Digitalisierung historischer Zeitungen in der SuUB ... - E-LIB Bremen

Die Zeitungen im Zeitalter der. Aufklärung geben Aufschluss über Ereignisse .... senschaftler aus Schottland und. Norwegen und bekundeten gro- ßes interesse ...
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Aus der Forschung

Aus der Forschung

Wer sich mit historischen Zeitungen befassen möchte, muss bislang meist eine aufwändige Recherche in Archiven und Bibliotheken unternehmen. Angesichts seiner Bedeutung als Ursprungsland der Zeitung ist Deutschland bei digitalisierten Zeitungen unterrepräsentiert. Dem Abhilfe zu schaffen hat sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zum Ziel gesetzt: In einem Pilotprojekt von fünf Bibliotheken werden derzeit Standards zur Digitalisierung historischer Zeitungen erarbeitet. Die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen (SuUB Bremen) ist neben Berlin, Dresden, Halle und München eine dieser Bibliotheken.

Neue Einblicke in den früheren Alltag:

Digitalisierung historischer Zeitungen in der SuUB Bremen  Manfred Nölte und Maria Hermes

Scanner in der Digitalisierungswerkstatt der SuUB Bremen Digitalisierung am Aufsichtsscanner in der SuUB Bremen

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Die DFG fördert in einem zweijährigen Projekt an der SuUB Bremen die Digitalisierung aller deutschsprachigen Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Hier befindet sich durch die jahrzehntelange Forschungs- und Sammeltätigkeit des Instituts Deutsche Presseforschung ein einmaliger Bestand, der in keiner anderen deutschen Bibliothek so vollständig erhalten ist: In Bremen sind über 600 Zeitungstitel, 300 Zeitungsunternehmen, 60.000 Ausgabenexemplare mit 330.000 Seiten und damit alle bekannten deutschsprachigen Zeitungen des 17. Jahrhunderts vorhanden, die digital aufbereitet werden. Die Zeitungen im Zeitalter der Aufklärung geben Aufschluss über Ereignisse, Mentalitäten und Kommunikationsstrukturen des Jahrhunderts und sind somit eine herausragende Quelle für Medienund Presseforscher, Historiker,

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Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaftler. Denn mit der ersten gedruckten Zeitung der Welt im Jahr 1605 entsteht nicht nur ein Druckwerk unter vielen: „Es existierte nun erstmals ein Medium, das im Grundsatz jedem Interessierten regelmäßige Informationen über das Weltgeschehen zugänglich machte“.1 Ohne Zeitungen sind der Wandel am Ende der Frühen Neuzeit und die Moderne nicht vorstellbar. Denn erst mit Zeitungen konnte der gemeine Bürger Kenntnis von den wichtigen Geschehnissen seiner Zeit erlangen. Die Zeitung trug somit entscheidend zur Entstehung einer aufgeklärten Öffentlichkeit bei und ermöglichte die Mündigkeit der Bürger.

Für die unterschiedlichsten Fachdisziplinen sind Zeitungen daher ein ausgezeichnetes Medium für neue Fragestellungen. Als „Spiegel ihrer Zeit“ geben die Zeitungen Aufschluss über die kleinen, alltäglichen Ereignisse ihrer Zeit, über die in den großen Chroniken wenig berichtet wird. Doch die Überlieferung und der Erhalt von Zeitungen als Quellen wissenschaftlicher Forschung ist hoch problematisch, da häufig auf minderwertigem Papier gedruckt wurde. Dies macht ihre Nutzung für Historiker und historisch Interessierte umso schwieriger: Eine schlechte Nachweissituation, lückenhafte Bestände, ein oftmals restauratorisch problematischer Zustand, wo das einfache Blättern in den Zeitungssei-

Böning, Holger / Volker Bauer: Die gedruckte Zeitung und ihre Bedeutung für das Medien- und Kommunikationssystem des 17. Jahrhunderts, in: Dies. (Hrsg.): Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert. Ein neues Medium und seine Folgen für das Kommunikationssystem der Frühen Neuzeit, Bremen 2011, S. IX – XVII, hier S. IX.

