Ernteglück und Hungersnot - Buch.de

08.12.2014 - Korrektorat: Susanne Säuberlich, Neubiberg. Gestaltung .... lung, keine Erwärmung, was regionale Änderungen jedoch nicht ausschließt. So wird es ... die Temperatur nur um 1 °C weiter steigen sollte, oder aber wenn sie gleich ..... lustig und Mädchen weich, die Alten weniger mürrisch, die Eltern verständ-.
462KB Größe 9 Downloads 64 Ansichten
Waltraud Düwel-Hösselbarth

ERNTEGLÜCK UND HUNGERSNOT Klimageschichte in Baden-Württemberg

3

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

Der Konrad Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG. 2., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werks wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Umschlaggestaltung: Stefan Schmid Design, Stuttgart, unter Verwendung einer Abb. von Markus Keller/imageBROKER/vario images (Hegau) Korrektorat: Susanne Säuberlich, Neubiberg Gestaltung und Satz: Manfred Suedes, Grafenau Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3025-3 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: E-Book (PDF): 978-3-8062-3099-4 E-Book (E-Pub): 978-3-8062-3100-7

Inhalt

Zum Geleit

7

von Prof. Dr. Dr. Adolf Martin Steiner Einführung

14

Wie Forscher und Schriftsteller über das Wetter reden Hohenheimer Geschichte

20

Ein Streifzug durch die Entwicklung der meteorologischen Forschung

26

Zum Verständnis von Wetter und Klima Definitionen und Zusammenhänge

Erd- und Klimageschichte Südwestdeutschlands

29

Vulkane – Eiszeiten – erste Kulturen Wie die Sonne das Klima beeinflusst

39

Von der hochmittelalterlichen Warmzeit zur Kleinen Eiszeit Wie das Klima die Geschichte verändert

44

Von Staufern, Fuggern und aufständischen Bauern Wein und Wasser

61

Zeugen des Wettergeschehens

INHALT

5

Berichte über die Witterung in Baden-Württemberg

67

13. Jahrhundert: Fruchtbare Zeiten 14. Jahrhundert: Es wird kälter

71

15. Jahrhundert: Enorme Temperaturgegensätze 16. Jahrhundert: Die wohlfeile Zeit endet 17. Jahrhundert: Kleine Eiszeit

76

84

106

18. Jahrhundert: Eisige Winter, trockene Sommer

128

19. Jahrhundert: Vulkanausbrüche, Missernten und Auswanderung Wetter und Klima in Baden-Württemberg seit 1878

168

Temperaturverlauf

Niederschlag und Sonnenstunden

171

Extreme Witterungsereignisse über Stuttgart

174

Regionaler und globaler Klimawandel Stadtklima: Lokaler Klimawandel und seine Folgen Wie der Mensch die Atmosphäre verändert Rohstoffe und Ressourcen Land- und Viehwirtschaft Resümee

186

Literaturauswahl Bildnachweis Dank

INHALT

191

191

Die Autorin

6

189

192

183 184

180

176

145

Zum Geleit von Prof. Dr. Dr. Adolf Martin Steiner

Der Begriff Klima steht für die Gesamtheit aller meteorologischen Bedingungen einer größeren Region über einen längeren Zeitraum hinweg, der Begriff Wetter steht für das Klima zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort, und unter Witterung versteht man das Wetter in einem bestimmten, kürzeren Zeitabschnitt in einem begrenzten Gebiet. So hängen die Lebensbedingungen des Menschen grundlegend vom Klima ab, doch jeden Augenblick vom Wetter. Ständig wechselt das Wetter, aber jedermann weiß, dass sich auch das Klima schon immer änderte. In historisch dokumentierter Zeit kennen wir das Optimum der Römerzeit mit Wein- und Obstbau, das frühmittelalterliche Pessimum mit der Völkerwanderung, die mittelalterliche Warmzeit mit Landwirtschaft in Grönland und der Blüte des Staufer-Reichs, die nachfolgende kleine Eiszeit mit großen Hungersnöten und schließlich die seit etwa 1900 einsetzende Wiedererwärmung. Diese Klimaphasen unterschieden sich durch mittlere Temperaturunterschiede von 1,5 – 2,5 °C. Die Erwärmung in den vergangenen 100 Jahren um knappe 0,8 °C ging mit einer durch die Industrialisierung bedingten Zunahme des CO2-Gehalts und klimarelevanter Gase in der Luft einher. Diesen Gasen misst man einen Treibhauseffekt zu. Deshalb ging man davon aus, dass hier ein Zusammenhang bestünde. So schloss man auf eine durch den Menschen verursachte Klimaerwärmung. Der im Rahmen der Vereinten Nationen 1988 gegründete Weltklimarat (IPCC) verstand es, diese Erwärmung als globales Phänomen bekannt zu machen und als große Gefahr für unsere Lebensbedingungen herauszustellen. Damit wurde der Klimawandel in erstaunlich kurzer Zeit ein weltweit zentraler Gegenstand der Politik, der Wirtschaft und des Lebens jedes Bürgers. Kein anderes der wahrlich großen und drängenden Probleme der Menschheit wie beispielsweise Bevölkerungsexplosion, Hunger und Wassermangel oder Krieg und Vertreibung erreichte einen derart spektakulären Bekanntheitsgrad wie der Klimawandel.

