Was ist Kunst

Der Mensch lebt nicht nur die Welt als Symbolik, als Sprache, als Zeichen, sondern ... gelingt durch Hülle und Maske hindurch den Tiefblick zu erlangen, das ...
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Was ist Kunst?

Ein Versuch des jungen Kaplans Otto Mauer (1907-1973) (Kunst und Christentum, erste Fassung 1941)

Vernissage Kunstforum Raumacht Ebendorf, 29 November 2006, Josef Clavería

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I. Voraussetzung: die Welt ist Symbol

Alles Irdische hat Bedeutung über sich selbst hinaus. Die Welt als geschlossene Größe ist unmöglich; sie verlangt kausal und exemplarisch einen Urgrund. Abgeschlossenheit in sich ist Begrenzung und Enge, Symbolkraft ist Weite und Erhabenheit.

Der menschliche Geist ist der Ort, wo die Symbolik des Kosmos und der eigenen Persönlichkeit bewusst, einsichtig und reflektiert wird. Der Mensch lebt nicht nur die Welt als Symbolik, als Sprache, als Zeichen, sondern auch als verpflichteter Bejahter ihrer Bedeutung. Ihm kommt es auch zu, diese hinweisende Bedeutung der Wirklichkeit, der Welt, zu bejahen. Je lebendiger und tiefer ein Geist ist, desto mehr spiegelt sich in ihm alles wider. Das Antlitz der Landschaft spiegelt die menschliche Erfahrung wider. Der Wechsel der Jahreszeiten wird zum realen Hinweis auf das innere Geschehen des menschlichen Herzens. Diese Entsprechungen sind weder zufällig noch vom Menschen her erträumt oder konstruiert. Es liegt in der Natur die objektive Abbildlichkeit zur menschlichen Welt. Der Mensch ist ein Mikrokosmos des Ganzen.

Auf einer so gearteten Weltwirklichkeit ruht die Möglichkeit der Kunst auf.

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II. Kunst als Weltdeutung Was ist Kunst? „Entdeckung dieser wesenhaften Symbolik alles Geschöpflichen durch die Schau des künstlerischen Menschen und die echte Ausdruck derselben im Leibhaftigen, in plastischer Gestalt, in linearer Form und Farbe.“

Kunst setzt also die Symbolfähigkeit der Welt voraus. Sie ist keineswegs eine absolute Erfindung des künstlerischen Geistes. Sie ist Intuition: Einblick, Tiefblick in das Wesen der Dinge. Kunst ist objektiv gebunden. Sie kennt keine Willkürlichkeit. Solche eine objektive Grundlage garantiert auch ihre Begreiflichkeit. Die Deutung allerdings wird eine persönliche, subjektive sein. (Hier Benedikt XVI. am 12. Sept. in Regensburg über Pathologien der Religion und der Vernunft!) Nicht die Deutung der Philosophen, die Seinsbestand und Kosmos in Begriffe wiedergeben, sondern aufs Neue im Maß, Räumlichkeit und Farbe. Sie ist eine Abbildung der Natur. Dieses Abbild ist aber nicht bloße Reproduktion, Wiedergabe. Sie ist vielmehr seherische Entdeckung innerer Wirklichkeiten, die dem Durchschnittsmenschen verborgen sind. Die Begreiflichkeit der äußeren Darstellung kann verlangt werden. Die innere und vollständige Erfassung des Werkes muss nicht von allen verstanden werden.

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Die Wertigkeit des Kunstwerkes hängt von zwei Komponenten ab: 1.

von der Intuitionskraft des Künstlers; ob es ihm

gelingt durch Hülle und Maske hindurch den Tiefblick zu erlangen, das Wesentliche zu erfassen, aus dem Reichtum des Gegenstandes das Charakteristische herauszulösen und die Fülle des Dinges zu erheben. 2.

