Energie & Umwelt - Schweizerische Energie-Stiftung

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Energie & Umwelt Magazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES – 3/2010

Schaltplan Schweizer Stromwirtschaft > Das System Atom läuft wie geschmiert > Das Schweizer Stromparadies innerhalb Europas > Stromeffizienz: Alle wollen sie, aber niemand richtig

inhaltsverzeichnis

SCHWERPUNKTTHEMA: Schaltplan Schweizer Stromwirtschaft 4

Schweizer Atomfilz: Das System Atom läuft wie geschmiert Bundesrat, bürgerliche Parteien, die Grossen der Elektrizitätswirtschaft und viele Lobby-Organisationen bereiten das Terrain vor für den Bau von neuen Atomkraftwerken. Die Atomlobby hat viele Gesichter. Sie ist breit vernetzt und geht mit System vor. Erstmals in der energiepolitischen Geschichte der Schweiz wird das Volk über den Bau von neuen AKW entscheiden. Diese Abstimmung wirft ihre Schatten weit voraus.

>> Verfo m auf dem s! to A s m te s des Sys . Viel Spa Heftmitte

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Das Schweizer Stromparadies in Europa Eine Analyse der Schweizerischen Energie-Stiftung zum Kraftwerkpark der Schweizer Stromindustrie zeigt: Die Schweiz produziert mit ihren Kraftwerken im In- und Ausland bald dreimal mehr Strom als sie verbraucht.

10 Schweiz am Scheideweg: Erneuerbare oder neue AKW? Die Schweiz steht am Scheideweg: Setzt sie auch in Zukunft auf Atomkraftwerke oder stattdessen auf Effizienz und erneuerbare Energien? Eine Studie von Kantonen und Umweltverbänden zeigt: Die zweite Strategie lohnt sich nicht nur ökologisch, sondern vor allem auch volkswirtschaftlich.

12 Stromeffizienz: Alle wollen sie, aber niemand richtig Das Licht ausmachen alleine reicht nicht. Dringend notwendig sind umfassende Effizienz­massnahmen im Strombereich. Weil jedoch die besten Massnahmen politisch keine Mehrheit finden, sollen es weniger gute richten. Kein Wunder steigt der Stromverbrauch weiterhin an. Impressum ENERGIE & UMWELT Nr. 3, Oktober 2010 Herausgeberin: Schweizerische Energie-Stiftung SES, Sihlquai 67, 8005 Zürich, Telefon 044 275 21 21, Fax 044 275 21 20 info @ energiestiftung.ch, www.energiestiftung.ch Spenden-Konto: 80-3230-3 Redaktion & Layout: Rafael Brand, Scriptum, Telefon 041 870 79 79, info @ scriptum.ch Redaktionsrat: Jürg Buri, Rafael Brand, Remco Giovanoli, Dieter Kuhn, Rüdiger ­Paschotta, ­Bernhard Piller, Linda Rosenkranz, Sabine von Stockar Re-Design: fischerdesign, Würenlingen Korrektorat: Bärti Schuler, Altdorf Druck: ropress, Zürich, Auflage: 9000, erscheint 4 x jährlich Klimaneutral und mit erneuerbarer Energie gedruckt. Abdruck mit Einholung einer Genehmigung und unter Quellenangabe und Zusendung eines Beleg­ exemplares an die Redaktion erwünscht. Abonnement (4 Nummern): Fr.   30.– Inland-Abo Fr.   40.– Ausland-Abo Fr.   50.– Gönner-Abo SES-Mitgliedschaft (inkl. E & U-Abonnement) Fr. 400.– Kollektivmitglieder Fr. 100.– Paare / Familien Fr.   75.– Verdienende Fr.   30.– Nichtverdienende

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14 Eigeninitiative lohnt sich: Bürgerkraftwerke in Deutschland Mit Beteiligung der Bevölkerung vor Ort erneuerbare Energien fördern – das ist die Idee von Bürgerkraftwerken. In Deutschland wurde aus dem Protest von wenigen eine zivil­gesellschaftliche Bewegung, die heute wesentlich zum Ausbau der Erneuerbaren beiträgt. Eine kurze Zeitreise zeigt: Das Heft selbst in die Hand nehmen lohnt sich und schafft ­regionale Wertschöpfung.

16 energieregionGOMS: Mehr Wertschöpfung und Arbeitsplätze dank einheimischer Erneuerbaren Das Goms will sich zur ersten Energieregion der Schweizer Alpen entwickeln. Das Potenzial an erneuerbaren Energien in der Region ist enorm: Die energieregionGOMS könnte bis 2035 weitgehend «energieautark» werden und den Energiebedarf mit Erneuerbaren decken. Ziel ist es, die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze in der Region zu behalten.

18 Wie schaffen die Städte den Weg hin zur 2000-Watt-Gesellschaft? Im Juni fand in Zürich der Kongress «Stadt Energie Verkehr» statt. Dabei wurden Fragen rund um die energie- und verkehrspolitischen Knackpunkte einer 2000-Watt-kompatiblen Stadtentwicklung diskutiert. Als Fazit lässt sich sagen: Nur mit Suffizienz und mit forcierten Anstrengungen bezüglich Energie- und Ressourceneffizienz lassen sich die Ziele einer 2000-Watt-Gesellschaft erreichen.

20 l News

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Aktuelles

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Kurzschlüsse

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22 Atommüll XY ungelöst: So nicht! Die Standortsuche ist verfrüht. Seit dem 1. September 2010 läuft die dreimonatige Anhörungsphase des Bundesamtes für Energie BFE zur Etappe 1 der Standortsuche für den Atommüll. Die Bevölkerung soll dabei innert kürzester Zeit über 1000 Seiten hochkomplexe Texte verstehen und ­beurteilen, welche das unausgereifte Nagra-Konzept behandeln. Die SES meint dazu: «So nicht!»

editorial

Von der Strommarktliberalisierung zu mehr Marktmonopol?

Von Rudolf Strahm ehemals Preisüberwacher, alt Natio­n alrat

So haben sich weder ­Be­für­worter noch Skeptiker die Strommarktliberalisierung vorgestellt: Nicht tie­fere Markt­­preise waren die Folge, sondern eine massive Strompreiserhöhung zu Lasten der Volkswirtschaft, ­explodierende Konzerngewinne und eine noch stärkere Verbandelung und Dominanz der grossen Elektrizit­ätskonzerne. Innert drei Jahren sind die Elektrizitätstarife schweizweit um 15 bis 25 Prozent angehoben worden, obschon die effektiven Produktionskosten in der Schweiz kaum zugenommen haben. Und obschon die Kapitalzinsen, die in der Stromwirtschaft stark ins Gewicht fallen, sogar gesunken sind. Diese Stromtariferhöhungen waren nicht kostenbedingt, sondern schlicht und einfach das Resultat realisierter Monopolrenten sowie von Preistreiberei im Auslandgeschäft. In fast allen Elektrizitätsunternehmen sind in dieser Zeit die Managergehälter und Boni massiv erhöht worden. Der Direktionspräsident der BKW Energie AG zum Beispiel lässt sich heute 700’000 bis 800’000 Franken pro Jahr auszahlen, der nebenamtliche Verwaltungsratspräsident 350’000 bis 400’000 Franken. Andere Strommanager liegen bei ähnlichen Dimensionen. Auch dies ein Symptom für die Dominanz der Konzerne.