ZUM GELEIT

7

Die Aufgabe des Weltklimarats ist es, auf streng wissenschaftlicher Grundlage Risiken der globalen Erwärmung zu beurteilen sowie Vermeidungs- und Anpassungsstrategien zusammenzutragen, die Aufgabe der Politik ist es, notwendig erscheinende Maßnahmen sinnvoll umzusetzen, und die Aufgabe der Wirtschaft und des Bürgers ist es, die teuren Konsequenzen zu tragen. Hier ging nun aber in jüngster Vergangenheit Entscheidendes schief. Zum einen gibt es immer noch keine wissenschaftlich gesicherten Voraussagen über die künftige Klimaentwicklung. Die errechneten Modelle liefern unterschiedliche Szenarien, täglich kommen neue Forschungsergebnisse hinzu, und alte Daten werden obsolet. Zum anderen haben sich der Weltklimarat und bedeutende nationale Klimaforschungsinstitute selbst ins Abseits gestellt. Nachweislich falsche Prognosen, Unregelmäßigkeiten, Übertreibungen, Eitelkeiten und kollegiales Fehlverhalten führten zu einem tiefgreifenden Vertrauensverlust. Wissenschaftlichkeit wurde Einflussnahme und Eigennutz geopfert, politisches Handeln durch Opportunismus und Schaueffekte bestimmt. Die so eingetretene Glaubwürdigkeitskrise erfordert einen völligen Neuanfang, was einige Jahre in Anspruch nehmen wird. Fazit: Wir wissen nichts Gewisses über den Verlauf des Klimawandels, und die Klimaforscher und Politiker haben ihre Vertrauenswürdigkeit verspielt. Was nimmt der interessierte und betroffene Bürger in Deutschland wahr? Hier wird nicht von Klimawandel, sondern gleich von Klimakatastrophe gesprochen, Klimaangst wird geschürt. Doch der Begriff Klimakatastrophe tauchte schon einmal auf, Anfang der 1970er-Jahre, als man eine Abkühlung der Erde befürchtete. Jetzt, 45 Jahre später, ist die Klimakatastrophe die befürchtete Erwärmung. Neuerdings wird nun aber berichtet, dass wegen mangelnder Sonnenaktivität für die kommenden Jahre wieder mit einer Abkühlung zu rechnen sei; erneut eine Katastrophe? Und übrigens, seit zehn Jahren blieb die globale Mitteltemperatur praktisch konstant, keine Abkühlung, keine Erwärmung, was regionale Änderungen jedoch nicht ausschließt. So wird es beispielsweise derzeit in Europa und in der Arktis wärmer, in den westpazifischen Anrainerstaaten Nord- und Südamerikas und in Arabien kälter. Solche regionalen Unterschiede gab es schon immer. Die Forderung, dass bis Ende dieses Jahrhunderts eine Temperaturerhöhung von maximal 2 °C nicht überschritten werden dürfe, weil dann „ein Leben auf unserem Planeten, wie wir es bisher kennen, nicht mehr möglich wäre“ (der frühere Bundesumweltminister Dr. Norbert Röttgen, CDU),

