Frieden - Leibniz Gemeinschaft

31.08.2014 - Objekte, vor allem für Online-Artikel von wissenschaftlichen Fachzeitschriften verwendet. F otos: Museum für ..... Als Gastgeber für einen Kongress ohne ..... legitimieren die Vereinten Na- ..... hat Einreiseverbote und Konto-.
13MB Größe 3 Downloads 423 Ansichten
2/2014

Leibniz-Journal

Völkerrecht

Ukraine

Vertreibung

Guinea

Interventionen im Namen der Humanität?

Ethnische Säuberungen im Ersten Weltkrieg

Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft

G 49121

Frieden und Konflikte

Wissenschaftler erklären die Krise

Kampf gegen das Ebola-Virus

„Irsee ist das erste Kloster in unsern Gegenden, wo die gründliche Gelehrsamkeit zu blühen angefangen“, schrieb bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts

ZEIT N E H M E N

der Begründer der „Churbayerischen Akademie der Wissenschaften“. Seien Sie uns herzlich willkommen.

… für akademische Begegnungen Als ausgezeichnetes, modernes Konferenzhotel im barocken Ambiente des ehemaligen Benediktinerklosters, bietet Kloster Irsee historische Unverwechselbarkeit und harmonische Einmaligkeit. Unsere Gäste aus Wissenschaft und Hochschule freuen sich über einen außergewöhnlichen Ort der Begegnung mit Geschichte und Literatur, mit Philosophie und Psychologie, mit zeitgenössischer Kunst und Musik. Genießen Sie die einzigartige Atmosphäre in 81 stilvoll Schwäbisches Tagungs- und Bildungszentrum Eine Einrichtung des Bezirks Schwaben

eingerichteten Gästezimmern und die konzentrierte Ruhe in 15 individuell ausgestatteten Tagungsräumen – vom intimen Gruppenraum über großzügige Ateliers bis zum Festsaal. Wir in Kloster Irsee freuen uns auf Sie.

W W W. K LO S T E R - I R S E E . D E

L E I B N I Z | I N H A LT

34

SPEKTRUM | Tropenmediziner hilft bei Ebola-Epidemie

THEMENSCHWERPUNKT: FRIEDEN UND KONFLIKTE Leibniz-Wissenschaftler untersuchen Kriege und Konflikte in Vergangenheit und Gegenwart – und wollen helfen, sie in Zukunft zu lösen.

4

KURZ & FORSCH

10

24 Interview: Ethnische Säuberungen im Ersten Weltkrieg  8 PERSPEKTIVE 28 Versailler Friedenskonferenz: Verhandeln mit Landkarten Matthias Kleiner: Forschen  im Netzwerk — Hand in Hand 30 Afghanistan 1979-1989: Die Regeln der Gewalt 10 TITEL: FRIEDEN UND KONFLIKTE  33 Geschichte: Ein Wirtschaftsforschungs10 Interventionen: Im Namen der Humanität? Institut im Krieg

34 SPEKTRUM

18 Ukraine: Die Krise im Fokus der Forschung

34 Ebola-Virus: Hilferuf aus Westafrika

23 Martin Sabrow: Brauchen wir eine Erinnerungskultur?

38 Tourismus: Neue Wege im Klimawandel

Titel-Foto: Nigerianische UN-Blauhelme in Ost-Darfur (Sudan). Bild: Albert González

16 Harald Müller: Großmachtkrieg im 21. Jahrhundert?

2/2014 



40

MUSEEN | Das Germanische National­ museum auf der Spur der Modernisierung

40 MUSEEN 42 IMPRESSUM  43 LEIBNIZ LEKTÜRE 44 LEIBNIZ LIFE 44 Präsidentenwechsel bei Leibniz 46 Leibniz in Kürze 47 Verlosung, Leibniz-Liste

 49 LEIBNIZ LEUTE

Liebe Leserin, nicht mehr das Aufeinanderprallen mäch- der Geschichte auszuleuchten. Dass Ethnilieber Leser, tiger, hochgerüsteter und ordentlich uni- sche Säuberungen, Völkermorde und Verformierter Heere bestimmt heute Kriege. Stattdessen stehen regulären Einheiten Freischärler gegenüber, die Pickups mit Stalinorgel auf der Ladefläche und Panzerabwehrraketen auf der Schulter mit sich führen - von „asymmetrischer Kriegsführung“ ist die Rede. Erst Vietnam, dann Afghanistan, jetzt Syrien. Vielleicht muss der Begriff auch verwendet werden, wenn Blauhelme im UNO-Auftrag in Krisengegenden landen, wo „humanitäre Interventionen“ Mord und Totschlag verhindern sollen. Doch wer glaubt, dass sich Kriege nach dem Ende der Ost-West-Blockkonfrontation nur noch im Maßstab regionaler Konflikte entwickeln können, irrt: „Der Großmachtkrieg bleibt möglich, und die Risiken steigen“, schreibt Harald Müller. Zugleich – wir befinden uns im 100. Jahr nach Beginn des Ersten und im 75. Jahr nach Beginn des Zweiten Weltkriegs – haben wir allen Anlass, noch dunkle Flecken

treibungen schon im Ersten Weltkrieg an der Tagesordnung waren, gehört nicht zum Allgemeinwissen. Und mit welchen Tricks die Kartographen gearbeitet haben, um aus Landkarten politische Waffen zu machen, ist bislang auch kaum breiter dargestellt worden. Gründe genug also, sich mit Frieden und Konflikten zu beschäftigen.  | ab Seite 10 Gewiss nur ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein Einschnitt für die Leibniz-Gemeinschaft: Karl Ulrich Mayer ist nach vierjähriger Amtszeit als Präsident verabschiedet worden, Matthias Kleiner hat zum 1. Juli das Amt übernommen.  | Seite 8/9 und 44/45

Bleiben Sie neugierig!

Christian Walther 3

Wie Harry Potter in wissenschaftliche Verfahren eingebunden werden kann, zeigt das Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung in Berlin. In einer Abstimmung ließ es Interessierte zwischen vier Optionen den Namen einer noch nicht beschriebenen Wespenart aus Thailand wählen. Das eindeutige Ergebnis:

Mehr als 40 Prozent der Teilnehmer sprachen sich für den Namen „Ampulex dementor“ aus – Dementoren-Wespe. Denn ähnlich den Dementoren in den berühmten Kinderbüchern macht die Wespe ihre Beute durch einen Stich zunächst willenlos und lässt sie dann schnurstracks ins Netz laufen. Da bleibt nur, den thailändischen Fliegen einen starken Patronus gegen diese Masche zu wünschen. PLoS ONE 9(4): e95068. doi:10.1371/journal.pone.0095068 

Wikipedia-Check

Geplagt von Wissenslücken ist schnell das Handy gezückt, um nachzusehen, wann sich Napoleon krönte oder wie Olof Palme starb. Die Plattform Wikipedia steht dabei ganz hoch im Kurs.

Doch Biografie ist nicht gleich Biografie: Das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung hat besonders gut oder schlecht bewertete Wikipedia-Biografien mit Informatik-Methoden des Text-Mining analysiert. Ergebnis: Je intensiver ein Text von der WikipediaGemeinschaft bearbeitet wurde und je emotionaler seine Sprache ist, desto besser bewerteten ihn die Nutzer. Gleichzeitig leidet unter allzu emotionalen Begriffen wie „überzeugt“ die Glaubwürdigkeit eines Textes. Die Forscher arbeiten nun an einem System, das anhand solcher Parameter redaktionelle Vorschläge unterbreitet und den Prozess der Qualitätskontrolle erleichtert. Ein kurzer Blick ins Internet wäre dann noch effizienter.

http://bit.ly/UKP_DIPF_ Wikipedia_Biographies

doi = Digital Object Identifier, ein eindeutiger und dauerhafter Identifikator für digitale Objekte, vor allem für Online-Artikel von wissenschaftlichen Fachzeitschriften verwendet

4

Vielseitige Immunzellen

Einen bislang un­ bekannten Zelltyp, der eine wichtige ­Rolle in der Abwehr von Autoimmunerkrankungen spielt, haben Wissenschaftler vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ) entdeckt. Es handelt sich bei den Plasmazellen um eine Untergruppe der B-Lymphozyten, die Teil des körpereigenen Abwehr­ systems sind. Normalerweise bilden die B-Zellen Anti­ körper, die beispielsweise körperfremde Bakterien ausschalten. Diese können sich allerdings auch gegen körpereigene Strukturen richten – es kommt zu auto­ immunen Störungen. Bereits 2002 konn-

ten Forscher jedoch zeigen, dass B-Zellen auch in der Unter­ drückung von Auto­ immunreaktionen von Bedeutung sind, indem sie das Protein Zytokin IL-10 absondern, das ungewollte Abwehr­reaktionen dämpft. Der nun von DRFZ-Forschern und ­Kollegen entdeckte Zelltyp sondert das antientzündliche Zytokin IL-35 ab, das eine zentrale Rolle in der Unterdrückung unerwünschter Immunreaktionen spielt. Die Entdeckung könnte neue Wege in der Behandlung von Autoimmun­er­ krankungen eröffnen. Nature. 2014 Mar 13; 507(7492):366-370. doi: 10.1038/ nature12979.

2/2014

Fotos: Museum für Naturkunde; Wikimedia Commons; Francesca Schellhaas/Photocase; TIB

Expecto Patronum

LEIBNIZ | KURZ & FORSCH Zahnpflege zur Krebsprävention

Stillen gegen Diabetes

Stillende Mütter erkranken laut einer Studie des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke deutlich seltener an Diabetes des Typs 2 als Frauen, die nicht gestillt haben. Die Forscher beobachteten verschiedene Stoffwechselprozesse von über 1.000 Müttern, deren Daten zwischen 1994 und 2005 in einer Langzeitstudie erhoben worden waren. Die Untersuchungen zeigten, dass Frauen, die stillen, ein um etwa 40 Prozent gesenktes Typ 2-Di-

abetes-Risiko haben – unabhängig von sozialem Status und Lebensstil. Besonders Frauen, die ihre Kinder lange gestillt haben, wiesen niedrigere Blutfettwerte und eine höhere Konzentration des Hormons Adiponektin auf. Der dadurch verbesserte Stoffwechsel senkt das Risiko, zu erkranken. In Deutschland leiden derzeit etwa 4,5 Millionen Menschen an der Volkskrankheit Typ 2-Diabetes. Diabetologia 2014; DOI 10.1007/ s00125-014-3247-3

Wissenschaftliches Filmportal 1.800 wissenschaftliche Filme stehen Internetnutzern mit dem Start des TIB|AV-Portals der Technischen Informationsbibliothek (TIB) in Hannover zur Verfügung. Die Filme befassen sich mit Themen aus Technik, Architektur, Chemie, Physik und Informatik. Aufzeichnungen von Vorlesungen und Konferenzen können in dem Portal nicht nur leicht gefunden, sondern auch publiziert und dauerhaft erhalten werden. Seit 2011 hat das Kompetenzzentrum für nicht-­ 2/2014 



textuelle Materialien das Portal in Kooperation mit dem Potsdamer Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik entwickelt. Im Vergleich mit anderen Video-Portalen bietet es einen klaren Mehrwert: Die automatisierte Videoanalyse mit Szenen-, Sprach-, Text- und Bilderkennung ermöglicht eine innovative Suche in den Filmen. Die Suchergebnisse werden mittels semantischer Verknüpfung der Daten zu neuem Wissen vernetzt. av.getinfo.de

Wer unregelmäßig die Zähne putzt und selten zum Zahnarzt geht, hat ein erhöhtes Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken. Das haben das Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie sowie zwölf weitere Forschungszentren in einer europaweiten Studie herausgefunden. Dass Rauchen, Alkoholkonsum und ein niedriger sozioökonomischer Status das Risiko für Krebs im oberen Luft- und Speiseröhrenbereich steigern, gilt als wissenschaftlich bewiesen. Die Studie, die 1.962 Patienten mit Mundhöhlenund Kehlkopfkrebs sowie 1.993 gesunde Vergleichspersonen umfasste, zeigte nun, dass Mundhygiene und -gesundheit weitere Faktoren sind, die eine Erkrankung begünstigen. Zur Vorsorge empfehlen die Forscher: regelmäßiges Putzen, Zahnseide, Zahnarztbesuche. Mundwasser hingegen stehen – besonders bei exzessivem Gebrauch – im Verdacht, das Krebs­ risiko zu erhöhen. Oral Oncology, vol. 50, iss. 6, p. 616–625, June 2014. doi: 10.1016/j.oraloncology.2014.03.001

Vielversprechender Wirkstoff

Wissenschaftler vom Hans-Knöll-Institut – Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena sind auf ein vielversprechende Substanz gegen bakterielle Infektionen gestoßen. Das aus einem Bodenbakterium gewonnene

Closthioamid könnte Basis eines Antibiotikums werden, so die Forscher. In ersten Untersuchungen wirkte die Substanz unter anderem gegen den multiresistenten Krankenhauskeim Staphylococcus aureus. Der LeibnizForschungsverbund Wirkstoffe und Biotechnologie kürte Closthioamid zum „Leibniz-Wirkstoff des Jahres“.

Angewandte Chemie International Edition. doi: 10.1002/ anie.201304714

Dünn aber stabil

Forschern des Leibniz-Instituts für Festkörper- und Werkstoffforschung (IFW) ist es gelungen, freistehende Metallmembranen herzustellen, die aus nur einer einzigen Atomlage bestehen und unter normalen Umgebungsbedingungen stabil sind. Bislang gibt es nur wenige Materialien mit diesen Eigenschaften, darunter das KohlenstoffMaterial Graphen. Am IFW nutzte man die Poren einer GraphenSchicht als „Falle“ für Eisenatome, die sich – angeregt durch Elektronenstrahlen – über der Schicht ­bewegten. Eine größere Anzahl von Eisenatomen wurde in einer Pore gefangen und ordnete sich zu einem zweidimensionalen Kristallgitter an. Die magnetischen Eigenschaften des Eisens verstärkten sich dabei deutlich – eine etwa für die Ent­wicklung von ­Magnetspeichern interessante ­Beobachtung. Science 14 March 2014: DOI: 10.1126/ science.1245273

5

LEIBNIZ | KURZ & FORSCH

in

Zahlen

64

unbeschriebene Arten von Süßwasserfischen haben Wissenschaftler des Zoologischen Forschungsmuseums Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Bio­ diversität der Tiere in Bonn im Mittelmeerraum entdeckt. In einer großen Studie mit über 30 europäi­ schen Koautoren untersuchten sie mehr als 3.000 Fische aus knapp 500 verschiedenen Arten mittels ­molekulargenetischer Methoden (DNA Barcoding). Molecular Ecology Resources (2014) doi: 10.1111/1755-0998.12257

Auf einer Auktion in London ist dem Germanischen Nationalmuseum ein Glücksgriff gelungen: Die Nürnberger ersteigerten ein opulentes Altarwerk, das um 1490 in Nürnberg oder Bamberg entstand. Es zeigt die Kreuzigung Christi auf einem ­figurenreichen Kalvarienberg. Lange Zeit galt das Tafelgemälde als Frühwerk Albrecht Dürers, später wurde ein Schüler des Bamberger Malers

Wolfgang Katzheimer als Urheber vermutet. Weil das Gemälde zuletzt in Privatbesitz war, basierte seine wissenschaftliche Untersuchung bis­ lang ausschließlich auf einer historischen Aufnahme. Dem Ursprung seiner Neuerwerbung möchte das Leibniz-Forschungsmuseum nun auf den Grund gehen. Dann soll es die Sammlung Alter Meister ergänzen. www.gnm.de

Druck ablassen

6

Der Körper hat manchen Trick auf Lager, um uns zu schützen. Einen davon, den sogenannten Volumen-regulierten Anionenkanal (VRAC), haben Berliner Forscher um Thomas Jentsch vom Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie nun entschlüsselt. VRAC ist bei allen Wirbeltieren und in jeder Zelle vorhanden. Er reguliert das Zellvolumen, das etwa bei Zellteilung und -wachstum, aber auch bei Krankheiten wie Krebs, Schlaganfall oder Herzinfarkt von Bedeutung ist. Schwillt eine Zelle gefährlich an, wird der

Kanal aktiviert. Er öffnet sich und lässt Chloridionen und organische Stoffe, sogenannte ­Osmolyte, austreten, sodass das Volumen der Zelle wieder abnimmt. Seit über 20 Jahren sind Wissenschaftler weltweit auf der Suche nach dem molekularen Aufbau des Kanals. Jentschs Team benötigte knapp vier Jahre für den Durchbruch. Die Ergebnisse wurden wegen ihrer Bedeutung zunächst in Science Express und dann in Science veröffentlicht. Science 9 May 2014. doi: 10.1126/science.1252826

2,8

Prozent

durchschnittlichen Anstieg der Geburtenrate haben Forscher in einer Studie des ifo Instituts – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung bei einem Anstieg der Betreuungsquote für unter dreijährige Kinder um zehn Prozentpunkte ermittelt. Sie untersuchten den Ausbau von Krippenplätzen in Westdeutschland und stellten dabei eine tatsächliche Wirkungskette von den Krippen hin zu mehr Geburten fest. ifo Schnelldienst 10/2014

1.200 Euro weniger pro Monat als ihre männlichen Kollegen verdienten voll erwerbstätige Frauen in Führungspositionen in der Privatwirtschaft im Jahr 2012. Das zeigen Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Frauen verdienten damit im Mittel 23 Prozent weniger als Männer, die im Schnitt auf 5.200 Euro im Monat kamen. Immerhin: 2002 hatte der Unterschied noch knapp 29 Prozent betragen. Zeitschrift für Soziologie. Jg. 42. Heft 4. S. 315–336.

Fotos: GNM; C. Valeggia/Owl Monkey Project

Neu erworben

2/2014

LEIBNIZ | KURZ & FORSCH

Treue Augen: Das Deutsche Primatenzentrum in Göttingen konnte bei Azara-Nachtaffen Mono­gamie nachweisen.

Treue Nachtaffen

Anzeige

Nachtaffen scheinen gefunden zu haben, wovon viele ­Paare träumen: ewige Treue. Mit ­Hilfe zahlreicher Vaterschaftstests konnte das Deutsche P ­ rimatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung erstmals die genetische Monogamie bei Azara-Nachtaffen nachweisen. Alle untersuchten Tiere waren ihrem Partner hundertprozentig treu, was im Tierreich selten vorkommt. Die Forscher schreiben dies unter anderem der Aufzucht der Jungtiere zu, an der sich die Männchen stark beteiligen: Sie spielen mit dem Nachwuchs und tragen ihn u ­ m­-

her. Allerdings ist noch unklar, was zuerst da war: die fürsorglichen Väter oder die genetische ­Monogamie. Die Nachtaffen-Studie legt nahe, dass Partner unter bestimmten ökologischen Bedingungen mehr Zeit miteinander verbringen. Dies bewirkt, dass die Väter sich stärker in die Jungenaufzucht einbringen. So haben sie eine größere Gewissheit darüber, ob sie der genetische Vater sind. Dies könnte die genetische Monogamie bedingen. Proc. R. Soc. B 7 May 2014 vol. 281 no. 1782. doi: 10.1098/rspb.2014.0195

Seltene Erden?

Netzbibliothek

http://ftp.zew.de/ pub/zew-docs/dp/ dp14005.pdf

www.deutsche-digitalebibliothek.de/

Seltene Erden werden bald weniger selten sein, das legt eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim nahe. Bislang werden 90 Prozent der Metalle in China abgebaut, ­dessen Monopolstellung sich in hohen Preisen niederschlägt. Das ZEW prognostiziert nun den Verlust der chinesischen Vormachtstellung. Länder wie die USA und Australien haben mit dem zeitintensiven Abbau der Metalle begonnen und drängen auf den Markt. Zudem werde Recycling die Preise drücken, technische Neuerungen könnten Alternativen zu den begehrten Metallen hervorbringen.

Die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) hat den Betrieb aufgenommen. Die Plattform ermöglicht es etwa Museen, Archiven und Kinematheken, ihre digitalisierten Bestände Interessierten online zur Verfügung zu stellen. Dazu zählen Millionen Bücher, Bilder, Tondokumente, Filme und Noten. Derzeit sind etwa 2.100 Einrichtungen registriert, langfristig soll die DBB die digitalen Angebote von rund 30.000 deutschen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen umfassen. Technischer Betreiber und Kooperationspartner der DBB ist das FIZ Karlsruhe, Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur.

Kongress ohne Kompromiss Ihr perfekter Gastgeber: Berlin

convention.visitBerlin.de

Ein perfekter Kongress ist mehr als perfekte Organisation. Mehr als perfekte Räumlichkeit. Mehr als perfekter Service. Zu einem perfekten Kongress gehört auch ein Gastgeber, der sich um den Rahmen kümmert. Berlin, die aufregendste Metropole in Europa tut das. Ob Kultur, Sport oder Party, Berlin gibt sein Bestes. Als Gastgeber für einen Kongress ohne Kompromiss! convention.visitBerlin.de Member of

2/2014 



7

LEIBNIZ | PERSPEKTIVE

Forschen im Netzwerk —

Hand in Hand Die vorhandenen gemeinschaftlichen Stärken in einer gemeinsamen starken Identität zu bündeln, das hat sich der neue Präsident der Leibniz-Gemeinschaft Matthias Kleiner vorgenommen.