Sind denn diese Manager plötzlich so tüchtig? ­Solche Entschädigungen haben nichts mit unternehmerischer Tüchtigkeit zu tun, sondern bloss mit dem Ausnützen der Monopolsituation einer Branche. Deren Technologie ist längst ausgereift, Innovationen sind selten, nur die Marktmacht zählt. Die Durchsetzung der Strompreise erfolgt (mit Ausnahme bei den Grossbezügern) nicht nach der Marktsituation, sondern mittels ­Rechtsanwälten mit immer neuen Rekursen gegen die Regulatorbehörde Elcom. Diese neue Behörde ist mit einer Flut an Klagen beim Bundesverwaltungsgericht halbwegs lahm gelegt. Die Strommarktliberalisierung hat einen zentralen Faktor ignoriert: Nämlich die Tatsache, dass 55 bis 60% des Strompreises an der Steckdose aus den Netzkosten der sieben vorlaufenden Netzebenen besteht. Stromnetze sind und bleiben ein technisches Monopol. Keine Liberalisierung kann diese natürlichen Monopole beseitigen. Deshalb ist eine noch strengere Preisregulierung durch eine stärkere Regulatorbe­hörde nötig. Die Monopolrenten müssten – das war im ersten Elektrizitäts­ marktgesetz EMG noch vorgesehen – gesetzlich verboten oder abgeschöpft werden. Die externen Kosten müssten gesetzlich internalisiert werden. Die Corporate Governance, also die strategische Führung durch die Besitzer, das sind grossmehrheitlich die Kantone, müsste klarer ­geregelt werden. An der Kontrolle und Regulierung des Strommarktes müssten eigentlich alle, kleine und grosse Verbraucher, Haushalte und ­Industrie, ein Interesse haben. 
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Der Schweizer Atomfilz: Eine Bestandesaufnahme

Das System Atom läuft wie geschmiert Bundesrat, bürgerliche Parteien, die Grossen der Elektrizitätswirtschaft und viele LobbyOrganisationen bereiten das Terrain vor für den Bau von neuen Atomkraftwerken. Die Atomlobby hat viele Gesichter. Sie ist breit vernetzt und geht mit System vor. Erstmals in der energiepolitischen Geschichte der Schweiz wird das Volk über den Bau von neuen AKW entscheiden. Diese Abstimmung wirft ihre Schatten weit voraus. Von Armin Braunwalder

Am 23. September 1990 sagte das Schweizer Volk deutlich Ja zum zehnjährigen Planungs- und Baustopp für neue Atomkraftwerke (Moratorium). Verbunden war damit der Auftrag, Strom effizienter zu nutzen und die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien kräftig zu fördern. Stromeffizienz ist für die damalige, auf AKW fixierte Elektrizitätswirtschaft, aber kein Thema und zu alternativer Stromproduktion sagte etwa Kurt Küffer unverblümt: «Wir fördern den Solarstrom, um zu zeigen, dass es nicht funktioniert.» Küffer amtete anfangs der Neunzigerjahre als Präsident des Verbandes der Schweize­rischen Elektrizitätsunternehmen (VSE). Er ist Teil eines Systems, das seit langem alle politischen Versuche abblockt, den geordneten Rückzug aus der Atom­ sackgasse einzuleiten. Der Tenor ist immer der Gleiche: Ohne Atomkraftwerke gehen uns die Lichter aus. Das System hat sich über die Jahre perfektioniert: Eine gut geölte und üppig dotierte Lobbying-Maschinerie der Grossen der Schweizerischen Stromwirtschaft pflegt und bearbeitet bürgerliche Entscheidungsträge­­rInnen auf allen politischen Ebenen. Es bindet ausge­­­wählte PolitikerInnen in Verwaltungsräte der Atomwirtschaft ein, lässt sie in AKW-freundlichen ­Organisationen Führungsrollen einnehmen und macht sie so zu verlässlichen Sprachrohren in eigener Sache.

Den Quantensprung verhindert Mehrere Volksinitiativen haben versucht, den geordneten Rückzug aus der Atomenergie einzuleiten. Das scheiterte 1984 und 1990 knapp, 2003 deutlich. Das lag auch an der massiven und millionenschweren Gegenpropaganda. Diese gab es im Herbst 2000 auch gegen die Förderabgabe auf nichterneuerbare Energien (inklusive Atomstrom), die Solarinitiative (Solarrappen) und eine Energielenkungsabgabe (Grundnorm) als Gegenvorschlag zur Energie-/Umweltinitiative. Damit wäre ein Quantensprung bei der Verbesserung der Energieeffizienz, dem verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien und der Schaffung von Arbeitsplätzen in diesen Bereichen möglich geworden. Der Wirtschaftsdachverband économiesuisse im Verbund mit der SVP schossen die Vorlagen in einer millionenschweren Gegenkampagne mit der Botschaft «Keine neuen Steuern!» ab.

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Und das System vernetzt Politik, AKW-Lobbyorganisationen, Wissenschaft und Wirtschaft perfekt. Ein paar Beispiele gefällig? Ständerat Philipp Stähelin (CVP) ist Verwaltungsrat der Axpo AG, welche die AKW Beznau 1+2 betreibt, und sitzt im Verwaltungsrat der AKW Gösgen AG zusammen mit seinem CVP-Parteikollegen Nationalrat Pirmin Bischof. Ständerat Rolf Büttiker (FDP) amtet zusammen mit Na­ tionalrat Markus Zemp (CVP) als Verwaltungsrat der AKW Leibstadt AG. Ständerat Pankraz Freitag (FDP) ist Verwaltungsratsvizepräsident der Axpo Holding AG – und gleichzeitig Präsident der Nagra (Nationale Genossenschaft für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle), die im Auftrag der AKW-Betreiber seit Jahrzehnten ein «Endlager» für den Atommüll realisieren soll. Auch Kantonsregierungen sind – quasi von Amtes wegen – in dieses System eingebunden. So ist der Solothurner Regierungsrat Christian Wanner Verwaltungsratsvizepräsi­dent der Alpiq Holding AG sowie der Atel Holding AG, die wesentliche Anteile an den AKW Leibstadt und Gösgen halten. Mit ihm sitzt auch der Freiburger ­Regierungsrat Claude Lässer (FDP) als Verwaltungsrat in diesen Stromunternehmen. Der Zürcher SVP-Re­gierungsrat Markus Kägi ist im leitenden Ausschuss des Verwaltungsrates des Elektrizitätswerks des Kantons Zürich (EKZ) sowie im Verwaltungsrat der Axpo Holding AG. Im Mai 2010 nahm auch der neu gewählte Zürcher SVP-Regierungsrat Ernst Stocker als Nachfolger von Rita Furrer (SVP) im Verwaltungsrat der Axpo Holding AG Einsitz. In diesem Gremium sitzen zudem der Aargauer Regierungsrat Peter C. Beyeler (FDP) und der Schaffhauser Regierungsrat Reto ­Dubach (FDP). Die Liste liesse sich noch weiter verlängern mit Regierungsmitgliedern in den Verwaltungsräten der Bernischen Kraftwerke, die das AKW Mühleberg betreiben (BKW) oder den Centralschweizerischen Kraftwerken (CKW) mit ihren erheblichen Anteilen an den AKW Gösgen und Leibstadt.

