1

sich bis heute über die meisten ihrer Handlungen keine Rechenschaft ablegen. .... Die Börsenkurse stürzten in nie gekannte. Tiefen. Die Panik war nicht mehr ...
616KB Größe 6 Downloads 611 Ansichten
Daniel Daub

Apokalypse Roman © 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag, Berlin Coverbild: Fotolia.de, #46245220 -Planet in danger, © Ig0rZh Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0577-8 AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

2

Für meine Eltern

3

1

Mit konfuser Deutlichkeit sah Lukas den Geist neben dem Bett des sterbenden Mannes. Das Wesen stand einfach nur reglos da und starrte auf den Beinahetoten hinab. Manchmal unterbrach der Geist seine Starre und vollführte undeutbare Bewegungen mit seinen Händen in der Luft über dem Sterbenden, denen Lukas keinen Sinn einzuleiben vermochte. Lukas konnte sie praktisch von Kindesbeinen an sehen, sodass diese Erfahrung für ihn schon zur Alltäglichkeit geworden war, ihn aber dennoch stets aufs Neue mit Verwunderung erfüllte. Trotz des häufigen Umgangs mit ihnen konnte er sich bis heute über die meisten ihrer Handlungen keine Rechenschaft ablegen. Hier jedoch schien klar zu sein, dass der Lebensfaden vom alten Hans bald reißen würde. Das Geistwesen würde ihn hinübergeleiten – wohin auch immer. In den achtundzwanzig Jahren, die Lukas lebte, hatte er noch nicht viele Menschen sterben sehen, 4

doch er wusste, wenn jenes ätherische und silbern pulsierende Kraftfeld um sie herum zum Versiegen kam, dass es mit ihnen zu Ende ging. Und der alte Hans hatte bereits in dem Moment, als Lukas die Tür zu dem Zimmer betrat, keine Aura mehr gehabt – wie Lukas diese Erscheinung in Ermangelung eines besseren Begriffes zu nennen pflegte. Neunzig Jahre hatte der Mann, den alle im Ort nur den „Alten Hans“ nannten, diesen Körper bewohnt. Bis ins hohe Alter war er rüstig gewesen, bis er sich vor drei Tagen wegen Unwohlsein ins Bett gelegt hatte und nicht mehr aufgestanden war. Hans war ein Original gewesen und starb nun in dem gleichen Haus, in dem er als Säugling in dieser Welt einst erwachte. Lukas löste seinen Blick von dem Sterbenden und sah zu der Frau des alten Mannes hinüber, die eingesunken auf dem Stuhl neben ihm saß und die Hände wie zum Gebet ineinander verschränkt hatte. Lene hatte Lukas gerufen, als sie merkte, dass es mit ihrem Ehemann zu Ende ging, denn für den alten Hans war Lukas so etwas wie ein Sohn gewesen. Als Lukas vor drei 5

Jahren mit Frau und Tochter hier im Ort ankam, praktisch besitzlos, nur mit einem alten Auto, einem Anhänger mit ein paar Habseligkeiten und so gut wie keinem Geld in der Tasche, da hatte der alte Hans ihnen geholfen, weil auch er schon bittere Zeiten hinter sich hatte. Lukas machte sich um Lene wenig Sorgen, sie würde mit dem Verlust klarkommen. Sicherlich würde sie traurig sein, aber in ihrem Alter besaß der Tod nicht mehr jene einschüchternde Wirkung, die er auf jüngere Menschen ausübt. Sie legte ihre Hand auf die Stirn ihres hinscheidenden Mannes. „Vor drei Stunden hat er das letzte Mal gesprochen, dann trat Lethargie ein“, sagte sie leise in die Stille der Kammer hinein. „Kurz davor bestand er darauf, verkehrt herum ins Bett gelegt zu werden, mit dem Gesicht nach Osten, zum Heiland, hat er gesagt. Dann sagte er, ich solle kein betrübtes Gesicht machen. Der Tod hätte für ihn keinen Schrecken mehr und würde ihn endlich erlösen von diesem irdischen Leben.“ Lukas kommentierte ihre Äußerungen mit einem Nicken.

6

Eine Weile saßen sie noch still am Bett, der Atem des alten Hans ging immer flacher, bis der Brustkorb sich nur noch wenig und sehr langsam hob und senkte. Lastende Stille lag in dem Zimmer, dass sie beinahe zu greifen war. Lukas schaute aus dem Fenster, vor dem sich mit einem halben Meter Schnee eine klirrend kalte Winterlandschaft lang und weit erstreckte. Die Sonne war bereits hinter den Hügeln verschwunden, und die Dunkelheit rückte beharrlich heran. Noch eine Weile saßen sie stumm an dem Bett, bis die alte Frau in die Stille hauchte: „Ich glaube, er ist jetzt tot.“ In diesem Moment registrierte Lukas, dass auch der Geist am Fußende des Bettes nicht mehr anwesend war. Es war ein schöner Geist gewesen, fand Lukas, auch wenn es sich um eine Art Schönheit handelte, die nicht mit irdischen Maßstäben zu messen war, da ihr eine gewisse Seltsamkeit innewohnte. Meist besaßen diese Wesen menschenähnliche Gestalt und unterschieden sich in ihrem grundlegenden Äußeren nur wenig von herkömmlichen Menschen. Dennoch gab es sie in allen möglichen Erscheinungen. Manche 7

