Dimensionen der Fiktionalität

Herausgegeben von Gottfried Gabriel und Rüdiger Zymner. Begründet ... Für die ebenso wichtige mentale Unterstützung danke ich meinem Mann, der immer an ...
445KB Größe 4 Downloads 77 Ansichten
ISBN 978-3-89785-845-9

EXPLICATIO

Im Zentrum der Untersuchung steht die Klärung des für viele literaturtheoretische Arbeiten zentralen, häufig aber nicht ausreichend reflektierten Begriffs der Fiktionalität. Der Fülle der bereits vorhandenen Fiktionalitätstheorien wird dabei zunächst mit der Einführung eines Drei-Ebenen-Modells begegnet. Dieses ermöglicht eine Kategorisierung und Systematisierung nach den folgenden Aspekten: Welches Kriterium ist für die Differenzierung zwischen fiktionalen und faktualen Texten maßgeblich? Welche Instanz entscheidet über die Fiktionalität bzw. Faktualität eines Textes? Und als wie umfassend gilt die Fiktionalität literarischer Texte? Auf dieser Grundlage profiliert das Buch mit dem Panfiktionalismus, Autonomismus und Kompositionalismus drei konkurrierende Theorien zur Reichweite der Fiktionalität. Die kritische Analyse widmet sich dabei nicht nur den vorhandenen Definitionen und Befürwortern, sondern diskutiert auch die spezifischen Vor- und Nachteile der jeweiligen Positionen. Unter Entwicklung einer umfassenden Definition des Kompositionalismus wird schließlich für diejenige Theorie plädiert, der zufolge in fiktionalen Texten auch faktuale Passagen enthalten sein können.

Konrad· DIMENSIONEN DER FIKTIONALITÄT

Schwarz HKS 28K

Eva-Maria Konrad

DIMENSIONEN DER FIKTIONALITÄT Analyse eines Grundbegriffs der Literaturwissenschaft

Konrad · Dimensionen der Fiktionalität

EXPLICATIO Analytische Studien zur Literatur und Literaturwissenschaft

Herausgegeben von Gottfried Gabriel und Rüdiger Zymner Begründet von Harald Fricke und Gottfried Gabriel

Eva-Maria Konrad

Dimensionen der Fiktionalität Analyse eines Grundbegriffs der Literaturwissenschaft

mentis MÜNSTER

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem ∞ ISO 9706 und alterungsbeständigem Papier

© 2014 mentis Verlag GmbH Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-845-9 (Print) ISBN 978-3-89785-642-4 (E-Book)

Für meine Eltern

DANKSAGUNG Dieses Buch stellt eine leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation dar, die im Mai 2013 an der Universität Regensburg eingereicht wurde. Während der Entstehung dieser Arbeit haben mich viele Menschen begleitet, ohne deren Hilfe und Beistand die Vollendung dieses Projektes nicht möglich gewesen wäre. Danken möchte ich deshalb zunächst meinem Doktorvater, Prof. Dr. Achim Geisenhanslüke, sowie meinem Zweitgutachter, Prof. Dr. Hans Rott, die mich zu jedem Zeitpunkt gefördert und unterstützt haben. Ganz besonderer Dank gilt auch meinen drei Korrekturlesern: Von Herzen danke ich meinem Vater für die zahllosen hilfreichen Gespräche, Kommentare und seine philologische Sorgfalt, meiner Mutter für ihren Blick für das Detail und Birgit Beck für ihre wertvollen Hinweise und Korrekturen selbst unter großem Zeitdruck. Für ihre Kritik und Kommentare zu früheren Manuskriptversionen danke ich außerdem Verena Wagner, Thomas Petraschka und den Teilnehmern des philosophischen „FoKo“, des germanistischen Oberseminars sowie den Mitgliedern der DFG-Projektgruppe „Wissen und Bedeutung in der Literatur“. Für die ebenso wichtige mentale Unterstützung danke ich meinem Mann, der immer an mich geglaubt hat, sowie erneut meinen Eltern, Birgit Beck und Verena Wagner. Meinem Bruder danke ich darüber hinaus für ein perfektes Zitat. Für die erneut ausgezeichnete Zusammenarbeit danke ich Dr. Michael Kienecker vom mentis-Verlag sowie Prof. Dr. Gottfried Gabriel und Prof. Dr. Rüdiger Zymner für die Aufnahme in die Reihe „explicatio“. Zuletzt möchte ich der DFG für die Förderung danken.

