Dreimal um die Hauptwache AWS

Außer einem Kühl- schrank und einer Kaffeemaschine hatten wir keine weiteren technischen Raffinessen. Eine. Waschmaschine gab es nicht, dafür in der Nähe einen Waschsalon und das reichte für die dama- ligen Verhältnisse. Ansonsten gibt es über die Wohnung nichts. Nennenswertes zu berichten, außer, dass wir sie.
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Reiner Relsch

Dreimal um die Hauptwache Erotische Erzählungen

© 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Fotolia, 20808602 - sunset with skyscraper in Frankfurt downtown© Jörg Hackemann Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0853-3 AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Die Wohngemeinschaft

Walter war begeisterter Schreiner mit Liebe zum Holz, guten Ideen, handwerklicher Geschicklichkeit und der Fähigkeit, seine Begeisterung auf die Kunden zu übertragen und zu diesen einen guten persönlichen Kontakt aufzubauen, besonders jedoch zu den Frauen. Er hatte eine kleine Werkstatt in Bornheim und bewohnte eine DreiZimmer-Wohnung im dritten Stock in einer kleinen Seitenstraße ganz nahe bei der Hauptwache. Wir schreiben das Jahr 1970, in dem sich die den Studentenprotesten zugrunde liegenden Liberalisierungs- und Demokratisierungsideen – jedenfalls in Frankfurt – auch schon außerhalb der Universitäten in der Bevölkerung verbreitet und natürlich auch zu Veränderungen geführt hatten. So hatte sich Walters Frau Lisa mitsamt der kleinen Tochter aus der Wohnung wegemanzipiert und tauchte gelegentlich auf, wenn sie etwas von ihren teilweise hinterlassenen Sachen holen wollte oder auch mal vorübergehend keine Bleibe 3

hatte. Dummerweise hatte Walter ihr in seiner Gutmütigkeit den Schlüssel überlassen und sie besaß nicht so viel Diskretion, dass sie immer vorher rechtzeitig anrief und fragte, ob sie kommen und evtl. auch mal eine oder mehrere Nächte bleiben könne. Walter war ein wirklich guter Schreiner, mit Liebe zum Detail, jedoch nur mit mäßigen kaufmännischen Interessen und Fähigkeiten, so dass er weder über größere Ersparnisse verfügte, noch über berauschende Einnahmen. Das war weiter nicht schlimm, da er sich im Wesentlichen einen bescheidenen Lebensstil bewahrt hatte im Gegensatz zu manchen seiner Kollegen. Während diese gern Mercedes fuhren, genügte ihm ein Renault 4, auch als Werkstattwagen, und während die meisten Kollegen zusätzliche Lieferwagen für ihre Schreinereien hatten, hängte Walter einen etwas zu großen Anhänger an sein kleines Auto oder lieh sich auch mal von den Kollegen einen Lieferwagen. Die Selbstfindungsphase seiner Lisa hatte allerdings bei ihm auch erhebliche Spuren hinterlassen, so war sein Interesse für Politik, Soziologie und Geschichte geweckt worden, was natürlich nicht 4

zeit- und kostenneutral blieb, da immer eine Menge interessanter und neuer Bücher gelesen werden wollten. Außerdem hatte er sich mit alternativen Wohnformen befasst, nachdem die althergebrachte Form der Kleinfamilie sich für ihn als untauglich herausgestellt hatte. Angeregt durch die vielen WGs von Studenten, gab Walter eine Anzeige in der Frankfurter Rundschau auf. Ich war schon eine Weile auf Wohnungssuche und hatte herausgefunden, dass es die besten Chancen am Freitagnachmittag gab mit dem Erscheinen der Spätausgabe – direkt gekauft im Rundschauhaus am Eschenheimer Turm – und mit ein bisschen Glück mit schnellem Zugang zur direkt gegenüber liegenden Telefonzelle (allerdings habe ich nicht ganz so raffiniert gearbeitet, wie manche Leidensgenossen, die gleich noch einen Helfer in der Telefonzelle postierten, während sie nach der einen richtigen Anzeige gesucht haben). Als ich Walters WG-Anzeige sah und sogleich die Telefon-Nummer anrief, meldete sich niemand. Ich wollte schon aufgeben, da entdeckte ich, dass es auch noch eine zweite Telefon-Nummer gab. Es war Walters häuslicher 5