8

ZUM GELEIT

ist unseriös, weil diesem Wert die wissenschaftliche Grundlage fehlt. Dieser schlicht geschätzte Wert wurde aber vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU) übernommen. Denn das „Zwei-Grad-Ziel“, auch ,,2-Grad-Max“ betitelt, erschien den Politikern so griffig, dass sie es zur Richtschnur erhoben. Doch was passiert, wenn die Temperatur nur um 1 °C weiter steigen sollte, oder aber wenn sie gleich um 3 °C oder 4 °C stiege? Weder die Welt noch die menschliche Gesellschaft würde dem Untergang entgegen gehen. Sicherlich würde sich gegenüber dem Zustand von heute vieles ändern, was aber über die Generationen hinweg und mit moderner Technik wohl zu meistern sein würde. Übrigens, für das Zukunftsszenario wird immer der bisherige Verlauf extrapoliert, derzeit also die Erwärmung. Wie aber hätte es ausgesehen, hätte man die mittelalterliche Klimaerwärmung damals einfach so extrapoliert? Tatsache ist, dass Klimaänderungen bisher immer in Sprüngen auftraten, ein Auf und Ab. So kam, wohlgemerkt, nach der mittelalterlichen Klimaerwärmung die kleine Eiszeit. Und abgesehen davon wird der Einfluss wichtiger Größen wie beispielsweise der Wolkenbildung und in diesem Zusammenhang auch des Flugverkehrs sowie von Staubpartikeln in der Atmosphäre noch nicht hinreichend verstanden, die Bedingungen, die die Höhe des Meeresspiegels und die Meeresströmungen verursachen, sind nur ansatzweise bekannt, und die Bedeutung der Vegetation für das Klima wird eben erst erforscht. Die Klimamodelle sind unvollständig. Auch der häufig zitierte Zusammenhang zwischen dem Temperaturanstieg und der Zunahme von Naturkatastrophen ist wissenschaftlich nicht nachweisbar, er stammt, wohl verständlich, aus Klimaszenarien der Versicherungswirtschaft. Ja, man weiß noch nicht einmal, welcher Anteil der bisher festgestellten Erwärmung natürlich ist, und welcher durch den Menschen bedingt ist. Das einzig sicher Nachgewiesene sind die Zunahme des CO2Gehalts und von klimarelevanten Gasen in der Atmosphäre und die Erwärmung im 20. Jahrhundert, die nun seit 2000 zum Stillstand kam. Ein Zusammenhang ist aber gleichwohl nicht zwingend. Denn mit Sicherheit war die mittelalterliche Warmzeit nicht durch Industrialisierung, Autoverkehr und Hausbrand verursacht, wie nachweislich die Warmzeiten zwischen den Eiszeiten nicht durch einen Anstieg des CO2-Gehalts und klimarelevanter Gase eingeleitet wurden. Große Wissenslücken sind noch zu füllen, viele Widersprüche zu lösen, überholte Daten und Fehlschlüsse auszusondern. Kurzum, es wurde in den letzten Jahren vieles als Gewissheit verkauft, was nicht gewiss