Regensburg, Juli 2014

INHALT

1 GEGENSTAND UND ZUGANG ....................................... 13 1.1 Konkretisierung und begriffliche Spezifizierung ....................................... 18 1.2 Fiktionalitätstheorien ..................................................................................... 25 1.2.1 Geläufige Thesen und Gegenthesen ................................................ 26 1.2.2 Kategorisierung.................................................................................... 32 1.2.2.1 Gehaltsebene ......................................................................... 32 1.2.2.2 Instanzebene ......................................................................... 38 1.2.3 Verhältnis der Ebenen ........................................................................ 41

2 PANFIKTIONALISMUS .............................................................. 57 2.1 Begriffsentstehung und Verwendungsweisen ............................................ 57 2.2 Theoretische Fundierung und Bewertung .................................................. 64 2.2.1 Negation der Referenz auf unterschiedliche Welten ..................... 65 2.2.1.1 Das epistemologische und das semiologische Argument........... 66 2.2.1.2 Zurückweisung der rein epistemologischen Interpretation ................................................................................. 69 2.2.1.3 Diskussion möglicher Befürworter ................................... 72 2.2.1.3.1 Radikaler Konstruktivismus ............................. 73 2.2.1.3.2 Nelson Goodman .............................................. 80 2.2.1.3.3 Stanley Fish ......................................................... 85 2.2.1.3.4 Poststrukturalismus ........................................... 89 2.2.1.3.5 Richard Rorty...................................................... 99 2.2.1.4 Attraktivität des Panfiktionalismus.................................. 103 2.2.1.5 Argumente gegen die Plausibilität eines epistemologischen und semiologischen Panfiktionalismus ......... 105 2.2.1.5.1 Kritik an Prämisse (1) ...................................... 105 2.2.1.5.2 Kritik an Prämisse (2) ...................................... 106 2.2.1.5.3 Kritik an der Schlussfolgerung....................... 110 2.2.2 Behauptung identischer narratologischer Strukturen .................. 119 2.2.2.1 Das narratologische Argument ............................................. 119 2.2.2.2 Befürworter und Kritik ..................................................... 121 2.2.2.3 Das radikalisierte narratologische Argument ........................ 133

10

Inhalt

2.2.3 Behauptung der De-Realisierung des Realen ................................ 137 2.2.3.1 Das eschatologische Argument .............................................. 138 2.2.3.2 Das medien-technologische Argument.................................... 141 2.2.3.2.1 Rezeptionsorientierte Variante ...................... 142 2.2.3.2.2 Produktionsorientierte Variante .................... 143 2.2.3.2.3 Epistemologische Variante ............................. 145 2.3 Theoretische Abgrenzungen und Spezifizierungen ................................ 148 2.3.1 Fiktionalismus .................................................................................... 149 2.3.2 Hyperfiktionalismus .......................................................................... 152 2.3.3 Eliminativismus und Akkomodationismus ................................... 155 2.4 Abschließende Bewertung .......................................................................... 156

3 AUTONOMISMUS ........................................................................ 163 3.1 Theoretische Fundierung ............................................................................ 163 3.1.1 Ursprung in der Autonomieästhetik .............................................. 166 3.1.2 Konkretisierung ................................................................................. 176 3.1.3 Formen und Befürworter des Autonomismus ............................. 180 3.1.3.1 Radikaler Autonomismus.................................................. 188 3.1.3.2 Gemäßigter Autonomismus ............................................. 203 3.1.3.3 „Kompositionalistische Autonomisten“ und weitere Sonderfälle ........................................................................... 208 3.2 Beurteilung .................................................................................................... 222 3.2.1 Attraktivität des Autonomismus ..................................................... 222 3.2.2 Einwände gegen den Autonomismus ............................................ 223 3.2.2.1 Kritik an der Umsetzung................................................... 224 3.2.2.2 Kritik an der Festlegung auf der Gehaltsebene ............. 226 3.2.2.2.1 Spezifische Probleme der radikalen und gemäßigten Auslegung .................................... 227 3.2.2.2.2 Generelle Schwierigkeiten referenzialistischer Ansätze.................................................... 233 3.2.2.3 Kritik an der fehlenden positiven Rechtfertigung und den kompositionalistischen Zugeständnissen ...... 237 3.2.2.4 Problematische Konsequenzen für die literarische Praxis .................................................................................... 242 3.2.2.4.1 Unangemessenheit in Bezug auf Produktion, Rezeption und bestimmte Gattungen ...................................................................... 243 3.2.2.4.2 Eingeschränkte Erkenntnismöglichkeiten ... 245 3.3 Abschließende Bewertung .......................................................................... 263

