. Schon das erste Thema, eine Schnellpolka, könnte durchaus von einem Balalaika-Orchester dargeboten worden sein. Das Schicksalsthema erscheint als Marsch wieder. Es ist mir allerdings wichtig, dass dieser nicht als militärischer Triumphmarsch gespielt wird, sondern vielmehr wie eine gesangliche Hymne, als persönlicher Triumph.