Die Mark Brandenburg des 14. Jahrhunderts AWS

Burggraf Friedrich als »oberster Verweser« der Mark Brandenburg. 101. Herrschaft in ... 150. Die Außenseite der markgräflichen Herrschaft – Stände in der. Mark Brandenburg. 151. Die Bistümer. Partner und Konkurrenten der Markgrafen. 152 ... Dankbar bin ich Frau Anna Thoden, ohne deren Beratung ich diese Heraus-.
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Die Mark Brandenburg des 14. Jahrhunderts

Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte Im Auftrag der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V. und des Brandenburgischen Landeshauptarchivs herausgegeben von Heinz-Dieter Heimann und Klaus Neitmann

Band 5

Jan Winkelmann

Die Mark Brandenburg des 14. Jahrhunderts Markgräfliche Herrschaft zwischen räumlicher »Ferne« und politischer »Krise«

Lukas Verlag

Abbildung auf dem Umschlag: Lustige Blätter, 16 (1899), S. 3

© by Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Kollwitzstraße 57 D–10405 Berlin www.lukasverlag.com Satz: Linda Vogt Umschlag: Lukas Verlag Druck: Elbe Druckerei Wittenberg Printed in Germany ISBN 978–3–86732–112–9

Inhalt

Danksagung 9 Zum Geleit 10 Einleitung 12 »Herrschaft« und »Landesherrschaft« als Forschungsgegenstand in der Mediävistik 12 »Herrschaft«, »Landesherrschaft« und »Stände«. Zum Verständnis dieser Begriffe in Bezug zum Gegenstand dieser Arbeit 26 Die »Ferne« des Herrschers als Problem von Herrschaftsorganisation und als Mittel zur Herrschaftsbetrachtung 30 Brandenburgische Landesgeschichtsforschung und die Quellenlage 35 Eigene Fragestellung 51 Die Mark Brandenburg im 14. Jahrhundert. Eine Zeit fortgesetzter Krisen? 56 Zum Begriff der Krise 56 Der Beginn der wittelsbachischen Herrschaft in der Mark Brandenburg 64 Konsolidierung der wittelsbachischen Landesherrschaft 1333–1342 68 Der Falsche Waldemar – Brandenburg zwischen widerstreitenden Fronten 71 Ludwig der Römer, Markgraf von Brandenburg 75 Otto V., Markgraf von Brandenburg 80 Karl IV. als Regent für seine Söhne 85 Sigismund von Luxemburg, Markgraf von Brandenburg 90 Jost von Mähren, Markgraf von Brandenburg 94 Burggraf Friedrich als »oberster Verweser« der Mark Brandenburg 101 Herrschaft in Brandenburg Über was herrscht der Markgraf? Die territoriale Ausdehnung und Gliederung der Mark Brandenburg Die Verwaltung Die Träger der lokalen und überregionalen Verwaltung: Landeshauptleute, Hauptleute und Vögte Die Finanzverwaltung Die Kanzlei Der markgräfliche Rat und die Hofämter Der Rat Die Hofämter

108 108 111 113 126 133 140 140 143 5

Das Gerichtswesen als Ausdruck von Herrschaftsreichweite Die Gerichtsverfassung im Zeichen von Exemtion u. Kommerzialisierung Die höheren Gerichtsinstanzen: Hof- und Kammergerichte, der Brandenburger Schöppenstuhl Konkurrenz der geistlichen Gerichte Die Außenseite der markgräflichen Herrschaft – Stände in der Mark Brandenburg Die Bistümer. Partner und Konkurrenten der Markgrafen Städte als politischer Faktor für die Markgrafschaft Adel in Konkurrenz und Partnerschaft zum Markgrafen