hatten monströse Gesichter wie die Masken bei der alemannischen Fastnacht, anderen haftete etwas Vampirähnliches an, und wiederum andere wirkten krank und ausgemergelt. Daneben gab es jene, die wunderschön waren und irgendwie erdentrückt. Manche von ihnen jedoch wirkten so normal, dass es schon wieder unnormal war. Sie redeten nicht und bewegten sich vollkommen lautlos, dabei konnten sie sich nach Belieben auflösen und wieder erscheinen, durch Wände gehen oder sogar durch einen hindurch, wie es Geistern nun mal eigen ist. Früher, als Lukas noch jünger war, hatte er versucht mit ihnen zu reden, doch auf irgendeine Weise schienen sie nicht ansprechbar zu sein, obwohl sie durchaus mit der manifesten Welt in Wechselwirkung standen und konkret auf Geschehnisse reagierten, wenngleich ihre Handlungen für Lukas oft keinen Sinn ergaben. Lukas legte seine Hand auf die Hand der alten Frau, welche wiederum auf der des Toten lag. So verharrten sie eine Weile. Lukas verabschiedete sich in Gedanken von seinem Freund und überlegte, was er der alten Witwe sagen sollte, doch 8

bevor er einige nichtssagende Trostworte von sich geben würde, entschied er sich lieber den Mund zu halten. Stattdessen sagte er: „Soll ich morgen früh wieder vorbei kommen, damit wir ihn beerdigen können?“, fragte Lukas. Eine Träne löste sich aus den rotgeränderten Augen der alten Frau, rann die Wange hinab und tropfte auf ihre Schürze. „Nein, nein, drei Tage muss er noch hier bleiben, dann erst beerdigen wir ihn. Wir werden ihn am Waldrand in der Nähe von dem alten Wegkreuz vergraben.“ „In Ordnung, ich werde morgen trotzdem bei dir vorbei schauen – natürlich nur, wenn es dir recht ist.“ „Ja, tu das.“ Sie nickte verhalten. Noch vor weniger als einem Jahr wäre das Vergraben von Leichen in der freien Natur als eine höchst fahrlässige Ordnungswidrigkeit angesehen worden, sinnierte Lukas, doch seit dem großen, globalen Wirtschaftcrash letztes Jahr im Oktober mit allem was er mit sich brachte, nahm man es mit solchen Dingen nicht mehr allzu genau. Nicht dass die Welt auseinandergebrochen wäre, es gab immer noch Gesetze und einen 9

Staat, doch einen chronischen Mangel an Gesetzeshütern und einer ausführenden Gewalt, die Dieses oder Jenes verlangen oder durchsetzen konnten. Alles war durcheinander. Zwar wurden noch Steuern erhoben, um den Staat irgendwie zahlungsfähig zu halten, doch es gab keinen Schulzwang mehr, keinen Impfzwang, keinen Versicherungszwang, keinen Leinenzwang für Hunde oder sonstige Reglementierungen. Seit dem Crash hatten die Regierungen genug damit zu tun, staatliches Leben zu erhalten. Und so war es auch mit Beerdigungen. Man brauchte keine Genehmigung von einem Ministerium oder der Ortspolizeibehörde für eine private Grabstätte, da der Staat sich ohnehin im Ausnahmezustand befand. Man verzichtete auch auf die Leichenschau und Todesbescheinigung eines Arztes, da das einst so hoch gelobte Gesundheitssystem nur noch rudimentär vorhanden war, und eine Beerdigung konnte sich ohnehin kein Bürger mehr leisten, da die Hyperinflation alles Geld dermaßen entwertet hatte, dass es nicht mal für die Grundbedürfnisse reichte.

10

Selbst Lukas als studierter Biologe mit nur oberflächlichen Kenntnissen in Ökonomie hatte damals eine Katastrophe im Finanzsystem heraufziehen sehen. Der kleine Wirtschaftscrash des Jahres 2008 und der von 2014 waren nur die Vorboten des großen Knalls von 2017 gewesen. Rückblickend lag alles auf der Hand, aber zuvor hatten nur wenige Zyniker und Pessimisten damit gerechnet. Es muss noch früher Morgen am 04. Oktober 2017 gewesen sein, als die Computer der Banken in New York City registrierten, dass eine ausgemachte Krise nahte. In den Handelszentren rund um den Globus schrillten die automatischen Telefonrufsysteme wie Kriegssirenen, welche die Finanzmanager in ihre Vorstandsbüros beorderten. Die Börsenkurse stürzten in nie gekannte Tiefen. Die Panik war nicht mehr abzuwenden. Mittags bildeten sich bereits Schlangen von ängstlichen Anlegern an den Bankschaltern. Ein Bankmob nach dem anderen wurde zahlungsunfähig und ging über die Klinge. An der Wallstreet krachte es unaufhörlich, genauso in London, Frankfurt und Tokio, woraufhin man 11

