Die Sichel des Todes

der sich selbst »Die Sichel« nennt. Für Maler und seinen Gehilfen Jolmes werden die Ermittlungen höchst gefährlich. Maria Rhein, geboren 1965 in Emsdetten, ...
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Maria Rhein / Dieter Beckmann

Die Sichel des Todes

Das geheime Urevangelium Heinrich Maler, Kommissar von Münster, wird von seiner Behörde nach Berlin zur preußischen Geheimpolizei geschickt. Dort bekommt er den Auftrag, den amerikanischen Millionär John Rodman zu beschützen, der vor Kurzem ein Anwesen in Münster bezogen hat. Rodman plant, in Preußen viel Geld zu investieren und bekommt Drohbriefe. Auf einem Empfang, den Rodman für die gehobene Gesellschaft Münsters gibt, wird das Hausmädchen Gerda ermordet und einige Tage später der Millionär selbst erhängt aufgefunden. Malers Ermittlungen führen in die Zeit der Wiedertäufer zurück und weisen auf ein geheimes Evangelium hin, dem der Millionär auf der Spur war. Dieses brisante Dokument ist in Zeiten des Kulturkampfes zwischen Kirche und Staat für den Finder von unschätzbarem Wert. Als weitere Morde geschehen, erfährt Kommissar Maler schließlich von der Existenz eines geheimnisvollen Auftragsmörders, der sich selbst »Die Sichel« nennt. Für Maler und seinen Gehilfen Jolmes werden die Ermittlungen höchst gefährlich.

Foto © privat

Maria Rhein, geboren 1965 in Emsdetten, schloss nach ihrem Abitur eine Lehre als Mediengestalterin ab und studierte dann in Dortmund und Münster Grafik-Design. Sie arbeitete in diversen Werbeagenturen, Verlagshäusern und in selbstständiger Tätigkeit. Seit der Geburt ihrer Kinder ist sie als Musik- und Kunstdozentin freiberuflich tätig. Sie unterrichtet als Kunstlehrerin an weiterbildenden Schulen und schreibt seit Jahren Kurzgeschichten und Kriminalromane. Dieter Beckmann, geboren 1966 in Arnsberg, studierte und wohnte lange Zeit in Münster, bis es ihn schließlich zurück nach Arnsberg führte. Der Schriftsteller und Musiker veröffentlichte mehrere Alben und historische Romane, außerdem betätigt er sich als Kabarettist und ist Texter und Sänger des Kabarett-Trios Twersbraken. Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag: Der Werwolf von Münster (2014)

Maria Rhein / Dieter Beckmann

Die Sichel des Todes Historischer Kriminalroman

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Für Binetha und Karsten. ­

Prolog Münster im Jahre 1535

Er konnte das Klirren der Waffen und das Geschrei der Verwundeten kaum noch vom Tosen des Unwetters unterscheiden, das über Münster tobte. Fast erschien es ihm so, als sei das Brausen des Sturms die Antwort Gottes auf das grausame Kampfgetümmel. Schwer atmend streifte er sich das verdreckte Wams eines toten Landsknechtes über. Es stank nach Blut und Schweiß, aber so gekleidet würde Bernhard Rothmann, der Worthalter des Königs von Zion, vielleicht der Hölle von Münster entkommen. Er stolperte in den Keller hinunter, entzündete einen Kienspan und löste zwei Steine, hinter denen er sein kostbares Gut verstecken wollte. Bernhard bückte sich tief hinunter, um in die Öffnung zu schauen, und schnürte ein Lederbündel auf, das ihm Hinrich Krechting mit dem Auftrag gegeben hatte, es im Keller seines Hauses zu verstecken. Soweit er fühlen konnte, mussten sich Perlen und Goldstücke darin befinden. Nichts anderes hatte Bernhard vom Kanzler des Königs erwartet. Wenn es Hinrich möglich gewesen wäre, hätte er, im Wissen um das Ende der Herrschaft Jan van Leidens, jede Unze Gold aus der Schatzkammer des Königs von Münster zur Seite geschafft, dachte er. Die Zeit schritt unaufhaltsam fort, und der Platz in dem Versteck ließ nur wenige Habseligkeiten zu. Bernhard legte das Bündel in die obere Maueröffnung und verschloss sie mit dem herausgelösten Stein. Nun kam endlich der wichtigste Teil seiner Mission. Bernhard spürte, wie seine Hände zitterten, als er die Kostbarkeit ergriff, die er um jeden Preis vor den gottlosen Landsknechten und den Falschgläubigen in Sicherheit 7