Inhalt

11

4 KOMPOSITIONALISMUS ...................................................... 265 4.1 Theoretische Fundierung ............................................................................ 265 4.1.1 Diskussion bisheriger Entwürfe...................................................... 266 4.1.1.1 Peter Blume ......................................................................... 266 4.1.1.2 John R. Searle...................................................................... 276 4.1.2 Neuformulierung der kompositionalistischen Fiktionalitätsdefinition............................................................................................. 288 4.1.2.1 Dimensionsebene ............................................................... 288 4.1.2.2 Instanzebene ....................................................................... 291 4.1.2.2.1 Produktorientierte Theorien .......................... 293 4.1.2.2.2 Rezeptionsorientierte Theorien ..................... 296 4.1.2.2.3 Produktionsorientierte Theorien ................... 300 4.1.2.2.4 Institutionelle Theorien................................... 304 4.1.2.3 Gehaltsebene ....................................................................... 324 4.1.2.3.1 Das pragmatische Kriterium .......................... 327 4.1.2.3.2 Diskussion weiterer Kriterien ........................ 359 4.1.2.4 Zwischenfazit ...................................................................... 370 4.1.3 Befürworter ........................................................................................ 372 4.1.4 Theoretische Abgrenzungen und Spezifizierungen ..................... 377 4.1.4.1 „Theory of Novelistic Truth“ .......................................... 379 4.1.4.2 „Propositional Theory of Literary Truth“...................... 383 4.1.4.3 Eliminativismus und Akkomodationismus .................... 393 4.2 Beurteilung..................................................................................................... 399 4.2.1 Attraktivität des Kompositionalismus ........................................... 400 4.2.2 Einwände und Lösungen ................................................................. 407 4.2.2.1 Graduierung des Fiktionalitätsbegriffs............................ 408 4.2.2.2 Abwechslung von fiktionalen und faktualen Äußerungen .................................................................................. 424 4.2.2.3 Unterscheidung zwischen Autor-, Erzähler- und Figurenmeinung.................................................................. 454 4.2.2.4 Ununterscheidbarkeit der Diskurse ................................. 463 4.3 Abschließende Bewertung........................................................................... 474

5 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK ................ 475

12

Inhalt

LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................. 479 1 Primärtexte ....................................................................................................... 479 2 Sekundärliteratur ............................................................................................. 480 INDEX ................................................................................................................... 497

1. GEGENSTAND UND ZUGANG „Man wird oft von einem Wort behext. Z. B. vom Wort ‚wissen‘.“ (Wittgenstein: „Über Gewißheit“, Nr. 435)

Was Wittgenstein schon vor rund sechzig Jahren konstatierte, scheint für die heutige Literaturwissenschaft nicht minder zu gelten: Die Versuche, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob – und wenn ja, auf welche Weise – fiktionale Literatur Wissen vermitteln kann, wurden in letzter Zeit erheblich intensiviert. Auch wenn diese Debatte natürlich nicht neu ist, lässt sich doch mit Fug und Recht behaupten, dass sie erst mit der Jahrtausendwende ihren einstweiligen Höhepunkt erreicht hat. Vor allem in Anbetracht der Kontinuität, mit der in den vergangenen Jahren Veröffentlichungen zu diesem Thema erschienen sind, und der Vielschichtigkeit und thematischen Breite, in der diese Diskussion geführt wird, muss festgestellt werden, dass der Konnex von Literatur und Wissen als Gegenstand der Forschung im Moment so aktuell ist wie kaum je zuvor. Gleichzeitig zeichnet sich in der enormen Fülle an einschlägigen Monographien, Sammelbänden und Aufsätzen aber auch eine große Heterogenität ab, die sich nicht nur auf die Methodik, sondern auch auf die konkrete Thematik erstreckt.1 Darüber hinaus wird das Problemfeld von sehr unterschiedlichen Disziplinen in den Blick genommen: Neben historischen und rezeptionspsychologischen Ansätzen sind vor allem literaturwissenschaftliche und philosophisch-analytische Untersuchungen prominent. Dabei hatte sich zunächst vor allem zwischen diesen letzten beiden Disziplinen eine mehr oder weniger freundliche Form der gegenseitigen Nichtbeachtung eingestellt. Diese resultierte nicht zuletzt darin, dass sich die Philosophen unter den Diskussionsteilnehmern, die sich vor allem mit der Klärung der für das Thema relevanten Begriffe („Wissen“, „Wahrheit“, etc.) beschäftigten, oftmals von jeder Anwendung ihrer Ergebnisse auf den in Frage stehenden Gegenstand, die Literatur, entfernen konnten, während die Literaturwissenschaftler sich im Gegenzug fast ausschließlich auf die Literatur bzw. auf konkrete Beispielfälle konzentrierten, sich dafür aber nicht ausreichend um eine Klärung der in ihren Untersuchungen verwendeten Begriffe bemühten. Erst in jüngster Zeit ist eine erfreuliche Tendenz zu einem vermehrten interdisziplinären Austausch zwischen diesen beiden Fachrichtungen festzustellen, die dem schon in den 80er-Jahren eingeführten Begriff einer „Analyti-