ZUM GELEIT

9

war. Die Alarmisten und die Skeptiker stehen sich gegenüber, und keine der beiden Seiten kann verlässlich sagen, was in 10, 20 oder gar 50 und 100 Jahren sein wird. Klimakatastrophe sagen die einen, Klimalüge die anderen, es herrscht Ratlosigkeit. Immerhin haben wir die Temperatur, die vor 1000 Jahren in Grönland Landwirtschaft erlaubte, noch nicht wieder erreicht. Die Vertrauenskrise an der Klimafront zeitigte schon Wirkung. Hatten 2006 in Deutschland mit 62 % nahezu zwei Drittel der Bevölkerung Angst vor einer Veränderung des Klimas, waren es 2010 nur noch 42 %. Die vom Klimarat und der Politik aufgebaute Drohkulisse verliert an Kraft. Denn der politisch forcierte Totalumbau der Wirtschaft unter dem Vorwand der Klimaerwärmung, raus aus dem Öl und der Kohle und rein in alternative Energien und Klimaschutzprojekte, kostet die Bürger Unsummen Geld. Ein Beispiel: 2009 kostete es über 700 Euro, um mit Solarenergie 1 Tonne CO2 einzusparen, die der Erde einen geschätzten Schaden von 4 Euro verursacht. Dabei wird die von der Bundesregierung bis zu diesem Zeitpunkt mit 53 Milliarden Euro subventionierte Solarenergie die angenommene Erwärmung bis zum Ende unseres Jahrhunderts global gesehen gerade einmal um 1 Stunde (!) aufschieben. Inzwischen wurde wegen der absurden Förderungspolitik der Subventionsbetrag bis 2013 schon auf 70 Milliarden Euro geschätzt, und das Programm läuft, immerhin leicht gekürzt, immer weiter. Dazu muss noch angemerkt werden, dass der Anteil der Solarenergie am Stromaufkommen Deutschlands gerade einmal 1,1 % beträgt! Und nicht zuletzt, dieses Geld fehlt dringlich zur Förderung der Weiterentwicklung wesentlich effektiverer Verfahren zur Gewinnung erneuerbarer Energie. Was soll das also? Das ist eine wohlmeinende, aber verfehlte Politik auf Kosten der Bürger und der Wirtschaft. Schlüsselnationen wie die Energieriesen USA, China und Indien mit Brasilien und Südafrika im Schlepptau (USA und BASIC-Staaten) kümmert das sowieso wenig. Ihr in Kopenhagen selbst verpflichteter Einsparwille ist ein politisches Lippenbekenntnis, denn ein verpflichtendes, globales Abkommen kam nicht zustande, und ein solches wird es in überschaubarer Zukunft auch nicht geben. Als Bürger sollte man aber doch annehmen dürfen, dass die Politiker bei Klimaschutzmaßnahmen auf Kosten des Steuerzahlers Augenmaß und Zurückhaltung üben, die Effizienz voranstellen und auch die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Staatengemeinschaft berücksichtigen. Denn ein nationaler Alleingang ist sinnlos und wirtschaftsschädlich, und die nach dem Fehlschlag in Kopenhagen neuerdings angedachten Teillö-

10

ZUM GELEIT

sungen sind es ebenso. Aber nein, politisch wird von Deutschland weiter eine Vorreiter- und Führungsrolle propagiert und von Entscheidungsträgern zur Profilierung genutzt. Man erinnert sich an Bundeskanzlerin Angela Merkel als Mahnerin im roten Anorak vor gleißendem Grönlandeis und als überspielte Wortführerin im Kreis der Mächtigen in Kopenhagen. Der brave Bürger aber zahlt. In diese wissenschaftlich und politisch verfahrene Situation hinein veröffentlicht Frau Düwel-Hösselbarth ihr Buch „Ernteglück und Hungersnot – Klimageschichte in Baden-Württemberg“. Doch sie bringt als langjährig erfahrene Meteorologin keine großen Theorien und Klimamodelle ein oder gibt gar spekulative Ausblicke auf die Zukunft. Nein, sie betrachtet ganz einfach die Klimaentwicklung seit der Eiszeit und berichtet ab dem 13. Jahrhundert aus historischen Quellen lückenlos über den Witterungsverlauf jedes einzelnen Jahres. Zunächst führt sie in Übersichten in die Erd- und Klimageschichte ein, wobei sie dem Einfluss der Sonne eine eigene Betrachtung widmet. Sie schildert den Zusammenhang zwischen dem Klima und dem Leben und der Kultur am Beispiel der hochmittelalterlichen Warmzeit. Dem Wein als wichtigem pflanzenbaulichen Erzeugnis und phänologischem Klimazeiger mit Blüh- und Erntetermin sowie dem Niederschlag oder Wasser als lebenswichtigem, aber zugleich auch zerstörerischem Naturelement widmet sie besondere Ausführungen. Und dann folgt die erwähnte genaue Schilderung der jährlichen Witterung und der Wein- und Getreideerträge ab dem 13. Jahrhundert. Greifen wir aus der von Frau Düwel-Hösselbarth dargestellten Datenfülle einige extreme Witterungsereignisse heraus, zum einen als Anreiz zur Lektüre, zum anderen, weil wir heute oft denken, das Normale sei schon das Außergewöhnliche. Betrachten wir einmal einige kalte Winter: 1011 fror der Bosporus zu und der Nil führte Eis, 1118 und 1234 war die Lagune von Venedig zugefroren, 1561 war es so bitterkalt, dass im Wald mit Donnerknall die Bäume platzten, eine Kälte, die bis 1900 noch fünfmal auftrat, 1573 fror der Bodensee am 2. Februar zu und blieb 60 Tage lang begehbar, 1658 waren alle Flüsse und die Ostsee zugefroren, in den Ställen erfror das Vieh, in den Kellern das Obst, Karl X. von Schweden überquerte mit 20 000 Soldaten auf dem Eis den kleinen Belt, in Stuttgart gab es im Juni noch Reif und die Weinlese fiel aus, 1709 froren der Bodensee und fast die ganze Adria zu und 1740 war das kälteste Frühjahr seit 500 Jahren. Übrigens, die letzten „großen Winter“ waren 1829/30 und 1962/63 mit Schneemassen,