die Aktienmärkte schloss und den Handel einstellte. Es zog sich über Wochen hin und täglich hörte man in den Medien von Vermögensvernichtungen, Bankpleiten, Kursverlusten und Arbeitslosigkeit, doch es war nur die Spitze des Eisbergs. Nach den Konjunkturprogrammen der Regierungen in aller Welt stellte sich eine Phase der Stabilisierung ein. Man redete einmal mehr davon, dass die Talsohle der Wirtschaftskrise durchschritten sei und man bereits das Licht am Ende des Tunnels sah. Wie sich herausstellte, war das Licht lediglich die Scheinwerfer des Zuges, welcher der Welt entgegen raste. Man versuchte alles: Setzte die Leitzinsen auf null Prozent und versorgte das marode Finanzsystem mit Scheinblüten. Die Gangster im Nadelstreif hielten das aufgetakelte Scheinsystem solange wie möglich aufrecht, bis im Dezember des Jahres 2017 der Deckel endgültig wegflog. Der totale Kollaps trat ein und mit ihm die größte wirtschaftliche Depression der Menschheitsgeschichte. Es folgte eine Bankenkrise nie dagewesenen Ausmaßes, gefolgt 12

von der Verstaatlichung aller Banken mit exorbitanten Kosten. Der Euro brach auseinander und der Dollar wurde als Weltleitwährung fallen gelassen. Als der Abverkauf einsetzte, verlor die US-Währung ihre gesamte Kaufkraft, selbst Toilettenpapier besaß plötzlich einen höheren inneren Wert als der Dollar. Die Blase der Staatsanleihen, die von Lehrbuchinvestoren immer wieder angepriesen worden war, platzte und eine Megawelle von Staatsbankrotten setzte ein, gefolgt von Firmenpleiten, die wie eine Feuerwalze um die Welt lief. Die globale Finanzelite und unfähige, korrupte Politiker hatten den Bogen überspannt und das Finanzsystem ausgehöhlt. Die Preise für Rohstoffe und Lebensmittel stiegen innerhalb weniger Monate ins Gigantische. Der Inflationsdruck wurde immer größer und das produzierende Gewerbe kam zum Erliegen. Geld verlor stündlich an Wert. Letztlich akzeptierte man nur noch Realgüter und physische Edelmetalle wie Gold, Silber und Platin. Der moderne Kapitalismus entwickelte sich allmählich zu einer Tauschwirtschaft. Die Fitness- und Spaßgesellschaft war 13

Vergangenheit. Genauso die Zeit in der Medienzare das Volk dumm hielten und Zentralbanker es arm – denn nun waren mit einem Schlag alle arm. Binnen Kurzem verloren die meisten Leute ihre Arbeitsstelle, ebenso Haus, Auto, Vorsorge und Pension, weil der Staat bankrott war. Niemand half einem, weder die Bank noch das Sozialamt. Die Massenarmut explodierte, plötzlich ging es nur noch darum, eine warme Mahlzeit und eine Schlafstelle zu finden. Das finanzielle Armageddon zog eine Welt der Kriege, des Chaos, von Hunger und Durst, der Gesetz- und Obdachlosigkeit sowie der Völkerwanderungen nach sich. In den heruntergewirtschafteten Großstädten, ökologisch verwüstet und überbevölkert, stritt man sich in guerillaartigen Kriegen um die letzten winzigen Flächen ausgelaugten Agrarbodens und vor den Küsten Europas versenkten die Militärs die anlandenden Flüchtlingsboote. Die Bürger in Krisenzeiten zu schützen und zu versorgen, war stets eine hoheitliche Aufgabe des Staates, verfassungsrechtlich verankert durch die staatliche Pflicht zur Daseinsvorsorge. Das 14

behauptete zumindest der Bundeskanzler in einer Fernsehansprache. Elementar war hierbei die Nahrungsmittelversorgung. Mit dem Zusammenbruch der Weltwirtschaft brach auch die Logistik von Gütern und Waren für die ersten Monate komplett zusammen. Binnen weniger Tage waren die Supermärkte leer gekauft. Die Menschen benahmen sich wie Tiere, um noch ein Stück des Kuchens zu ergattern, der längst durchgeschimmelt war. Wo war Vater Staat? Irgendwie vergaß die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung das Dorf in dem Lukas mit seiner Familie wohnte, lediglich die Menschen in den Ballungsräumen konnten sich Mahlzeiten aus Reis und Hülsenfrüchten sowie etwas Mehl ergattern, welches sie jedoch nicht zu Brot backen konnten, da ein Großteil der Stromnetze ausfiel. Nach drei Tagen brach das staatliche Notfallsystem zusammen, welches eigentlich für zehn Tage ausgelegt war. Ob es nun an der ausgefeilten Logistik der Bundesbehörden lag oder an den gewalttätigen Plünderungen in den Sammelverpflegungseinrichtungen, wusste am Schluss niemand. 15