Der Atomfilz spielt Neben diesen direkten Einsitzen in Verwaltungsräten­ von Stromunternehmen, die weitgehend der öffent­li­ chen Hand gehören und den Bau von neuen Atomkraftwerken kraftvoll vorantreiben, besetzen bürgerliche

Heinz Karrer

Hans Schweickhardt

CEO Axpo Holding AG, Verwaltungsratspräsident EGL und CKW, Vorstand économiesuisse

Alpiq-Verwaltungsratspräsident, CEO EOS, Vorstand économiesuisse

Manfred Thumann

CEO Axpo AG, Vorstand VSE, Nuklearforum, eidg. Forschungskommission

Kurt Rohrbach

CEO BKW, Präsident VSE, Vizepräsident Energieforum, Vorstand économiesuisse Philipp Stähelin (CVP)

Verwaltungsratspräsident Axpo AG, Verwaltungsrat AKW Gösgen, AVES Schweiz

Johann Schneider-Ammann (FDP) Pankraz Freitag (FDP)

AVES Schweiz, Vorstand économiesuisse Verwaltungsratsvizepräsident Axpo Holding AG, Präsident Nagra, AVES Schweiz, Vorstand économiesuisse

BundesparlamentarierInnen wichtige Funktionen in Organisationen, die für die Nutzung der Atomenergie lobbyieren. Ein Schwergewicht in dieser Beziehung ist Ständerat Rolf Schweiger (FDP). Er ist Präsident der «Aktion für eine vernünftige Energiepolitik Schweiz» (AVES) mit achtzehn Ablegern in der ganzen Schweiz. Es versteht sich von selbst, dass aus Sicht der AVES jede Energiepolitik ohne Atomkraftwerke unvernünftig ist. Gesellschaft leisten Rolf Schweiger im AVES-Vorstand Nationalrätin Elvira Bader (CVP), National­rat Hans Killer (SVP), Ständerat Filippo Lombardi (CVP) und Nationalrat Werner Messmer (FDP). Insgesamt figurieren 96 BundesparlamentarierInnen auf der AVES-Mitgliederliste. Nicht nur diese Verbindungen zeigen, wie engmaschig das System Atom geflochten ist. Auch das Forum Vera (Verantwortung für die Entsorgung radioaktiver Abfälle) wird von einer Bundesparlamentarierin präsidiert: Kathy Riklin, Nationalrätin (CVP). Im VeraVorstand sitzen ihr zur Seite: Ständerätin Christine Egerszegi-Obrist (FDP) sowie die Ständeräte Hans Rutschmann (SVP) und Rolf Schweiger (FDP). Die weitverbreitete Haltung, wonach die wirksamste Entsorgungsstrategie die Vermeidung von Atommüll ist, was den folgerichtigen Rückzug aus der Atomenergie bedeutet, verurteilt das Forum Vera immer wieder als verantwortungslos.

Apropos Rolf Schweiger: Der Zuger Ständerat sitzt zusammen mit folgenden Schlüsselpersonen aus der Stromwirtschaft im Vorstand des Wirtschaftsdachverbandes économiesuisse, der sich – wen wunderts – vehement für den Bau von neuen Atomkraftwerken ausspricht: Hans Schweickhardt, CEO und damit oberste Führungskraft der Energie Ouest Suisse AG (EOS) sowie Verwaltungsratspräsident der Alpiq AG; Heinz Karrer, CEO der Axpo Holding AG und Präsident von Swisselectric, einem Zusammenschluss der Grossen in der Strombranche, die den Bau neuer AKW mit aller Macht vorantreibt, und Kurt Rohrbach, CEO der Bernischen Kraftwerke AG (AKW Mühle­­

Der Traum vom eigenen Schweizer Atomreaktor Am Anfang des Systems Atom steht nach dem Abwurf der Hiroshima-Bombe der Wunsch der Schweizer Militärs nach einer eigenen Atombombe. Im Geheimen wird an der Idee gearbeitet. Nach Pannen und Pleiten muss dieses Kapitel Ende der Achtzigerjahre nach parlamentarischen Interventionen notgedrungen geschlossen werden. Die AKW Beznau 1+2, Mühleberg, Gösgen und Leibstadt sind zu dieser Zeit alle in Betrieb – dank Know-how aus den USA und ohne Volksabstim­ mungen. Der Traum vom Atomreaktor «made in switzerland» platzt nach dem Flop mit den Versuchsreaktoren Diorit und Proteus, die waffenfähiges Material produzieren sollten. 1969 bleibt die Schweiz haarscharf vom grösstanzunehmenden Unfall (GAU) im Versuchsreaktor Lucens verschont. Quelle: Strahlende Schweiz, Handbuch zur Atomwirtschaft, Susan Boos, 1999

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berg). Im économiesuisse-Vorstand treffen wir auch wieder den Glarner Ständerat Pankraz Freitag zusammen mit Ständerat Bruno Frick (CVP), Nationalrat Werner Messmer (FDP) und Bundesratskandidat ­Johann Schneider-Ammann (FDP)1 sowie Hajo Leuten­ egger, alt Nationalrat (FDP). Er wiederum sitzt mit BKW-Chef Kurt Rohrbach im Vorstand des atomfreundlichen Energieforums Schweiz. Es hält eine unbekannt grosse Zahl von nationalen und kantonalen bürgerlichen PolitikerInnen auf Atomkurs.

Bundespräsidentin im Nuklearforum Apropos économiesuisse: Während Jahren war Urs Rellstab als stellvertretender Direktor führender Kampagnenmanager für den Verband. Er eilte von Erfolg zu Erfolg. Gebodigt hat er auch Energievorlagen, welche die Energieeffizienz und die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien entscheidend vorangebracht hätten. Rellstab hat mittlerweile einen neuen Job: Er ist CEO des PR-Unternehmens Burson-Marsteller Schweiz und sitzt neuerdings auch im Regionalrat der SRG, wo vor ihm Axpo-Chef Heinz Karrer sass. Die weltweit agierende Agentur hat in der Ära des US-Präsidenten George W. Bush im Auftrag von grossen US-Erdölfirmen perfid gegen wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zum Klimawandel lobbyiert. Burson-Marsteller Schweiz führt in der Person von

Rolf Büttiker (FDP)

Verwaltungsrat AKW Leibstadt AG, Energieforum Nordwestschweiz, AVES Schweiz

Rolf Schweiger (FDP)

Präsident AVES Schweiz, Vorstand économiesuisse, Vorstand Forum Vera

Roland Bilang auch die Geschäftsstelle des Nuklearforums Schweiz. Diese Organisation vereinigt vor allem Atomfachleute der Schweizerischen AKW, des Paul-Scherrer-Instituts (ehemals eidgenössisches Ins­ titut für Reaktorforschung), der ETH oder des EPFL Lausanne. In der Mitgliederliste taucht auch Bundespräsidentin Doris Leuthard auf. Bis vor ihrer Wahl in den Bundesrat sass sie im Verwaltungsrat der Elekt­ rizitätsgesellschaft Laufenburg, die einen namhaften Anteil am AKW Leibstadt hält und unter dem Dach der Axpo Holding AG im grossen Stil im internatio­ nalen Stromhandel tätig ist.

Atompropaganda und Imagepflege Unter Kontrolle hat das System Atom auch den Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE), dem 400 Unternehmen der Stromwirtschaft angehören. VSE-Präsident ist BKW-Chef Kurt Rohrbach. Im Vorstand sitzen ebenfalls Manfred Thumann, CEO der Axpo AG, und Andrew Walo, CEO der Centralschweizerischen Kraftwerke AG. Bis vor kurzem war in diesem Vorstand auch Alpiq-CEO ­Giovanni Leonardi vertreten. Der VSE führt die Kampagne «Stromzukunft». Die Botschaft lautet, wen erstaunts: Ohne AKW geht es nicht. Auf «Dialogplattformen» wie Immergenugstrom (Alpiq) und Energiedialog (Axpo) steht das Ergebnis eines Scheindialogs von vornherein fest.