ZUM GELEIT

11

totaler Bodenseegfrörne und wochenlang zugefrorenen Flüssen, selbst Vater Rhein trug eine Eisdecke. Betrachten wir demgegenüber einige trockene und warme Jahre: 1130 war so trocken, dass man zu Fuß durch den Rhein waten konnte, 1135 führte die Donau so wenig Wasser, dass die Bauleute bequem die Fundamente für die Brücke von Regensburg legen konnten, 1289 schlugen nach einem warmen Sommer bei milder Weihnachtswitterung die Bäume aus und die Kinder badeten in den Flüssen, 1304 war ein extrem heiß-trockenes Jahr mit der Weinlese im Juli und einer verheerenden Wassernot, 1540 kam dann der „Jahrtausendsommer“, denn Mitteleuropa war zehn bis zwölf Monate in den Tropengürtel einbezogen: Ab Februar herrschte sommerliche Hitze, bei extremem Wassermangel standen Mühlen und die Schifffahrt still, fußbreite Spalten durchzogen den Boden, Waldbrände wüteten, die Trauben vertrockneten und ergaben einen Jahrhundertwein, und erst im November kam ein Kälteeinbruch mit Regen, 1686 versiegten schon im Winter Quellen und die Trockenheit hielt bis zum Herbst hinein an, 1834 fiel der Winter aus und am 16. Januar blühten in Stuttgart die Obstbäume, 1865 führten extreme Trockenheit und Dürre bei geringem Ertrag zu einem Jahrhundertwein bei einem Wassermangel, der so groß war, dass man noch im Dezember auf der Schwäbischen Alb den Reif von den Bäumen sammelte. Der viel zitierte, trockene, und seit 1901 heißeste Sommer 2003 war somit wohl extrem, doch er hatte viele Vorläufer. Spannend und beängstigend zugleich sind solche Extreme. Und dann füge man noch die Überschwemmungen, die Hagelschläge, die Heuschrecken-, Raupen- und Mäuseplagen und das bisweilen ausgleichende, oft aber auch verstärkende Wechselspiel aller Bedingungen in der Abfolge der Monate und Jahre hinzu. Man denke auch an Vulkanausbrüche, wie die des Lakis 1783, des Tambora 1815, des Krakatau 1883 oder jüngst des Pinatubo 1991. Bei Vulkanausbrüchen werden Energiebeträge frei, die das menschliche Vorstellungsvermögen sprengen, und Massen an klimaschädlichen Gasen und Partikeln in die Atmosphäre geschleudert, die unfassbar sind. Da werden Abgasnormen und Dämmfaktoren Makulatur. Beispielsweise folgte dem Ausbruch des Tambora weltweit das „Jahr ohne Sommer“, das kälteste Jahr, seit es Wetteraufzeichnungen gibt. Solche Ausbrüche senkten die Jahresmitteltemperaturen auf der Nordhalbkugel oftmals für mehrere Jahre um 0,5 – 0,8 °C und verursachten Missernten. Man denke vor allem aber an die verheerenden Hungersnöte und unheilvollen Wassernöte, die einst mit den Klimaex-