8

Die Leibniz-Gemeinschaft ist etwas, was andere nicht sind: ein starkes Netzwerk. Das bedeutet für mich nicht nur, dass Forscherinnen und Forscher in Teams arbeiten – denn das tun sie auch in Universitäten und anderen Forschungsorganisationen und auch erfolgreich. Es hat für mich vielmehr etwas damit zu tun, dass in der Leibniz-Gemeinschaft vielfältige Forschungsprozesse Hand in Hand gehen, wenn eine gesellschaftlich relevante Fragestellung eine Erkenntnissuche in mehreren Themenfeldern und Leibniz-Einrichtungen zugleich, wechselwirkend und im Austausch auslöst. Das ist mehr als ein zeitlich paralleles Forschen, weil die simultane Forschungsarbeit ein gegenseitiges Hän-

dereichen in der Überlegung, in Umsetzung und Reflektion ermöglicht. So ist die LeibnizForschung – divers und komplementär in Perspektive, Methode und Fach – immer im Kontakt miteinander. Sie zeitigt gemeinschaftlich Wirkung, die gerade dadurch mehr sein kann als nur die Summe von einzelnem Wissen. Denn ihre Ergebnisse und Erkenntnisse entstehen schlicht anders, wenn schon das Erkenntnisinteresse nicht von einer einzelnen Person formuliert und für eine definierte Gruppe an Forscherinnen und Forschern vorgegeben wird, sondern von mehreren Händen und Köpfen gestaltet wird. Und in der konkreten Durchführung werden dann kontinuierlich Ideen und Ansätze von Hand zu

Hand gegeben und entwickeln sich von Kopf zu Kopf und in verschiedene Richtungen w ­ eiter.

Wie und warum geht das?

Es geht, weil in den Instituten und Forschungsmuseen der LeibnizGemeinschaft Forscherinnen und Forscher, technische und administrative Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig sind, die so hervorragend sind, dass sie kooperieren können. Denn kooperative Wissenschaft braucht die Stärke der Einzelnen. Es geht, weil die innere Konstitution der LeibnizGemeinschaft zwischen den Leibniz-Instituten eine Reichweite vorsieht, die den Handschlag untereinander nicht nur ermöglicht,

2/2014

Fotos: Jan Zappner; David Ausserhofer

LEIBNIZ | PERSPEKTIVE

2/2014 



sondern motiviert – ja, sogar anstrebt. Es ist die ureigene Aufgabe der Leibniz-Gemeinschaft, gemeinsam ganzheitlich zu denken und zu handeln, umfassende Lösungsansätze zu verfolgen, diese Lösungen im Verbund zu schaffen und Anwendungs- und Anschlussmöglichkeiten herzustellen. Anwendung oder Anschluss und Fortführung kann viele Formen annehmen und sich an mannigfache Adressaten richten. Leibniz-Einrichtungen inspirieren wissenschaftlichen Fortschritt untereinander, sie wirken im Zusammenspiel mit den Universitäten, sie geben Wissen und Handreichungen an Politik und Gesellschaft, sie denken durchaus auch unternehmerisch und wirtschaftlich. So ist das Netzwerk der Leibniz-Einrichtungen streng genommen der Kern eines größeren Geflechts, das in vielleicht etwas weitgefassteren Abständen stabile Verbindungen in wissenschaftliche und gesellschaftliche Bereiche unterhält. Einige Worte zu der besonderen Nähe von Leibniz-Gemeinschaft und Universitäten: Ich sehe in mancher Hinsicht eine Verwandtschaft in der Ausrichtung beider Institutionen. So bewohnen sie im Allgemeinen einen gemeinsamen Handlungsraum zwischen erkenntnisgetriebener und anwendungsorientierter Grundlagenforschung mit Erkenntnistransfer. Darin sind etwa gemeinsame Berufungen und projektförmige Kooperationen bereits sehr erfolgreich. Mit Blick auf das Forschen in Gemeinschaft verstehen sich Universitäten und Leibniz-Institute als natürliche Partner auf Augenhöhe. Das zeigt auch ihre enge und erfolgreiche Zusammenarbeit im Rahmen der Exzellenzinitiative und in DFGAktivitäten, in der gemeinsamen Betreuung von Nachwuchs, in der Lehre und nicht zuletzt durch die derzeit sechs Leibniz-WissenschaftsCampi. Eine erwägenswerte Ergänzung der Leibniz-Gemeinschaft durch neue ‚Leibniz-Institute in Universitäten‘ erscheint mir – und längst nicht nur mir! – eine logische Fortführung und stu-

fenweise Anhebung dieser bewährten Kooperationen zu sein. Wissenschaftlich herausragend und thematisch passgenau ausgewählt, kann eine solche Linie ein Strang der nachhaltigen Weiterentwicklung der Fortschritte von Wissenschaft und Forschung in Deutschland sein – auch und gerade weil die wissenschaftliche, rechtliche und finanzielle Unabhängigkeit von LeibnizInstituten einer schlanken und gewinnbringenden Integration Vorschub leistet und das wissenschaftliche Netzwerk um starke Knotenpunkte erweitert. Dabei bestehe ich übrigens auf das Wort des ‚Netzwerkes‘, weil es – mehr als von dem Status oder dem Vorgang der abstrakten ‚Vernetzung‘ – von der Tätigkeit und Arbeit der Forscherinnen und Forscher kündet, die ein Netzwerk erst zu einem Netzwerk machen. Sie wirken darin und machen es aus, und ich bin überzeugt, dass es zum einen ihre Forschung selbst, zum anderen ihre fachlich-inhaltliche Neugier und Kommunikation ist, die ein beständiges effektives Netzwerk begründen, das von vielen Händen gehalten und bewegt wird. Eine besondere Herausforderung ist es vor allem, das Streben nach Stabilität im Gleichgewicht mit dem Freiraum und der Selbständigkeit der Mitglieder zu halten und offene Stränge nach außen zu bewahren. Die spezifische Verfasstheit der Leibniz-Gemeinschaft bedingt beides: freie Hand zu haben und doch zu wissen, was die vielen anderen Hände tun. Überhaupt, die Menschen. Je mehr ich mich der Leibniz-Gemeinschaft annähere, desto stärker bin ich überzeugt, dass Achtsamkeit – zunächst ein Begriff des Umgangs von Mensch zu Mensch – auch ein besonderes Qualitätsmerkmal für Kooperation in Wissenschaft und Forschung ist. Es ist dann eine Umschreibung dessen, was wir „anwendungsorientierte Grundlagenforschung“ nennen, wenn wir an die Forscherinnen und Forscher denken, die sie betreiben: Sie sind stets achtsam, was um sie herum und anderswo passiert, und sie sind

sensibel gegenüber sich abzeichnenden Veränderungen. Wenn ich die Grundlagenforschung (mit Anwendungsperspektive) auch grundsätzlich als Modus der Forschung beschreibe, so ist sie, bezogen auf Personen, eine intrinsische Haltung. Eine, die Offenheit und temporäre Leerstellen im Wissens- und Verständnisprozess duldet, die gewiss ein Erkenntnisinteresse voraussetzt, aber auf keinem Nutzen oder Zweck beharrt, die Dynamiken absieht und verarbeiten kann – und all das gern in Gemeinschaft.

Prof. Dr.-Ing. Matthias Kleiner ist seit dem 1. Juli 2014 der sechste Präsident der Leibniz-Gemeinschaft.

Was fehlt also? Was ist jetzt zu tun?

Vieles und Vielversprechendes ist vorhanden: Die oben besprochenen Alleinstellungsmerkmale einer lebendigen und im besten Sinne eigenwilligen Gemeinschaft, das Gütesiegel der Forschung im regelmäßigen Evaluierungsprozess. Anderes ist noch Notwendigkeit und Einladung: zum Beispiel, die gemeinschaftlichen Stärken auch in einer gemeinsamen starken Identität zu bündeln – entschieden und deutlich sichtbar. Ein klares nachvollziehbares Profil der Gemeinschaft verleiht auch den einzelnen Mitgliedern Profilschärfe und Anziehungskraft – und gestattet auch das vermeintliche Quäntchen sympathisches Selbstbewusstsein. Nehmen wir es gemeinsam in die Hand. Ich freue mich darauf.   m atth i as kl ei n er 9

LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE

Im

Namen der

Humanität? Kosovo, Afghanistan, Mali: Deutschland diskutiert die Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen. Ob und wann Gewalt in einem Land mit Gewalt von außen beendet werden darf, ist so umstritten wie die Frage nach dem Erfolg humanitärer Interventionen.

10 

2/2014

Foto: UN Photo/Marco Dormino

LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE

2/2014 



11

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE

„Hätten mehr tun können und mehr tun müssen.“ Ban Ki Moon in Kigali zum Völkermord in Ruanda, der vor 20 Jahren begann.

Eigentlich wollte Ban Ki Moon Anfang April nach Ruanda reisen. Dort wurde 20 Jahre nach dem Beginn des Völkermords von 1994 dessen Opfern gedacht. Aber der Generalsekretär der Vereinten Nationen legte einen Zwischenstopp in der Zentralafrikanischen Republik ein. Und statt der Vergangenheit zu gedenken, warnte er in der Hauptstadt Bangui vor der Zukunft – und vor einem neuen Völkermord. Muslimische Milizen, die Séléka, stürzten im März 2013 den Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik, François Bozizé, und verbreiteten Terror. Christliche Milizen, die Anti-Balaka, wehrten sich mit Racheaktionen. Tausende sind seither gestorben, eine Million Menschen sind auf der Flucht.

Gewalt mit Gewalt beenden? „Gerade ergibt sich eine Aufwertung Afrikas, das finde ich gut und überfällig.“ Andreas Mehler

GIGA Leibniz-Institut für Globale und ­Regionale Studien 12 

Ban Ki Moon rief bei seinem Besuch in Bangui die Politiker im Land auf, die ethnisch-religiöse Säuberung zu stoppen. Und er berief eine UN-Truppe mit 12.000 Soldaten ein, die den Konflikt eindämmen soll. Damit beginnt im September eine neue humanitäre Intervention – und eine neue Diskussion über den Erfolg und Misserfolg solcher Militäreinsätze. Die Fra-

gen sind immer dieselben: Wie legitimieren die Vereinten Nationen oder ein einzelnes Land das militärische Eingreifen in einen souveränen Staat? Ist Gewalt gerechtfertigt, wenn durch sie weitere Gewalt verhindert wird? Und spielen neben den humanitären Gründen andere, etwa wirtschaftliche oder geopolitische, Interessen eine ­Rolle? In Deutschland hat die Debatte schon ein paar Wochen zuvor begonnen, als Ursula von der Leyen ein stärkeres außenpolitisches Engagement in Afrika forderte. Diese Forderung findet Andreas Mehler berechtigt. Er ist Direktor des GIGA Instituts für Afrika-Studien des Leibniz-Instituts für Globale und Regionale Studien in Hamburg und forscht unter anderem zur deutschen und französischen Afrikapolitik. „Gerade ergibt sich eine graduelle Aufwertung Afrikas, das finde ich gut und überfällig, schließlich ist das unser Nachbarkontinent“, sagt er.

Dramatische Lage in Zentralafrika

Mehler begrüßt den Plan, die Zahl der ausländischen Soldaten in der Zentralafrikanischen Republik von derzeit 8.000 auf über 20.000 zu erhöhen. Schon seit Monaten fordert er ein internationales Eingreifen in dem Land. In Aufsätzen und Artikeln warnt er, es könne sich in ein „zweites Somalia“ verwandeln. Den Begriff „Genozid“, den Ban Ki Moon in Bangui benutzt hat, hält er dagegen für falsch. „Da unterstellt man, es gäbe eine planmäßige Vorbereitung. Das ist nicht der Fall. Trotzdem ist die Lage äußerst dramatisch.“ Deutschland und Frankreich hätten die Chance, sich bei Einsätzen in afrikanischen Ländern stärker abzusprechen. „Es macht keinen Sinn, überall gemischte Truppen hinzuschicken. Jede Truppe soll das tun, was sie gut kann: Frankreich hat hohe logistische Fähigkeiten und ist erfahren in Kampf-

einsätzen. Die Bundeswehr dagegen versteht sich auf die Ausbildung“, sagt Mehler. Wie schwierig eine solche Zusammenarbeit ist, zeigt sich derzeit in Mali: Die französische Armee geht mit ihren Soldaten im umkämpften Norden des Landes viel höhere Risiken ein als die Bundeswehr, die im relativ friedlichen Süden Soldaten ausbildet. Frankreich ist deshalb nicht bereit, Deutschland ein Mitspracherecht zu gewähren.

Zivilgesellschaft stärken, Konflikten vorbeugen

Bewaffnete Konflikte wie die in Mali oder der Zentralafrikanischen Republik bahnen sich oft über Jahrzehnte an. „Der Putsch der Séléka in Bangui kam nicht überraschend“, so Andreas Mehler. „Der gestürzte Präsident, François Bozizé, ist zehn Jahre zuvor auf dieselbe Weise an die Macht gekommen.“ Wissenschaftler, sagt Andreas Mehler, könnten mit großem Abstand und mit historischer Tiefe auf die Konflikte blicken.

Folgenschwere Fälschung: Im Weltsicherheitsrat präsentiert der damalige USAußenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 vermeintliche Beweise für irakische Massenvernichtungswaffen.

2/2014

LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE

Fotos: UN Photo/Government of Rwanda ; UN Photo/Mark Garten; Bundeswehr/Bienert.

Verstärktes Engagement: Deutsche Soldaten im afghanischen Kabul. Immer wieder werden Forderungen laut, die Bundeswehr müsse auch bei Friedenseinsätzen in Afrika aktiver werden.

2/2014 



Viele Forscher beraten deshalb Politiker – in Gremien, Diskussionspapieren oder Hintergrundgesprächen. Andreas Mehler ist Mitglied eines Beirats, der die Bundesregierung beim Thema „zivile Krisenprävention“ berät. Prävention – etwa durch diplomatische Bemühungen oder die Stärkung der lokalen Zivilgesellschaft – hält er für die beste und wirksamste Maßnahme. Wie erfolgreich Interventionen sind, ist politisch umstritten. Matthias Dembinski und Thorsten Gromes von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) haben erstmals das Gelingen verschiedener humanitärer Interventionen über einen längeren Zeitraum hinweg untersucht. Das Ergebnis: Nur bei einem Drittel der Interventionen zwischen 1947 und 2005 endete die organisierte Gewalt zwischen den einheimischen Konfliktparteien innerhalb eines Jahres. „Das ist kein Wert, der auf eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit humanitärer militärischer Interventionen hinweist“, sagt Dembinski. Die Studie sei allerdings noch vorläufig und deshalb nicht geeignet, um einzelne

Inter­ventionsentscheidungen zu bewerten. Denn methodisch gebe es noch Schwierigkeiten: „Zu Flüchtlingszahlen gibt es oft keine verlässlichen Daten. Deshalb haben wir Flüchtlingsströme als Indikator von Erfolg nicht berücksichtigt“, sagt Dembinski. „Und Opferzahlen liegen meist nur auf Jahresbasis vor. Dann können wir nicht sehen, ob diese Menschen vor, während oder nach der Intervention gestorben sind“, ergänzt ­Thorsten Gromes.

Erfolgsrezept UN-Mandat?

Erfolgreich seien vor allem Missionen in kleinen Ländern, wie Osttimor oder Sierra Leone. Dort könne mit relativ geringem finanziellen Aufwand viel erreicht werden. Denn die Dichte der ausländischen Soldaten ist in kleinen Ländern so hoch, wie das in größeren Ländern logistisch gar nicht möglich wäre. Wollte man etwa in den Kongo prozentual gesehen so viele ausländische Truppen schicken wie 1999 in den Kosovo, bräuchte man eine Million Soldaten.

Ein weiterer Faktor für den Erfolg sind die Akteure. „Es gibt in der Wissenschaft die Vermutung, dass Einsätze mit UNMandat erfolgreicher sind als solche von Einzelstaaten ohne internationale Autorisierung“, erklärt Matthias Dembinski. Als Beispiel würden oft der erste und zweite Irakkrieg genannt. „Nach unserem Verständnis keine humanitären Interventionen.“ Der erste – durch Resolution 678 des UN-Sicherheitsrates gedeckte – Irakkrieg von 1990/91 gilt als erfolgreich; der zweite (2003) hingegen als historischer Fehler. „Stabilisierung und Befriedung des Landes sind auch deshalb gescheitert, weil die Intervention international so umstritten war und die Legitimation der UN fehlte“, sagt Dembinski. In Deutschland hätten humanitäre Interventionen anders als etwa in Frankreich grundsätzlich einen schlechten Ruf. Insgesamt haben Interventionen seit den 90er Jahren stark zugenommen. Das liegt zum einen am Fall des Eisernen Vorhangs. „Der Ost-West-Konflikt hat humanitäre Interventionen weitgehend verhindert“,

„Es gibt die Vermutung, dass Einsätze mit UN-Mandat erfolgreicher sind.“ Matthias Dembinski

Hessische Stiftung Friedens- und ­Konfliktforschung 13

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE

sagt Dembinski. „Als Folge der Umbrüche der Jahre 1989/90 entwickelte sich ein neues normatives Verständnis, das den Schutz des Menschen in den Mittelpunkt rückte.“ Eine weitere Rolle spielte der Völkermord in Ruanda im Jahr 1994, bei dem die Vereinten Nationen viel zu spät und viel zu zögerlich eingriffen. Mindestens 800.000 Menschen starben. „Die internationale Gemeinschaft hat versagt“, räumte Kofi Anan, der damals die UNAbteilung für Friedenseinsätze leitete, später ein. Und forderte: „Die Welt muss besser dafür gerüstet sein, um Völkermord zu verhindern und entschieden handeln, wenn die Vorsorge versagt.“

Intervention aus Verantwortung „Die Menschen begannen, Mitgefühl zu empfinden.“ Fabian Klose

Leibniz-Institut für Europäische Geschichte 14 

In der Folge des Genozids wurde eine Kommission – genannt ICISS – einberufen, die eng mit den Vereinten Nationen zusammenarbeitete. Sie sollte untersuchen, wann humanitäre Interventionen und Interventionen, um die Demokratie in einem Land wiederherzustellen, gerechtfertigt sind. Im Jahr 2001

veröffentlichte sie ihren Report unter dem Titel „responsibility to protect“, zu Deutsch: „Schutzverantwortung.“ Demnach ist ein militärisches Eingreifen gerechtfertigt, wenn „eine akute Bedrohung des Lebens einer großen Anzahl von Menschen“ vorliegt.

Humanitäre Tradition

Damit entstand ein neuer – wenn auch sehr vager – Rahmen für eine jahrhundertealte Praxis. Vorläufer der humanitären Intervention gab es schon im 17. Jahrhundert, etwa im Dreißigjährigen Krieg, als Staaten aus konfessioneller Solidarität intervenierten, um Glaubensbrüder zu schützen. Der Begriff der humanitären Intervention entwickelte sich erst im 19. Jahrhundert. Der Historiker Fabian Klose untersucht am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) in Mainz die Anfänge der humanitären Intervention. „Im Laufe des 18. Jahrhunderts entstand eine grundlegend neue Gefühlsordnung“, sagt er. „Die Menschen begannen, Mitgefühl zu empfinden.“ Die Philosophie der Aufklärung, aber auch reli-

giöse Tendenzen und der Sentimentalismus in der Literatur waren Gründe für diesen Mentalitätswandel. 1808 fand die erste Intervention statt: Die britische Marine schickte Schiffe nach Westafrika, um den Sklavenhandel zu beenden. Mit Texten, Pamphleten und Symbolen – wie dem berühmten Bild eines knienden Sklaven von Josiah Wedgewood – wurden die Menschen mobilisiert, sich gegen den Sklavenhandel zu engagieren. Um Menschenrechte ging es damals jedoch nicht. „Das war ein paternalistisches Konzept“, sagt Klose. „Die Herrschaft über schwarze Menschen galt nicht als falsch. Man wollte nur humanitäre Normen einhalten und extreme Formen von Gewalt verhindern.“ Frankreich beteiligte sich – anders als Spanien, Portugal und die Niederlande – nicht an diesem ersten humanitären Einsatz unter britischer Führung. Die Regierung in Paris behauptete, Großbritannien verfolge wirtschaftliche Interessen und wolle in Wahrheit seine Vormachtstellung ausbauen. Ein Verdacht, der noch heute jeder humanitären Intervention anhaftet. m ou n i a m ei borg

Foto: Keith Ivey/Flickr.com

Proteste: Der zweite Irakkrieg wurde wie hier in Washington weltweit kritisiert. Wohl auch, weil eine Legitimation auf Basis des Völkerrechts fehlte.

2/2014

Martin Jensen, taz-Genosse seit 2008, Köln, Mathematiker

L E I B N I Z | D I G I TA L

Ich teile mir die taz mit 13.500 anderen.

und Genossinnen 0 0 .5 3 1 ls a r Meh istische ern die publiz Genossen sich igkeit che Unabhäng und ökonomis teil von Wer einen An . g n u it Ze r re ih ssIn et, kann Geno 500 €* zeichn werden. enschaft taz.de/genoss [email protected] 22 13 T (030) 25 90 aten zahlbar *auch in 20 R

2/2014 



15

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE

Großmachtkrieg im

21. Jahrhundert?

Der Konfliktforscher Harald Müller sieht in der aktuellen geo­ politischen Lage ein global vernetztes Konfliktsystem — ähnlich wie vor dem Ersten Weltkrieg. Ein Großmachtkrieg bleibt auch heute möglich.

Angespannt: In Kaschmir bewacht ein indischer Soldat die Grenze zu Pakistan.

16 

Schutz (angeblicher) russischer Bürger in anderen Staaten als Teil der eigenen Souveränitätsrechte definiert – siehe Ukraine. Zugleich sehen China, Indien und Russland ihre Souveränität und territoriale Integrität im Innern bedroht, Russland im Nordkaukasus, China in Tibet, Sinkiang und in der TaiwanFrage, Indien in Kaschmir, in den ländlichen Gebieten des „Hindugürtels“ und im ethnisch zerklüfteten Osten. Alle drei Länder weisen zurück, was sie als illegitime Intervention in ihre inneren Angelegenheiten ansehen.