Corina Eichenberger-Walther (FDP)

Präsidentin Nuklearforum

Pirmin Bischof (CVP)

Verwaltungsrat AKW Gösgen AG, AVES Schweiz Christian Wanner (FDP)

Hajo Leutenegger (FDP)

Verwaltungsratsvizepräsident Alpiq Holding AG und Atel Holding AG Urs Rellstab

Vorstand Energieforum Schweiz, Vorstand économiesuisse, eidg. Forschungskommission CEO Burson-Marsteller Schweiz, Regionalrat SRG

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Huggel, Frei, Shaqiri, Inkoom & Co: Tore schiessen mit Axpo auf der Brust

Wer die Websites besucht, kann nur zu einem Schluss kommen: Ohne AKW geht es nicht. Das ist auch die klare Botschaft, welche die Zeitschrift «Strom» immer wieder geschickt platziert. Sie hat eine Auflage von 780‘000 Stück, wird von INFEL produziert, durch «Strom»-Partner finanziert und von rund 140 Schweizer Stromunternehmen verbreitet. Die PR-Maschinerie läuft wie geschmiert. Die Grossen der Strombranche fahren seit längerem breitangelegte Inseratekampagnen und betonen darin den grossen Beitrag zum Klimaschutz (dank Wasserkraft und Atomenergie) und ihre Investitionen in die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien. Und sie bemühen sich, auch die jahrzehntelange Tatenlosigkeit auf dem Feld der Stromeffizienz mit Projekten und Programmen vergessen zu machen. All das, so scheint es, dient vor allem der Imagepflege. Denn mit «Klimaschutz» kann man bei der Bevölkerung punkten und Strom aus erneuerbaren Energien ist sehr beliebt. Im Hinblick auf die Volksabstimmung über den Bau von neuen AKW will sich die Branche offensichtlich vom

Vorwurf befreien, sie tue zu wenig für die sparsamere Nutzung von Strom und für mehr Strom aus erneuerbaren Energien. Selbst der Schweizer Fussball dient dem System Atom als PR-Spielfeld. Die Nationalliga A ist zur Axpo Super League mutiert. Neben europäischen Ligen wie Bundesliga, Serie A, Ligue 1, Primera Division oder Premiere League ist das ziemlich einzigartig. Für atomkritisch eingestellte Fussballfans nimmt das zuweilen schmerzhafte Formen an. Axpo hier, Axpo dort, Axpo überall. Ob Alex Frei, Hakan Yakin oder Newcomer Xherdan Shaqiri – alle tragen ein unübersehbares Axpo-Logo auf der Brust. Und damit uns auch Olympiasieger wie Dario Cologna, Didier Defago oder Carlo Janka auf ihren Rennanzügen daran erinnern, wer uns mit klimafreundlichem Strom aus Wasser- und Atomkraftwerken versorgt, hat Alpiq vor gut einem Jahr eine erfolgreiche Partnerschaft mit Swiss-Ski aufgenommen. < 1 Der Ausgang der Bundesratswahlen war bei Redaktionsschluss am 16. September noch nicht klar.

Und es funktioniert doch Wenn es in der Schweiz um die Atomfrage geht, darf nicht sein, was andernorts möglich ist. Der Ausspruch von alt VSE-Direktor Kurt Küffer («Photovoltaik fördern, um zu zeigen, dass es nicht funktioniert.») ist dafür symp­tomatisch. Und es funktioniert eben doch. Aber in der Schweiz sorgt das System Atom seit 20 Jahren dafür, dass mit Haken und Ösen gebremst wird, wenn es darum geht, die Alternativen zu Atomkraftwerken entscheidend vorwärts zu bringen. Die Schweiz ist auf der Kriechspur. n 1990 wird in der Schweiz pro Kopf der Bevölkerung mit über 0,1 Kilo-

wattstunden (kWh) pro Jahr weltweit am meisten Solarstrom erzeugt. Eine Million kWh sind es insgesamt. So viel Solarstrom produziert auch unser grosser Nachbar Deutschland – pro Kopf bringt er es aber gerade mal auf gut 0,01 kWh. Die Schweiz ist um den Faktor 10 besser. n Im Jahr 2000 liegt die Schweiz im Vergleich zu Deutschland bei der Solarstromproduktion noch leicht vorn. In Deutschland tritt das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) in Kraft. Strom aus neuen erneuerbaren Energien wie Solarstrom, Windstrom oder Strom aus Biomasseanlagen kann zu kostendeckenden Tarifen ins Stromnetz eingespeist werden. Die Kosten dafür werden auf die Stromgebühren übertragen – ohne Begrenzung oder «Deckel» nach oben.

n 2003 produziert Deutschland rund 313 Millionen kWh Solarstrom. Das

sind fast 4 kWh pro Kopf und Jahr – rund doppelt so viel wie in der Schweiz. Von 1990 bis 2003 erhöht Deutschland auch die Windstromproduktion von 71 Millionen kWh auf 6085 Millionen kWh. Das kommt nicht von ungefähr: Die deutsche Bundesregierung hat neben dem EEG mit der Atomwirtschaft den Atomausstieg vereinbart. n 2009 erreicht die Solarstromproduktion in Deutschland 6200 Millionen kWh (mehr als die doppelte Jahresproduktion des AKW Mühleberg). Das sind rund 77 kWh pro Kopf. Die Schweiz bringt es auf knapp 7 kWh. Mit einer eingebauten Bremse (Beschränkung der finanziellen Mittel) bei der kostendeckenden Einspeisevergütung KEV hat die bürgerliche Mehrheit im Bundesparlament dafür gesorgt, dass sich insbesondere die Solarstromproduktion in der Schweiz auch künftig nicht zu kräftig entwickelt. n 2009 produzierte Deutschland aus Wind, Sonne, Biomasse und Geothermie 74,5 Milliarden kWh Strom – fünfzehnmal mehr als 1990. Das ist etwa dreimal so viel Strom wie die fünf Schweizer AKW zusammen produzieren. Wo ein Wille ist, ist eben auch ein Weg – und der hat Deutschland erst noch 300’000 Arbeitsplätze gebracht. Diese Dynamik wird nun von der Regierung Merkel mit der Laufzeitverlängerung für AKW abgewürgt. Das System Atom wirkt auch in Deutschland.

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Kraftwerkpark-Analyse

Das Schweizer Stromparadies in Europa Eine Analyse der Schweizerischen Energie-Stiftung zum Kraftwerkpark der Schweizer Stromindustrie zeigt: Die Schweiz produziert mit ihren Kraftwerken im In- und Ausland bald dreimal mehr Strom als sie verbraucht. Wintermonaten beträgt der Leistungsüberschuss noch stolze fünf AKW Gösgen.