Anschluss und hier hatte ich Glück. Walter hatte nämlich die Arbeit in seiner Werkstatt schon eingestellt und bereitete sich zu Hause mental aufs Wochenende vor, so dass ich ihn dort erreichte. Ich machte mich sofort auf den kurzen Weg und traf als erster Interessent bei Walter ein, der mir die etwas ungünstig aufgeteilte, sich um drei Seiten eines engen Innenhofes gruppierte und nur mäßig möblierte Wohnung zeigte mit einem schönen hellen Zimmer zur Straße, das Walter bewohnte, einem langen Flur, von dem Bad und Küche abgingen; es folgte dann im Winkel ein großes Zimmer, das allerdings den Nachteil hatte, dass es nur ein so genanntes Durch-Zimmer war, an das sich ein gemütlicheres kleines Zimmer anschloss, das ich dann schließlich auch anmietete. Gleich bei der Wohnungsführung und bei unserer ersten gemeinsamen Tasse Kaffee stimmte die Chemie und wir waren beide davon überzeugt, dass wir WG-Neulinge gut zusammenpassen würden. Er sagte dann auch spontan allen weiteren Interessenten ab, und zwar bevor wir uns auf alle Einzelheiten geeinigt hatten. Eigentlich wollte Walter mir auch noch das Durch6

Zimmer vermieten, aber das überschritt mein mir selbst gesetztes Miet-Budget und wir beschlossen, es zunächst gemeinsam (bei geteilten Kosten) zu benutzen, stellten unsere Kleiderschränke und eine alte Couch hinein und verwendeten es gelegentlich als Gästezimmer. Einer dieser Gäste war mein alter Schulfreund Hans, den ich ein wenig aus den Augen verloren hatte. Er war ein bisschen später dran als ich, hatte die Bundeswehr – auch noch als Zeitsoldat – drei Jahre lang genossen, das Studium ein wenig ausgedehnt und tauchte dann in Frankfurt auf, um seinen ersten Job anzutreten. Er kam als Gast für ein paar Tage, verwandelte sich in ein WG-Mitglied und bekam als letzter halt das Durch-Zimmer mit seinen Nachteilen, aber mit vollem Mietanteil, den wir jetzt einfach durch Dreiteilung der Miete und Nebenkosten verrechneten. Wenn Hans vorher planbaren Damenbesuch bekam, fragte er höflich nach einem kurzfristigen Zimmertausch, den Walter oder ich ihm gerne gewährten, wenn wir nicht gerade eigene Pläne hatten. Ansonsten regelte sich dies – vor allem an Wochenenden – meistens dadurch, dass 7

wir viel unterwegs waren oder auch bei unseren jeweiligen Freundinnen übernachteten. Dann stand ohnehin meist ein Zimmer leer. In ganz speziellen Fällen etwa bei sehr schüchternen Besucherinnen und, wenn er uns vorher nicht fragen konnte, nahm er sich einfach ein Zimmer, hängte mit Tesafilm einen Zettel an die Tür mit „Sorry besetzt, Hans“, schloss ab und vertraute auf unsere Diskretion, wobei ihm zugutekam, dass wir zum Klamottenwechsel nicht in unsere Zimmer mussten, denn alle unsere Kleiderschränke waren einfach in Hans´ Zimmer stehen geblieben. Ab und zu erinnerte Hans uns daran, dass es eigentlich sein Zimmer sei und wir unsere Schränke gefälligst in unsere Zimmer stellen sollten. Wahrscheinlich störte ihn besonders, dass nicht nur ich durch sein Zimmer ging, sondern auch Walter öfter bei ihm hereinkam, wenn er etwas aus seinem Kleiderschrank benötigte. Wir wiesen Hans darauf hin, dass er doch ein sozialer Mensch sei, die Schränke gut dort stünden, mein Zimmer eigentlich viel zu klein für einen Schrank sei und er den Platz sicherlich nicht anderweitig benötige. Außerdem dürfe er doch 8