Die USA verteidigen ihren globalen Führungsanspruch und unterlegen ihn mit militärischer Überlegenheit.

Russlands Misstrauen besteht fort

Russland will seinen Einfluss im „post-sowjetischen Raum“ als Signatur seines Weltmachtstatus konsolidieren. Dies bringt Spannungen mit den USA mit sich, die ihre dortigen Handlungsmöglichkeiten zu vergrößern und den russischen Einfluss zu verringern suchen. Trotz aller Versuche eines

Fotos: DPA; picture alliance/AP Images; HSFK

In der Weltordnung der Zukunft werden vor allem vier Großmächte über Frieden und Konflikt bestimmen: die USA, China, Indien und Russland. Sie verfügen über unterschiedliche Herrschaftssysteme und Ideologien. Die USA machen die Souveränität anderer Staaten davon abhängig, ob sie bestimmte Standards von Governance beachten; verletzt eine Regierung diese Standards, so verwirkt sie das Recht, frei von Interventionen anderer zu bleiben. Die anderen drei Mächte akzeptieren kaum Abstriche am klassischen Verständnis von Souveränität, wobei Russland den

2/2014

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE

„Neustarts“ misstraut Russland den amerikanischen Absichten. Die Erweiterung der NATO, deren Fortsetzung nicht ausgeschlossen ist, sowie der Disput über die Raketenabwehr bleiben Steine des Anstoßes. Die Ukraine-Krise vertieft gegenwärtig die politische Distanz. Andererseits sucht Russland die wirtschaftliche Kooperation mit dem Westen (v.a. Europa) zu vertiefen und arbeitet an einer „strategischen Partnerschaft“ mit Indien.

China befürchtet Umzingelung

2/2014



Indiens sicherheitspolitische Sor­gen gelten China und nachgeordnet Pakistan. Indien fühlt sich angesichts wachsender chinesischer Macht nicht hinreichend gerüstet. Chinas Anspruch auf die indische Provinz Arunachal Pradesh gibt dieser Rivalität eine territoriale Dimension. Auch Chinas maritime Aktivitäten in Birma, Bangladesch, Sri Lanka und Pakistan fordern Neu-Delhi heraus. In den letzten fünfzehn Jahren hat sich Indien auf die USA zubewegt, aber ein formales Bündnis vermieden. Tatsächlich liegen seine Positionen zu Klimawandel, Welthandel und humanitären Interventionen näher an denen Beijings als am Westen. China glaubt sich einer amerikanischen Umzingelungspolitik ausgesetzt, die seinen Aufstieg zur Weltmacht bremsen soll. Als Schutzmacht Taiwans steht Washington der nationalen Einheit im Wege. Die Entwicklung des US-Raketenabwehrsystems, die Weltraumpolitik und die konventionelle Überlegenheit der USA gefährden die chinesische Abschreckungsfähigkeit. China sieht im indischen Asyl für die tibetische Exilregierung seine territoriale Integrität gefährdet. Die chinesischen Beziehungen zu Russland sind scheinbar gut, russische Waffenexporte nach Südostasien, Konkurrenz in Zentralasien und die chinesische Einwanderung nach Sibirien schaffen Irritationen. Zwischen den USA, Russland, China und Indien hat ein nuklearer Rüstungswettlauf begonnen. Auslöser sind Offensivoptionen

Umkämpft: China und weitere Staaten streiten um die Vormacht im Chinesischen Meer.

der USA, kombiniert mit der Raketenabwehr; Russland und ­ China sehen ihre Abschreckungsfähigkeit gefährdet und ergreifen Gegenmaßnahmen. Russland ersetzt obsolete Raketen durch technisch fortgeschrittene, China modernisiert sein Arsenal langsam, aber stetig. Indien macht den Ausbau seiner Abschreckungsmacht von der Größe der chinesischen Nuklearstreitkräfte abhängig, Pakistan orientiert sich an Indien. Es handelt sich um mehrere verbundene Rüstungswettläufe, die zur Instabilität tendieren. Die nukleare Abschreckung ist kein verlässlicher Friedensgarant.

Neuer nuklearer Rüstungswettlauf

Russland und China werden umfangreicher Spionageaktivitäten und verdeckter Attacken im ­Cyberspace verdächtigt. Die Enthüllungen über die NSA zeigen, dass die USA ihre Rivalen noch übertreffen. Über die Eskalationsrisiken feindseliger Cyberaktivitäten gibt es keine Erfahrungsdaten. Kombiniert mit klassischen Staatenkonflikten schaffen sie neue Quellen der Instabilität. Die geoökonomische Konkurrenz um Erdöl, die durch die Erschließung neuer fossiler Energieressourcen („Fracking“) gemildert, aber nicht aufgehoben wird, lässt Krisen in der persischen Golfregion zu möglichen Herden von Weltkrisen werden.

Die gefährlichsten Brennpunkte der Zukunft liegen in Ost- und Südchinesischen Meer, wo China territoriale Ansprüche verfolgt, während die USA als Schutzmacht der Anrainerstaaten fungieren und Indien maritime und rohstoffwirtschaftliche Interessen entwickelt. Auch die TaiwanFrage kann aufflammen, wenn Taipeh Unabhängigkeitspolitik betreibt. China versucht sich die Option zu verschaffen, durch weitreichende Schläge die amerikanische Machtprojektionsfähigkeit weit vor seinen Küsten zu bekämpfen. Die USA wollen sich in die Lage versetzen, diese entstehenden Fähigkeiten durch konventionelle Langstreckenschläge zu beseitigen. Beide Strategien tendieren zum konventionellen Erstschlag.

Großmachtinteressen unzureichend reguliert

Ähnlichkeiten mit der Lage vor dem Ersten Weltkrieg ergeben sich dadurch, dass auch heute Großmachtinteressen unzureichend reguliert auf Konfrontationskurs sind. Wie am Anfang des 20. Jahrhunderts haben wir es nicht mit bilateralen Konflikten zu tun, sondern mit einem vernetzten Konfliktsystem, in dem jeder potentielle Krisenherd mit jedem anderen verbunden ist. Einzelne Dispute – ein japanischchinesischer Zusammenstoß vor den Diaoyu/Senkaku-Inseln, der Wahlsieg eines nationalistischen taiwanesischen Politikers, maritime Scharmützel um die SpratleyInseln oder chinesisch-indische Grenzkonflikte – könnten sich wellenartig ausbreiten. Hochspannung an einer Stelle des Konfliktraums wird flächendeckend zur Erhöhung der Einsatzbereitschaft führen, mit der Folge hoher Stabilitätsrisiken. Es wäre daher realitätsblind, den heutigen Regelfall von Gewaltauseinandersetzungen, den „kleinen Krieg“, der als innere Auseinandersetzung oder auf regionaler Ebene eingehegt bleibt, für das einzige Zukunftsmodell zu halten. Der Großmachtkrieg bleibt möglich, und die Risiken steigen.  h ar al d m ü l l er

Harald Müller

ist geschäftsführendes Vorstands­mitglied der Hessischen ­Stiftung Friedens- und ­Konfliktforschung sowie Professor für Internationale ­Beziehungen an der Johann Wolfgang ­Goethe-Universität Frankfurt am Main. Der Politikwissenschaftler berät verschiedene Institutionen, darunter das Auswärtige Amt, die Internationale Atomenergiebehörde, der EU-Ministerrat und die Vereinten Nationen. 17

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE

Wenig

Wissen, wenig Macht

Nachdem der Westen und die Ukraine schon gegen die Krim-­ Annexion nichts ausrichten konnten, fürchten Osteuropa-Forscher die Eskalation der Gewalt in der Ost-Ukraine. Der Konflikt hat

Am Abend des 16. März herrschte auf den Straßen von Simferopol Feierstimmung. Gespannt erwarteten die versammelten Menschen das Ergebnis des Referendums über den Beitritt zur Russischen Föderation. Als es bekannt wurde, jubelten sie und schwenkten russische Flaggen: Die Krim kehrt zum Mutterland zurück – so sahen es an diesem Abend viele Wähler. Doch sie hatten auch rationale Gründe, für den Anschluss zu stimmen. Die Wirtschaftskraft Russlands gab ihnen Hoffnung auf höhere Löhne, ein besseres Leben.

„Die Krim wird im politischen Alltagsgeschäft immer mehr in den Hintergrund treten.“ Dirk Peters

Hessische Stiftung Friedens- und Konflikt­ forschung 18 

Doch bereits wenige Wochen nach der Abstimmung lag die Wirtschaft auf der Krim am Boden. Ausländischen Unternehmen wurde die Situation angesichts der von der Europäischen Union und den USA angedrohten Wirtschaftssanktionen zu heikel: McDonald’s zog sich im April „aus produktionstechnischen Gründen“ und wegen „Betriebsbedingungen außerhalb unserer Kontrolle“ zurück, der deutsche Handelskonzern Metro schloss seine beiden Großmärkte. Fluggesellschaften strichen Flüge oder nahmen die Krim komplett aus dem Programm, Reedereien stellten ihre Verbindungen zeitweise ein. Der Tourismus, ein wichtiger Wirtschaftszweig, ist stark zurückgegangen – ein Problem, dem Russlands Prä­ sident Vladimir Putin jüngst zu

begegnen versuchte, indem er seinen Beamten Urlaub auf der Krim verordnete. Wie kann die Zukunft einer Region aussehen, die völkerrechtlich weiterhin zur Ukraine gehört, faktisch aber von Russland regiert wird? Dass Russland mit diplomatischen Mitteln dazu gebracht werden kann, die Krim an die Ukraine zurückzugeben, gilt als extrem unwahrscheinlich. „Die Krim ist ein weiteres Territorium neben Transnistrien, Südossetien und Abchasien, wo durch russische Intervention Zwischenreiche errichtet werden, die diplomatisch nicht anerkannt sind, in denen die Wirtschaft stagniert und die Kriminalität blüht“, sagt die Osteuropa-Historikerin Anna Veronika Wendland vom Marburger Herder-Institut. Der Westen könne derzeit nichts tun, als die Situation auf der Krim gemeinsam mit der ukrainischen Regierung beständig zu beobachten.

Stagnierende Wirtschaft, blühende Kriminalität

Der Historiker Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte in München und der Politikwissenschaftler Dirk Peters von der Hessischen Stiftung Friedensund Konfliktforschung stimmen mit Wendland überein, dass der Westen sich auf der Krim derzeit nicht zu stark engagieren sollte:

Angesichts des sich stetig verschärfenden Konflikts in der OstUkraine habe die Befriedung dieser Region derzeit Priorität. „Die Krim wird im politischen Alltagsgeschäft immer mehr in den Hintergrund treten. Der Westen wird eine Sprachregelung finden, um die Sezession nicht anzuerkennen, aber trotzdem weiterhin normale Beziehungen zu Russland zu unterhalten“, sagt Peters. Die Frage, zu welchem Land die Krim gehört, ist dabei nicht neu. 1954 schlug Nikita Chruschtschow die Halbinsel der Ukraine zu. Zuvor war sie 170 Jahre lang ein Teil Russlands. Die Gründe für Chruschtschows Entscheidung kennt niemand so genau. „Er wollte sich wohl im Machtkampf nach Stalins Tod 1953 die Unterstützung ukrainischer Parteifunktionäre sichern und auch die Besiedlung der Krim mit ukrainischen Bauern erleichtern, nachdem die tatarische Bevölkerung 1944 zwangsdeportiert worden war“, erläutert Zarusky. Der Parteichef auf der Krim war von Chruschtschows „Geschenk“ an die Ukraine nicht begeistert. Die Bevölkerung wurde nicht gefragt. Sie bestand schon damals mehrheitlich aus Russen. Heute sind die ethnischen Russen mit rund 60 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe auf der Krim. Die Ukrainer stellen 24 Prozent, die Krimtataren zwölf Prozent, andere Ethnien etwa vier Prozent der zwei Millionen

Foto: picture alliance / Kyodo

dort bereits jetzt Hunderte Tote gefordert.

2/2014

LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE

Nach dem Referendum: Bewohner Simferopols feiern den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation.

2/2014 



19

LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE

Bewohner. Dass eine Mehrheit der Bevölkerung den Anschluss an Russland gewollt hat, ist plausibel, schließlich gab es schon seit dem Zusammenbruch der Sowjet­union separatistische Strö­mungen. Das offizielle Ergebnis spiegele jedoch nicht den Willen der Bevölkerung wider, ist Anna Veronika Wendland überzeugt: „Weder die Ukrainer noch die Tataren stimmten mit, und auch den Russen wurde mit vorgehaltenem Sturmgewehr bedeutet, wie sie ‚richtig‘ abzustimmen hätten.“ 96,8 Prozent der Wähler votierten laut offiziellem Ergebnis für den Beitritt zur Russischen Föderation. Der Russische Menschenrechtsrat geht aber nach eigenen Erhebungen davon aus, dass die Zustimmung nur etwa 60 Prozent betrug, bei einer Wahlbeteiligung von rund 40 Prozent. „Dieser Befund scheint den Realitäten auf der Krim wesentlich näher zu kommen“, meint Wendland.

„Weder die ­Ukrainer noch die Tataren ­stimmten mit, und auch den Russen wurde mit vorgehaltenem SturmAbstimmung mit gewehr bedeutet, wie sie ‚richtig‘ Sturmgewehr ­abzustimmen Das Referendum wurde durch hätten.“ Gewaltanwendung russischer Truppen ermöglicht und nicht

Anna Veronika von Wahlbeobachtern überWendland wacht. In den USA und der EU Herder-Institut

20 

rief es einen Aufschrei hervor.

„Da hilft es auch nichts, dass man sich Mühe gegeben hat, die Angliederung der Krim an Russland möglichst völkerrechtskonform zu gestalten – in Form von deren Sezession von der Ukraine, gefolgt von einem Aufnahmeantrag an die Russische Föderation“, sagt Zarusky. Russland habe internationales Recht verletzt, und dies ziehe einen schweren Vertrauensverlust und eine Beschädigung der internationalen Ordnung nach sich.

Fehleinschätzungen durch die EU

In der öffentlichen Diskussion in Deutschland gab es dennoch immer wieder Stimmen, die das russische Vorgehen auf der Krim verteidigten. So äußerte Altbundeskanzler Helmut Schmidt in der Wochenzeitung „Die Zeit“ Verständnis für Putin. Und tatsächlich schätzte die Europäische Union russische Sensibilitäten wohl nicht richtig ein, als sie der Ukraine eine Assoziierung anbot. „Für Russland bedeuteten die Verhandlungen eine Ausdehnung der westlichen Einflusssphäre auf Kosten des russischen Einflusses“, sagt Dirk Peters. „Dafür hätten die Europäer ein besseres Gespür haben müssen.“ Der EU deshalb die Schuld an der Krim-Krise zu ge-

ben, hält der Politikwissenschaftler allerdings für überzogen. Für Ukrainer und Tataren ist das Leben auf der Krim seit der Annexion schwieriger geworden. Zwar versprachen der Kreml und die selbst ernannte KrimRegierung umfassende Minderheitenrechte und erhoben neben Russisch auch Ukrainisch und Krimtatarisch zu Amtssprachen. Doch tatsächlich wurden ukrainische Aufschriften von öffentlichen Gebäuden entfernt. Viele Krimtataren flohen aus Angst vor politischer Verfolgung oder aus religiösen Gründen auf das ukrainische Festland. Dabei waren Angehörige der Minderheit erst seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion auf die Krim zurückgekehrt. Weil einige Krimtataren im Zweiten Weltkrieg mit der Wehrmacht kollaboriert hatten, hatte Stalin das gesamte Volk ab 1944 nach Zentralasien deportiert. Doch auch viele derer, die auf der Krim bleiben wollen, haben mit umfangreichen Veränderungen zu kämpfen. Rechtsanwälte, Polizisten und Beamte müssen russische Gesetze lernen. Unternehmen brauchen eine neue Gewerbegenehmigung und häufig auch neue Handelspartner, denn die Regionalregierung der Krim hat den Import verschiedener Lebensmittel aus der Ukraine verboten – die Hygienestandards

Fotos: picture alliance/ZUMA Press; picture alliance/AP Photo/Vadim Ghirda

Donezk, Ostukraine: Prorussische ­Separatisten haben vor einem Gebäude der Regionalregierung Barrikaden errichtet.

2/2014

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE

genügten den russischen Vorschriften nicht. Die Stimmung auf der Krim wird von Beobachtern dennoch generell als optimistisch beschrieben. Tatsächlich hat Russland eine Reihe von Unterstützungsmaßnahmen angekündigt. Umschulungen für Berufstätige haben begonnen, im öffentlichen Dienst wurden die Gehälter auf russisches Niveau angehoben. Allerdings steigen seither auch die Preise; die Versorgungslage auf der Krim ist deutlich schlechter als vor der Annexion.

Wie viel Einfluss hat Putin?

2/2014 



In der Krim-Krise ist es dem Westen nicht gelungen, auf Putin einzuwirken. Wie viel Einfluss hat er im Osten der Ukraine? Seit vielen Wochen gibt es dort schwere bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen Regierungseinheiten und prorussischen Paramilitärs, die Opfer auf beiden Seiten fordern. Seit Mitte April, so ein Sprecher der Vereinten Nationen Ende Juni, starben mindestens 423 Menschen im Osten des Landes, darunter viele Zivilisten. Die EU hat Einreiseverbote und Konto­ sperren gegen russische Politiker und Aufständische verhängt. Sie droht mit Wirtschaftssanktionen. Der Volkswirt Gabriel Felbermayr vom ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in München betrachtet die Androhung allerdings mit Skepsis: „An Beispielen wie Kuba, Südafrika, Iran, Irak oder Libyen hat sich gezeigt, dass Sanktionen wenig Wirkung entfalten. Sie fügen zwar den Beteiligten ökonomischen Schaden zu, führen aber nicht zu politischem Wandel.“ Tatsächlich hätten sie häufig unerwünschte Folgen, wie etwa im Fall Weißrusslands: Die EU und die USA wandten sich von dem Land ab, als Präsident Lukaschenko 2006 durch Wahlbetrug an die Macht kam. Weißrussland vertiefte daraufhin seine Handelsbeziehungen mit Russland, China und anderen Ländern. Dem diktatorischen Regime Lukaschenkos konnten die Sanktionen nichts anhaben.

Statt einen Handelsboykott zu verhängen, sollten die westlichen Länder lieber über die Finanzmärkte Druck auf Russland ausüben, meint Felbermayr: „Wenn einige Banken nicht mehr mit Russland handeln und Rubel in Dollar wechseln, dann müsste die russische Zentralbank die Transaktionen aus ihren DollarBeständen finanzieren. Ein Verlust seiner Dollar-Reserven wäre schmerzhaft für Russland.“ Bislang hätten sich die westlichen Regierungen dennoch durchaus clever verhalten: Schon die Androhung von Sanktionen habe bewirkt, dass Investoren ihr Kapital aus Russland abgezogen haben.

Erdgas-Lieferstopp unwahrscheinlich

In der öffentlichen Debatte um Wirtschaftssanktionen geht es häufig auch um Europas Abhängigkeit von russischem Erdöl und Erdgas. Das Land liefert fast ein Drittel der EU-Importe. „Das ist aber keine einseitige Abhängigkeit: In Russlands Absatz mit Erdgas macht die EU ebenfalls einen hohen Anteil aus. Auch die Flexibilität Russlands ist aufgrund der Pipelinegebundenheit von Erdgas eingeschränkt“, erläutert Andreas Löschel vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Dass sich Russland zu einem Lieferstopp entschließe, sei daher

sehr unwahrscheinlich. Dennoch müsse Europa diskutieren, wie die Abhängigkeit von Russland vermindert werden kann. „Eine weitere Integration des EU-Binnenmarktes für Erdgas könnte die Verhandlungsmacht der einzelnen Staaten und Unternehmen stärken, da besser ausgebaute innereuropäische Bezugsmöglichkeiten die Handlungsoptionen verbessern würden.“ Die Europäische Kommission legte Ende Mai Vorschläge zur Erhöhung der Energiesicherheit vor. Sie umfassen eine Stärkung von Solidaritätsmechanismen im Krisenfall, die Verwirklichung eines EU-Binnenmarkts für Energie, die Reduzierung des Energieverbrauchs und den weiteren Ausbau heimischer Energiequellen. Die Konjunktur in Russland hat sich infolge des Konflikts merklich eingetrübt. Deutsche Unternehmen, die viel mit Russland handeln, bekommen dies bereits zu spüren. Insgesamt aber erwarte er keine empfindliche Belastung für die deutsche Konjunktur, sagt Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). „Exporte nach Russland machen nur etwas mehr als drei Prozent der deutschen Exporte aus, so dass die direkten Effekte klein sind. Allerdings werden sie durch die Auswirkungen der Krise auf Drittländer noch etwas verstärkt.“ Im Rahmen der Gemeinschafts­diagnose haben

„Sanktionen fügen zwar den Beteiligten ­ökonomischen Schaden zu, führen aber nicht zu politischem Wandel.“ Gabriel Felbermayr

ifo Institut – LeibnizInstitut für Wirtschaftsforschung an der Universität München

Wahlhelfer in ­Simferopol auf der Krim leeren eine Wahlurne beim umstrittenen ­Referendum über den Anschluss der H ­ albinsel an ­Russland.

21

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE Ökonomie am Boden: Ein von prorussischen Aktivisten ver­wüsteter MetroMarkt in der Nähe des ­Donezker Flughafens.

die Wirtschaftsforschungsinstitute im April 2014 geschätzt, dass ein Einbruch der russischen Konjunktur um vier Prozent das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland um 0,1 bis 0,3 Prozent dämpfen würde.