Von JÜRG BURI SES-Geschäftsleiter

Bald mehr Kraftwerke im Ausland Das Studium der Stromstatistik 20091 bringt folgende Zahlen und Fakten über den heimischen Kraftwerkpark an den Tag: Die Schweiz produzierte im letzten Kalenderjahr mehr Strom als sie selber brauchte.­­ 66,5 Terawattstunden (TWh) haben die Schwei­zer Kraftwerke an Strom abgegeben, konsumiert ­wurden im Inland 57,5 TWh (Endverbrauch). Betrachtet man die Leistung unseres Kraftwerkparks, so sind die Reserven noch eindrücklicher: Die potenzielle Maximalleistung des schweizerischen Kraft­werk­ parks lag am 15. Juli 2009 bei 16’939 MW. ­Davon wurden am gleichen Tag nur 10’557 MW wirklich beansprucht: 8414 MW für die Schweizer StromkonsumentInnen, 2332 MW für den Export und 1205 MW für die Speicherpumpen. Die Leistungsreserve der Schweiz betrug also im Juni 2009 ganze acht AKW Gösgen (Differenz verfügbare Leistung zum Landesverbrauch). Auch in den wasserarmen und kalten 1 Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2009, BFE, Bern

Die SES hat die Kraftwerkbeteiligungen der mehrheit­ lich staatlichen Stromwirtschaft untersucht. Folgen­des Bild hat sich ergeben: Sieben Schweizer Stromkonzerne sind an insgesamt 70 ausländischen Kraftwerken beteiligt. Die heutige Produktion im Ausland beträgt 48,4 TWh, im Bau sind 7,7 TWh und geplant sind weitere 41,4 TWh. Diese Ausland-Kraftwerke produ­ zieren zu 98,7% Strom aus Gas, Kohle und Uran. Werden alle Kraftwerkpläne im Ausland umgesetzt, so übersteigt die Produktion im Ausland (97,4 TWh) die Produktion im Inland (66,5 TWh) deutlich. Anders gesagt: Die Schweizer Stromwirtschaft produziert knapp dreimal mehr Strom als die Schweiz braucht.

Blühender Stromhandel Die grossen Leistungsreserven im schweizerischen Kraftwerkpark, die heimischen Pump- und Speicherkraftwerke, der grosse Kraftwerkpark im Ausland sowie das gut ausgebaute Hochspannungsnetz sind ideale Voraussetzung für das internationale Stromhandelsbusiness. Kein Wunder liegen die Import-/

CH Kraftwerke im In- und Ausland CH-Kraftwerke Ausland

CH-Kraftwerke Inland

CH-Endverbrauch

20

0

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Wasser in B Atom in B Fossil in B Neue E in B

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40 Fossil im Bau Neue E im Bau Fossil in Planung Neue E in Planung

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60 TWh n n n n

Wasser Atom Fossil (CH: 2008) Neue Erneuerbare (CH: 2008)

80 n n n n n

100 Haushalt Industrie Dienstleistungen Transport Landwirtschaft

Export-Mengen (52/54 TWh) bereits in der Grössenordnung des schweizerischen Stromverbrauchs. Die Schweiz ist heute eine der grössten Stromdrehscheiben Europas. Da fast die Hälfte des Wasserstroms ins Ausland verkauft und Kohle- und Atomstrom importiert wird, liefern Schweizer Steckdosen heute 60% Atom- und Kohlestrom in die CH-Haushaltungen. Aber das Geschäft mit dreckigem Strom ist äusserst lukrativ. Ganze 2,5 Mil­ liarden Franken soll die Stromdrehscheibe Schweiz inklusive Transit heute wert sein.

Die Schweizer Stromwirtschaft produziert in ganz Europa Strom

Bis zu elf Mal wechselt die Kilowattstunde Strom heute seinen Besitzer, bevor sie aus einer europäischen Dose konsumiert wird. Damit diese Stromschieberei überhaupt möglich ist, braucht es nicht nur Börsen, sondern auch Stromnetze. Die Schweiz hat besonders viele Leitungen, auch grenzüberschreitende. Die Leistung von ganzen fünf AKW Gösgen kann die Schweiz alleine über die Nordgrenze importieren. ­Etwas weniger schaffen die Leitungen nach Italien. Aber immerhin gelangen 60% des in Italien konsumierten Stroms über die Schweizer Grenze in unser Nachbarland, sei es als Transitstrom aus Deutschland, Frankreich oder aus schweizerischen Kraftwerken. Das ItalienGeschäft ist lukrativ. So lukrativ, dass viele Stromproduzenten gleichzeitig Strom nach Italien liefern wollen. So geschehen am 28. September 2003. Damals kam es zu einem verheerenden Blackout, weil die Lukmanierleitung schlicht überladen wurde und es keine «NetzPolizisten» gab, die dem Treiben der Stromexporteure den Riegel schoben.

Die Lehren aus dem Blackout Seit dem Blackout hat sich einiges verän­dert. Der Engpass nach Italien wurde mit ­einer neuen Leitung im Puschlav beseitigt und endlich wurde ein nationaler Netzregulator, ­­die swissgrid, eingesetzt. Eine von der ­Strom­­wirtschaft dominierte Expertengruppe hat mittlerweile das so genannte «strategische Stromnetz» definiert. Mit 39 Netzausbauprojekten sollen die «Engpässe» auf den Strom­autobahnen beseitigt werden. Dass ­diese «Eng­pässe» aufgrund des zunehmenden Han­­ delsgeschäfts und mit dem Neubau von Pumpspeichern und allfälligen neuen grossen AKW im Zusammenhang stehen, sucht man im Bericht vergeblich. Der Ausbau diene vor allem der «Versorgungssicherheit», wird argumentiert. Die Stromer-Lehre aus dem Blackout: Mehr Leitungen für mehr Handel – und noch mehr Stromvernichtung mit Pumpspeichern.

Stand August 2010 / © Schweizerische Energie-Stiftung SES

Glühende Stromautobahnen

Neue AKW für den Handel Während Bundeskanzlerin Merkel kürzlich den Atomausstieg ­besiegelt hat, träumen die Schweizer Stromkonzerne von neuen grossen Atomkraftwerken. Zwei wollen sie mindestens. Wozu eigentlich? Fakt ist: Werden die drei alten mit zwei neuen AKW ersetzt, so würde der Kraftwerkpark um 2000 MW wachsen. Die Schweiz stünde vor einem neuen «20-TWhAtomstromberg». Dieser ist gewollt. Denn wer nachts so viel Überschussstrom hat, der braucht auch Pumpspeicherwerke. ­Diese Turbolader machen es möglich, die nächtlichen Atomstromüberschüsse zu «veredeln» und tagsüber als Spitzenstrom zu verdealen. Logisch also, dass es dazu neue Stromautobahnen braucht, die den Atom- und Kohlestrom aus dem In- und Ausland in die ­neuen Pumpspeicher in Linth-Limmern (Axpo), Nant de Drance (Alpiq), Grimsel (BKW) oder in den Lago ­Bianco (Repower) hin- und zurücktransportieren. Die Aussichten für Schweizer Steckdosen sind damit trüb. Der Strom wird damit nicht nur teurer, sondern auch dreckiger als heute werden.  < Energie & Umwelt 3/2010  9

Schweiz am Scheideweg: Erneuerbare und Effizienz oder neue AKW?

Mit Stromeffizienz und Erneuerbaren fährt die Schweiz wirtschaftlich besser Die Schweiz steht am Scheideweg: Setzt sie auch in Zukunft auf Atomkraftwerke oder stattdessen auf Effizienz und erneuerbare Energien? Eine Studie von Kantonen und Umweltverbänden zeigt: Die zweite Strategie lohnt sich nicht nur ökologisch, sondern vor allem auch volkswirtschaftlich.