145 145 148 150 151 152 167 179

Fallbeschreibungen 196 Otto der V. – Der letzte Wittelsbacher in Brandenburg – zwischen Ferne und Engagement 196 Begründung der Fallbeschreibung 196 Forschungsstand 197 Die Beziehung der Brandenburger Wittelsbacher zur Mark Brandenburg unter besonderer Berücksichtigung Markgraf Ottos 198 Herrschaftlicher Gestaltungswille 204 Durchsetzung und Vertretung im Einklang mit dem Kaiser 210 Otto im Konflikt mit Karl IV. 215 Die letzten Jahre Ottos in der Mark Brandenburg 221 Zusammenfassung 222 Sigismund von Luxemburg »dominus regni poloniae« – Ein Markgraf aus der Ferne 225 Begründung der Fallbeschreibung 225 Forschungsstand 226 Sigismunds Beziehung zur Markgrafschaft 226 Herrschaftlicher Gestaltungswille 231 Durchsetzung und Vertretung 240 Zusammenfassung 247 Wie wird man »mächtiger« Stellvertreter des Landesherren? Wilhelm von Meißen als Stellvertreter Markgraf Josts in der Mark Brandenburg 248 Begründung der Fallbeschreibung 248 Forschungsstand 249 Verhältnis des Wettiners zur Mark Brandenburg und seinen Markgrafen 250 Wilhelm als »mächtiger« Stellvertreter 252 Durchsetzung und Vertretung 268 Zusammenfassung 269 Die Grafen von Lindow, Herren zu Ruppin während einer Regierung aus der Ferne 271 Begründung der Fallbeschreibung 271 Forschungsstand 271 6

Inhalt

Das Verhältnis der Grafen von Lindow, Herren zu Ruppin zur Mark Brandenburg 272 Die Grafen von Lindow, Herren zu Ruppin als Vertreter der Markgrafen von Brandenburg 284 Zusammenfassung 286 Burggraf Friedrich, oberster Verweser der Mark Brandenburg 287 Begründung der Fallbeschreibung 287 Forschungsstand 288 Burggraf Friedrichs Beziehung zur Mark Brandenburg 289 Herrschaftlicher Gestaltungswille 294 Durchsetzung und Vertretung 307 Zusammenfassung 312 Fazit 314 Anhang 322 Liste der Hauptleute 323 Zur Karikatur 332 Siegel 334 Siglen der Zeitschriften und benutzten Reihen 339 Ungedruckte Quellen 340 Gedruckte Quellen 340 Literatur 342 Personenregister 369

Inhalt

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Danksagung

Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2010 vom Historischen Institut der Universität Potsdam als Dissertation angenommen. Als Erstgutachter fungierte Herr Prof. Dr. Heinz-Dieter Heimann, das Koreferat übernahm dankenswerterweise Herr. Prof. Dr. Helmut Flachenecker. Das Wagnis einer Dissertation, zumal in Mittelalterlicher Geschichte, schien mir bis zur Begegnung mit meinem verehrten Lehrer Herrn Prof. Dr. Heinz-Dieter Heimann undenkbar. Ich bin ihm sehr dankbar, nicht nur für die Anregung zu diesem Unterfangen, sondern auch vor allem für die herzliche Offenheit, das in mich gesetzte Vertrauen und den steten Zuspruch. Dankbar bin ich Frau Anna Thoden, ohne deren Beratung ich diese Herausforderung wohl nicht angenommen hätte. In diesem Zusammenhang danke ich auch Herrn Prof. Dr. Winfried Eberhard für seine Empfehlung, mit der ich mich für ein Stipendium bewerben konnte. Der Friedrich-Ebert-Stiftung und ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen danke ich für das gewährte Graduiertenstipendium und das Verständnis und die Nachsicht während der Betreuung. Verbunden bin ich auch denjenigen, die mich im Verlaufe des Prozesses beraten haben und Anteil nahmen. Hier möchte ich mich bei Herrn Peter Riedel und Herrn Dr. Michael Lindner bedanken. Für ermutigende Kritik und die Mühe des Korrekturlesens bin ich meinem Freund Sebastian Keil sehr verbunden. Allergrößter Dank gilt meiner Lebensgefährtin Julia Wolke, die mich während des jahrelangen Prozesses stets begleitete und mir auch nach der Geburt unseres Kindes und während meines Referendariates die Unterstützung zukommen ließ, die nötig war, um die Arbeit erfolgreich zu beenden. Für die Aufnahme in die Reihe »Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte« bin ich den Herausgebern Herrn PD Dr. Klaus Neitmann und Herrn Prof. Dr. Heinz-Dieter Heimann ebenso dankbar wie für den von der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V. gewährten Druckkostenzuschuss. Ich widme diese Arbeit meiner Familie. Berlin, im Sommer 2011 Jan Winkelmann