„Jetzt wird der eklatante Mangel an politischer, Droht Krieg in der wissenschaftlicher Ostukraine? und gesellschaft- Bedrohlicher als eine Wirtlicher Ausein- schaftskrise scheint vielen Wisandersetzung senschaftlern die Gefahr, dass die Auseinandersetzungen mit Osteuropa sich im Osten der Ukraine zu einem ­spürbar.“ Krieg ausweiten. Westliche BeJürgen Zarusky Institut für Zeitgeschichte

Anzeige

obachter sind sich einig, dass am Bruch der von Kiew angebotenen Waffenruhe vor allem die prorussischen Kräfte Schuld tragen und der ungehinderte Zu-

strom von Kämpfern und schweren Waffen über die russische Grenze ohne duldende Zustimmung der russischen Behörden undenkbar wäre. Russlands Rolle als Verhandlungspartner ist so ambivalent. Angesichts vieler Unklarheiten können westliche Politiker zurzeit nur auf aktuelle Entwicklungen reagieren. „Sie können aber von Russland auch eindeutige Taten verlangen, die über verbale Friedensbekundungen hinausgehen. Auch die massenmediale Propaganda, die diesen Konflikt in Russland begleitet, spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Mobilisierung der russischen Bevölkerung“, meint Anna Veronika Wendland. „Das macht die Verständigung derzeit ungeheuer schwer, Putin könnte zum Getrie-

benen der von ihm selbst ermutigten radikalnationalistischen Kräfte werden.“ Für den Münchner Historiker Jürgen Zarusky wird an der Diskussion über die Krise in Deutschland auch deutlich, dass viel mehr über Osteuropa geforscht werden muss: „Jetzt wird der eklatante Mangel an politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit Osteuropa spürbar, für den die Perestroika so große Chancen eröffnet hat“, meint er. „Nicht wenige Osteuropa-Forschungseinrichtungen mussten in den vergangenen Jahren ums Überleben kämpfen – offenbar glaubten Entscheidungsträger, man wisse schon genug.“ bi an c a sc h r öd er

Aktuelle Forschungsergebnisse aus den Leibniz-Instituten

Eine Vortragsreihe der Leibniz-Gemeinschaft in der Urania Berlin

2014

22 

6.10.2014, 19.30 Uhr Isabella Peters Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (ZBW), Kiel Science 2.0: Wissenschaft im Netz

4.11.2014, 19.30 Uhr Martin Sabrow Präsident des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) Der Mauerfall als historische Zäsur Vortrag mit Diskussion Eintritt frei Die Vortragsreihe wird fortgesetzt.

Veranstaltungsort Urania Berlin An der Urania 17 10787 Berlin

www.leibniz-gemeinschaft.de/leibniz-lektionen

Foto: DPA

Leibniz-Lektionen

24.9.2014, 17.30 Uhr Stefan Treue Direktor des Deutschen Primatenzentrums Leibniz-Instituts für Primatenforschung (DPZ), Göttingen Das Gehirn bei der Arbeit – Vom Sehen zur Wahrnehmung im Affen und Menschen

2/2014

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE

Brauchen wir eine

Erinnerungskultur?

Foto: Ekkehard von Schwichow

Die Gegenwart wandelt den Blick auf die Geschichte.

2/2014 



Die Frage für den Historiker lautet nicht, ob wir eine Kultur der Erinnerung brauchen, sondern wie diese Kultur zu welcher Zeit beschaffen ist. In Bezug auf den Ersten Weltkrieg zeigt sich in diesen Monaten, mit welcher fachlichen und medialen Wucht der in Deutschland lange Zeit eher dem Vergessen überantwortete als im kulturellen Gedächtnis bewahrte Erste Weltkrieg zum 100. Jahrestag seines Ausbruchs zu neuer Beschäftigung reizt. Im Zuge dieses Richtungswechsels wurde mit atemberaubender Selbstverständlichkeit und ohne markanten empirischen Erkenntnisgewinn zugleich die mit dem Namen des Historikers Fritz Fischer verbundene Annahme einer deutschen Hauptverantwortung für den Kriegsausbruch einkassiert, um die jahrzehntelang die erbittertsten Grabenkämpfe ausgetragen worden waren, bis sie sich für einige Zeit als gängiges Deutungsmuster zu etablieren vermocht hatte. Wie ist die fulminante Rückkehr des Ersten Weltkriegs in die öffentliche Erinnerung und die mit ihr verbundene fachliche Ablösung der Alleinschuldthese durch die Gemeinschuldvermutung zu erklären? Gerade Alt-Fischerianer bedienen sich gerne einer Denkfigur, die das Deutungskonzept der europäischen Schlafwandler des australischen Historikers Christopher Clark als ersehnte Selbstentlastung der zu neuem Selbstbewusstsein erwachten Deutschen begreift. Doch diese Erklärung ist kurzschlüssig. Sie widerspricht dem offenkundigen Befund, dass dieselbe Öffentlichkeit gerade erst im vergangenen Jahr zum 80. Jahrestag der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 mit gleicher Intensität an die „zerstörte Vielfalt“ der deutschen Barbarei erinnert hat. Nicht um nationale Täterentlastung geht es bei der Neubesinnung auf den Ersten Weltkrieg, sondern um die europäische Ausweitung eines erinnerungskulturellen Opfernarrativs. Dabei wird auch der Erste Weltkrieg in eine opferorientierte Geschichtserzählung inkorporiert, die sich bislang auf die Aufarbeitung der beiden großen Diktatursysteme des 20. Jahrhunderts konzentriert hat und nun mit medialer Wucht auch den Großen Krieg als deren initiierende Urkatastrophe einbezieht.

In diesem Gegenwartswandel der Vergangenheit wird ein Denkmuster sichtbar, das nicht mehr mit Ideen, Interessen und Mentalitäten argumentiert, son­dern den Krieg als einen Irrsinn interpretiert, den niemand gewollt habe und dem am Ende um den Preis ihres eigenen Untergangs alle zum Opfer fielen – vom monarchischen Staatslenker bis zum einfachen Soldaten. Vor diesem Hintergrund verknüpft das neue Erinnerungsnarrativ die „Urkatastrophe“ des Ersten Weltkriegs mit dem 75. Jahrestag des Zweiten Kriegsausbruchs und der friedlichen Revolution in Ostdeutschland und Ostmitteleuropa vor 25 Jahren, um mit einem Mal aus der bisherigen Erinnerungsleere eine sinnstiftende Deutung in postnationaler und europäischer Perspektive zu gewinnen. Sie enthält das Angebot, die Leitvorstellungen unserer historischen Schamkultur wie Umkehrbereitschaft, Opferorientierung und Diktaturaufarbeitung in Beziehung zu setzen zu einer windungsreichen Erfolgsgeschichte, die das Jahrhundert der Extreme über die Daten von 1939 und 1989 als am Ende genutzte Besserungschance erzählt und in das Ziel der europäischen Integration einbettet. Ob diese von Verdun nach Brüssel führende Interpretation als Basiserzählung eines künftigen europäischen Gedächtnisses taugt, darf bezweifelt werden. Schon die eigentlich nur im deutschen Sprachraum exorbitanten Verkaufszahlen von Christopher Clarks taktgebenden Weltkriegswerk weisen in eine andere Richtung. Und welche politische Lenkungskraft hierzulande im Verständnis des Großen Kriegs als Lernauftrag einer tragischen Verliererinternationale steckt, lehrt in diesen Monaten die deutsche Außenpolitik: Überdeutlich richtet sie ihr Engagement in der Ukrainekrise von 2014 an der Negativfolie der Balkankrise von 1914 aus und setzt der damaligen zwanghaften Eskalation von einem Attentat zum Weltbrand die strategische Fokussierung auf Exit­optionen, auf Deeskalationschancen und auf Dialog­räume entgegen.  m arti n sabr ow

Martin Sabrow

ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er studierte Geschichte, Germanistik und Politologie in Kiel und Marburg/ Lahn. Anschließend war er mehr als zehn Jahre im Schuldienst tätig, bevor er eine wissenschaftliche Laufbahn einschlug.

23

L E I B N I Z | D I G I TA L

Völkermord: Im ostanatolischen Malatya warten armenische Flüchtlinge 1918 auf ihre Deportation. Die meisten von ihnen werden ermordet.

Die vergessene

Urkatastrophe

24 

Sie bezeichnen den Ersten Weltkrieg als „Urkatastrophe“ der ethnischen Säuberungen. ­Dieser Aspekt ist im öffent­ lichen Bewusstsein wenig verankert, warum? Michael Schwartz: Das liegt an unserer westeuropäischen Perspektive, die sich sehr stark auf die Materialschlachten konzentriert und die entlegeneren Schlachtfelder im Osten nur wenig im Blick hat. Dort aber brach sich diese Urkatastrophe ab 1914 schlagartig Bahn. Der ArmenierGenozid der Türken ist sicher das

schlimmste und bekannteste Beispiel, aber die damals regierenden Jungtürken verfolgten auch Griechen, Christen und Zionisten. Und auch im russischen Reich gab es massive ethnisch motivierte Bevölkerungsdeportationen von „unzuverlässigen Fremdvölkern“. Vermutlich wurden 1914/15 etwa eine Million polnische und baltische Juden sowie 200.000 Volksdeutsche innerhalb Russlands deportiert. Gab es vor 1914 keine ­ethnischen Säuberungen? Die Weltgeschichte war davor schließlich auch nicht immer ganz friedlich. Ethnische Säuberungen sind ein Phänomen der Moderne. Vor 1914 tauchen sie in Europa nur am Rande auf, nämlich auf dem Balkan. Der war sozusagen ein „begrenztes Labor“, wo man seit dem frühen 19. Jahrhundert ethnische Säuberungen quasi erlernte. Die Großmächte waren hinter den Kulissen durchaus beteiligt, so wie auch in den Kolonien und jungen Siedlerländern wie den

USA, wo ja die Vertreibung und partielle Ausrottung der indianischen Ureinwohner durchaus Züge einer ethnischen Säuberung hat.

Wenn Sie ethnische Säube­ rungen als modernes Phäno­ men bezeichnen, klingt das, als wäre dies fortschrittlich. Für die Herausbildung ethnischer Säuberungen waren tatsächlich auch fortschrittliche Entwicklungen eine Voraussetzung. Zunächst wurden Bevölkerungsgruppen abweichend von der seit dem Mittelalter vorherrschenden religiösen Klassifizierung zunehmend unter ethnischen Gesichtspunkten eingeteilt. Vor allem aber sorgten modern organisierte Staatsformen, Armeen und Transportmittel für die notwendige Durchschlagskraft. Und die Wissenschaft lieferte die entsprechenden Aussortierungsraster als theoretische Grundlage. Schließlich kam rationales, kalt geplantes politisches Kalkül als Leitfaden des Handelns hinzu. Der Soziologe Zygmunt Bauman

Fotos: Washington Times (1918); Christoph Herbort-von Loeper

Der Erste Weltkrieg gilt als erster globaler Krieg. In seinem Verlauf werden erstmals großflächig Massenvernichtungs­ waffen eingesetzt, es gibt immense Materialschlachten. Für den Historiker ­Michael Schwartz vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin aber ist der „Große Krieg“ auch der Ausgangspunkt eines neuen Phänomens, das bis heute Leid mit sich bringt: ­ethnische Säuberungen.

2/2014

L E I B N I NZ A|C HK RR II CE H GT E N

hat es mal so formuliert: Neben den uralten irrationalen Hass trat das ganz neuartige Selbstvertrauen des Bevölkerungen ordnenden „Gärtners“.

Wie entwickelte sich die ­Situa­tion in Deutschland? Tatsächliche Vertreibungen gab es hier im Ersten Weltkrieg glücklicherweise nicht. Gleichwohl gab es um 1917 Umsiedlungspläne innerhalb des deutschen Militärs für Teile Polens und des Baltikums. Hier stoßen wir auf ein weiteres Phänomen dieser Zeit: Es gibt einen intellektuellen Diskurs über ethnische Säuberungen in politischen, militärischen, aber auch wissenschaftlichen Eliten. Vorausschauende Planungen für Zwangsumsiedlungen und Bevölkerungstausche als friedensstiftende Maßnahmen sind kein Tabu.

2/2014 



Und das nicht nur in totalitären Regimen, sondern auch in west­ lichen Demokratien? Richtig. Hier spielt der Vertrag von Lausanne von 1923 eine große Rolle, er hat geradezu Modellcharakter. Nach dem Ende des türkisch-griechischen Krieges gelingt es hier der Türkei in Verhandlungen unter anderem mit den Demokratien Großbritannien und Frankreich eine Reihe von Nachkriegsregelungen zu ihren Gunsten zu revidieren. Zwar bevorzugten London und Paris nach 1918 Verträge über Minderheitenschutz, aber in diesem

Lausanner Abkommen werden im Gegensatz dazu Bevölkerungstransfers und ethnische Säuberungen legitimiert. Aber auch am Sonderfall Elsass-Lothringen, wo nach 1918 etwa 140.000 seit 1871 eingewanderte „Reichsdeutsche“ ausgewiesen wurden, zeigt sich, dass auch siegreiche Demokratien sich ethnischer Säuberungen bedienen. Es gab sogar Überlegungen auf französischer Seite, das gesamte besetzte linksrheinische Gebiet von Deutschen zu säubern, falls es von Frankreich annektiert werden würde.

Einige Jahre später wechselten die Deutschen von der Opferin die Täterrolle und gaben ­ethnischen Säuberungen mit der Judenverfolgung eine ganz neue Dimension. Die Judenverfolgung inklusive des Völkermords ist sicher der quantitativ schlimmste Fall in der Geschichte, allerdings ist es nicht das erste Mal, dass eine ethnische Säuberung genozidale Ausmaße annahm. Hier ist der ArmenierGenozid durch die Türken der Präzedenzfall. Wann schlägt eine ethnische Säuberung in einen Genozid um? Zunächst muss man ganz klar festhalten, dass jede Art von ethnischer Säuberung brutal und menschenverachtend ist und in aller Regel auch mit Todesfällen unter den Vertriebenen einhergeht. Die qualitative Differenzie-

rung liegt allerdings darin, ob diese Todesfälle beabsichtigt sind und systematisch herbeigeführt werden, oder ob sie „nur“ durch Vernachlässigung und widrige Umstände herbeigeführt werden, die dann vor allem Kranke und Schwache nicht überleben. Aber zu ihrer Frage: Vermutlich ist ein wesentlicher Faktor für die Radikalisierung in Form eines Genozids, dass es sowohl im Fall der Juden im Dritten Reich wie auch der kleinasiatischen Armenier kein anderes Land gab, in das diese Menschen hätten umgesiedelt werden können. Ein Indiz dafür ist, dass die osmanischen Griechen von den Türken brutal deportiert, aber eben nicht systematisch ermordet wurden, weil sie nach Griechenland vertrieben werden konnten und weil der griechische Staat auch als Fürsprecher auftreten konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Millionen Deutsche aus den besetzten „Ostgebieten“ vertrieben. Mit Billigung der Alliierten. Die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg ist ambivalent – auf der einen Seite die Nürnberger Prozesse, auf der anderen Seite die Vertreibungen der Deutschen, die – und das kommt für viele Betroffene ja erschwerend hinzu – bis heute zum Teil noch als gerechtfertigt legitimiert werden. Ich denke aber, dass die Bedeutung des Holocausts für die folgende Vertreibung der Deutschen über-

Michael Schwartz ist w ­ issenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeit­ geschichte und ­außerplanmäßiger Professor für Neuere und ­Neueste ­Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Schwartz hat Geschichte und Katholische Theologie studiert und sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Vertriebenenintegration in Deutschland sowie Nationalitätenkon­ flikten in Südost-­ Europa beschäftigt. 25

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE schätzt wird. Letztere war nicht so sehr Strafe für die deutschen Verbrechen an den Juden, die damals noch nicht so stark im allgemeinen Bewusstsein waren wie heute, sondern eher die Reaktion auf die vorherigen Umsiedlungen Hitlers insbesondere in Polen. Hier kamen Vergeltungsabsichten mit dem Wunsch zusammen, die konflikthafte multiethnische Bevölkerungsstruktur Ostmitteleuropas endgültig zu „bereinigen“ – natürlich primär zu Lasten der besiegten Deutschen.

Sommer Vierzehn Die Geburt des Schreckens der Moderne Rauminszenierung mit Panoramaprojektion 29. Juni bis 11. November 2014 Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände Bayernstraße 110 · www.museen.nuernberg.de

Das Verhältnis Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn ist heute weitgehend friedlich, auch im ehemaligen Jugoslawi­ en ist die Situation entspannter als 1992. Vermutlich auch weil konfliktträchtige Konstellatio­ nen zwischen rivalisierenden Volksgruppen durch deren klare Trennung gelöst wurde. Provo­ kativ gefragt: Ist die Situation nach diesen ethnischen Säube­ rungen besser als zuvor? Diese Denkweise finden wir genauso schon im Falle von Lausanne 1923. Der Tenor hinsichtlich der Bevölkerungsaustausche war damals: Es hat zwar richtig weh getan, aber das Ergebnis ist jetzt besser als vorher. Bis zu einem gewissen Grad ist eine solche Sichtweise aus politischer Perspektive nachvollziehbar, aber ein solches Denken ist natürlich gegenüber den Betroffenen zutiefst zynisch. Als ob ein über den Dingen schwebender Gesellschaftsarzt einem kranken Patienten ein paar Gliedmaßen amputieren müsste, um ihn zu heilen – ein höchst fragwürdiger politischmoralischer Ansatz. Außerdem: So eindeutig ist die Situation heute im ehemaligen Jugoslawien ja auch gar nicht, obwohl es zugegeben vergleichsweise ruhig ist. Zwar sind Serbien und Kroatien ethnisch weitgehend homogenisierte Staaten, aber in Bosnien herrscht weiter die alte jugoslawische Vielvölker-Mischung. Zudem gibt es mit Mazedonien einen Staat, in dem das Zusammenleben der Volksgruppen gut funktioniert, ohne dass es je ethnische Säuberungen gegeben hätte.

26 

Es hätte also Alternativen gegeben? Ich bin fest überzeugt, dass die Geschichte zeigt: Ethnische Säuberungen waren nie alternativ-

los. Es hätte immer Möglichkeiten gegeben, sie einzudämmen oder auch rückgängig zu machen. Schließlich gibt es Vielvölkerstaaten, in denen das Zusammenleben gut funktioniert, wie zum Beispiel Indien, das trotz millionenfacher Zwangsmigrationen nach der Unabhängigkeit und der Abspaltung Pakistans 1947/48 ein funktionierender demokratischer Vielvölkerstaat geblieben ist. Oder Russland, das auch nach dem Zerfall der Sowjetunion kein russischer Nationalstaat geworden ist, obwohl der russische Nationalismus diesen Eindruck manchmal erweckt, sondern nach wie vor eine zwar russisch dominierte, jedoch stark multiethnische Föderation. Die heftigen Kriege in Tschetschenien waren eine Ausnahme, denn in der Regel blieb das Zusammenleben friedlich. Besteht also Hoffnung, dass ethnische Säuberungen ein Auslaufmodell sind? Ob ethnische Säuberungen ein überholtes Modell politischen Handelns sind und Negativbeispiele wie in Jugoslawien oder Ruanda vor 20 Jahren vielleicht nur noch die letzten Ausläufer, lässt sich schwer sagen. Das hängt stark von der Perspektive ab, ob man dem Westen eine entsprechende weltweite Vorbildfunk­ tion zutraut oder nicht. Immerhin ist die noch 1945 weitverbreitete Ansicht, man müsse zur Befriedung ethnischer Konflikte säubern, nicht mehr unumstritten. Ich habe die Hoffnung, dass uns die Globalisierung mit ihrer weltweiten Verflechtung dazu zwingt, friedlich miteinander zu leben. Allerdings ist auch die Globalisierung von der grundlegenden Ambivalenz unserer Moderne nicht frei: Sie kann Gutes ebenso wie Schlechtes hervorbringen. i n terv i ew : c h r i stoph h er bort - v on l oeper

Literaturhinweis:

Michael Schwartz ­„Ethnische ,Säuberungen‘ in der Moderne. Globale Wechselwirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert“. Oldenbourg-Verlag, 2013. 69,80 Euro. ISBN: 978-3-486-72142-3.

2/2014

Aus dem Hause

Alternative Karrierewege für Wissenschaftler — gibt es die? Auch auf der wissenschaftlichen Laufbahn muss es nicht immer geradeaus gehen. Schauen Sie nach links und rechts. Wir unterstützen Sie dabei mit aktuellen Stellenangeboten und Ratgeberinformationen.

Die Antworten finden Sie auf academics.de!

Das Karriereportal für Wissenschaft & Forschung Sie möchten eine Anzeige schalten und wünschen eine individuelle Beratung? Das academics-Team freut sich auf Ihren Anruf. Telefon: +49 (0)40/320 273-50 // E-Mail: [email protected] 2/2014 



27

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE

Kartenspiele Nach dem Ersten Weltkrieg rangen Europas Nationen auf dem ­Papier um neue Grenzen: mit Karten, die das eigene Staatsgebiet möglichst vorteilhaft definierten. Die in Versailles verhandelten Grenzen lieferten so Stoff für neue Konflikte. Ein Blick auf die Landkarte zeigt es: Die Tschechoslowakei ist das Zentrum Europas. Knallrot prangt sie inmitten farbloser Nachbarländer. Ein Taschenspielertrick, könnte man denken. Doch ein gern genutzter, der vor fast 100 Jahren im Frankreich der Zwischenkriegszeit zumindest teilweise von politischem Erfolg gekrönt ist. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wird bei den Friedenskonferenzen in den Nobelvororten im Westen von Paris auch über die Grenzen der neu entstehenden Länder auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie verhandelt. Das riesige österreich-ungarische Reich existiert

nicht mehr. Neue Staatsgrenzen sollen – so der Plan – entlang von Sprachgrenzen gezogen werden.