ten schon zum Papierzerfall führt, machen Zeitungen nur eingeschränkt nutzbar. Umso dringlicher ist die Digitalisierung, die sowohl die Originale langfristig schützt als auch die Zugänglichkeit und Nutzung der Zeitungen verbessert. Die ersten im Digitalisierungsprojekt verfügbaren Zeitungen des 17. Jahrhunderts sind bereits jetzt über das Portal Digitale Sammlungen der SuUB Bremen (http://brema.suub.uni-bremen. de/zeitungen17) online verfügbar, somit unabhängig von Ort und Zeit weltweit kostenfrei zugänglich. Auch werden die digitalen Zeitungen im Kontext des Projekts erstmals systematisch in bibliothekarischen Nachweissystemen verzeichnet und damit recherchierbar und auffindbar. Auf Grundlage der Fachbibliographie Bogel/Blühm2 werden die die Titeldaten und weitere Metadaten der Zeitungen des 17. Jahrhunderts erfasst (bspw. Erscheinungszeiträume und Verbreitungsorte), so dass die Zeitungen im lokalen Bibliothekskatalog OPAC und im Discovery System E-LIB der SuUB Bremen verzeichnet sind. Überregionale Nachweise erfolgen in der Zeitschriftendatenbank (ZDB) und im

gemeinsamen Verbundkatalog (GBV) Auch laufen derzeit Absprachen ob ihrer Integration in das Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts (VD 17).

gregorianische Kalender nebeneinander. Beide Daten werden im Projekt erfasst. Perspektivisch wird über Kalenderfunktionalitäten so ein direktes Auswählen des gesuchten Zeitraums möglich sein. Solche speziellen Formen der Erschließung machen bibliothekarische Digitalisierungsprojekte zeit- und arbeitsaufwändig, doch wird so zugleich ein unverzichtbarer Mehrwert für den Nutzer generiert.

Schuber mit Zeitungen des 17. Jhds. in der SuUB Bremen

Digitalisieren ist mehr als das Scannen von Bildern

Wie sucht man in einem ganzen Jahrhundert nach bestimmten Ereignissen? Wer jemals in Zeitungen nach etwas Bestimmtem gesucht hat, wird festgestellt haben, wie schwierig es ist, in Hunderten, teils Tausenden von Seiten das Gewünschte zu finden. Um die Suche zu erleichtern werden die Scans in der SuUB Bremen daher manuell mit Berichtszeitraum und Erscheinungsdatum angereichert; 4160 Arbeitsstunden studentischer Hilfskräfte werden hier aufgewendet. Denn die frühen Zeitungen setzen sich aus einzelnen Berichten zusammen. Eine Herausforderung bildet dabei die Koexistenz zweier Kalendersysteme: In manchen Gebieten existierten noch weit in das 17. Jahrhundert hinein der alte, julianische und der neue,

Das Scannen der historischen Zeitungen selbst erfolgt wie die anderen Schritte des Projekts in der hauseigenen, eigens für dieses Projekt aufgebauten Digitalisierungswerkstatt der SuUB Bremen. Studentische Hilfskräfte und eine Digitalisierungsfachkraft scannen die wertvollen Vorlagen an den beiden Scannern und stellen hiermit die Grundlage für die Erschließung bereit.

Titelblatt einer Zeitung aus dem 17. Jhd

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Else Bogel /Holger Blühm: Die deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Ein Bestandsverzeichnis mit historischen und bibliographischen Angaben, Bremen 1971/1985.

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Das Projekt der SuUB Bremen ist eingebunden in das erwähnte Pilotprojekt der DFG zur Zeitungsdigitalisierung in Deutschland. In diesem Pilotprojekt mit vier weiteren Bibliotheken werden Standards und Strukturen der Digitalisierung historischer Zeitungen erarbeitet, die in zukünf-

Betty Gleim Neues bremisches Koch- und Wirtschaftsbuch

Der Nordische Mercurius Titelblatt tigen DFG-Projekten Anwendung finden sollen. Damit wird erstmals in Deutschland eine quantitativ bedeutende digitale Präsentation historischer Zeitungen geschaffen. In einem angegliederten Projekt erfolgt zudem ein Ausbau der Zeitschriftendatenbank (ZDB), so dass Zeitungen im zentralen nationalen Nachweissystem systematisch recherchierbar werden. Zur digitalen Präsentation der Zeitungen im Internet wird darüber hinaus der DFG-Viewer an die spezifischen Erfordernisse von Zeitungen angepasst.

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Herausragende Digitalisierungsprojekte

Mit der Digitalisierung der Zeitschrift „Die Grenzboten“, die von 1841 bis 1922 erschienen ist, hat die SuUB eine der wichtigsten deutschen kulturpolitischen Zeitschriften online verfügbar gemacht. „Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst“ galt vergleichbar zum heutigen „Merkur“ als eine Zeitschrift, die den Anspruch verfolgte die gesamte bürgerliche Lebenswelt abzubilden (http:// brema.suub.uni-bremen.de/ grenzboten).