bringen musste. Es galt, das Einzige zu retten, was in seinen Augen von Wert war. Vor Wochen hatte er das Pergament und den Ring entdeckt, ohne zunächst den wahren Wert seines Fundes zu begreifen. Doch nach und nach verstand er, um was es sich handelte. Er betrachtete das Dokument in seiner Hand. Es würde ihm den Weg zu einem unendlich kostbaren Schatz weisen. Vorsichtig legte er den Ring und das Pergament in ein Holzkästchen und deponierte es in einer zweiten Öffnung in der Mauer. Bernhard verschloss auch sie mit einem Stein und vergewisserte sich, dass alles wieder unverdächtig am rechten Platz war. Dann griff er nach dem mitgebrachten Werkzeug, schlug das Zeichen des Fisches in den Sandstein und verließ unbemerkt das Haus. In der Dunkelheit der Nacht hallten die Schreie der Kämpfenden bedrohlich durch die Straßen Münsters. Sie klangen so nah, dass sein vom Hunger getrübtes Hirn ihm jeden Schatten als bedrohlichen fürstbischöflichen Gegner vorgaukelte. Hoffentlich gelang es ihm, die Wagenburg noch rechtzeitig zu erreichen. Die Schergen des Bischofs ermordeten jeden, den sie zu fassen bekamen. Eile war geboten. So schnell er konnte, hastete Bernhard weiter, in der bangen Sorge um das Leben seiner Brüder im rechten Glauben. Nur noch um die letzte Häuserecke, dachte Bernhard und verlangsamte seine Schritte. Er erkannte die Barrikade, die seinen Weg versperrte. Eine gespenstische Ruhe lag über den umgestürzten Wagen, den Bergen von Trümmern, Holz, Möbeln und Schutt. Bernhard schlich, sich Schritt für Schritt herantastend, vorwärts. Das Geräusch eines Schwertes ließ ihn zurückfahren. »Der Friede Gottes sei mit dir!«, war alles, was er noch sagen konnte. Er rutsche aus, verlor den Halt und fiel zu Boden. Als er den Kopf hob, sah er eine große Gestalt, die sich über ihn beugte, seinen Arm ergriff und ihn wieder auf die Beine zog. »Um ein Haar hätte ich Euren Kopf gespalten.« 8