Landkarten als Argument

Die Friedenskonferenz mit mehreren Tausend Beteiligten entwickelt sich schwerfällig. Die Detailarbeit übernehmen Expertenkommissionen, die höchsten Vertreter Frankreichs, Großbritanniens, der USA, Italiens und Japans treffen auf dieser Grundlage die Entscheidungen. Um sie zu ihren Gunsten zu beeinflussen, haben die Nachfolgestaaten ganze Delegationen nach Paris ent-

sandt: Politiker, Wissenschaftler und Medienvertreter. Die arbeiten mit allen Mitteln. Besonders beliebt sind Landkarten, die ganz im Sinne der jeweiligen Regierung gezeichnet werden. Wie renommierte Geografen und andere Experten in den Dienst ihrer Regierungen traten und ihr Wissen nutzten, um bei den Pariser Verhandlungen Einfluss auf die Festsetzung der Grenzen zu nehmen, untersucht Peter Haslinger, Direktor des Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung. Seit einiger Zeit rücken geografische Räume auch in der Geschichtswissenschaft in Deutschland wieder ins Bewusstsein. Haslinger

Propagandakarte des tschechoslowakischen Exils aus dem Jahr 1916. 28 

2/2014

.

Quelle Karte: Peter Haslinger: Nation und Territorium im tschechischen politischen Diskurs 1880-1938, München 2012; Foto: Flickr/habeebee

2/2014 



geht dabei mit seiner Diskursforschung neue Wege. Die Materialien des Marburger Leibniz-Instituts, besonders die umfangreiche Sammlung historischer Karten, dienen ihm hierbei als Basis. „Die Wissenschaftler waren mit hohem Einsatz bemüht, ihre Sicht darüber durchzusetzen, welche Bergketten und Flüsse ein Land am besten schützen, wo unverzichtbare Bodenschätze lagern und wichtige Eisenbahntrassen verlaufen“, erklärt der Historiker. „Sie versuchten alles, um die Entscheider bei den Friedensverhandlungen zu überzeugen.“ Die Experten erstellen Memoranden mit speziell gezeichneten Karten. Die politischen Führer der neuen Staaten erklären sie den alliierten Entscheidern im direkten Gespräch und erläutern, wie sie sich die neuen Grenzen vorstellen. Dabei finden sie durchaus Gehör: Aus Versailles ist überliefert, wie der amerikanische Präsident Woodrow Wilson auf allen Vieren eine am Boden liegende Karte studiert, um mit seinem französischen Amtskollegen und dem britischen Premier über die richtige Grenzziehung zu debattieren.

Misstrauen in Europa

Am Beispiel Polens, der Tschechoslowakei und Ungarns hat Haslinger herausgearbeitet, wie unterschiedlich erfolgreich die Delegationen mit ihrer Strategie waren. Er beobachtete auch, wie schwer der Erwartungsdruck auf allen Beteiligten lastete, in unsicheren Zeiten einen Staat neu aufzubauen. Visionen von der Zukunft eines Landes hingen mit der Frage der Grenzziehungen unmittelbar zusammen. Besonderes Gewicht legt Haslinger auf eine Neuinterpretation von Kartenmaterial. „Alle Delegationen stellten bei den Friedensverhandlungen ihr Land farblich ins Zentrum und zogen die neuen Grenzen zum Teil erheblich über die Sprachgrenze hinaus“, erläutert er. Die Farbe Rot wird besonders gerne eingesetzt. Die Konkurrenz um das beste Argu-

ment ist unter den neuen Staaten im Osten Europas entsprechend groß. Das in Paris aufkeimende Misstrauen vergiftet die nachbarschaftlichen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit und bleibt in vielen Fällen bis in den Zweiten Weltkrieg hinein bestehen.

Gewinne im Westen, Krieg im Osten

Auf Grundlage des Kartenmaterials werden die deutschsprachig besiedelten Randgebiete Böhmens ohne lange Diskussionen der neuen Tschechoslowakei zugesprochen. Polen ist nicht ganz so erfolgreich. „Die dortige Staatsspitze war tief gespalten und es gab keine klare Linie über die gewünschte Grenzziehung“, erklärt Haslinger. Die Ansprüche reichen bis tief in das Gebiet der heutigen Ukraine, Litauens und Weißrusslands. Während der Friedensvertrag von Versailles Gewinne im Westen und den heißersehnten Zugang zur Ostsee vorsieht, muss über die Ostgrenzen ein neuer mehrjähriger Krieg gegen Sowjetrussland entscheiden. Dieser, so Haslinger, ist im historischen Bewusstsein der Polen deutlich präsenter als der Erste Weltkrieg. Sehr viel schlechter als diesen beiden Staaten ergeht es Ungarn. Wegen schwerer politischer Wirren trifft eine ungarische Delegation erst mit einem Jahr Verspätung in Trianon ein, einem Schloss in den ausgedehnten Parks von Versailles. Auch sie hat Karten und Memoranden im Gepäck, die verdeutlichen sollen, dass das Land trotz der vielen Minderheiten eine geografische und wirtschaftliche Einheit darstelle und daher nicht aufgeteilt werden könne. „Die Entscheidungen waren aber längst gefallen“, sagt Haslinger. Ungarn schrumpft auf weniger als ein Drittel seiner ursprünglichen Fläche; das gesamte Land verfällt nach der Entscheidung der Siegermächte in einen Schockzustand. Ungarns Führung gibt sich in der Folge nach außen friedlich, rüstet aber insgeheim auf und schürt beispielsweise in Jugendverbänden

die Sehnsucht nach einer Rückkehr zum großungarischen Reich. Während des Zweiten Weltkriegs findet man im nationalsozialistischen Deutschland den logischen Partner. Die zurückgewonnen Gebiete gehen nach dem Sieg über das Dritte Reich jedoch abermals an die Nachbarn verloren.

Rechtsradikale ­Gruppen nutzen die ungarischen Gebietsverluste noch heute für ihre Propaganda. Auf dem T-Shirt dieser Demonstrantin in Budapest: Ungarns Grenzen vor 1918.

Nachwirkungen bis in die Gegenwart

Bis heute wirkt das „Trauma von Trianon“ nach. In den heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre wurde es zum Argument der radikalen Rechten. „Ungarn ist vielleicht ein besonders gutes Beispiel dafür“, so Haslinger, „wie langlebig territoriale Vorstellungen in Gesellschaften verankert sein können – vor allem dann, wenn ein politisches Interesse besteht, diese wachzuhalten oder wieder aktuell zu machen.“ Entsprechend sind die Friedensverhandlungen von Paris nach dem Ersten Weltkrieg im Osten Europas auch heute mehr als nur Geschichte. „Wir können uns auf weitere Entwicklungen einstellen,“ so der Historiker, „die ohne das Wissen um historische Räume und Grenzen nicht erklärt werden können.“ In der KrimKrise etwa gibt es dieser Tage Stimmen aus Budapest, einen Teil der Ukraine wieder Ungarn anzu­gliedern.  an n ett z ü n d or f

29

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE

Die

Regeln der Gewalt

Zügellose Gewalt prägt den Alltag der sowjetischen Besatzung Afghanistans. Sie bestimmt die Kämpfe zwischen Rotarmisten und Mudschaheddin – und einen Krieg, der die Gesellschaft der untergehenden Sowjetunion verändern wird.

Als die Elitekämpfer des KGB am Abend des 27. Dezembers 1979 den zehn Kilometer vor den Toren Kabuls gelegenen Tajbeg-Palast erobern, nehmen sie keine Gefangenen. Zunächst töten sie den wenige Monate zuvor an die Macht gelangten afghanischen Präsidenten Hafizullah Amin, seine Söhne und seine Geliebte mit einer Handgranate. Dann – so wird man es sich später erzählen – erschießen sie alle afghanischen Zeugen von Operation „Sturm 333“.

Weit außerhalb des Völkerrechts

30 

Die Kommandoaktion markiert den Auftakt der Invasion der Sowjetunion in Afghanistan, den Auftakt zu neun Jahren und zwei Monaten erbitterter Kämpfe. Zugleich ist sie Sinnbild für die Natur des Krieges am Hindukusch: So erbarmungslos wie die Geheimdienstler ihn in dieser Kabuler Winternacht beginnen, wird er bis zu seinem Ende im Februar 1989 geführt. Gewalt ist dabei mehr als ein bedauerlicher, aber unvermeidbarer Teil des Konflikts. Sie ist die Sprache, in der Rotarmisten und Mudschaheddin kommunizieren.

„Beide Seiten sind extrem brutal vorgegangen; sie haben diesen Krieg weit außerhalb der Regeln des Völkerrechts geführt“, sagt Jan C. Behrends vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Seit 2011 beschäftigt sich der Historiker mit dem Sowjetisch-Afghanischen Krieg und der Frage, welche Rolle Gewalt darin gespielt hat. Wie erlebten die meist jungen Soldaten den von Brutalität geprägten Alltag? Wo lagen die Wurzeln des Mordens und der Massaker? Und wie wirkte die Gewalt auf die Sowjetunion zurück? Seine Recherchen führen Behrends in Archive wie die Russische Staatsbibliothek in Moskau und die Washingtoner Library of Congress. Er stößt auf Interviews, die Soziologen kurz nach Kriegsende mit sowjetischen Soldaten geführt haben. Die Erinnerungen der in Russland „Afghantsy“ genannten Veteranen stehen damals noch nicht unter dem Einfluss des öffentlichen Gedenkens und der Afghanistanfilme späterer Jahre. Weil es die Zeit von Glasnost ist, nehmen sie in ihren Schilderungen kein Blatt vor den Mund. „Die Gespräche sind dadurch authentischer als jedes Interview, das ich heute führen könnte“, sagt Behrends.

Das Material ermöglicht es ihm, die Gewaltsituation in Afghanistan zu rekonstruieren. Bei der Auswertung stützt er sich auf ein theoretisches Konzept des Soziologen Wolfgang Sofsky. Darin beschreibt Sofsky, wie Gewalt bei kompletter Abwesenheit staatlicher Regeln und Kontrolle zur wichtigsten Ressource im menschlichen Zusammenleben werden kann. Als „Gewaltraum“ bezeichnet er diese soziale Ordnung, in der kein Schutz für Schwächere existiert und jeder kämpfen und töten muss, um zu überleben. Regeln, so Jan C. Behrends‘ These, die auch für die sowjetischen Soldaten in Afghanistan galten.

Töten um zu überleben

Eigentlich plant das Politbüro nur einen Kurzeinsatz in dem zentralasiatischen Land. Erst wird der in Ungnade gefallene Präsident Amin von der Spitze der kommunistisch geprägten Demokratischen Volkspartei Afghanistan entfernt, die sich im April 1978 an die Macht geputscht hatte. Dann soll das sowjetfreundliche Regime unter dem Schlagwort der „sozialistischen Bruderhilfe“

2/2014

LEIBNIZ | KRIEG UND KONFLIKTE

auf den Kampf gegen die religiösen Stämme außerhalb Kabuls vorbereitet werden – auch um zu verhindern, dass die verfeindeten USA an Einfluss über Afghanistan gewinnen. Eine wenige Monate währende Intervention, so das Kalkül. Doch Moskau irrt: Schon bald stehen die sowjetischen Truppen im Zentrum eines zermürbenden Partisanenkriegs. Die meisten Soldaten ahnen nicht, dass ihnen ein Kampfeinsatz bevorsteht, als sie nach Afghanistan aufbrechen. Sie glauben, sich auf eine Hilfsmission zu begeben, wollen den Afghanen die sowjetische Moderne näher bringen, am Hindukusch den Kommunismus aufbauen. Für die Jüngeren ist der Einsatz zudem eine Chance, der Tristesse und Perspektivlosigkeit des spätsozialistischen Alltags zu entfliehen. „Ich ging voller Enthusiasmus nach Afghanistan“, erinnert sich ein Major. „Ich dachte, dass ich dort etwas Nützliches tun ­könnte.“

Foto: RIA Novosti/A. Solomonov

Hinterhalte in den Bergen

2/2014 



Hinter der Grenze herrscht eine andere Realität. Wer in Kabul stationiert ist, hat noch Glück. Die Stadt ist relativ friedlich, es gibt ein sowjetisches Viertel und riesige Basare voller Produkte, die zu Hause als Mangelware gelten: Jeans, Kassettenrecorder, Lederjacken. Außerhalb der Hauptstadt lauert das Grauen. Immer wieder geraten sowjetische Einheiten in der unübersichtlichen Berglandschaft in Hinterhalte. In Interviews und Tagebucheinträgen berichten sie von verstümmelten Kameraden. „Was hier passiert, jagt mir Todesangst ein“, notiert ein Rekrut 1980. „Die Angriffe gehen weiter und die Mudschaheddin verfügen über Granatwerfer.“ Die Furcht betäuben viele Soldaten mit Drogen, die es in Afghanistan in rauen Mengen gibt. Auf die Attacken der vom Westen unterstützten Partisanen antworten sie mit brachialer Gewalt. In Vergeltungsaktionen werden ganze Dörfer niedergebrannt. Übergriffe auf Verwundete, Zivilisten und das Vieh der Afghanen gehören

Nach neun Jahren Krieg: Am 15. Februar 1989 verlassen die letzten sowjetischen Soldaten Afghanistan über die „Brücke der Freundschaft“.

31

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE

Die Regeln des Gewaltraums

32 

Folgt man der Theorie Wolfgang Sofskys, blieb Soldaten wie Tamarov keine Wahl. „Sie mussten sich den Regeln des Gewaltraums unterwerfen, um Afghanistan zu überleben“, erklärt Behrends. Später seien viele von Scham und Schuldgefühlen eingeholt worden. Doch – das konnte der Gewaltforscher den Berichten der Afghantsy entnehmen – gab es auch jene, die der amerikanische Soziologe Randall Collins als „violent few“ bezeichnet: Sie gewöhnten sich nicht nur an die Gewalt. Sie fanden irgendwann Gefallen ­daran. Konsequenzen drohten ihnen nicht. Früh scheint die Armeespitze entschieden zu haben, Kriegsverbrechen zu tolerieren. Die exzessive Gewalt, so vermutet Behrends, war fester Bestandteil einer Strategie, die darauf abzielte, den Gegner einzuschüchtern, indem man noch mehr Gewalt anwendete und sich noch unnachgiebiger zeigte als er. Man könne belegen, dass Moskau von Dezember 1979 an klare Signale an die Truppen sendete: Hart sollten die Soldaten auftreten, den Gegner nicht schonen, stets doppelte Vergeltung üben. Diese Erkenntnisse decken sich mit den Annahmen der Gewaltforschung, die davon ausgeht, dass Gewalt nicht aus dem Nichts losbricht. „Man kann genau zeigen, wer von wem angestachelt und welche Belohnung ihm in Aussicht gestellt wurde, Beförderungen, Lebensmittel, Orden“, sagt Behrends. „Gewalt hat eine Struktur – auch der Krieg ist kein normenloser Raum.“ Zuhause in der Sowjet­union ist von den Missständen wenig bekannt. Die politische Füh-

Denkmal in Jekaterinburg: Die Gewalterfahrung in Afghanistan konnten einige sowjetische Veteranen nicht verwinden.

rung setzt alles daran, es dabei zu belassen: Die Särge der schätzungsweise 15.000 sowjetischen Soldaten, die in Afghanistan umkommen, kehren versiegelt zurück. Die Hinterbliebenen dürfen die Gefallenen nur im engsten Kreis beerdigen. Über sie sprechen dürfen sie nicht.

Ende des Schweigens

Das Schweigen endet 1988. Drei Jahre nachdem Gorbatschow mit Perestroika und Glasnost Umbau und Öffnung des politischen Systems eingeleitet hat, fällt das Tabu Afghanistan. In kritischen Artikeln berichten Journalisten über die Kriegsverbrechen und die Brutalität der Kämpfe, die über eine Million afghanische Krieger und Zivilisten das Leben kosten. Sie berichten auch über Korruption und die Gewalt innerhalb der Roten Armee, die immer wieder Tote fordert und die Moral der Truppe untergräbt. Die Glaubwürdigkeit der politischen und militärischen Führung bröckelt. Afghanistan wird ein weiterer Stein im Niedergang der Sowjet­ union. Bald kommt Moskau zu dem Schluss, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen ist. Und sucht nach Wegen, Afghanistan zu verlassen, ohne das Gesicht zu verlieren. Zurück vom Hindukusch ist der Weg ins zivile Leben für die

Afghantsy steinig. Manche fühlen sich nackt, wenn sie ohne Waffe auf die Straße treten, andere setzen ihre Gewaltkarriere im Organisierten Verbrechen fort oder heuern bei privaten Sicherheitsdiensten an. Noch heute sieht man Afghantsy, die die Gewalterfahrung nie verwinden konnten, bettelnd durch die Einkaufsstraßen und U-Bahnen Moskaus und anderer Städte ziehen. Sie fühlen sich vom Staat missbraucht und im Stich gelassen. Und es fällt ihnen schwer, sich und anderen ihr Handeln im Krieg zu erklären.

Schandfleck in der Geschichte

In der Bevölkerung stoßen die Afghantsy nach ihrer Rückkehr auf wenig Mitgefühl. Anders als die Veteranen des Zweiten Weltkriegs werden sie nicht als Helden verehrt, sondern oft als Gewalttäter wahrgenommen. „Es erging ihnen ähnlich wie einigen amerikanischen VietnamVets“, sagt Jan C. Behrends. „Man warf ihnen vor, den Namen des ­Mutterlandes beschmutzt zu haben.“ Vielen Russen gilt der Einsatz in Afghanistan bis heute als sinnloser Krieg, als Schandfleck in der Geschichte des Landes, den sie am liebsten vergessen möchten. Der Wunsch zu vergessen scheint sich schon am 15. Februar 1989 anzudeuten, über neun Jahre nach Operation „Sturm 333“. Als letzter sowjetischer Soldat verlässt Generaloberst Boris Gromow an diesem Tag das Kriegsgebiet. Auf einem Panzer überquert er die „Brücke der Freundschaft“, die Afghanistan mit der damaligen Sowjetrepublik Usbekistan verbindet. Die letzten Meter legt Gromow zu Fuß zurück, ehe er um 11:55 Uhr vor die wartenden Journalisten tritt. Er habe beim Überqueren der Brücke „große Freude“ empfunden, dass die Armee ihre Pflicht gegenüber dem Mutterland erfüllt hat, gibt er zu Protokoll. Und fügt hinzu: „Ich habe nicht zurückgeblickt.“ d av i d sc h el p

Foto: Flickr/Jason Eppink

zum Alltag. „Wir schossen auf jeden Schatten, alles, was sich bewegte, bedrohte uns“, erinnert sich Vladislav Tamarov, der als Fallschirmjäger in Afghanistan diente. „In diesem komischen Spiel gewann derjenige, der zuerst tötete.“

2/2014

LEIBNIZ | FRIEDEN UND KONFLIKTE

Wirtschafts-

Krieg

Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel durchlebte in seiner 100-jährigen Geschichte zwei Weltkriege. Davon blieben auch Forschung und Forscher nicht unberührt. Sportmoderator Gerhard Delling hat dem Institut für Weltwirtschaft (IfW) per Video-Botschaft gratuliert und sich gleich eine Erneuerung der Ökonomie gewünscht - „eine neue avantgardistische Richtung“. Delling hatte in Kiel Ökonomie studiert und am Institut eine „ziemlich gute und herausragende Ausbildung genossen“. Doch hier soll es nicht um Ausbildung und avantgardistische Forschung gehen, sondern nur um einen Einzelaspekt: das IfW im Krieg.

Foto: IfW

Krieg ums Institut

2/2014 



Das Institut hat zwei Weltkriege durchlebt. Als im Februar 1914 das „Königliche Institut für Seeverkehr und Weltwirtschaft“ eröffnet wurde, war der Erste Weltkrieg noch fünf Monate entfernt. Bei Kriegsausbruch wird Institutsdirektor Bernhard Harms erst einmal eingezogen und zur Wacht an der Ostseeküste eingesetzt. Nach Rückkehr ins Institut ist dann vieles anders als gedacht: Erforscht wird nun, was kriegswichtig ist, publiziert wird in der neuen Reihe „Kriegswirtschaftliche Untersuchungen“. Das gerade erst eingerichtete Wirtschaftsarchiv sammelt und verwertet all jene Informationen, die mit Kriegswirtschaft und Kriegsfolgen zu tun haben. Neuer Titel: „Kriegsarchiv“. 1920 wird es wieder geschlossen. Dem nächsten Weltkrieg geht ein Krieg ganz anderer Art voraus: der Krieg um das Institut selbst. 1933 folgt der Machtergreifung das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Im Institut finden SA-Aktionen statt, jüdische und sozialdemokratische Wissenschaft­ ler wer-

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr in den 20er Jahren.

den – teilweise unter Mithilfe der eigenen Kollegen – vertrieben. Harms lässt sich als Direktor ablösen und schlägt einen seiner Schüler als Nachfolger vor, Jens Jessen, einen überzeugten Nazi. Der will das Institut zur Kaderschmiede nationalsozialistischer Wirtschaftslehre machen. Am 1. Oktober 1933 übernimmt er die Leitung. Doch Jessen stolpert über den ungeprüft weitergegebenen Bericht eines Mitarbeiters über eine despektierliche Rede eines Naziministerialen, was letztlich Anfang ‘34 zu seiner Ablösung führt. Er entfremdet sich den Nazis zusehends, verkehrt in Oppositions- und auch in Widerstandskreisen. Bald nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 wird er verhaftet, zum Tode verurteilt und im Berliner Strafgefängnis Plötzensee hinge­richtet.