Danksagung

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Zum Geleit

»Es gibt nichts langweiligeres als immer wieder Strausberg und Liebenwalde, als immer wieder Bötzow und Köpenick, als immer wieder Pommern- oder Sachsenherzog, als immer wieder ›auspochen‹ und Kühe wegtreiben und Schulmeister totschlagen und dazwischen ›schloßgesessen‹ und nicht ›schloßgesessen‹ und absagen und Ritterpflicht und Fehderecht und dann wieder schloßgesessen und wieder Kühe mit Sturmläuten und Kyrie Cleison und (Gott sei Dank) dem Donnerwetter oder Schockschwerenot einiger biederer Märkischer mit oder ohne Adel dazwischen. Aber in diesem ganzen trostlosen Sumpfdickicht hat sich Wildenbruch nicht verirrt, am wenigsten ist er drin stecken geblieben, sondern hat unter Ausübung einer geradezu glänzenden Ausscheidungskunst diesen ganzen kolossalen Wirrwarr auf ein paar bestimmte Linien und Punkte zurückzuführen gewusst.«1 Im November 1888 schrieb Theodor Fontane diese Kritik über das von Ernst von Wildenbruch geschriebene und inszenierte Historiendrama »Die Quitzows«. Das Geschehen um das raubende niederadlige Geschlecht der Quitzows war nicht nur für Wildenbruch gleichsam die Essenz der Geschichte der Mark Brandenburg des 14. Jahrhunderts, sondern auch für die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirkenden Historiker wie Johann Gustav Droysen, Reinhold Koser oder Otto Hintze. Sie sahen die Mark Brandenburg nach dem Aussterben der brandenburgischen Askanier von fremden Dynastien beherrscht und in der Folge von Anarchie und Chaos heimgesucht, welches das Land und die Herrschaft zu zerreißen drohte. In ihrer Geschichtsdarstellung verharrte die Mark Brandenburg in Erwartung der starken Hand der Hohenzollern, welche die Mark Brandenburg zur erneuten Blüte führen sollten: »Aber wie hätte das elende Regiment der Fremden, der Pfandherren in der Mark dem Unwesen steuern sollen; es wuchs fort und fort wie die Macht des Adels und die Zerrüttung des Landes, bis die Hohenzollern kamen.«2 Droysen wusste auch bereits das Ende der Geschichte auszumachen und formulierte mit Blick auf die spätere preußische Geschichte: »Dieser Staat begann, als den Hohenzollern das Regiment der Marken übergeben ward […] Mit dieser Gründung […] schließt unser deutsches Mittelalter.«3 Tatsächlich erlebte die Mark Brandenburg mit dem Tod des letzten askanischen Markgrafen Woldemar eine wechselvolle Zeit, in deren Nachfolge für ein Jahrhundert bislang herrschende dynastische und politische Kontinuitäten einer neuen Dynamik unterworfen wurden. Das Land rückte gleichsam aus der politischen Peripherie des Reiches in das Zentrum des Interesses der königsfähigen Dynastien und dies nicht erst, nachdem die Goldene Bulle Karls IV. den besonderen 1 Vgl. Schlenther, Paul (Hg.): Causerien über Theater von Th. Fontane, Berlin 1905, S. 270. 2 Vgl. Droysen, Johann Gustav: Geschichte der preußischen Politik. Erster Teil. Die Gründung, Berlin 1855, S. 49. 3 Ebd., S. 4.