»Schemering! Dem Herrn sei Dank!« Wolter Schemering, ehemaliger Mundschenk im Königreich des Jan van Leiden, eilte ihm voraus in die Wagenburg. Dort angekommen trat Hinrich auf ihn zu. »Bernhard, gelobt sei der Allmächtige Gott! Wie gut, Euch lebendig zu sehen! Ein Wunder, dass Ihr noch lebt! Ihr habt alles erledigt?« Bernhard antwortete mit einem Nicken und deutete dann auf die Eingeschlossenen. »Das Wunder ist jedoch ebenso auf Eurer Seite. Es war ein Leichtes, sich der Wagenburg zu nähern. Wie könnt Ihr Euren Wachen nur solch eine Nachlässigkeit durchgehen lassen?« »Alle sind übermüdet, auch unsere Gegner. So lange trotzen wir bereits der übermächtigen Streitmacht des Fürstbischofs. Bisher konnten sie sich nicht auf Lanzenlänge nähern. Und immer noch haben wir genügend Pulver und Kugeln, sie uns vom Leibe zu halten.« »Bis jetzt!«, zischte Bernhard vor sich hin. Hinrich wollte sich von ihm wegdrehen. Da ergriff Rothmann energisch den Arm des königlichen Kanzlers. »Hinrich, wir haben lange über unsere Lage gesprochen und sind uns beide einig, dass der gerechten Sache Christi hier nicht mehr gedient werden kann. Unser Versuch, in Münster das ›Neue Jerusalem‹ zu erschaffen ist gescheitert. Unser aller Verderben steht bevor. Und wir beide kennen die Wurzeln des Übels. Wenn es uns aber gelingt, unser Leben zu retten, so wird es vielleicht möglich sein, ein anderes Gott wohlgefälliges Reich zu gründen. Sieh selbst, was aus dem Königreich Jans des Gerechten geworden ist.« Hinrich blickte sich um, und Bernhard fuhr fort: »Wir haben zu lange die Augen vor der Scharade geschlossen, die der angebliche Prophet uns vorgespielt hat.« »Ja, ich weiß«, stimmte Hinrich ihm zu. »Ich hätte energischer gegen sein Ansinnen vorgehen müssen, spätestens, als er im letzten Sommer seine Offenbarung zur Vielweiberei 9

kundtat. Unfassbar, welches Ausmaße der Frevel angenommen hat. Alles nur wegen eines Mannes, der sich zum Propheten berufen sah und selbst zum König ernannte. Prunksucht, Völlerei und blutdürstiges Morden.« »Hinrich! Wir alle haben ihn zu dem gemacht, was er geworden ist. Wir alle haben an ihn geglaubt! Er hat uns verhext mit seinem prophetischen Gehabe. Selbst Hungers waren wir gewillt zu sterben.« Bernhard hielt es für besser, einen Moment zu schweigen, und dachte an die letzten Monate. Dann sprach er zögernd weiter: »Ich erinnere mich noch gut, als wir alle beim Abendmahl vor dem Dom gesessen sind und seine Worte gehört haben: ›Seid ihr alle willig, des himmlischen Vaters Willen zu tun und zu leiden?‹ Wir alle, Hinrich, du, ich und die Einwohner Münsters haben ihm darauf zugejubelt und gerufen: ›Ja, bis zum Tode!‹ Wir alle sind mitschuldig. Ich habe geglaubt, dass der wahre Glaube, der die Irrlehren des Papstes aufdeckt, triumphieren wird, und dass die Weissagungen eintreffen. Doch dies geschieht nicht mehr.« Bernhard fühlte, wie seine eigenen Fehler auf seiner Seele lasteten, und die Worte kamen immer leiser über seine Lippen. »Ist es nicht unsere Pflicht, getreu dem Worte Gottes zu leben? Vielleicht aber wissen wir noch nicht alles, Hinrich. Was wäre, wenn wir nicht die wahren Worte des Herrn kennen, wenn sie uns noch verborgen sind?« Bernhard sah den ungläubigen Blick Hinrichs. »Was meint Ihr? Ihr sprecht in Rätseln.« In kurzer Zeit schon würde ihr Kampf beendet sein, und sie mussten sich den bischöflichen Truppen geschlagen geben. Es drängte Bernhard danach, seine Entdeckung mit einer menschlichen Seele zu teilen. Er musste endlich jemandem von seinem Fund erzählen, endlich mit jemandem über das Geheimnis reden. Dass er das Pergament und den Ring ebenfalls im Hause Krechtings versteckt hatte, durfte jedoch nie10