12

ZUM GELEIT

tremen einhergingen, und die wir heute in internationaler Wirtschaftsverflechtung und mittels moderner Technik unschwer abzuwenden in der Lage sind; wir verbrennen wegen verheerender Unwetter keine Hexen mehr. Alles solches und eine Fülle von Primärdaten finden sich im Buch von Frau DüwelHösselbarth. Mit einer kleinen Nachlese rundet sie es ab. In dieser spricht sie angesichts der globalen Verstädterung noch das Stadtklima sowie den vielfältigen Einfluss des Menschen durch Flugverkehr, Touristik, Rohstoffgewinnung und Landwirtschaft auf das Wetter und Klima an. Zu welchem Schluss kommt nun Frau Düwel-Hösselbarth mit Blick auf die Klimadiskussion? An einer Stelle schreibt sie, dass sich die jüngst beobachtete Erwärmung wohl einst wieder zu kühleren Temperaturen hin einpendeln würde, so wie das bisher immer war. Zum Schluss aber zitiert sie einen Wissenschaftler, der angesichts der dramatischen Zunahme der Weltbevölkerung mit allen damit verbundenen Konsequenzen die Erde einem Kollaps entgegengehen sieht. Und welche Meinung hat der Geleitwortschreiber selbst? Die wissenschaftliche und politische Situation ist derzeit alles andere als hilfreich, und die Beschreibung des Klima- und Witterungsverlaufs seit Jahrtausenden zeigt ein ständiges Auf und Ab. Bleiben wir also, bis wir mehr wissen, einfach bescheiden beim alten Bund seit der Sintflut, jener großen Flutkatastrophe, der die Menschheit fast zum Opfer fiel: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ (1. Mose 8, 22). Und es gibt immer noch den Regenbogen als das Zeichen dafür.

ZUM GELEIT

13

Einführung Wie Forscher und Schriftsteller über das Wetter reden

Das behandelte Thema ist so komplex, dass es über die weiten Zeiträume nur Anstöße geben kann, wie sich Kultur und Leben unter dem Einfluss des Klimas veränderten. Seit eh und je befasst sich die Menschheit mit dem Witterungsgeschehen und versucht, Prognosen zu erstellen. Aristoteles (384 – 322) glaubte, dass die Gestirne Einfluss auf das Wetter haben. Über die Araber erreichte diese Annahme im Mittelalter das Abendland. Dem grenzenlosen Entdeckerdrang der Menschen im Mittelalter schlossen sich im auslaufenden 15. Jahrhundert Sternkundige an mit der Hauptaufgabe, langfristige Wettervorhersagen machen zu können, um die Geheimnisse der Welt aufzuhellen. Doch ihr Schicksal scheint vor allem darin zu bestehen, neue Verwirrungen zu schaffen. Der Astronom und Mathematiker Johannes Kepler (1571 – 1630) erstellte als Lehrer am Gymnasium in Graz seine ersten astrologischen Prognosen, die in einem Kalender veröffentlicht wurden und ihm den Ruf eines „Ersten Astrologen“ einbrachten, daneben verfasste er meteorologische Tagebücher. Abt Moritz (Mauritius) Knauer (1613 – 1664) führte sieben Jahre lang, von 1652 bis 1658, im Kloster Langheim bei Bamberg genaue Aufzeichnungen über das Wetter, die Pflanzenentwicklung (Phänologie) und über jahreszeitlich auftretende Krankheiten (Medizinmeteologie). Knauer war – dem Wissen der Zeit entsprechend – der Auffassung, dass sieben Planeten das Wetter beeinflussen. Um den Landwirten nach den verheerenden Folgen des Dreißigjährigen Krieges Ratschläge für günstige Bestellungs- und Erntearbeiten geben zu können, plante er eine langfristige Wettervorhersage. Er starb vor der Veröffentlichung. Die Unterlagen wurden später unter dem fragwürdigen Titel „Der hundertjährige Kalender“ von geschäftstüchtigen Zeitgenossen verbreitet. Der Anregung von Prof. Dr. A. M. Steiner, ob und wie bisherige Klimaänderungen den Menschen, die Umwelt und Kultur beeinflussten, folgte ich, um

14

EINFÜHRUNG

nach jahrelangen Recherchen diesen großen Überblick zu beschreiben, nicht ohne dem speziellen Themenfeld der Jetztzeit und seiner damit verbundenen Relevanz einen wichtigen Platz zu geben. Für die Beiträge zu dieser Arbeit danke ich Archiven und Bibliotheken sowie den Hinweisen meines verstorbenen Mannes, der mir als Architekt die Baukunst der Jahrhunderte nahebrachte.