auch das Zimmer von Walter als unser so genanntes Wohnzimmer mitbenutzen und dieses Wohnzimmer würde an Schönheit verlieren, wenn darin auch noch ein Kleiderschrank stünde. Denn Walter war insoweit ein großzügiger Mensch, dass sein Zimmer, wenn er es nicht gerade dringend für sich allein benötigte, auch von uns zwei anderen als Wohnzimmer benutzt werden konnte. Immerhin war sein Zimmer am wohnlichsten eingerichtet, während bei mir nur ein selbst gezimmertes „Junggesellenbett“ von 1,25 Meter Breite und ein mächtiger Schreibtisch stand. Diesen hatte ich im Bunker an der Anlage gebraucht für 40 DM gekauft, das dicke Eichenfurnier abgeschliffen (heute geht das bei den weniger als ein mm dünnen Furnieren natürlich nicht mehr) und die Oberfläche versiegelt. Der Schreibtisch hatte in die obere Platte eingelassen eine grüne Einlage aus einem undefinierbaren, aber angenehmem Material und ich stellte mir manchmal vor, wie viele Generationen eifriger Beamter hier ihren gut gespitzten Bleistift - oder vielleicht sogar einen Kopierstift, der vor Ge-

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brauch mit der Zunge befeuchtet wurde schwungvoll bewegt hatten. In der Küche sind wir tatsächlich mit einem Zwei-Platten-Kocher über die ganzen Jahre gekommen, obwohl wir viel gekocht und auch etliche Partys gefeiert haben. Außer einem Kühlschrank und einer Kaffeemaschine hatten wir keine weiteren technischen Raffinessen. Eine Waschmaschine gab es nicht, dafür in der Nähe einen Waschsalon und das reichte für die damaligen Verhältnisse. Ansonsten gibt es über die Wohnung nichts Nennenswertes zu berichten, außer, dass wir sie leidlich sauber hielten. Von Walter lernte ich sogar, unter dem Teppich zu putzen, obwohl dort nach meiner Auffassung eigentlich nichts dreckig werden konnte, da wir schließlich nichts unter denselben kehrten. Wir hatten keine Arbeitspläne, wer was wann und wie zu reinigen hätte und von wem wann der Mülleimer runter zu bringen sei. Wir stellten auch keine Einkaufslisten auf und bestimmten den jeweiligen Einkäufer, sondern es regelte sich mehr oder weniger von selbst, wobei die Lasten 10

nicht immer gleichmäßig verteilt waren. Wen der volle Mülleimer störte, nahm die Tüte heraus und stellte sie neben die Wohnungstür und der nächste, der die Wohnung verließ, nahm sie mit nach unten. Wer Hunger hatte und nichts mehr im Kühlschrank fand, ging halt einkaufen und brachte noch ein bisschen mehr für die Folgetage mit. Bei den alkoholischen Getränken war irgendetwas immer da, denn auch wenn das Bier alle und keine Flasche Wein mehr zu finden war, konnte man sich mit ein bisschen gutem Willen einen Cocktail mixen, da die hochprozentigen Sachen sich nicht so großer Beliebtheit erfreuten und deshalb immer ein paar angebrochene Schnäpse bei Walter im Wohnzimmerschrank standen. Außerdem lernt der Mensch schnell und wir alle beherrschten die Vorsorge, indem wir uns einfach auf Verdacht Bier oder Wein mitbrachten, wenn wir vorhatten, an dem jeweiligen Abend noch etwas zu trinken. Und wenn wir zusammen saßen und bei heftigen Diskussionen plötzlich merkten, dass die Getränke dem Ende zu gingen, verlegten wir unsere Runde ein-