Geheime Dossiers

Das Institut steht mittlerweile unter der Leitung eines weiteren Harms-Schülers, Andreas Predöhl. Der macht später geltend, er habe das Institut „mit seinem

ganzen internationalen Ansehen und seinen sämtlichen Auslandsverbindungen unversehrt durch die NS-Zeit gesteuert.“ Doch dies ist bestenfalls unter gleichzeitiger Aufgabe der ethischen Integrität erfolgt: Tausende größtenteils geheim gehaltene Gutachten, Analysen und Dossiers erstellt das Institut vor und während des Krieges. Die Auftraggeber: das Oberkommando der Wehrmacht, das Wehrwirtschafts- und das Rüstungsamt. In diesen Jahren – von ‘35 bis ’41 – forscht auch Karl Schiller am IfW. Später wird er, der Mitglied von SA und NSDAP war, unter Willy Brandt Senator in Berlin, dann Bundeswirtschafts- und -finanzminister. Die führenden Ökonomen des Instituts, die in die Emigration gezwungen wurden, gehen in die USA, meist nach New York an die New School for Social Research. Einer von ihnen, Gerhard Colm, wird Wirtschaftsberater von Präsident Truman. Nach dem Krieg beteiligt er sich aktiv an den Planungen zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands. c h r i sti an walth er

Literaturhinweis: Harald Czycholl, 100 Jahre Weltwirtschaft, Wachholtz-Verlag, Neumünster 2014.

33

LEIBNIZ | SPEKTRUM

Aufklärungsarbeit: Der ­Verbreitung des Virus‘ kann vorgebeugt werden, etwa durch strenge Hygienevorschriften.

34 

2/2014

LEIBNIZ | SPEKTRUM

Hilferuf

aus Westafrika

Das Ebola-Virus gilt als eines der gefährlichsten der Welt. Seit ­Anfang des Jahres hält es Westafrika in Atem. Erstmals forderte ein afrikanisches Land bei einem Seuchenausbruch molekular­ diagnostische Unterstützung aus Europa an. Der Virologe Stephan

Fotos: UNICEF Liberia; BNITM

Günther reiste nach Guinea, um zu helfen.

2/2014 



Als am 23. März 2014 Stephan Günthers Telefon klingelt, muss alles ganz schnell gehen, denn 72 Stunden später wird der Virologe des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) auf dem Weg nach Guinea sein. Dort w ­ üten die Vorboten eines grausamen Todes: hohes Fieber, Durchfall, Erbrechen, Magenschmerzen, Blutungen, Bewusstseinstrübung bis hin zum Koma. Am Ende versagen die Organe. Das Ebola-Virus gilt als eines der gefährlichsten der Welt. Bis zu 90 Prozent der Erkrankten sterben, je nachdem mit welcher Virus-Variante sie sich angesteckt haben. Eine Impfung oder eine Therapie existiert nicht. Als „Killer-Virus“ machte Ebola erstmals 1976 im Süden Sudans und im Norden Kongos entlang des Flusses Ebola von sich Reden. Damals erkrankten mehr als 600 Menschen an dem hämorrhagischen – also mit Blutungen einhergehenden – Fieber. Seitdem ist der Erreger immer wieder in zentralafrikanischen Staaten wie Gabun, Uganda oder der Demokratischen Republik Kongo aufgetaucht. Erstmals ist nun seit Anfang des Jahres Westafrika von einer schweren Epidemie betroffen: In Guinea und seinen Nachbarländern Liberia und Sierra Leone starben laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis Anfang Juli rund 520 Menschen an

Das „Killer-Virus“ unterm ­Mikroskop: Erstmals wurde Ebola 1976 diagnostiziert.

Ebola. Die WHO spricht von einer „der größten Herausforderungen“, seit das todbringende Virus vor 40 Jahren zum ersten Mal diagnostiziert wurde. Die örtlichen Behörden sind überfordert. Sie benötigen Hilfe von Wissenschaftlern wie Stephan Günther vom BNITM.

EMLab im Einsatz

Übertragen wird Ebola über Körperflüssigkeiten wie Blut und Speichel sowie über Erbrochenes und Exkremente. Anders als etwa bei Grippeviren ist eine Tröpfcheninfektion nicht möglich. Das Ebola-Virus braucht den direkten

Kontakt von Menschen, um überzuspringen. „Nur neben einem Ebola-Patienten zu sitzen, reicht also nicht, um sich anzustecken“, erklärt Stephan Günther. Der Mediziner leitet am Hamburger Tropeninstitut die Abteilung für Virologie. Mit seinem damaligen Kollegen Christian Drosten und US-Forschern entdeckte er 2003 den SARS-Erreger und wurde dafür mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Heute forscht der Professor vor allem an Lassa-Viren. Sie lösen – wie Ebola-Viren – fieberhafte Infektionen aus, die verschiedene Gewebe des Körpers angreifen und zu Blutungen führen. Die Virologie des BNITM mit ihren Laboratorien der höchsten Sicherheitsstufe ist für diese Erkrankungen Referenzzentrum der WHO. Als die Ebola-Epidemie in Guinea im März ausbricht, bleibt Günther für mehrere Wochen im Land, um den ersten Einsatz des „Europäischen mobilen Labors“ (EMLab) zu koordinieren. Er hat das Projekt maßgeblich mit auf den Weg gebracht. Das EMLab unterstützt in Seuchengebieten die WHO sowie „Ärzte ohne ­Grenzen“ mit Erreger-Diagnostik. Erst im September 2013 waren alle Vorbereitungen und Übungen für einen möglichen Einsatz abgeschlossen. Dass der Ernstfall so schnell folgen würde, damit hatte

35

LEIBNIZ | SPEKTRUM

niemand gerechnet. „Die Feuertaufe ist gelungen“, resümiert Günther dennoch. Viel Zeit, sie vorzube­ reiten, hatte er nicht: A ­ m 21. März werden Proben aus Guinea im Hochsicherheitslabor in Lyon positiv auf das besonders aggressive EbolaZaire-Virus getestet, wenige Tage später werden die Ergebnisse am BNITM bestätigt. Damit hatten die Wissenschaftler nicht gerechnet: „In der Gegend tritt vor allem Lassa-Fieber auf“, so Günther.

Vorbereitung in Windeseile

36 

Am 23. März erfährt Günther von der WHO, dass er bereits am 26. März mit dem EMLab in die nahe den Grenzen zu Liberia und Sierra Leone gelegene Stadt Guéckédou reisen soll. „Normalerweise werden bei solchen Ausbrüchen die Kanadier oder US-Amerikaner um Hilfe gebeten“, erklärt Günther. Doch erst Anfang des Jahres hatten er und weitere europäische Kollegen aus dem EMLab-Projekt in Nigeria auf einem Symposium das neue mobile Feldlabor vorgestellt. Offensichtlich so über-

ihn die Angehörigen auf engstem Raum bis zum Tod und waschen die Leiche ohne Mundschutz und Handschuhe. Dabei kommen sie immer wieder mit den hochinfektiösen Körperflüssigkeiten in Kontakt, stecken sich an und sterben. Ganze Familien rafft das Virus auf diese Weise dahin. Auch wenn es in Guinea offiziell der erste Ebola-Ausbruch ist, ist der Hamburger Wissenschaftler davon überzeugt, dass das Virus in den vielen abgelegenen Waldregionen des Landes – unbemerkt von der Öffentlichkeit – schon häufiger gewütet hat. Erst mit der zunehmenden Mobilität in Afrika reise das Virus durchs Land.

Genom­sequenzierung ­ abgeschlossen

Die Suche nach dem Ebola-Überträger in Guinea ist nicht endgültig abgeschlossen. Wissenschaftler haben infizierte Flughunde im Verdacht. Die Tiere sind Überträger, ohne Symptome aufzuweisen und scheinen Menschenaffen und Menschen über ihren Kot oder durch einen Biss anzustecken. „Affen können wir in Guinea aber ausschließen, denn in der Region gibt es keine“, sagt Günther. Die Genomsequenzierung des Virus hingegen ist abgeschlossen, die Ergebnisse wurden im April in der Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht. Günther und eine Gruppe internationaler Wissenschaftler beschreiben darin, wie sie den neuen Stamm des Ebola-Zaire-Virus in Guinea identifiziert haben. „Damit war aber zu rechnen, denn es ist unwahrscheinlich, dass derselbe Ebola-Zaire-Stamm aus dem Kongo oder Gabun in Guinea auftritt. Sonst müsste ein Mensch oder Tier das Virus direkt von dort nach Guinea verschleppt haben“, sagt Günther. Dem nächsten Einsatz des „Europäischen mobilen Labors“ sieht der Virologe trotz aller Sorgen über die weiterhin dramatischen Entwicklungen in Westafrika etwas gelassener entgegen: „Es hat tatsächlich alles so funktioniert, wie es im Handbuch stand!“ katja l ü ers

Foto: BNITM

EMLab im Einsatz: In Guinea unter­ stützen die Forscher unter anderem die WHO bei der ErregerDiagnostik.

zeugend, dass die Guineer explizit Hilfe aus Europa anfordern. Binnen 48 Stunden stellt der Virologe ein fünfköpfiges Team zusammen, bucht die Flüge und erledigt ­ sämtliche Formalitäten. Am 26. März startet der Flieger von München Richtung Conakry, der Hauptstadt Guineas. Zum Team gehören Wissenschaftler des BNI und des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr (München) sowie italienische und französische Spezialisten. Mit an Bord: das EMLab, verpackt in 22 Kisten. Entstanden ist es nach dem Vorbild des mobilen Labors für Auslandseinsätze der Bundeswehr in München. Über Land geht es acht Stunden weiter ins süd-östliche Guinea bis nach Guéckédou. Dort bauen die Wissenschaftler bei tropischer Hitze das diagnostische Labor neben der Isolierstation von „Ärzte ohne Grenzen“ auf. „Am 29. März konnten wir mit unserer Arbeit beginnen“, sagt Günther. Ob im Feldlabor in Guéckédou oder im Labor im Hamburg: Rund vier Stunden brauchen die Wissenschaftler, um das Virus mit Hilfe eines molekularbiologischen Verfahrens nachzuweisen. Das Problem bei einem Ausbruch wie in Guinea ist, dass Ebola im Einzelfall nicht sofort eindeutig erkannt wird: „Sie können nicht alle Menschen isolieren, die Fieber haben“, sagt Günther. Der Ebola-Test hingegen schafft Klarheit. Wird jemand positiv getestet und isoliert, beginnt die Detektivarbeit für die Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen und Rotem Kreuz. Sie müssen in den abgelegensten Dörfern engmaschig die Kontakte des Erkrankten nachverfolgen und überwachen. Nur so lässt sich der Schneeballeffekt unterbrechen. Die Aufregung der vergangenen Monate in den Medien, das Ebola-Zaire-Virus könne auch in Deutschland wüten, hält Günther für überzogen: „Das Virus lässt sich gut kontrollieren, wenn die Hygiene-Vorschriften eingehalten werden.“ Hinzu komme, dass in Afrika Beerdigungsrituale die Verbreitung des Virus beschleunigen, die in Deutschland nicht existieren: Erkrankt jemand abseits der Zivilisation an Ebola, pflegen

2/2014

LEIBNIZ | SPEKTRUM

7 Milliarden Andere Video-Ausstellung von Yann Arthus-Bertrand Ein Projekt der GoodPlanet Foundation www.7milliardenandere.org

14. März - 21. September 2014 Senckenberg Naturmuseum Frankfurt

ein Projekt der

2/2014 



mit Unterstützung von

37

LEIBNIZ | SPEKTRUM

Bauernhof im Münstertal: Die Natur soll Gäste auch im Sommer in den Schwarzwald locken.

Winter adé Schneematsch statt Winterparadies: Wie deutsche Urlaubs­ re­gionen den Auswirkungen des Klimawandels begegnen können.

38 

Dennoch ist der Wintertourismus eine Haupteinnahmequelle der Region. Und die droht zu versiegen.

Normalität: Tauwetter im Winter

Das winterliche Tauwetter ist derzeit zwar noch die Ausnahme, doch schon bald könnte es Normalität werden. Klimaforscher prognostizieren Regionen wie dem Schwarzwald in Folge des voranschreitenden Klimawandels steigende Temperaturen. In Orten wie Münstertal dürften die Skilifte in Zukunft häufiger still stehen. Dass der Klimawandel nicht irgendwo, sondern direkt vor der eigenen Haustür stattfindet, mussten Hoteliers und Gewerbetreibende nicht nur im Mittelgebirge erkennen. Auch im Tiefland und an der Küste bedrohen klimatische Veränderungen die

Tourismusbranche – und so die Lebensgrundlage vieler ihrer Bewohner. Am Beispiel von vier Urlaubsregionen hat das Dresdener Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) analysiert, welche Herausforderungen der Wandel für den Tourismus mit sich bringt. „Außerdem haben wir untersucht, wie ihnen begegnet werden kann“, sagt Ralf-Uwe Syrbe vom IÖR, der das Projekt geleitet hat.

Fotos: Erich Spiegelhalter/STG; cgross/photocase.com

Da wo der Hang weiß sein sollte, ist er schmutzig-braun. Angestrengt versuchen die Skifahrer, die Löcher in der Piste zu umfahren, dort, wo feuchter Erdboden den Schnee durchbricht. Ohne die Schneekanonen, die ihr künstliches Weiß Nacht für Nacht auf die Pisten schießen, wäre Skifahren in den deutschen Mittelgebirgen über weite Teile des Winters unmöglich. Winter, das heißt hier eigentlich Hochsaison. Lange galten etwa die Skigebiete des Schwarzwalds als „schneesicher“. Zum Beispiel Münstertal, das jährlich etwa 300.000 Übernachtungen verzeichnet. Sicher, die Touristen kommen auch im Sommer, wenn sich der Luftkurort umgeben von grünen Bergweiden an den 1.414 Meter hohen Berg Belchen schmiegt und die Region mit Wanderstrecken und ihrer attraktiven Gebirgsflora lockt.

Naturverträglicher Tourismus

Über vier Jahre haben Syrbe und seine Kollegen gefördert in Experteninterviews, Gruppendiskussionen und Workshops mit Akteuren aus Tourismus, Naturschutz, Verkehr und Regionalentwicklung Strategien entwickelt. In einem Praxisleitfaden haben sie die Ergebnisse

2/2014

LEIBNIZ | SPEKTRUM

zusammengefasst. Am Beispiel der vier Pilotprojekte will er Urlaubsregionen für mögliche Auswirkungen des Klimawandels sensibilisieren und ihnen Methoden an die Hand geben, darauf zu reagieren. Außerdem hält er ganz konkrete Empfehlungen bereit. Das zentrale Zauberwort: „naturverträglicher Tourismus“.

Mountainbike statt Ski

Künstliches Weiß: Vielerorts ermöglichen in den deutschen Mittelgebirgen nur noch Schneekanonen Wintersport.

Denn die Folgen des Klimawandels für den Tourismus haben ihrerseits negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt der Regionen. In Skigebieten beispielsweise steigt mit der Schneefallgrenze auch die Zahl der Besucher in höheren Lagen. Sie dringen vermehrt in sen­sible Landschaften und Schutzgebiete vor, die seltene Tierarten beheimaten, im Schwarzwald beispielsweise das Auerhuhn. Auch

an der Küste könnten Überflutungen und Küstenerosion künftig den Raum für Mensch und Tier verengen. Schutzgebiete und Tourismus müssen in Einklang gebracht werden. Der Luftkurort Münstertal stellt sich dem Klimawandel mittlerweile. Dabei setzt er vor allem auf die Natur um den Berg Belchen. „Statt auf Skiern können Touristen im Sommer auf dem Mountainbike durch

die Landschaft fahren“, sagt der Geschäftsführer der Ferienregion Münstertal-Staufen, Thomas Coch. „Wir wollen ganz bewusst auch junge Wanderer für Auerhuhn und Bergwelt begeistern.“ Auf Trails durch die Wildnis können die jetzt beim sogenannten Geocaching – einer modernen Form der Schnitzeljagd – mit GPS-Geräten die Bergwelt erkunden.

Der im Projekt BiKliTour ent­­wickelte ­Praxisleitfaden „Tourismus und biologische Vielfalt in Zeiten des Klima­ wandels“ ist online verfügbar unter

www.ioer.de/ downloads/#8618

bi an c a g öpel

sehen sie auch überall den break-even-point? Mehr sehen. Mehr verstehen. Alles finden. ZBW..

Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft Leibniz Information Centre for Economics

Über die ZBW haben Sie Zugriff auf qualitativ hochwertige Volltexte, Daten und Statistiken aus den Wirtschaftswissenschaften. In ganz Deutschland. www.alles-finden-zbw.eu

LEIBNIZ | MUSEEN

Wege

in die Moderne

Aktuelle Ausstellungen

der Leibniz-Gemeinschaft

Revolutionen, Weltausstellungen, technischer Fortschritt: Das Germanische Nationalmuseum auf der Spur der Modernisierung Europas.

40 

Gustave Eiffel und Adolphe Salles auf der obersten Plattform des Pariser Eiffelturms, 1889

Es beginnt mit Hunger und Armut in Paris. Am 14. Juli 1789 stürmen die aufgebrachten Einwohner der Stadt die Bastille. Dem Ausbruch der Französischen Revolution folgen radikale gesellschaftliche Umbrüche im Stundentakt: Die Aufständischen jagen die Königsfamilie aus ihren Chateaus und brechen mit althergebrachten Konventionen wie dem gregorianischen Kalender. In der Erklärung für Menschen- und Bürgerrechte verankern sie aufklärerische Werte,

die bald allgemeine Gültigkeit in den modernen Demokratien der Zeit erlangen. Noch heute begründet sie das Selbstverständnis unserer Nachbarn jenseits des Rheins. Die Französische Revolution gilt als Geburtsstunde des Europas der Gegenwart. In „Wege in die Moderne“ zeigt das Germanische Nationalmuseum (GNM), wie sie und ihre Auswirkungen den Lauf des 19. Jahrhunderts beeinflussten und den Kontinent nachhaltig prägten.

150 Jahre Westfälische Berggewerkschaftskasse bis 22.2.2015 Deutsches Bergbau-Museum, Bochum

Carbon — das Material der Zukunft bis 10.1.2015 Deutsches Museum, München

Die SWATH-Technologie bis 28.9.2014 Deutsches Schiffahrts­museum, Bremerhaven

Die Kohlenstofffaser Carbon gilt als Werkstoff der Zukunft. Schon heute wird sie in der Industrie, in Sportgeräten und Schallerzeugern eingesetzt. Die Ausstellung veranschaulicht, wie ­ Carbon ­ verarbeitet wird und welche A ­ nwendungen denkbar sind. Ein Highlight ist ein frei schwingender Akustiksitz, der Informationen über mehrere menschliche Sinne spürbar macht. Neben E ­ inzelstücken aus der Forschung – unter anderem aus dem Leibniz-Institut für ­Polymerforschung Dresden – sind auch bereits in Serie produzierte Stücke zu sehen: eine Autokarosserie beispielsweise.

Doppelrümpfe wie bei Kata­ ma­ ranen zeichnen die Schiffe aus, die in der Small Water­plane Area Twin Hull-Technologie – kurz SWATH – gebaut werden. SWATHSchiffe haben den großen Vorteil, dass sie selbst bei starkem Seegang kaum ins „Schaukeln“ geraten. Der Foto-Journalist Peter Andryszak aus Oldenburg begleitete den Bau mehrerer dieser Spezialschiffe und lernte sie auch in ihrer ­Fahr-Praxis kennen. Seine Fotos erklären das Schiffs-Prinzip, das in den 1930er Jahren vom englischen Erfinder Frederick George Creed entwickelt, den Menschen in der Seefahrt v ­ öllig neue Möglich­keiten er­öffnet .

„Glückauf, der Steiger kommt!“ Aber woher? Aus der Berg­schule! Im Jahr 1864 wurde mit der West­fälischen Berg­gewerk­ schafts­­kasse (WBK) die zentrale Aus­bildungs- und Wissenschaftsinstitution des Ruhrbergbaus gegründet. Neben der Steiger- und Lehrlingsausbildung sowie dem Ingenieurstudium kümmerte sich die WBK um die wissenschaftlichen Grundlagen des Montanwesens im Revier. Ihre Nachfolgeorganisation ist heute unter anderem Trägerin des Deutschen Bergbau-Museums. Zum 150-jährigen Jubiläum der WBK gibt es dort eine Sonderausstellung.