Klima – Wetter – Katastrophen Wissenschaftler bedienen sich computersimulierten Flügen über virtuelle Erdteile und Meere, um mit der Perfektionierung festzustellen, wo und wie sich künftige Klimaänderungen auswirken. Aus der Chaostheorie lernt man, dass z. B. in China nur ein Schmetterling zu flattern braucht, damit sich auf der anderen Seite des Erdballs ein Unwetter zusammenbraut. Das Thema Wetter wird nie versiegen, beherrscht es doch den Tagesablauf, und falls man sich einmal nichts mehr zu sagen hat, wird der Wetterzustand gelobt oder verdammt oder mit „einst erlebten goldenen Jahreszeiten“ verglichen. Neben den Meteorologen, Menschen in der Wirtschaft und in der Versicherung befassten und befassen sich zahllose Dichter und Literaten aller Couleur mit diesem und nicht immer bildet es den Hintergrund eines Geschehens, sondern fordert es geradezu heraus, wie z. B. im Roman „Clochemerle“ von Gabriel Chevalier. Wie wunderbar schildert er den Auftakt zu der gelungenen Einweihungsfeier einer Bedürfnisanstalt, die sinnigerweise am „Tage des Weines“ in Clochemerle gebührend gefeiert werden soll.

Originalstimmen zum Wettergeschehen Zur festlichen Einweihung Es erschien eines Morgens, gute vierzehn Tage vor der von den Regisseuren der Jahreszeiten vorgesehenen Premiere, der Frühling. Es begann mit einem jähen Anstieg der Temperatur. Noch am Vorabend des 5. April 1923 verschwammen die Berge von Azergues, zu deren Füßen

EINFÜHRUNG

15

Clochemerle liegt, in Schauern, die aus schmutzfarbenen Wolken sprühten; da machte sich nachts ein leichter, würziger Nordwind an die große Himmelswäsche und zerstreute – niemand weiß wohin – die von Westen heraufziehenden dunklen Fetzen, die den Einwohnern so viel Kummer machten. In einer einzigen Nacht hatten die himmlischen Straßenfeger alles reingeputzt, strahlende Banner entfaltet und Feuerräder aufgehängt. Pausbäckig strahlte die Sonne nach Herzenslust in der blauseidenen Unendlichkeit. Sie legte den Schimmer rührender Zartheit auf junges Grün, machte Burschen lustig und Mädchen weich, die Alten weniger mürrisch, die Eltern verständnisvoller, die Unglücksprophetinnen weniger dumm, die ehrbaren Leute und die frommen Frauen nachsichtiger, die Barmherzigkeit wohlgesinnter Sparer verschwenderischer, kurz, sie weitete jedes Herz. Ein frischer Lenzwind hatte alles erneuert, die Herzen hatten neue Hoffnungen gestreift, die ihnen die Last des Lebens erleichterten. Von der höchsten Stelle des Fleckens aus entdeckte man rauhe, noch falbe Wälder, die kaum die weißen Winterverbände abgeworfen hatten, braunes, festes Land, hier und da von schüchternen Stengeln durchstoßen, mürbe Äcker mit einem Flaum keimender Saaten, die Sonne schlug den Menschen zudringlich auf die Schulter, wie ein alter Kamerad beim Wiedersehen … und dieses Wetter sollte anhalten. Ein Brief von Annette von Droste-Hülshoff an Anton Mathias Sprickmann in Breslau (Hülshoff, Ende Februar 1816) … Ich komme eben aus dem Garten, Gott! was für ein herrliches Wetter. Vor einigen Tagen noch im härtesten Winter, und jetzt von der wärmsten Mayluft umweht, die Luft ist fast schwül, und die ersten Frühlingsbothen, Lerchen, Buchfinken, Spreen ET CET., machen ein CONZERT, dass man fast sein eigenes Wort nicht hören kann, wenn die Wärme verhältnismäßig so zunehmen will. Wie seit einigen Tagen, so werden wir noch vor Ende Februar in den Hundstagen seyn. Ich hatte, da ich noch ein kleines Mädchen war, immer die Idee, unsere Erde könne sich wohl einmal in eine andere Lage drehen und wir dadurch unter einen wärmeren Himmelsstrich versetzt werden, diese Hoffnung erneuerte sich jedesmal, wenn das Wetter einige Tage besser war, wie es der Jahreszeit von Rechts wegen zukam, man sollte aber jetzt von neuen in diesen Wahn fallen, da schon seit mehreren Jahren das Wetter ganz auffallende Geniestreiche macht … Leben Sie wohl, bester Freund, Ihre Nette v. Droste

16

EINFÜHRUNG