Kunst ist aber auch Transformation der Natur im

schaffenden Geist. Dieser schöpferische Akt des Geistes bewirkt eine Umbildung, begründet die Kunst. Das Kunstwerk ist transformiert, vergeistigte Natur.

III. Kunst als Expression des Geistes

Symbol ist immer doppelt gerichtet: von der Natur zum Geist hin, den sie bedeutet, vom Geist zur Natur hin, der sich aufdrückt. Von der Natur zum Geist: „Impression“ ist der gegenständliche Eindruck auf den Künstler, dem er Gehorsam schuldet. Vom Geist zur Natur hin: „Expression“. Kunst ist Gestaltwerdung des Inneren im Sinnlichen, Übersetzung seelischer Inhalte in bedeutende Form und Farbe. Diese Verbildlichung des Inneren, Seelischen und Geistigen im Kunstwerk ist wesentlich menschlich. Das Kunstwerk wird zum Geistträger.

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Im Kunstwerk entsteht eine Neuschöpfung. Noch nie war solches da. Es ist Entdeckung, Deutung und Transformation der Schöpfung in die natur-menschliche Welt. Der Mensch, indem er etwas durch diese Transformation vollendet, nähert sich dem Schöpfer. Kunst ist Schöpfung des Menschen, der damit als Künstler zum Werkzeug menschlicher Vollendung wird.

IV. Kunst und Wahrheit

Kunst ist nicht ein unverständlicher Einfall, Erzeugnis der Phantasie und deshalb wirklichkeitsfremd. Kunst ist auf Wirklichkeit hingeordnet, mit Wahrheit koordiniert. Gewiss ist die künstlerische Erfassung unbegrifflich und „alogisch“. Ihr Ausdrucksmittel ist nicht das definierende Wort, sondern Gestalt und Farbe. Aber das bedeutet gar nicht Erkenntnisverzicht. Die Wahrheitserkenntnis des Künstlers beruht auf einer seelischen Schaukraft. Kunst ist die „Philosophie“ des Konkreten.

V. Die Kunst und das Gute

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„L’art pour l’art“ erhob die absolute Unabhängigkeit zum Dogma. Oft denkt man an Kunst als ein Paradies „jenseits von Gut und Böse“. Sicher ist Kunst nicht Kunst durch die Darstellung moralischer Themen. Die Wertigkeit und Qualität wird nach Tiefe, Echtheit und Ursprünglichkeit der Entdeckung gemessen. Es geht um die Eindringlichkeit und Kongenialität der Deutung. Kunst wird am Feuer und an der symbolischen Kraft des Ausdruckes gemessen.

Kunst trägt Sinn in sich selbst. Der schaffende Künstler erleidet eine doppelte Ekstase: einmal: die Hingerissenheit des Geistes durch den Glanz des Wirklichen, das Eingetaucht-werden in den Grund aller Dinge. Und: nochmals auszubrechen mit dem Entwurf des Kunstwerkes.

ERKLÄREN!

Die Ethik des Künstlers ist diese totale Widmung zur Manifestation der Glorie Gottes, zum Hymnus seiner Herrlichkeit. Sie liegt nicht in ihrer Darstellung. Auch die Darstellung des Bösen ist Kunst, wie zum Beispiel die geniale Demaskierung des Bösen von Francisco Goyas Impressionen. Das Böse in der Kunstethik liegt woanders: wo das Gute, durch die Maßlosigkeit der Vergötzung pervertiert, zum Werkzeug der Dämonie wird. Weil Kunst Deutung ist, ist sie aber auch Gericht und Urteil. Wahre Kunst ist wahres Urteil über des Antlitz und das Drama der Welt. Kunst ist dort, wo der geniale Ausdruck des Inneren im Äußern gelang.

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VI. Die Kunst und das Schöne

Die Schönheit der Kunst ist eine splendor veritatis, die Herrlichkeit der entdeckten Wirklichkeit, der befreiten Wahrheit. Das hat nichts zu tun mit einem Reich der angenehmen Harmonien und entzückenden Formen, mit einem Paradies der Sinne. Die Kunst ist gar nicht da, um das Dasein zu harmonisieren.