2/2014

LEIBNIZ | MUSEEN

Fotos: GNM; Deutsches Bergbau-Museum; Deutsches Museum; Peter Andryszak; Universitätsbibliothek Würzburg; Senckenberg; DBM

100 Jahre nach dem Sturm auf die Bastille erinnert in Paris nichts mehr an das Stadtgefängnis. Stattdessen überragt ein vom Ingenieur Gustave Eiffel erbautes Monument die Dächer der Stadt. Der Eiffelturm dient als Eingangstor für die Weltausstellung 1889. Im GNM werden die Schauen als Orte des Fortschritts beschrieben, die den Zeitgeist vorgeben. „Wege in die Moderne“ ist dabei das Resultat von drei Jahren Arbeit. Die Forscher um Kuratorin Jutta Zander-Seidel durchforsteten die Sammlungen des GNM, um das „lange Jahrhundert“ zwischen Französischer Revolution und Erstem Weltkrieg auf neue Weise nachzuzeichnen. Dabei halfen ihnen Erkenntnisse aus Disziplinen wie Soziologie, Kunst- und Kulturgeschichte. Mit der Zeit verlagert sich der Schwerpunkt der Weltausstellungen auf die bildenden Künste und besonders aufsehenerregende Erfindungen. Unter dem Motto „höher, schneller, weiter“ kann ­

2/2014 



man beobachten, wie Objekte aus exotischen Ländern als Zeichen imperialistischer Stärke dienen. Ein Beispiel sind Fächer aus China, die mit Alltagsfloskeln in Mandarin verziert wurden. Verbesserte Transportstrukturen revolutionierten überdies die Berichterstattung. Vor Ort schreiben und gen Zielland kommunizieren, ist nun binnen weniger Tage möglich. Es ist die Geburtsstunde von Medienagenturen. Die Presse berichtet immer aktueller und macht ihren Lesern das Tagesgeschehen durch Fotos greifbar. Immer stärker wird die Meinungsbildung von visuellen Eindrücken beeinflusst. Davon profitiert auch eine heute allgegenwärtige Branche, die damals in ihren Kinderschuhen steckt: die Werbung. Auch vor der Musik machte die Experimentierfreude nicht Halt. „Klangschreiber“, Prototypen des Diktiergeräts, ermöglichen es, ­Reden und Lieder aufzunehmen und erneut zu hören. Auch Brüche

mit Althergebrachtem werden nicht gescheut: Ein Höhepunkt in der Nürnberger Ausstellung sind komplett aus Metall gefertigte Geigen. Doch der aufkeimende Nationalismus und die heraufziehenden Konflikte drohen, Europa zunehmend lahmzulegen. Der Nationalstolz der in ständiger Konkurrenz befindlichen Staaten des Kontinents findet unter anderem in Hymnen Niederschlag, die die Soldaten im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 ins Feld begleiten. Das Wetteifern der Nationen mündet schließlich im Ersten Weltkrieg. Ein langes Jahrhundert findet sein tragisches Ende.  m ar l en e h aas Wege in die Moderne bis 21. September 2014 Germanisches Nationalmuseum Kartäusergasse 1, 90402 Nürnberg Öffnungszeiten Di-So 10-18 Uhr, Mi 10-21 Uhr www.gnm.de

Großbaustelle 793: D ­ as Kanalprojekt Karls des Großen zwischen Rhein und Donau bis 10.8.2014 Römisch-Germanisches Zentralmuseum, Mainz

Locken. Betören. Täuschen. Die Welt mit anderen Augen riechen. bis 31.8.2014 Senckenberg Museum für Naturkunde, Görlitz

Wertvolle Erde — der Schatz im Untergrund bis 2.11.2014 Zoologisches Forschungs­ museum Alexander Koenig, Bonn

Bereits mehr als 1.000 Jahre vor der Erbauung des Ludwig-DonauMain-Kanals Mitte des 19. Jahrhunderts ließ Karl der Große einen Kanal errichten, um Rhein und Donau zu verbinden. Damit sollte die europäische Hauptwasserscheide überwunden und die Schifffahrt zwischen Nordsee und Schwarzem Meer erleichtert werden. Noch heute sind die Spuren des „Karlsgraben“ sichtbar und werden wissenschaftlich untersucht. Die Ausstellung zeigt, wie Archäologen das Bauwerk „zum Sprechen“ bringen und unser Verständnis für die Zeit Karls des Großen erweitern.

Die Natur ist voll von Düften, die vielfältige Rollen erfüllen: Sie locken die Bienen zur Blüte, weisen den Weg zum paarungswilligen Partner oder wehren Feinde ab. Aber auch der Mensch setzt bereits seit mehr als 5.000 Jahren Düfte als Parfum, Medizin oder Geschmacksverstärker ein. Die vom Naturkundemuseum Bielefeld konzipierte Ausstellung präsentiert unterschiedlichste Duftspuren und vermittelt anschaulich deren Bedeutung. Als Mitmachausstellung der besonderen Art will sie vor allem mit der Nase erkundet werden.

Unsere hochtechnisierte Welt ist ohne geologische Rohstoffe nicht vorstellbar. Das Spektrum reicht von Kohle, Gas und Erdöl über Steine, Erden und Kies bis hin zu metallischen Roh­stoffen. Sie alle sind nur in begrenzter Menge verfügbar, ihr Abbau wird immer aufwendiger und kostspieliger. Deshalb müssen sie umweltverträglicher gewonnen, effizienter genutzt und besser recycelt werden – wie etwa aus alten Mobiltelefonen. Dieser Rohstoffkreislauf steht im Zentrum der Wanderausstellung des Forschungs- und Entwicklungsprogramms Geotechnologien.

Mehr Sonderausstellungen unserer Forschungsmuseen finden Sie online: www.leibnizgemeinschaft.de/ institute-museen/ forschungsmuseen/ leibniz-museenaktuell/

41

LEIBNIZ | IMPRESSUM

Abonnieren Sie

1/2013

Leriib eg ni Vom NSzmit Jo ur na

bn Lei

iz-J

our

Das

Mag

azin

der

Leib

niz-G

Leibni sstellung z-Gem der einsch aft

Muse um für Römi sch-G Naturkunde erma Deuts nisch , Berlin ches es Hygie Deuts ne-Mu Zentralmu ches Bergb Deuts seum seum au-Mu , Dresd ches , Mainz Schif Deuts fahrts seum, Bochu en ches Muse muse m um, um,

eme

in

ft scha

13

O

G 49121

schung

Maga

our

jahr

nal

Pan Erregdemie Vorm er auf n: arsc dem Gala h Sch pagos: Zuc Fors riftstelle chun r au Diab kersüß gsrei f e etes im F Gefah se okus r:

niz-G

eme

insc

rg.

haft

Le

ibn

iz-

Jo

ndh eit!

Da

sM a

ga

zin

de

rL e

ur

na

l

3/2

013

Fors ch Med en für izin die von mor gen

121 G 49 121

Leib

sser

ibn

iz-

Ge

me

ins

ch

aft

Erb

Terr itte Ch itori rt ine alstr sisc hen eit im Me er b

M aus eere: geb um eut käm et, le pft, Big Data 1/2014 ben Goldrausch swin Datenbergen? ich tig

g

Ausstellun

100 Jahre gung Jugendbewe

Kuba

Leibni z-Jour nal

Bloggen für mehr Freiheit

Bak al die terie We n be ltm herr eere sc hen

Science 2.0

Wissenschaft und Social Media

Affengesellschaft

Die Primatenforscherin Julia Fischer

isen

121

ft Lanu halten. Unsere G 49

aftswe Wirtsch

nal

Das Magazin der Leibniz-Gemeinschaft

den e hinter Die Köpf prognosen ur kt un nj Ko

l te Partike Wie kleins e bereiten oblem größte Pr

Der

vernetzte

Mensch

rr e r u ü Sp

D

Wie die Digitalisierung unsere Gesellschaft verändert

er Redaktion: Beleg erbeten. se urfoßedAusesnteNllautinognimoarlmscuhsuenugmsergebnisAuflage: Christian Walther (Chefredakteur),aChristoph 27.000 G isch ueste F n a e Germ tiert n en Ausgabe 2/2014: Juli 2014 Herbort-von Loeper (C.v.D.), David Schelp; präs www.leibniz-gemeinschaft.de/journal Bianca Göpel, Marlene Haas, (Praktikantinnen), Nora Tyufekchieva (Grafik), Steffi Kopp (Assistenz). Das Leibniz-Journal erscheint viermal jährlich. [email protected] Es wird gratis über die Institute und Museen der Leibniz-Gemeinschaft verbreitet. Anzeigen: Außerdem kann es über die Redaktion kostenlos Axel Rückemann, [email protected] unter [email protected] abonniert Telefon: 030 / 20 60 49-46 werden. Layout: ISSN: 2192-7847 Stephen Ruebsam, unicom-berlin.de Leibniz twittert: twitter.com/#!/LeibnizWGL Druck: Leibniz ist auf Facebook: PRINTEC OFFSET – medienhaus, Kassel facebook.com/LeibnizGemeinschaft Nachdruck mit Quellenangabe gestattet,

Chausseestraße 111, 10115 Berlin Telefon: 030 / 20 60 49-0 Telefax: 030 / 20 60 49-55 www.leibniz-gemeinschaft.de

121

G 49121

Herausgeber: Der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft

G 49

Leibniz-Journal

Die Leibniz-Gemeinschaft – 89 Mal Forschung zum Nutzen und Wohl der Menschen:

Akademie für Raumforschung und Landesplanung – Leibniz-Forum für Raumwissenschaften (ARL), Hannover · Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNI), Hamburg · Deutsche Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie (DFA), Freising · Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften – Leibniz Informationszentrum Wirtschaft (ZBW), Kiel · Deutsches Bergbau-Museum (DBM), Bochum · Deutsches Diabetes-Zentrum – LeibnizZentrum für Diabetes-Forschung an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (DDZ) · Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer (FÖV) · Deutsches Institut für Ernährungsforschung (DIfE), PotsdamRehbrücke · Deutsches Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen (DIE), Bonn · Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), Frankfurt am Main · Deutsches Museum (DM), München · Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ), Göttingen · Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ) · Deutsches Schiffahrtsmuseum (DSM), Bremerhaven · DIW Berlin – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) · DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien, Aachen · Ferdinand-Braun-Institut, Leibniz-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH), Berlin · FIZ Karlsruhe – Leibniz-Institut für Informationsinfrastruktur (FIZ KA) · Forschungszentrum Borstel – Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften (FZB), Borstel · Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung (GEI), Braunschweig · Germanisches Nationalmuseum (GNM), Nürnberg · GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften (GESIS), Mannheim · GIGA German Institute of Global and Area Studies / LeibnizInstitut für Globale und Regionale Studien (GIGA), Hamburg · Heinrich-Pette-Institut – Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie (HPI), Hamburg · Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft (HI), Marburg · Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Frankfurt am Main · ifo Institut Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V. (ifo) · ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS), Dortmund (assoziiert) · INM – Leibniz-Institut für Neue Materialien (INM), Saarbrücken · Institut für Deutsche Sprache (IDS), Mannheim · Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel (IfW) · Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) · Institut für Zeitgeschichte München – Berlin (IfZ) · Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik (KIS), Freiburg · Leibniz-Institut DSMZ-Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH (DSMZ), Braunschweig · Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Halle · Leibniz-Institut für Agrartechnik Potsdam-Bornim (ATB) · LeibnizInstitut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI), Jena · Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften – ISAS – e. V. (ISAS), Dortmund und Berlin · Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik (LIAG), Hannover · Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) · Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) · Leibniz-Institut für Atmosphärenphysik an der Universität Rostock (IAP), Kühlungsborn · Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi), Bamberg · Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN), Kiel · Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz · Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW) · Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ), Großbeeren & Erfurt · Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), Berlin · Leibniz-Institut für innovative Mikroelektronik (IHP), Frankfurt (Oder) · Leibniz-Institut für Katalyse e. V. an der Universität Rostock (LIKAT) · Leibniz-Institut für Kristallzüchtung (IKZ), Berlin · Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL), Leipzig · LeibnizInstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP), Berlin · Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI), Jena · Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN), Magdeburg · Leibniz-Institut für Nutztierbiologie (FBN), Dummerstorf · Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung (IOM), Leipzig · Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR), Dresden · Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde an der Universität Rostock (IOW) · Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie (IPB), Halle · Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), Gatersleben · Leibniz-Institut für Photonische Technologien (IPHT), Jena · Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP), Greifswald · Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden (IPF) · Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS), Bremen · Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner · Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS), Leipzig · Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf gGmbH (IUF) · Leibniz-Institut für Wissensmedien (IWM), Tübingen · Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), Berlin · Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF), Müncheberg · Leibniz-Zentrum für Marine Tropenökologie GmbH (ZMT), Bremen · Leibniz-Zentrum für Psychologische Information und Dokumentation (ZPID), Trier · Mathematisches Forschungsinstitut Oberwolfach (MFO) · Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI), Berlin · Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung (MfN), Berlin · Paul-Drude-Institut für Festkörperelektronik (PDI), Berlin · Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) · Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), Essen · Römisch-Germanisches Zentralmuseum (RGZM), Mainz · Schloss Dagstuhl – Leibniz-Zentrum für Informatik GmbH (LZI) · Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main · Technische Informationsbibliothek (TIB), Hannover · Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik Leibniz-Institut im Forschungsverbund Berlin e. V. (WIAS) · Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) · ZB MED - Leibniz-Informationszentrum Lebenswissenschaften, Köln und Bonn · Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim · Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) · Zoologisches Forschungsmuseum Alexander Koenig – Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere (ZFMK), Bonn

42 

Ve rs

Glo

Die

Kriege ? „Saubere“ gsverbrechen oder Krie

Rec ern Muslimbrüd

der

unter Wa

Drohnen

Ägypten bei den herchen

zin

Inder nim Korn s Gene auf

ft

Wenn Luft ht krank mac

h niz istisc Leib ibition exh Leibniz museen S.16 Die chungs ck na l lgs-zteJo-ur rfoni Fors berbli st 26 hich LeEib S. gesc niz in O im Ü Leib tschland aft or deu emeinsch Lab Atelier em Leibniz-G der 14 n d S. azi als st aus Das Mag Kun roskop Mik

z-J

Leibniziat Stipend mt Gersten-

n wir Wie schaffe wende? die Energie

Feinstaub

4/2013

bni

andel Ges u

Ein

Klimafor

Herkules aufgabe

meinscha

hafts

Lzebbebeert n im dem l a st wird eongtzraau fischen r e b Or W

or: Seelab und

iz-Ge der Leibn Magazin

ensc

ngen

27.02 .-7.04 19.04 .2013 .-2.06 14.06 .2013

.-21.0 ww w.d München Bremerhaven 7.201 20.09 3 .-27.1 0.201 15.11 emog 3 .-9.01 31.01 .2014 rafisch .-30.0 3.201 4 e-cha nce.d e

Das

al

Fe

Fe bruaVo

br n bis biuarr 2013 Der de MärMärzs 2013 mogra z 20 20 14 14 fiisscchhee Wande l

Wie

2/20

Teuer

Zuk lebenunft

DieDieWelchewerdChanen wir morgen Au Auss sscen eröff lernen, und stell tellu ngte net der arbeiten t Schl zumllu Wiss ngdemografi und alter üsse n? sche lfrag enschafts en unse zu jahrm Wandel? Eine Au rer Zuku zeigtW Entwiss icklu nft.

Lei

2/2012

l

l

G 49

Das

L

n eib

rna

pu

G 49121

IMPRESSUM

1

Le

kles Dun itel st Kap olocau

Überhols

Forscheri r im Museunnen m

Arbeit bal ebatte bis 69? d

f“ amp kt in K „Me onsproje Editi askiert der Lei mizbn de Gemeins rs le chaft Hit chrift Hetzs

Allt scher B Das Ma deut gazin

h H Der hulbuc im Sc eit weltw

ou iz-J

Renten-D

Dikti

it Zweag unter esatzung

12

3/20

ou rn ib n iz -J

G 49121

Das Leibniz-Journal können Sie bequem abonnieren. Es erscheint viermal im Jahr. Senden Sie einfach Namen und Anschrift an: [email protected]

12 /20

Spra Umgang on

eltk er W

Wissen direkt vom

Erzeuger.

Stadt un

Leere oded Land Raum für r Neues

che

2/2014

u

Be

De n am nkma k No lsc rdse eg

Oz gehr Wir eane a t tsc ls haft sfa kto r

LEIBNIZ | LEKTÜRE

ke

n

chu tz gru nd

Der allererste Struwwelpeter 1844. Nachdruck des Urmanuskripts von Dr. Heinrich Hoffmann; 38 Seiten, Verlag des Germanischen National­museums, Nürnberg 2013; 12 Euro; ISBN 978-3-936688-76-4

Jürgen Finger, Sven Keller, Andreas Wirsching: Dr. Oetker und der Nationalsozialismus, Geschichte eines Familienunternehmens 1933-1945; 624 Seiten, gebunden, C.H. Beck Verlag, München 2013; 29,95 Euro,

Fotos: Verlag des GNM (2); C.H. Beck Verlag; Redline Verlag

ISBN 978-3-406-64545-7

2/2014 



Hans-Werner Sinn: Gefangen im Euro; 196 Seiten, Redline Verlag, München 2014; 9,99 Euro, ISBN 978-3-86881-525-2

Ernüchtert vom Versuch, für seinen damals dreijährigen Sohn ein Weihnachtsgeschenk zu kaufen, setzte sich der Frankfurter Arzt Heinrich Hoffmann 1844 hin und schrieb und illustrierte selbst ein Buch nach seinen Vorstellungen. Es sollte das meistverkaufte Kinderbuch der Welt werden: der Struwwelpeter. Über 500 Auflagen hat es in den vergangenen 170 Jahren gegeben. Wegen seiner teilweise brachialen (Bild-)Sprache ist der Struwwelpeter seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht unumstritten, greift aber Themen auf, die aktueller kaum sein

könnten: Rassismus, Tierquälerei, ADHS oder Magersucht. Das Urmanuskript des Struwwelpeter befindet sich seit 1902 im Besitz des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg und wurde zuletzt im vergangenen Jahr als Faksimile-Ausgabe neu herausgegeben. Einige der bekannten „Helden“ wie der Zappel-Philipp oder Hanns Guck-in-die-Luft fehlen dort noch, und dennoch geben die Manuskriptseiten mit letzten handschriftlichen Korrekturen des Autors einen beeindruckenden Einblick in die Entstehung dieses Kinderbuch-Klassikers.  c h r i stoph h er bort - v on l oeper

Ihren Höhepunkt erreicht die Debatte 1968. In Bielefeld fordern Demonstranten die Umbenennung eines neuen Ausstellungshauses: der Richard-Kaselowsky-Kunsthalle – gestiftet von Rudolf-August Oetker, Enkel des Unternehmensgründers August Oetker und Stiefsohn Kaselowskys. Der ist zwischen 1918 und 1944 leitender Geschäftsführer von Dr. Oetker und macht das Familienunternehmen unter Hitler zum „NS-Musterbetrieb“. Zudem ist Kaselowsky Mitglied im „Freundeskreis ReichsführerSS“, einem Zusammenschluss Industrieller, die nach 1945 als Profiteure der „Arisierung“ der deutschen Wirtschaft gelten. So einen Namensgeber lehnen die 68er ab. Auch das Ausstellungshaus nutzt den kontroversen Teil seines Namens nicht öffentlich – zum Ärger seines Stifters. Als der Name 1998 offiziell

geändert wird, holt der erzürnte Patriarch eigenhändig sämtliche von ihm gestellte Exponate ab. Der Namensstreit steht symbolisch dafür, wie sich die „Pudding-Dynastie“ zu Lebzeiten Rudolf-August Oetkers ihrer NS-Vergangenheit verschließt. Oetker, der 1944 an die Unternehmensspitze rückt, war Mitglied der Waffen SS. Nach Kriegsende wurde er vorübergehend interniert und musste sich einem Entnazifizierungsverfahren stellen. Zeitlebens verlor er kein Wort über das dunkelste Kapitel der Firmengeschichte. Erst zwei Jahre nach seinem Tod beginnen seine Nachfahren 2009 sie aufzuarbeiten und öffnen Andreas Wirsching – heute Direktor des Instituts für Zeitgeschichte – und seinen Mitarbeitern Jürgen Finger und Sven Keller die Archive. In­ „Dr. Oetker und der Nationalsozialismus“ veröffentlichen sie nun ihre Ergebnisse. m ar l en e h aas

Wie tief steckt Europa in der Eurokrise oder ist diese gar schon überwunden? Glaubt man manchem Politiker, dürfte das Gröbste überstanden sein. Folgt man Hans-Werner Sinn, ist das keineswegs der Fall. Während Deutschland über sprudelnde Steuereinnahmen, zunehmende Beschäftigung und Exportwachstum jubelt, stecken nach Griechenland, Zypern, Spanien und Irland nun auch Frankreich und Italien in ernsten Schwierigkeiten. Die Finanzkrise schwelt weiter – das ist die „wirkliche Wahrheit“, die der Präsident des ifo-Instituts – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München in „Gefangen im Euro“ direkt und ungeschönt

herausarbeitet. Dabei bleibt er nicht nur bei der Dynamik der Eurokrise stehen, sondern plädiert auch entschieden für radikale Reformen, wie dem schnellen Austritt überschuldeter Länder aus der Eurozone oder einer Neuordnung der Europäischen Zentralbank. Damit, so Sinn, sei die Krise zu bewältigen. Das Buch, Ergebnis mehrerer Gespräche zwischen Autor und Herausgeber Jens Schadendorf, behält den Charakter seiner Entstehung bei und präsentiert sich als 190 Seiten langes Interview. Der Leser hat so das Gefühl, den Unterhaltungen beizuwohnen. Nichtsdestotrotz verlieren wissenschaftliche, ökonomische Argumente nicht an Gewicht.

Auf 3 S. 47 verlosen wir zwei unserer Lektüre­ tipps.

bi an c a g öpel

43

LEIBNIZ | LIFE

„Wir von Leibniz“

1

Mit einem Festakt feiert die Leibniz-Gemeinschaft die Übergabe des Präsidentenamts von Karl Ulrich Mayer an Matthias Kleiner.

44 

„Und nun, lieber Herr Mayer, nehmen Sie Ihren Hut! Und seien Sie immer gut behütet!“ Mit diesem Wunsch seines Nachfolgers Matthias Kleiner – symbolisch unterstrichen durch einen kleidsamen Panama-Hut – verabschiedete die Leibniz-Gemeinschaft am 26. Juni 2014 mit einem Festakt ihren Präsidenten Karl Ulrich Mayer. In seiner Abschiedsrede in der am Pariser Platz gelegenen Akademie der Künste bekannte Karl Ulrich Mayer, dass er zu Beginn „das raue Leben in der Forschungspolitik“ unterschätzt habe. Im Sommer 2010 musste der erste hauptamtliche Präsident der Leibniz-Gemeinschaft nach nur zehn Tagen im Amt den finanzpolitisch motivierten Verlust des damals größten Leibniz-Instituts – des Kieler ­ IFM-­GEOMAR – bewältigen.