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Zum Geleit

Rang der Mark Brandenburg im Reich festschrieb. Die Mark Brandenburg wurde in ein Kräftespiel neuer Qualität hineingezogen, das um so stärker wirken musste, als dass die aggressive Expansion der Askanier gegenüber ihren Nachbarn in den vergangenen Jahrzehnten nun mit einer Rückholbewegung seitens letzterer beantwortet wurde. In vergleichsweise knapper Folge regierten Vertreter der Dynastien Wittelsbach und Luxemburg, ehe die bereits benannten Burggrafen von Nürnberg in die Mark Brandenburg gelangten. Ob dies allerdings erlaubt, das Jahrhundert als »krisenhaft« zu charakterisieren, bleibt ebenso so fraglich wie die Einschätzung, dass die individuelle »Leistung« der Markgrafen für die »Krise« verantwortlich zu machen sei, wie es in der Forschung oft formuliert wurde. Die vorliegende Arbeit möchte den Versuch unternehmen, in dieses offenbar wechselvolle, geradezu chaotisch anmutende Jahrhundert brandenburgischer Geschichte einzutauchen, um die Herrschaft der Markgrafen des 14. Jahrhunderts eingehender zu beleuchten. Dabei wird die Arbeit nicht umhin kommen, zu bestehenden Forschungsdiskursen über »Herrschaft«, »Landesherrschaft« oder »Krise« Stellung zu beziehen, ehe mit Blick auf die Ergebnisse vorliegender Untersuchung, eigene Verständnisformen von spätmittelalterlicher Herrschaft in der Mark Brandenburg dargestellt werden sollen. Die »Herrschaft« der Markgrafen soll dabei mit der Perspektive der »Ferne« in Gestalt von räumlich-geographischer und mentaler Entfernung der Markgrafen zur Markgrafschaft konfrontiert werden. Dies nicht nur, weil die »Ferne« von spätmittelalterlichen Herrschaftsträgern auf der Ebene der Reichsterritorien bisher kaum behandelt wurde, sondern weil insbesondere die brandenburgische Historiographie die Ferne der Markgrafen zum Signum des »krisenhaften« Jahrhunderts gemacht hat. War die Arbeit zunächst nur auf einen Vertreter einer Dynastie angelegt, mithin also zeitlich eng geführt, ist diese Gliederung zugunsten einer wesentlich breiteren Ausgestaltung auf ein Jahrhundert (1319–1426) und Vertreter der Dynastien Wittelsbach, Luxemburg und Hohenzollern ausgedehnt worden. Notwendigerweise ist damit der Breite gegenüber der Detailtiefe der Vorzug gegeben worden. Dies erschien mit der Aussicht auf einen umfassenderen Überblick ertragreicher, zumal in Gestalt von ausgesuchten Fallbeschreibungen ein genauerer Blick ermöglich werden sollte. Wildenbruchs Leistungen gilt es nachzueifern und zu hoffen bleibt, dass es der Arbeit gleichermaßen gelungen ist, dem kolossalen Wirrwarr des 14. Jahrhundert erhellende Punkte und Linien hinzuzufügen, wie dem Leser und der Leserin eine ansprechende Darstellung vorgelegt zu haben.