Der Künstler ist der wahre Realist; er durchbricht die Oberflächen und stößt zum Wesen vor. (Seite 53) Was macht die Schönheit des Kunstwerkes aus? Die leuchtende und kraftvolle Eruption innerer Wahrheit, die kongeniale Enthüllung eines verborgenen Geheimnisses des Lebens. Der Künstler ist ein Leidender, wie es der Forscher und der Liebende sind; seine Existenz ist eine tragische, weil er das Unmögliche zu realisieren versucht.

Otto Mauer hat in die zweite Hälfte seines Werkes die Beziehung zwischen Kunst und Religösem, Kunst und Christentum zum Thema gemacht. Ich werde heute nicht dieses Thema in Otto Mauer angehen. Ich will aber doch ein paar Intuitionen erwähnen, die mir besonders gefallen haben.

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VII. Kunst und Religion

Das Werk des Künstlers ist symbolisch, das heißt, nach oben offen und dies gibt seiner Existenz religiöse Richtung und Weihe. Alle große Kunst ist immer religiös, ob sie offenbar oder anonym ist. Auch wenn die Religiosität implizit bleibt, kann sie doch greifbar und augenscheinlich sein; überzeugender oft als manche religiöse Thematik, durch deren fadenscheinige Bemäntelung eine selbstgenügsame Weltlichkeit unverschämt hindurchlacht; unmittelbarer ergreifend oft als mache fade Geste einer konventionellen, wässerig gewordenen „Religiosität“, deren Leidenschaften sich verflüchtigt haben.

Kunst, Kult, Leben, hier noch Dreiheit, werden im Jenseits eins sein. Künstler, Liturgie, Heiliger – die Vollender des Kosmos, die Mystagogen einer kommenden Welt.

VIII. Kunst und Christentum

Die Grundlegung des positiven Verhältnisses von Kunst und Christentum ist die Fleischwerdung des göttlichen Logos. Das Außen, Fleisch und Erde, Kleid und Geste bedeuten Pforte, Weg und Instrument, Raum der Begegnung und Angelpunkt des Heiles. Kunst wird Heilszeichen, ähnlich dem Sakrament.

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Der Sohn ist seinem Wesen nach ident mit dem Wesen des Zeugenden. Der Sohn ist die Ikone des Vaters, wie er sein Logos ist. Das begründet die bildenden Künste wie die Dichtung. Im Sohn ist der Vater bildlich abgebildet und manifestiert. Darin liegt die Verwandtschaft von Kunst und Sakrament. Beide symbolisieren über den Raum des Irdischen, ja des Kreatürlichen schlechthin hinaus, gnadenhafte, inspirierte Schöpfung. Analog zu dem Sakrament, beinhaltet das Kunstwerk das Hingewiesene (continet quod significat).

ERKLÄREN!

Die verklärte Welt ist in die russische Ikone und die Mosaiken der antiken Basilika am deutlichsten und überzeugendsten eingegangen.

VERKLÄRT ERKLÄREN!

Das verstand noch die Romanik, kaum mehr die Gotik, nicht mehr die psychologisch-naturalistische Moderne. Der Dom, ein Kosmos christlicher Kunst! (Seite 59) Durch Christus, dessen Leib der Kosmos ist, kehrt die Kreatur in den Schoß des Vaters heim, von dem sie ausgeht. Dann ist „Gott alles in allem“. Und die Kreatur deutet die ganze Wirklichkeit, erkennt den Begegneten im allen Gegebenheiten einer Verklärten Welt.

Kritik: kaum. Nur bildende Kunst. Kunst nach allen Gattungen ginge auch mit wenigen Korrekturen. Otto hat am 1946 einfach den Titel geändert: Theologie der bildenden Kunst.