In seiner Rede erinnerte Karl Ulrich Mayer an seinen ersten akademischen Lehrer Ralf Dahrendorf und dessen für ihn prägenden Beitrag über „Repräsentative Tätigkeiten“, anhand dessen Mayer zum Ende seiner Amtszeit seine Beweggründe, das Amt zu übernehmen, schilderte. Vor mehr als 300 Gästen bekräftigte Mayer, seine oberste Priorität sei stets gewesen, Qualität und Exzellenz in der Wissenschaft auf allen Ebenen zu sichern und ließ zentrale Meilensteine der vergangenen vier Jahre Revue passieren: die Aufnahme von sieben neuen Instituten, die strategische Entwicklung der Gemeinschaft von der Formulierung der Sektionsprofile 2011 über das Positionspapier mit dem Prinzip der

koordinierten Dezentralität und der Entwicklung der LeibnizForschungsverbünde 2012 bis hin zum Gewinn zusätzlicher Autonomie in Strategiefragen durch den neu ins Leben gerufenen „Senatsausschuss Strategische Vorhaben“. Auch der den Umzug der Geschäftsstelle in die Berliner Chausseestraße sowie die Federführung der zentralen Ausstellung im Wissenschaftsjahr zum Demografischen Wandel 2013 hätten die Stärken der Leibniz-Gemeinschaft mobilisiert, so Mayer. Der scheidende Präsident übergebe ein „gut bestelltes Haus“ an seinen Nachfolger, hielt Brandenburgs Wissenschaftsministerin Sabine Kunst stellvertretend für die Länder fest, das „viele Optionen für die Zukunft biete“.

2/2014

2

4

5

7

8

3

6

9

10

Fotos: Oliver Lang (3); Christoph Herbort-von Loeper (7)

1 Gutes Omen: Mit der Siegesgöttin Viktoria auf dem Brandenburger Tor im Rücken übergibt Karl Ulrich ­Mayer sein Amt an Matthias Kleiner. | 2 Matthias Kleiner mit BMBF-Staatssekretärin Cornelia Quennet-­ Thielen und Max-Planck-Präsident Martin Stratmann. | 3 Gut behütet den Hut genommen. | 4 Im Gespräch mit DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel. | 5 Sachsens Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer mit dem Leibniz-Vizepräsident Heinrich Basler (Mi.) und dem Präsidenten der HU Berlin Jan-Hendrik Olbertz. | 6 Peter-André Alt, Präsident der FU Berlin, mit Leibniz-Vizepräsident Friedrich Hesse. | 7 Frankfurts UniPräsident Werner Müller-Esterl mit Leibniz-Altpräsident Ernst Th. Rietschel. | 8 Nordische Kombination: Rostocks Uni-Rektor Wolfgang Schareck (li.) mit Leibniz-Vizepräsident Matthias Beller vom Leibniz-Institut für Katalyse, Rostock. | 9 Voll besetzt: 300 Gäste in der Akademie der Künste | 10 Hamburgs Wissenschafts­ senatorin Dorothee ­Stapelfeldt mit Matthias Kleiner.

2/2014 



Wie er diese Optionen nutzen möchte, skizzierte der künftige Leibniz-Präsident Matthias Kleiner. Die Potentiale, die sich aus dem Netzwerk der LeibnizGemeinschaft ergeben, müssten noch intensiver genutzt, die Gemeinschaft und ihre Sichtbarkeit gestärkt werden1. Als Professor für Umformtechnik kennt sich Matthias Kleiner mit Spannungen aus. Auch deren eher soziale oder organisatorische Ausprägungen in der Wissenschaft hat er im Gründungsdekanat der

Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus nach der Wiedervereinigung oder als Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft bereits kennengelernt. Dennoch liegen dem passioniertem Segler und Dauerkartenbesitzer von Borussia Dortmund Mannschaftsorientierung und Teamgeist nahe. Das zeigen auch seine Vorstellungen für die Zukunft: Ein vielstimmiges „Wir von Leibniz“ solle den Geist der Leibniz-Gemeinschaft und ihres Netzwerkes transpor-

tieren und auch jene Menschen mit einschließen, für die die Erkenntnisse der Forschung relevant sind – ob als Gesellschaft oder als Individuum. Zu diesem Vorsatz passte auch der Wunsch der Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium Cornelia Quennet-Thielen, die Matthias Kleiner mit einem Zitat Gottfried Wilhelm Leibniz‘ „Klarheit in den Worten, Brauchbarkeit in den Sachen“ wünschte.   hvl

Vgl. den Beitrag von Matthias Kleiner auf den Seiten 8/9.

1

45

LEIBNIZ | LIFE

Leibniz im Bundesrat Den Bundesrat und die Leibniz-Gemeinschaft eint, dass sich in ihnen die föderale Struktur der Bundesrepublik deutlich widerspiegelt. Daher war es naheliegend, dass das derzeit in der Länderkammer präsidierende Land Niedersachsen seine Leibniz-Institute einlud, stellvertretend die dortige Wissenschaftslandschaft beim Tag der offenen Tür im Bundesrat zu präsentieren. Alle sechs Leibniz-Institute mit Hauptsitz in Niedersachsen gaben den 18.000 Besuchern der Veranstaltung Einblick in Vielfalt, Relevanz und Qualität ihrer Arbeit. Auch der Präsident des Bundesrates, der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil stattete den Leibniz-Instituten einen Besuch ab und war unter anderem von den Prothesen der Neurobiologen des Deutschen Primatenzentrums sehr angetan und ließ sich auf der auf der Vibrations-Mess-Schubkarre des Leibniz-Instituts für Geophysik sitzend ordentlich durch­rütteln. Impressionen aus dem Bundesrat unter www.leibniz-gemeinschaft.de/fotogalerien

Lange Nacht bei Leibniz

Sütterlin-Schreibübung am Whiteboard.

46 

Zum zweiten Mal war die Geschäftsstelle der Leibniz-Gemeinschaft Ausstellungsort der Langen Nacht der Wissenschaften Berlin-Brandenburg. Am 9. Mai 2014 präsentierten sich in der Chausseestraße das Leibniz‐­ Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, die Bibliothek für Bildungshistorische Forschung des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung, das Weierstraß‐Institut für Angewandte Analysis und Stochastik, das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam sowie der Forschungsverbund „Verlust der Nacht“ mit Ständen

und einem umfangreichen Vortragsprogramm. Den mehr als 700 Besuchern zeigten sie unter anderem die Luftbildausstellung „Die DDR von oben“, Mitmachexperimente zu alten deutschen Schreibschriften, Einblicke in aktuelle Analyseverfahren großer Datenmengen, teilweise unveröffentlichte Dokumente, Film‐ und Tonmaterial zur Geschichte der Berliner Mauer sowie neuste Erkenntnisse zum Einfluss der Lichtverschmutzung auf Mensch und Umwelt. Mehr Bilder der Nacht unter www.leibniz-gemeinschaft.de/ fotogalerien

In seiner Märzsitzung hat der Senat der Leibniz-Gemeinschaft nach Abschluss des Evaluierungsverfahrens fünf LeibnizInstitute positiv bewertet. Zur weiteren Förderung durch Bund und Länder sind somit vorgeschlagen: das Leibniz‐Institut für Neurobiologie in Magdeburg, das Leibniz‐Institut für Pflanzenbiochemie in Halle, das Leibniz‐ Institut für Zoo‐ und Wildtierforschung in Berlin, das Deutsche Primatenzentrum – Leibniz‐Institut für Primatenforschung in Göttingen sowie das Leibniz‐Zentrum für Marine Tropenökologie in Bremen. Die detaillierten Stellungnahmen des Senats zu den Instituten sind online verfügbar unter www.leibniz-

gemeinschaft.de/ ueber-uns/evaluierung

Postdoc-Stipendien dauerhaft gesichert

Die Leibniz-Gemeinschaft und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) führen ihr gemeinsames „Leibniz-DAAD-Research Fellowship-Programme“ für herausragende internationale Nachwuchswissenschaftler dauerhaft fort. Leibniz-Präsident Karl Ulrich Mayer und die Generalsekretärin des DAAD, Dorothea Rüland, unterzeichneten im Juni eine unbefristete Kooperationsvereinbarung. Seit Gründung des Programms 2010 wurden insgesamt 60 Forscher gefördert. Die meisten stammen aus Europa (21), Indien (11), den USA (4) und China (5). In

diesem Jahr gingen fast 200 Bewerbungen von Postdocs aus insgesamt 53 Ländern ein. Damit ist das Interesse noch einmal erheblich gewachsen im Verhältnis zu den 118 Bewerbungen im Vorjahr. www.daad.de/leibniz

100 Termine im Bundestag

Am 20. und 21. Mai 2014 haben mehr als 60 Bundestagsabgeordnete aller vier Fraktionen Besuch von Leibniz-Wissenschaftlern erhalten. Im Zuge der Aktion „Leibniz im Bundestag“ hatten sie sich mit Forschern zu persönlichen Gesprächen über deren Einschätzungen zu aktuellen Fragestellungen vereinbart. Insgesamt wurden bei der siebten Auflage von „Leibniz im Bundestag“ mehr als 100 Termine verabredet, nachdem die Leibniz-Wissenschaftler den Volksvertretern über 200 Themenvorschläge angeboten hatten.

MaTax

Am 1. April 2014 hat der LeibnizWissenschaftsCampus „Mannheim Taxation“ (MaTax) seine Arbeit aufgenommen. MaTax ist ein gemeinsames Projekt des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und der Universität Mannheim. Im Rahmen von MaTax arbeiten Wissenschaftler aus den Bereichen Unternehmensbesteuerung, öffentliche Finanzen, Steuerrecht sowie den Politikwissenschaften an der Gestaltung eines zukunftsfähigen, nachhaltigen Steuersystems. http://www.matax.eu

2/2014

Fotos: Bundesrat/Henning Schacht; Julia Ucsnay

Fünf Mal gute Noten

LEIBNIZ | LIFE

Verlosung 3 Exemplare des Buchs „Dr. Oetker und der Nationalsozialismus“ von Jürgen ­Finger, Sven Keller und Andreas Wirsching. (3 Buchvorstellung auf S. 43). Stichwort: „Oetker“

5 Exemplare des Buchs „Der aller­ erste Struwwelpeter 1844“. (3 Buchvorstellung auf S. 43). Stichwort „Struwwelpeter“

Fotos C.H. Beck; Verlag des GNM; GNM; Hwaja Götz/MfN; RGZM; SGN; ZFMK; Egbert Laska/DSM; DM; Flickr/Helen Simonsson

Teilnahme unter Nennung von Stichwort, Name und Postanschrift per E-Mail an: [email protected] Einsendeschluss: 31. August 2014

2/2014 



Die Gewinner erklären sich im Falle des Gewinns mit der Nennung ihres Namens und Herkunftsortes im nächsten Leibniz-Journal einverstanden. Die Gewinner der Verlosungen aus dem Heft 4/2013: Je ein Klima-Brettspiel „KEEP COOL“ des PotsdamInstituts für Klimafolgenforschung erhalten: Dirk Leyk aus Berlin, Gisy Sommerfeld aus Berlin, Lars Böhme aus Berlin, Sebastian Wohnhas aus Bielefeld, Isabelle Behm aus Schwedt/ Oder, Mervan Arbag aus Speyer, Susanne Maas aus Steinheim, Udo Schult aus Hamburg, Ursula Krys aus Hannover, Helga Wiederhold aus Hannover Je ein Exemplar des Buchs ­„Affengesellschaft“ von Julia Fischer geht an: Jochen Fleischhacker aus ­Berlin, Jörg Rampelt aus ­Berlin, Dorothea Walz aus Struppen

Liste

Die Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft bieten faszinierende Einblicke in die Erd- und Kulturgeschichte und deren Erforschung. Hier einige ihrer ganz besonderen Exponate.

Der Behaim-Globus, der etwa im Jahr 1492/94 entstanden ist, ist die älteste erhaltene Darstellung der Erde in Kugelform. Das Pionierwerk der Kartografie und Zeugnis des sich rasant wandelnden Weltbildes vom Mittelalter zur Neuzeit ist im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg zu besichtigen. Plagegeist XXL. Im Jahr 1932 schuf der Präparator Alfred Keller ein fünfzigfach vergrößertes Modell einer Stubenfliege. Ab dem 16. August 2014 wird sie Teil der neuen Sonderausstellung „Fliegen“ im Museum für Naturkunde in Berlin.

Die goldene Totenmaske eines Kindes wurde 1877 in der Küstenstadt Antarados (Ţarţūs) in Kilikien (Syrien) entdeckt. Schon ein Jahr später erweckte der Fund aus dem ersten bis Anfang des dritten Jahrhunderts n. Chr. das Interesse von Troja-Entdecker Heinrich Schliemann und ist heute im Bestand des Römisch-Germanischen Nationalmuseums in Mainz. Ein gut getarntes grünes Gummibärchen findet sich im Museumsbereich „Gesteine und Mineralien“ des Senckenberg Naturmuseums in Frankfurt/Main. Vor 35 Jahren schummelte es ein Präparator aus Spaß in den ausgestellten Malachit (Cu2[(OH)2|CO3]) aus dem Ural (Russland). Auf einer Expedition nach Ägypten und in die Kordofan-Region des heutigen Sudan sammelte Alexander Koenig im Jahr 1913 auch eine Giraffe, die noch heute in der Dauerausstellung zu sehen ist. Dem Festakt zur konstituierenden Sitzung des parlamentarischen Rats am 1. September 1948 im Lichthof des Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn wohnte sie wohl als einziges Tier bei – allerdings mit Stoff verhängt. Die älteste erhaltene Schiffstoilette der Welt stammt aus der Zeit um 1380 von der „Bremer Kogge“, die 1962 aus der Weser geborgen wurde. Die Benutzer konnten während ihres ­„Geschäfts“ das Deck problemlos überblicken, die Toilette entleerte direkt ins Meer. Im Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven ist sie heute zu besichtigen, aber nicht mehr zu benutzen. Eine der folgenreichsten Entdeckungen der Menschheitsgeschichte machten Otto Hahn, Lise Meitner und Fritz Straßmann im Jahr 1938 mit der Kernspaltung. Der Versuchsaufbau ist im Deutschen Museum in München auf dem OttoHahn-Tisch mit Originalteilen rekonstruiert. Ein eigenes Anschauungsbergwerk unterhält das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum. Darin sehen die Besucher nicht nur Historisches, sondern auch einen hochmodernen HightechStreb, der derzeit den Höhepunkt der Bergbautechnik darstellt. 47

NACHRICHTEN

Exklusiver Genuss. Jetzt Berliner Zeitung lesen* und den exklusiven De‘Longhi Kaffeevollautomat „Magnifica S“ GRATIS für Sie! stelle e b h c i Gle

n

Solange der Vorrat reicht.

(030) 6 17 6 7 2 3 2

DeLonghi ECAM 21.116.SB Magnifica S in Silber · Milchaufschäumer für Cappuccino oder Latte Macchiato · Manuelle Einstellung der Kaffeestärke und Kaffeemenge per Drehregler · Für Kaffeebohnen und Kaffeepulver geeignet · Fünf voreingestellte Kaffeestärken, sehr mild bis sehr kräftig · Heißwasserfunktion für Teezubereitung · Pumpendruck: 15 bar · Kegelmahlwerk individuell einstellbar · Vollautomatisches Spül- und Entkalkungsprogramm · Automatische Abschaltung

24 Monate zum Preis von halbjährlich € 178,80

*

48 

2/2014

LEIBNIZ | LEUTE L E I B N AI ZC H| RLI C EU HTEN

Leibniz Leute

Plasmamedizin ausgezeichnet

Fotos: Thomas Kunsch/INP; FSU Jena; HPI; IfW; DIfE; DIW/ Stephan Röhl

Prof. Dr. Klaus-Dieter Weltmann (Mi.), Direktor des Greifswalder Leibniz-Instituts für Plasmaforschung und Technologie, ist in Japan mit dem Plasma ­Medicine Award

2/2014 



Prof. Dr. Tilman Grune ist neuer wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke. Er tritt die Nachfolge von Prof. HansGeorg Joost an, der die wissenschaftliche Leitung des Instituts über zwölf Jahre innehatte. Die Position Grunes wird mit dem Lehrstuhl für Molekulare Toxikologie der Universität Potsdam verbunden sein. Vor seinem Amtsantritt leitete der Ernährungstoxikologe und Mediziner das Institut für Ernährungswissenschaften der FriedrichSchiller-Universität Jena. Dort erforschte Grune die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Alterungsprozessen, die auch am DIfE im Fokus seiner Forschung stehen werden.

geehrt worden. Es handelt sich um die höchste Auszeichnung auf dem Gebiet der plasmamedizinischen Forschung, die von der Internationalen Gesellschaft für Plasmamedizin ­verliehen wird.

Der international renommierte Strukturbiologe Prof. Dr. Kay Grünewald wechselt aus Oxford an das Hamburger Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie (HPI). Mit der Berufung und der damit verbundenen Einrichtung einer neuen Abteilung „Strukturbiologie der Viren“ stärkt das HPI seine wissenschaftliche Ausrichtung und die Infektionsforschung am Wissenschaftsstandort Hamburg. Seit fünf Jahren leitet Kay Grünewald das Oxford Particle Imaging Center am Wellcome Trust Centre for Human Genetics der Universität Oxford. 2013 wurde er dort zum Professor für Structural Cell Biology ernannt.

Prof. Dr. Stefan Kooths wird zum 1. November 2014 neuer Leiter des Prognose-Zentrums im Kieler Institut für Weltwirtschaft. Er folgt Prof. Dr. Joachim Scheide, der in den Ruhestand geht.

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft hat PD Dr. med. ­Natalia

Rudovich vom ­Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-­ Rehbrücke mit dem mit 15.000 Euro dotierten MenariniPreis ausgezeichnet. DIW-Vorstandsmitglied Prof. Dr. Gert G. Wagner ist der

neue Vorsitzende des am Bundesministe­ rium für Arbeit und Soziales angesiedelten Sozialbeirats, der die Bundesre­ gierung in Fragen der ­Rentenpolitik und der Altersvorsorge berät. 49

LEIBNIZ | LEUTE

Forschungsgemeinschaft eine Heisenberg-Professur für umweltinduzierte kardiovaskuläre Degeneration eingeworben.

Am 31. März 2014 ist PD Dr. Judith ­Haendeler, Arbeitsgruppenleiterin am Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung in Düsseldorf, vom Rektor der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf zur W2-Professorin ernannt worden. Haendeler hatte zuvor bei der Deutschen

ZEW-Präsident Prof. Dr. Clemens Fuest ist auf Vorschlag des Europäischen Rates in die neu gebildete „Hochrangige Arbeitsgruppe Eigenmittel“ berufen worden.

Prof. Dr. Ludwig Eichinger hat im Zuge der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen des von ihm geleiteten Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim aus den Händen von Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten. Dr. Susanne Fritz (Senckenberg) erhält von der Deutschen Forschungsgemeinschaft knapp 740.000 Euro, um am Frankfurter LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) eine Nachwuchsgruppe

Anzeige

zur Erforschung der Makroevolution von Vögeln aufzubauen. Ihr Team wird untersuchen, wie sich die klimatische Nische ausgesuchter Vogelgruppen im Laufe der Evolution verändert hat und wie sich Vögel grundsätzlich an Klimaveränderungen anpassen. Das Projekt wird im Rahmen des Emmy Noether-Programms gefördert.

Prof. Dr. Eckhard Klieme vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung hat von der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft den Forschungspreis 2014 erhalten.

Arbeiten bei Leibniz Die 89 Institute der Leibniz-Gemeinschaft beschäftigen 17.500 Mitarbeiter, darunter 3.500 Doktorandinnen und Doktoranden und zahlreiche Auszubildende.

Suchen Sie Ihre Zukunft unter

www.leibniz-gemeinschaft.de/stellenportal

50 

2/2014

Fotos: SDEI/Christian Kutzscher; IUF/ Uli Oberländer; LIKAT/nordlicht; privat; IDS; fotorismus/DIPF; ZEW

Prof. Johannes G. de Vries ist neuer ­Forschungsbereichsleiter „Katalyse mit erneuerbaren Rohstoffen“ am Leibniz-Institut für Katalyse (LIKAT) in Rostock. De Das Senckenberg Deutsche En- Vries gilt weltweit als Experte auf tomologische Institut (SDEI) im dem Gebiet der Katalyse. Bis zu brandenburgischen Müncheberg hat einen neuen Direktor: Der Biologe und Schmetterlingsforscher Prof. Dr. Thomas Schmitt hat Anfang April die Leitung des Instituts übernommen. Bis März 2014 arbeitete er erst als Junior-, dann als Universitätsprofessor am Lehrstuhl für Biogeographie der Universität Trier. Seit April 2014 hat Thomas Schmitt seinem Wechsel ans LIKAT hat er eine gemeinsam mit der Martin-­ im niederländischen Geleen für Luther-Universität Halle-Witten- einen Chemiekonzern mit rund berg berufene W3-Professur für 24.500 Mitarbeitern gearbeitet. Gleichzeitig kommt Johannes de Entomologie inne. Vries seit 1999 einem Lehrauftrag (einer Professur für Homogene Katalyse) an der Universität in Groningen nach.

LEIBNIZ | PERSPEKTIVE

DEUTSCHE UNIVERSITÄTS ZEITUNG

Bestellte Wahrheiten Wie Hochschulen sich der Wirtschaft unterwerfen

Wissenschaft weiterdenken duz MAGAZIN, KarriereLETTER und SPECIAL unverbindliche Leseprobe anfordern unter www.duz.de/abo/ oder 030 212987-49 2/2014 



51

REIH