1

Ein auch historisch aufschlussreicher Überblick über einige dieser speziellen Fragestellungen findet sich z. B. in Renneke: „Poesie und Wissen“.

14

1. Gegenstand und Zugang

schen Literaturwissenschaft“ tatsächlich gerecht wird.2 In diese noch recht junge Tradition möchte sich die vorliegende Arbeit ausdrücklich einreihen, wobei darunter konkret die Anwendung einer philosophisch-analytischen Methodik auf literaturwissenschaftliche Gegenstände und Fragestellungen begriffen sei.3 Vor diesem Hintergrund wird eine Diskussion im Zentrum der folgenden Untersuchung stehen, die nicht nur eine Reihe von Parallelen zur Debatte um das Erkenntnispotential fiktionaler Literatur aufweist, sondern gleichzeitig auch in engem Zusammenhang mit dieser steht: die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Fiktion bzw. noch konkreter: der Fiktionalität. Hier lässt sich zum einen ebenfalls spätestens seit den 80er-Jahren ein enormer Zuwachs an fachwissenschaftlichem Interesse registrieren,4 zum anderen sind die beteiligten Disziplinen aber auch oft von einer ähnlichen Fachblindheit gezeichnet. So behauptet Hempfer nicht zu Unrecht: Die Fiktionsproblematik ist hinsichtlich der Kommunikationsunfähigkeit unterschiedlicher Disziplinen und unterschiedlicher methodischer Richtungen innerhalb ein und derselben Disziplin und der daraus notwendig folgenden Nichtbeachtung bereits erzielter Einsichten ein paradigmatischer Fall, was natürlich damit zusammenhängt, daß sich von der ‚traditionellen‘ Philosophie über die (analytische) Sprachphilosophie, die Linguistik und die Literaturwissenschaft mit ihren je unterschiedlichen ‚Spielformen‘ bis hin zu allgemein texttheoretischen und semiotischen Ansätzen eine ungewöhnliche Vielfalt von Herangehensweisen an diesen Problemkomplex herausgebildet hat, was notgedrungen die Verständigung erschwert. 5

Entsprechend lässt sich feststellen, dass auch die beiden großen Debatten um die Wissensvermittlung und die Fiktionalität trotz der weitreichenden Überschneidungen in ihrer Entwicklung, ihrem Gegenstand und in den beteiligten geisteswissenschaftlichen Fächern bislang nicht ausreichend Notiz von ihrem unmittelbaren gegenseitigen Einfluss genommen haben: Während sich die meisten Untersuchungen zum Erkenntnispotential fiktionaler Literatur nur unzureichend mit dem dabei angewandten Fiktionalitätsbegriff auseinandersetzen, spielen auf der Gegenseite für kaum eine Studie zur Fiktions- oder Fiktionalitätstheorie die Konsequenzen für die Möglichkeiten einer Wissensvermittlung durch fiktionale Literatur eine Rolle. Dieser Ten2 3

4

5

Vgl. dazu Finke/Schmidt (Hrsg.): „Analytische Literaturwissenschaft“. Dazu, dass eine Konkretisierung dieses Begriffs nötig ist, weil sich die eine „Analytische Literaturwissenschaft“ kaum festmachen lässt, vgl. Spree: „Drei Wege der analytischen Literaturwissenschaft“. Schon im Jahr 1990 stellt Hempfer fest, „die Anzahl der Publikationen zum Fiktionsproblem [sei] in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren geradezu explodiert“ („Zu einigen Problemen einer Fiktionstheorie“, S. 107). Ebd.