Von Ulrike Saul WWF-Verantwortliche Klima und Energie

Die Schweiz braucht neue Energie: Die ­Prognosen der grossen Stromverbundunter­ nehmen gehen für das Jahr 2035 von einem zusätzlichen Strombedarf in der Schweiz von 30 TWh aus – vor allem weil die Atomkraftwerke Mühleberg und Beznau I und II vom Netz gehen und die Stromlieferverträge mit französischen Atommeilern auslaufen. Stromversorger wie Axpo und Alpiq wollen diesen Strom auf denkbar konventionelle Weise herstellen: mit zwei neuen Atomkraftwerken, ein bisschen Wasserkraft und ­Biomasse sowie einem neuen Gaskraftwerk. Die Schweizerische Energie-Stiftung, Pro Natura, Greenpeace und der WWF, die Kantone Genf und Basel-Stadt sowie die EWB, die Energieversorgerin der Stadt Bern, wollten wissen: Gibt es nachhaltige Alternativen zu neuen AKW und Gaskraftwerken? Und wie schneiden diese Alternati­ ven aus volkswirtschaftlicher Sicht ab?

Es braucht keine neuen Atom- und Gross­kraft­werke Antwort auf diese Fragen liefert die Studie «Strom­ effizienz und erneuerbare Energien – wirtschaftliche Alternative zu Grosskraftwerken»1 von Infras und TNC. Die Studie kommt dabei zum klaren Schluss, dass sich der künftige Strombedarf der Schweiz, so wie er von der Elektrizitätswirtschaft selber errechnet ­wurde, auch ohne neue AKW und Gaskraftwerke decken lässt. Den wichtigsten Beitrag dazu leistet die Effizienz: Zum einen mit Geräten, Motoren und Lampen, die wenig Strom verbrauchen, zum andern durch das Abschalten von Elektrogeräten, die zwar in Betrieb sind, aber eigentlich gar nicht genutzt werden. Solche Geräte im so genannten «Betrieb ohne Nutzen» verbrauchen in unserem Land 30% der gesamten Stromproduktion. Laut Studie reicht es, diese Verschwen­dung um einen Sechstel zu reduzieren, indem zum Beispiel moderne Steuerungen dafür sorgen, dass die Geräte nur bei Bedarf laufen. Was es an zusätzlichem Strom noch braucht, kann mit Biomasse, mit der Sonne, aber auch mit neuen Wasserkraftwerken, Windrädern und später auch mit der Geothermie produziert werden. Der von Alpiq, Axpo und BKW prognostizierte Mehrverbrauch von Strom kann also zu zwei Dritteln mit Effizienzverbesserungen und zu einem Drittel mit erneuerbaren Energien gedeckt werden. Damit kann die Schweiz getrost auf den Bau neuer Atom- und Gaskraftwerke verzichten.

Auch volkswirtschaftlich der bessere Weg

Beitrag von Stromeffizienz & erneuerbaren Energien zur Erzeugung/Einsparung von 30 TWh bis 2035 (entspricht nur Teilen des Gesamtpotenzials). Gemäss Infras/TNC.

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Eine nachhaltige Strom-Strategie lohnt sich auch ­finanziell: Die Schweiz fährt nämlich so wirtschaftlich deutlich besser als mit neuen Grosskraftwerken. Für den Bau von zwei neuen Atomkraftwerken und einem riesigen Gaskraftwerk wären Investitio­nen von rund 39 Milliarden Franken nötig. Die Investitio­nen für Stromeffizienz und Erneuerbare dürften zwar rund 26 Milliarden Franken höher sein. Unter dem Strich ist die nachhaltige Strategie trotzdem wirtschaftlicher, weil zum Beispiel sparsame Geräte über die ganze Lebenszeit gerechnet deutlich tiefere Betriebskosten verursachen. Die Studie zeigt, dass die Differenz zu Gunsten der nachhaltigen Energien insgesamt 12

Wirtschaftlichkeit Szenario Grosskraftwerke / Szenario Effizienz und Erneuerbare Szenario Grosskraftwerke

Szenario Effizienz und Erneuerbare (Variante Inland)

Zusätzliche Stromproduktion und Stromeinsparungen im Jahr 2035

30 TWh

30 TWh

Über den Zeitraum 2006 bis 2035 ­kumu­lierte Stromproduktion und Stromeinsparung

374 TWh

414 TWh

Notwendige Investitionen

39 Mia. CHF

65 Mia. CHF

Wirtschaftlichkeit (Nettobarwert)2

-9 Mia. CHF

2,8 Mia. CHF

Kumulierte Bruttowertschöpfung bis 2035

11 Mia. CHF

20,2 Mia. CHF

Kumulierte Beschäftigungseffekte bis 2035

100’000 Personenjahre

160’000 Personenjahre

2 Nettobarwert (Wirtschaftlichkeit): Um die volkswirtschaftlichen Auswirkungen von zwei Investitionsstrategien zu beurteilen, ist es notwendig, die dadurch für die Volkswirtschaft erzielbaren Erträge zu vergleichen, die über die Lebensdauer generiert werden. Diese Erträge müssen dem Investitionsvolumen gegenübergestellt werden, woraus sich der so genannte Nettobarwert ergibt. Der Vergleich der Nettobarwerte von zwei Investitionsstrategien ermöglicht eine Aussage darüber, welche Investitionen sich für eine Volkswirtschaft stärker auszahlen resp. volkswirtschaftlich rentabel sind.

Milliarden Franken ausmacht. Neue Grosskraftwerke dagegen drohen volkswirtschaftlich zum Verlustgeschäft zu werden, und auch für Investoren ist ein AKW ein finanzielles Wagnis: Laut Studie werden die zu erwartenden Erträge die Kosten kaum decken. Insofern sind Investitionen in neue AKW Hochrisikogeschäfte, und es dürfte schwierig sein, genügend Geld für solche Megaprojekte zu beschaffen.

Mehr Wertschöpfung und mehr Arbeitsplätze Auch punkto Wertschöpfung und Arbeitsplätze schneiden Investitionen in Stromeffizienz und erneuerbare Energien deutlich besser ab als Investitionen in neue Grosskraftwerke. So schafft ein nachhaltiges Szenario dauerhaft 5300 Arbeitsplätze. Diese Arbeitsplätze beleben die Schweizer Volkswirtschaft, und sie sind, vom Bodensee bis zum Genfersee, von Basel bis ins Tessin, erst noch gleichmässig über das ganze Land verteilt. Die einheimische, dezentrale Produktion, ­gekoppelt mit Stromeffizienz, stärkt die Versorgungssicherheit und macht die Schweiz unabhängiger vom Ausland. Auch wichtige staatspolitische Gründe sprechen also für das Nachhaltigkeits-Szenario.

Die Beschäftigungswirkung beim Bau von neuen Grosskraftwerken ist demgegenüber deutlich geringer, beschränkt sich auf wenige Regionen der Schweiz und ist nur von kurzer Dauer, weil sie vor allem die Bauphase von AKW betrifft. Atomkraftwerke bringen zudem erhebliche Gefahren für Mensch und Umwelt mit sich: Von der Freisetzung radioaktiver Strahlung beim Abbau des Urans bis hin zur Wiederaufbereitung, vom weltweit ungelösten Problem der Endlagerung von radioaktivem Abfall über die weitere Verbreitung von Kernwaffen bis zur politischen ­Unwägbarkeit.

Mehr politischer Gestaltungswille notwen­dig Das nachhaltige Szenario birgt aber auch ein Risiko. Denn es braucht neue Rahmenbedingungen, eine grif­­ fige Lenkungsabgabe («Stromsparbonus») und damit verbunden den politischen Willen, etwas zu ändern! Laut Studie ist ein solcher Stromsparbonus das Schlüsselinstrument, um einen Transformationsprozess in Richtung Stromeffizienz und erneuerbare Energien in Gang zu setzen. Strom ist im Gebrauch bequem, in der Schweiz besonders billig und es gibt kaum Anreize, sparsam damit umzugehen. Ein solcher Anreiz kann mit einem Stromsparbonus geschaffen werden. Dabei wird der Strom durch eine Lenkungsabgabe verteuert. Diese Abgabe wird der Bevölkerung mit einer Reduktion der Krankenkassenprämien und der Wirtschaft mit einem Rabatt auf dem AHV-Arbeitgeber­ beitrag zurückerstattet. So wird belohnt, wer spart.