Wer sich der wissenschaftlichen Aufgabe stellt, gesellschaftliche Diskurse über einen langen Zeitraum hinweg zu verfolgen, ist darauf angewiesen, dass dieser umfangreiche Bestand (ca. 190.000 Seiten) vollständig durchsuchbar ist. Die gleichzeitige Suche in Tausenden von Aufsätzen über Hunderttausende Seiten der Zeitschrift stellt hohe Anforderungen an das Recherchesystem und lässt sich nur aufgrund einer Volltexterschließung mittels Optical Character Recognition (OCR) verwirklichen. Mit computergestützten Verfahren der Volltexterkennung werden neue Formen der Recherche und Textrezeption ermöglicht. So stellen Digitalisierungsprojekte in Bibliotheken die Grundlage für die „Digital Humanities“ bereit. In einem Folgeprojekt der SuUB Bremen, an dem die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaft über das Deutsche Textarchiv beteiligt ist, wird derzeit die erreichte Volltexterkennungsrate der in Frakturschrift gesetzten „Grenzboten“ mit halbautomatischen und manuellen Methoden verbessert.

Karten in den historischen Zeitungen

Verborgene Schätze werden digital zugänglich

Doch nicht nur neue Zugänge zu den Materialien werden geschaffen, auch verborgene Materialien werden durch die Digitalisierung für alle nutzbar. So wurde der einmalige Bestand der SuUB Bremen von 84 griechischen Papyri aus dem 2. Jhd. n.Chr. digitalisiert und ist nun erstmals, angereichert mit maßgeblichen Transliterationen, Übersetzungen und Beschreibungen des Papyrologen Ulrich Wilcken, online frei zugänglich (http://brema.suub. uni-bremen.de/papyri). Die SuUB Bremen hat hier ihr ältestes Quellenmaterial in die aktuellste Form überführt. Ein besonderes Quellenmaterial sind die historischen Adressbücher Bremens, die durch ihre häufige Benutzung bereits stark geschädigt sind. Die SuUB Bremen hat sich daher entschlossen, diese unverzichtbare Quelle für

die stadt- und regionalhistorische Forschung zu digitalisieren. Ab Mai 2014 werden auch diese aus den Jahren 1794 bis 1955 online frei verfügbar sein. Dies dürfte so manchem Historiker und interessiertem Bremer aufwändige Recherchen vor Ort ersparen. Einblicke in spannende Werke zur bremischen Stadt- und Regionalgeschichte erhalten diese auch in den in regelmäßigen Abständen erweiterten digitalen Sammlungen (http://brema.suub.uni-bremen.de/) der SuUB Bremen. Die Spannbreite reicht von allgemein regionalhistorischen Werken über medizin- und wirtschafts- bis hin zu kunsthistorisch interessanten Werken: für die regionale Geschichtsschreibung unverzichtbare Quellen. Auch hier gilt: Das Ziel der Digitalisierungsprojekte der SuUB Bremen ist Digitalisierung für die Forschung!

Dr. Manfred Nölte hat an der Universität Bremen Mathematik studiert und promovierte im Jahr 2002 im Bereich der Bioinformatik. Tätig seit Mitte 2008 an der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, baut er dort die Retrodigitalisierung innerhalb der Abteilung Digitale Dienste – Digitale Bibliothek auf.

Dr. Maria Hermes hat an den Universitäten Bremens und Leipzigs Kulturwissenschaften und Philosophie studiert und wurde 2011 mit einer kulturhistorischen Arbeit zur Psychiatrie in Bremen während des Ersten Weltkrieges promoviert. Seit 2008 ist sie in der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen tätig, zunächst im Bereich Handschriften & Rara, seit 2011 betreut sie Digitalisierungsprojekte im Bereich Digitale Dienste – Digitale Bibliothek.

Besonderheiten invertierte Seiten

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Aus der Forschung

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Das DFG-Pilotprojekt Zeitungsdigitalisierung

Im Pilotprojekt übernimmt die SuUB Bremen die Digitalisierung eines ganzen Jahrhunderts. Es erscheint daher nur logisch, dass sie auch für die Erprobung der Bestandslückenergänzung bei der Zeitungsdigitalisierung im Rahmenprojekt verantwortlich zeichnet. Damit möglichst frühzeitig die Interessen der Nutzer in den Blick genommen werden können, veranstaltet die SuUB Bremen gemeinsam mit den weiteren Projektpartner im Herbst dieses Jahres einen Workshop in Bremen. Ziel ist die Anforderungen von Fachwissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen an die Digitalisierung des komplexen Quellenmaterials zu diskutieren. Auch auf dem diesjährigen Bremer Bibliothekartag 2014 wird die SuUB Bremen ihr Projekt vorstellen. Seitens der Fachwissenschaftlern gibt es schon jetzt erste begeisterte Rückmeldungen: Unmittelbar nachdem die SuUB die Meldung über Twitter abgesetzt hat, dass die ersten Zeitungen des 17. Jahrhunderts online verfügbar sind, meldeten sich Wissenschaftler aus Schottland und Norwegen und bekundeten großes Interesse an den Materialien. Dies bestätigt den Ansatz der SuUB Bremen, Digitalisierung unmittelbar für Wissenschaft und Forschung zu betreiben.

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