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fach in eine der zahlreichen Kneipen rund um die Hauptwache. Selbst die finanzielle Abwicklung der gemeinsamen Haushaltsführung erforderte keine komplizierten Abrechnungen oder Verteilungsschlüssel. Im Küchenschrank stand ein größeres Marmeladenglas, in das jeder einen „Zwanziger“ hineintat. Davon wurden alle Einkäufe für den Haushalt bezahlt, bis kein Geld mehr übrig war und wieder jeder seine Einzahlung leistete. Alle Versuche, einen abweichenden Verteilungsschlüssel auszutüfteln nach den jeweiligen Verbrauchsgewohnheiten mit aufwändigeren Lebensmitteln für den einen oder teuren Getränken für den anderen, liefen ins Leere, da sich einfach kein gerechter Maßstab finden lassen wollte. Auch eine abweichende Berechnung der „Einschusspflicht“ bei häufigeren Besuchern vor allem weiblichen Geschlechts erwies sich nicht als hilfreich, da wir häufig Besuche – auch und gerade über Nacht – hatten und es eines uns allen nicht genehmen bürokratischen Aufwandes bedurft hätte, die jeweiligen Besuchertage zu zählen und daraus vielleicht mit einer erst noch zu 12

entwickelnden Formel unter Berücksichtigung von Grundausgaben und Verpflegungsaufwand eine gerechte Verteilung des Haushaltsgeldes zu erreichen. Blieb allerdings ein Besucher oder eine Beischläferin längere Zeit, wurde sie schlicht zur WG gerechnet und hatte ebenfalls eine Einschusspflicht, wenn das Marmeladenglas leer war. Und natürlich blieb es jedem unbenommen, einen Einkauf, der gefühlte überwiegende und aufwändige Genussmittel für den eigenen Verbrauch oder zum Zwecke der Eroberung einer in die Wohnung zu lockenden Frau enthielt, ganz oder teilweise aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Davon machte jeder gelegentlichen Gebrauch und, da wir in dieser Beziehung gut zusammen passten, gab es auch keine Auseinandersetzungen; dafür waren uns diese Dinge viel zu unwichtig.

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Ina

Von unserer Küche aus hatten wir eine wunderbare Aussicht in den Innenhof, in dem es allerdings außer den Mülltonnen wenig zu sehen gab. Dafür war die Akustik umso besser. Ähnlich dem Schalltrichter eines alten Grammophons verstärkten die vier den Innenhof umgebenden Hauswände alle dort entstehenden oder einmündenden Geräusche in beachtlichem Maße und ließen uns deshalb teilhaben am Leben der angrenzenden Bewohner, wenn diese ein Fenster wenigstens gekippt hatten. Das konnte – allerdings selten – Kinderweinen sein, das mich immerhin mal eine Nacht nicht schlafen ließ, als die Eltern ihre beiden kleinen Mädchen offenbar allein gelassen hatten. Aus dem häufigen von Schluchzen unterbrochenen Ruf nach „Tante Ella“ reimte ich mir zusammen, dass normalerweise die Kinder von einer Ella bei Abwesenheit der Eltern betreut wurden, die in dieser Nacht wohl verhindert war. Montagmorgen kurz nach 14

sechs Uhr erlebten wir immer das Phänomen, wie fröhlich und lautstark Müllmänner die Woche mit einem Lied auf den Lippen beginnen können. Ich wurde immer davon wach, dass die Tür zum Hof geöffnet wurde und der Müllmann irgendeinen Schlager oder eine Operettenmelodie sang oder auch pfiff – und noch nicht einmal schlecht – und dann mit den damaligen Blechmülleimern einen Riesenspektakel veranstaltete. Glücklicherweise dauerte das nur wenige Minuten und ich erinnere mich noch an das angenehme Gefühl, wenn nach diesem kurzen Intermezzo die Tür zum Innenhof zuschlug, die Geräusche nur noch gedämpft zu hören waren und schließlich, wenn die Tür zur Straße geschlossen wurde, ganz verschwanden und ich mich für die letzte Stunde Schlaf noch einmal auf die Seite drehen konnte. Am intensivsten waren aber in der warmen Jahreszeit, wenn die kleine Kneipe ein Fenster zum Hof zum Lüften offen stehen hatte, die musikalischen Genüsse aus der Musicbox, die dann die aktuellen Hits auch mehrfach am Abend brachte. Besonders „innenhofgeeignet“ war damals Marianne Rosenberg, die vor al15