Der Kanton Basel-Stadt hat mit diesem Modell gute Erfahrungen gemacht. Die Erfahrungen zeigen, dass ein Stromsparbonus wirkt: Basel liegt seit dessen ­Einführung beim Stromverbrauch deutlich unter dem nationalen Trend, bei der Wirtschaftsentwicklung aber deutlich darüber. Die Studie bringt es auf den Punkt: Die Strom-Zukunft ist letztlich nicht eine ­Frage des ­Potenzials, sondern des Willens. Es ist ­des­halb höchste Zeit, dass unser Land aus der energiepolitischen Sackgasse findet und in eine nachhaltige Stromversorgung investiert. Denn eine Stromver­sor­ gung, die auf Stromeffizienz und erneuerbare Energien setzt, ist nicht nur eine Alternative, sondern die bessere Lösung.  < 1 Download der Studie: www.infras.ch/stromstudie

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Revision Stromversorgungsgesetz und Effizienzmassnahmen

Stromeffizienz: Alle wollen sie, aber niemand richtig

Foto: zvg

Das Licht ausmachen alleine reicht nicht. Dringend notwendig sind umfassende Effizienz­ massnahmen im Strombereich. Weil jedoch die besten Massnahmen politisch keine Mehrheit finden, sollen es weniger gute richten. Kein Wunder steigt der Stromverbrauch weiterhin an.

Komplizierte Massnahmen finden vielleicht mehr politische Akzeptanz, machen aber weder ökonomisch, noch für eine sinnvolle Strompolitik Sinn.

Von Sabine von Stockar Projektleiterin Atom & Strom

Die Agentur für Energieeffizienz S.A.F.E ­­hat gerechnet, dass jede dritte Kilowattstunde in der Schweiz verschwendet wird. StandbyKiller, Stromsparlampen, effiziente Geräte, intelligente Einrichtungen und Kampagnen zur Stromreduktion – das alles gibt es schon. Und trotzdem steigt der Stromverbrauch. Das ist frustrierend, doch in der Schweiz nicht weiter ­erstaunlich. Die aktuelle Politik gibt falsche Rahmenbedingungen vor und bietet keine wirksamen finanziellen Anreize, um effi­ zient mit Strom umzugehen.

Die Energieverordnung wurde neulich revidiert, erstmals mit dem Ziel, die Stromeffizienz ernsthaft anzugehen. Diese schreibt zwar Mindestvorschriften für Geräte vor – das Potenzial wird aber nur zu einem Sechstel ausgeschöpft, weil die Mindestvorschriften zu tief angesetzt sind, als dass wirklich nur die effi­ zientesten Geräte auf den Markt kommen würden.

Verschiedene Instrumente Die anstehende Revision des Stromversorgungsgesetzes soll vorerst für den Industrie- und Dienstleistungssektor einen Schritt weiter gehen. Dabei kommt eine Palette von Instrumenten in Frage, zum Beispiel: n Effizienzbonus: Grossverbraucher bekommen

«Zaghafte Mosaiksteinchen» In der Bundesverfassung ist zwar vom «rationellen Umgang mit Energie» die Rede, doch die politische Realität ist eine andere: Mit verschränkten Armen wird in der Schweiz seit Jahren der Verschwendung zugeschaut. Conrad U. Brunner, Vorstandsmitglied von S.A.F.E, meint dazu: «Es gibt keine wirksame und konsistente Stromeffizienzpolitik in der Schweiz, erst kleine zaghafte Mosaiksteinchen.» 12  Energie & Umwelt 3/2010

Rabatte pro kWh, wenn sie einen Effizienz-Zielpfad verfolgen; n Wettbewerbliche Ausschreibungen: Effizienz-Projek­ te können mittels Fördergeldern finanziert werden; n Weisse Zertifikate: Die Energieversorgungsunternehmen haben Verpflichtungen, den Stromabsatz zu senken und können mit Zertifikaten handeln. n Sanktionsinstrumente: Diejenigen, die sich nicht an Einsparziele halten, werden gebüsst.

Billiger Strompreis setzt falsche Anreize Der stärkste Hebel liegt allerdings nicht in Verpflichtungen oder Vereinbarungen mit Einzelunternehmen, sondern beim Strompreis: Fast niemand weiss, wie hoch seine Rechnung ist. Seit Mitte der Neunzigerjahre ist der Strompreis in der Schweiz gesunken und heute innerhalb von ­Europa (je nach Kundensegment) sogar am zweittiefsten. Das ist höchst problematisch: «Es braucht ein klares Preissignal, damit sich Unternehmer und Private mit der Stromrechnung befassen», erklärt Infras-Ökonom Rolf Iten und Verfasser der neulich publizierten Studie «Stromeffizienz und erneuerbare Energien – wirtschaftliche Alternative zu Grosskraftwerken» (siehe auch S. 10/11). Die Studie zeigt, dass Effizienz volkswirtschaftlich der beste Weg ist.

Der Königsweg: Lenkungsabgabe Professor Philippe Thalmann vom «Institut für Economics and Environmental Management» erläutert: «Die Ökonomen sind klar der Meinung, dass eine preisregulierende Massnahme die kostenwirksamste ist». Es erstaunt deshalb nicht, dass sämtliche Studien zum Schluss kommen, dass eine nationale Lenkungsabgabe die beste Lösung wäre. Auch die BFE-­Energieperspektiven 2035 sehen sie als Hauptinstrument vor. Eine solche Abgabe müsste «schrittweise und flexibel eingeführt werden», erklärt Experte Rolf Iten. «So kann die Abgabe dem Markt angepasst ­werden und die Betroffenen können sich darauf vorbereiten.» Damit die Lenkungsabgabe wirksam ist, muss sie aller­dings hoch sein. Die Infras-Studie geht von einer Verdoppelung der Strompreise aus, denn «die Preis-Elastizität beim Strom ist tief», so Iten.

Policy versus Politics Urs Näf von economiesuisse sieht das anders: «Ich halte nichts von einer Stromlenkungsabgabe, weil eine im schweizerischen Alleingang herbeigeführte Ver­­teuerung des Strompreises fatale Folgen für die stromintensive Industrie haben würde. Diese Industrien übernehmen in der Schweiz eine wichtige Funktion in der Schliessung der Stoffflüsse (Recycling)», so Näf. Christian Zeyer von Swisscleantech, dem zweiten Wirtschaftsverband der Schweiz, gibt Gegensteuer: «Wir sind grundsätzlich für eine Stromlenkungsabgabe. Jedoch müssten die betroffenen Firmen in die Ausgestaltung mit einbezogen werden. Nur so könne sichergestellt werden, dass die Abgabe ­ihren Zweck erfüllt und trotzdem auch stromintensive Schweizer Firmen auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig bleiben.» In diese Richtung geht der Kanton Basel, der eine Stromlenkungsabgabe schon seit über 10 Jahren kennt. Grossverbraucher geniessen dort einen Sonderstatus und werden von der Abgabe befreit. Doch gerade Grossverbraucher verpuffen am meisten Strom, weshalb es fragwürdig ist, sie von einer Abgabe zu befreien. Eine Transformation kann ohne Veränderun­­gen nicht stattfinden. Die BFE-Energiepers­

pektiven 2035 zeigen ausserdem: Die Auswirkung von Energie- und Klima­schutzzielen auf die Volkswirtschaft sind vernachlässigbar.