mand wissen. »Ihr erinnert Euch daran, dass ich den König um die Reliquie des Heiligen Paulus bat?« Hinrich nickte. Bernhard fuhr fort: »Eine göttliche Stimme gebot mir des Nachts, sie zu öffnen. In der Reliquie fand ich neben einigen wenigen Knochensplittern etwas, das alles verändert hat, Hinrich. Zu niemandem habe ich ein Wort darüber verloren. Zunächst wusste ich nicht, was ich von dem halten sollte, aber dann kamen die prophetischen Träume. Ich sah grausame Bilder. Bilder, die sich bei Licht bewahrheiteten, und mit jedem Tag wuchs in mir die Gewissheit, dass das, was wir für die Wahrheit halten und in unserer heiligen Bibel lesen, noch nicht alles ist. Die wahren Worte des Herrn sind uns noch verborgen, Hinrich!« Bernhard dachte an das Ausmaß dessen, was sein geheimer Fund bedeuten konnte. Dann starrte er auf seine Hände, die sich in Hinrich Krechtings Arm krallten. Hinrich starrte ihn entgeistert an und riss seinen Arm aus Bernhards Griff. »Was redet Ihr da, Rothmann?« Bernhard wollte vermeiden, dass jemand hörte, wovon sie sprachen. Er schaute sich prüfend um, doch niemand schien sie zu beobachten. Trotzdem senkte er seine Stimme. »Ich weiß, dass ein unfassbar wertvoller Schatz an geheimem Ort versteckt liegt. Wer den Schatz findet, wird in der Lage sein, die Macht der Kirche zu zerstören.« »Warum habt Ihr Euer Wissen nicht König Jan offenbart? Ihr hättet uns zum Sieg über die Gottlosen verhelfen können!«, zischte Hinrich ihm entgegen. »Nein!« Bernhard war erbost. »Die Herrschaft Jan van Leidens fußte auf falschen Schriften. Die Weissagungen und Prophezeiungen des Jüngsten Gerichts sind falsch wie alles, worauf sie gründen. Denn das, was wir als Heilige Schrift kennen, ist unvollständig!« Hinrich sah ihn nachdenklich an. Bernhard drängte es fortzufahren: »Und somit war das ›Neue Jerusalem‹ von Beginn 11

an dem Untergang geweiht. Wir müssen erst wissen, was die wahren Worte Christi sind, um diese befolgen zu können.« Hinrich starrte ihn an, schwieg und wandte sich dann zur Seite. Schließlich sagte er: »Rothmann, was immer Ihr gefunden habt: So Gott will, werden wir diesem Gemetzel entrinnen und zu späterer Zeit das Geheimnis ergründen. Es gibt dringlichere Dinge, um die wir uns jetzt sorgen sollten. Was zum Beispiel macht unser sogenannter König jetzt? Wo ist er? Warum kämpft er nicht an unserer Seite bis zum bitteren Ende?« Während sich Hinrich weiter über Jan van Leiden und dessen Feigheit ausließ, musste Bernhard an das Versteck des Pergaments denken. Er wusste, dass er alles getan hatte, das Pergament vor dem Zugriff der Landsknechte und aller anderen Unwissenden zu bewahren. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich den heiligen Schatz mit Gottes Hilfe finden, dachte er. Mehr konnte er im Moment nicht tun. Er wandte sich wieder Hinrich zu: »Nicht nur der König ist verschwunden! Viele seiner Würdenträger und sogenannten Herzöge haben sich aus dem Staub gemacht!« Hinrich legte ihm seine Hand auf die Schulter. »Es ist nun an uns, den wahren Glauben zu retten.« »Ja.« »Seid vorsichtig und wartet, bis der Sturm sich gelegt hat, der über uns hinwegfegt. Und sollten wir ihn überleben, so wird das wahre Reich Christi neu erstehen«, sagte Hinrich. Plötzlich wurde ihr Gespräch unterbrochen und Hinrich zum Rand der Verschanzung gerufen. Bernhard erkannte im noch schwachen Licht der Morgendämmerung Parlamentäre der fürstbischöflichen Truppen, die eine weiße Fahne mit sich führten. Eine Zeit lang verhandelten sie miteinander, dann kehrte Hinrich ins Innere der Wagenburg zurück. »Die Unterhändler bieten freien Abzug und Geleit, wenn wir uns ergeben. Das ist göttliche Fügung und unsere letzte 12