Schlechteres muss aushelfen «Eine Abgabe hat zusätzlich zur finanziellen Belas­ tung für die Betroffenen auch ein psychologisches Las­ter», meint Thalmann, «denn bei einer Abgabe soll der Stromkonsument nicht nur seinen Verbrauch ­senken, sondern für die Kilowattstunde Strom auch noch mehr zahlen.» Zudem geht oft vergessen, dass eine reine Lenkungsabgabe keine blosse Steuer ist, sondern, dass das Geld rückerstattet wird. Vermutlich deshalb ist es schwierig, dafür eine politische Mehrheit zu gewinnen und es müssen Second- oder Thirdbest-Instrumente vorgeschlagen werden.

Grosser Vollzugsaufwand Die nicht preisbasierten Instrumente bergen gewichtige Nachteile. Der Vollzugsaufwand ist meistens gross, das Monitoring schwierig und die Effekte umstritten. Oft müssen mit jedem Unternehmen individuelle Zielpfade definiert werden. Das Controlling ist demzufolge ebenso eine Einzelangelegenheit. Dies macht die Massnahmen teuer und undurchsichtig. Und gerade darauf pochen die Interessenvertreter der Unternehmen: Sonderlösungen aushandeln, damit es keine allzu grossen Veränderungen braucht. Nur weil Einzelbeispiele in den Vordergrund gerückt werden, drohen aufwändige und teure Massnahme bei marginal eingesparten Kilowattstunden. Volkswirtschaftlich gesehen ist dies Unsinn. Für mehr Stromeffizienz ebenso. Komplizierte Instrumente machen vielleicht politisch, nicht jedoch ökonomisch Sinn.

Umdenken für eine wirksame Stromeffizienz­politik «Ein Massnahmenmix ist die Lösung. Doch ohne Preissignale wird es nicht gehen oder es wird viel schwieriger, das Potenzial auszuschöpfen», erklärt Iten. Obwohl heute alle für mehr Stromeffizienz sind, werden nicht die besten Lösungen angestrebt. Schrittweise wirksame Massnahmen einzuführen, ist offensichtlich zu viel verlangt. Dabei wird Effizienz häufig mit Verzicht verwechselt. Ziel ist es, Haushalte und Unternehmen effizienter zu gestalten, um mit weniger Strom gleich viel zu produzieren. Sind die Einsparnisse hoch genug, würde die Stromrechnung trotz Stromlenkungsab­ gabe sogar sinken. Im Strommarkt ist vieles im Umbruch: Wie der künftige Strombedarf gedeckt werden soll, beschäftigt die ganze Schweiz. Der Strommarkt steht vor der voll­ stän­digen Liberalisierung und das Stromversorgungsgesetz ist in Revision. Das Zeitfenster, um richtige Anreize zu schaffen, ist jetzt da. Es wäre allen gedient, wirtschaftlich und effizienzpolitisch die beste Lösung anzustreben.  < Energie & Umwelt 3/2010  13

Beteiligungsmodelle Erneuerbare am Beispiel Deutschland

Eigeninitiative lohnt sich: Bürgerkraftwerke in Deutschland Mit Beteiligung der Bevölkerung vor Ort erneuerbare Energien fördern – das ist die Idee von Bürgerkraftwerken. In Deutschland wurde aus dem Protest von wenigen eine zivil­ gesellschaftliche Bewegung, die heute wesentlich zum Ausbau der Erneuerbaren beiträgt. Eine kurze Zeitreise zeigt: Das Heft selbst in die Hand nehmen lohnt sich und schafft ­regionale Wertschöpfung. Von Florian Schuppli Politologe

Phase I: Raus aus der Protesthaltung Am 26. April 1986 schockt die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl die Welt. Alarmierten Bürgerinnen und Bürgern wird schnell klar, dass Protestieren nicht ausreicht. Zusammengeschlossen zu lokalen, ehrenamtlich organisierten Initiativen beginnen sie, eigene atomstromfreie Anlagen zu bauen. In Hamburg entsteht zum Beispiel die Betreibergemeinschaft «Windstrom Wedel»: Ihre erste Anlage – eine zweiflü-

Foto: copyright Wildpoldsried

Zwischen 1998 und 2009 wurde in Deutschland der Anteil erneuerbarer Energien am End­ energieverbrauch von 3,2 auf 10,3% erhöht. Das bedeutet: 2,2 Millionen So­larkollektoren und Photovoltaik-Anlagen, 400’000 Wärmepumpen, 22’000 Wind­en­er­gie-Anlagen sowie 4500 Biogasanlagen wurden installiert. «Hinter diesen Zahlen steht auch das Engagement zahlreicher Kommunen und ihrer Bürgerinnen und Bürger. Sie haben Wege gefunden, sich von der Abhängigkeit grosser Energiekonzerne zu lösen und selbst zum ­Energieanbieter zu werden. ­Damit tragen sie wesentlich zur Erfolgsge-

schichte der erneuerbaren Energien in Deutschland bei», sagt Nils Boenigk, der für die Agentur für erneuerbare Energien die Entwicklungen auf kommunaler Ebene beobachtet und jeden Monat eine Gemeinde zur «Energiekommune des Monats» kürt.

Die Bevölkerung gestaltet die Energiewende mit: Wildpoldsried will sich bis 2020 mit regenerativen Energien zu 100 Prozent selbst versorgen. Im Juli 2010 wurde die Gemeinde für ihre bisherigen Aktivitäten mit dem «European Energy Award» ausgezeichnet.

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SES-Buchempfehlung

gelige Windanlage mit einer Nennleis­ tung von 75 kW – wird 1989 in Sichtweite des Atomkraftwerks ­Brokdorf ­errichtet. Die 340 Beteiligten, die in den 1960er-­Jahren das Atomkraftwerk zu verhindern versuchten, betreiben heute drei Windkraftanlagen, eine Was­ serkraftanlage und ein Blockheizkraftwerk mit ange­schlossenem Nahwärmenetz. So viel Ener­gie wie das AKW gibt das nicht – aber es gelingt, ein Zeichen zu setzen.

Phase III: Durchbruch dank EEG

Viel Symbolkraft, viel Engagement, aber eine geringe energetische Wirkung – das charakterisiert Bürgerkraftwerke der ersten Stunde. Dank neuen technologischen und politischen Rahmenbedingungen verbessern sich in den 1990er-Jahren v.a. bei der Windenergie die Möglichkeiten. Zum ökologischen Engagement gesellt sich ökonomisches Kalkül, zum symbolischen Zeichensetzen der Drang nach Breitenwirkung. Dies ist der Nährboden für eine Welle von grösser angelegten Bürgerkraftwerken. Alleine zwischen 1989 und 1995 steigt die Anzahl von Bürgerwindanlagen von 221 auf 3625.

Was in Wildpoldsried zur Realität wur­­ de, spielt sich auf kommunaler und re­­gio­­­­naler Ebene immer häufiger ab. Grundstein dieser Entwicklung ist ­das im Jahr 2000 eingeführte Erneuer­bareEnergie-Gesetz (EEG). Dank diesem staatlichen Förderinstrument wird die Stromerzeugung aus Wind- und Son­ nen­energie, Wasserkraft (