Zum Geleit

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Einleitung

»Herrschaft« und »Landesherrschaft« als Forschungsgegenstand in der Mediävistik

Landesgeschichtlich orientierte Arbeiten über die »Herrschaft«1 und »Landesherrschaft« von Fürsten im Spätmittelalter neigen häufig dazu, fast voraussetzungslos mit der Darstellung der Besitzstandsgeschichte des Fürsten, der Entwicklung seiner Einnahmen und Ausgaben oder der Gestalt der Kanzlei zu beginnen; zumindest gilt dies für die betrachteten Arbeiten über die Mark Brandenburg2 des Spätmittelalters. Dem Leser erschließt sich so allenfalls indirekt ein Einblick in das Herrschaftsverständnis des Autors und seine theoretischen Ausgangsvoraussetzungen. Dies ist eine unbefriedigende Situation, kann aber angesichts der wissenschaftsgeschichtlichen und theoretischen Beschaffenheit der Begriffe »Herrschaft« und »Landesherrschaft« wieder verständlich werden. In Anbetracht der zahlreichen Arbeiten von sich ergänzenden und widersprechenden Historikern und mit Blick auf die Regale füllende Literatur erscheint es unmöglich, der Anspruch vermessen, mit einer landesgeschichtlich orientierten Arbeit auf wenigen Seiten, wenn auch nur subjektive, Klarheit in eine bestehende »Forschungskonfusion«3 zu bringen. Die besondere Schwierigkeit ergibt sich dabei nicht nur aus der reinen Quantität der Arbeiten, sondern auch aus der Tatsache, dass der Begriff der Herrschaft, als Begriff der »gebildeten Umgangsprache«4 wie es Otto Brunner zutreffend formulierte, auf eine Vielzahl von Zuweisungen und fächerübergreifenden Zugängen hindeutet. Eine zumindest die eigenen Ausführungen leitende Definition wird damit – wie Brunner mahnte – jedoch unerlässlich. Mit diesem Postulat im sprichwörtlichen Glashaus sitzend, gilt es im Folgenden nicht zu kritisieren, sondern vor dem Panorama einer breiten Forschungslandschaft eigene Gebundenheit und Voraussetzungen herauszustellen. Ein umfassendes Bild wird 1 Koselleck, Reinhart: Herrschaft I., in: Brunner, Otto, Conze, Werner, Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 1–4; Moraw, Peter: Herrschaft II., in: Ebd., S. 5–13. 2 Vgl. Ahrens, Karl-Heinz: Residenz und Herrschaft. Studien zur Herrschaftsorganisation, Herrschaftspraxis und Residenzbildung der Markgrafen von Brandenburg im späten Mittelalter, Frankfurt/M. 1990; Podehl, Wolfgang: Burg und Herrschaft in der Mark Brandenburg. Untersuchungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte unter besonderer Berücksichtigung von Altmark, Neumark und Havelland, (Mitteldeutsche Forschungen, 76), Köln 1975. 3 Schubert, Ernst: Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, 35) München 1996, S. 52. Ähnlich gelagert zu Schuberts Formulierung der Forschungskonfusion ist die Einstellung von Graus, wenn er eine Atomisierung der Forschung in Form von Fallstudien befürchtet. Graus, František: Verfassungsgeschichte des Mittelalters, in: HZ 243 (1986), S. 529–589, hier S. 578. 4 Brunner, Otto: Bemerkungen zu den Begriffen »Herrschaft« und »Legitimität«, in: Oettinger, Karl; Rassem, Mohammed (Hg.): Festschrift für Hans Sedlmayr, München 1962, S. 116–133, hier S. 116ff.

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Einleitung

dabei nicht angestrebt, vielmehr wird es darum gehen, bereits bei der Skizzierung der bestehenden Forschung eigene verständnisformende Schneisen in den Dschungel historischer Herrschaftsdefinitionen zu schlagen, um nachfolgend die eigene Fragestellung zu erörtern. »Herrschaft« und die damit verbundene Ungleichheit zwischen Herrschenden und Beherrschten sind seit jeher Grundkonstanten aller gesellschaftlichen Gebilde5 und damit wichtiger Gegenstand des Erkenntnisinteresses von Soziologie und Geschichtswissenschaft. Gleichwohl ist es nicht möglich, den Ursprung von Herrschaft nur wissenschaftlich erklären zu wollen.6 Während die Soziologie sich vor allem – im deutschsprachigen Raum – in Gestalt von Max Weber darauf konzentriert mit der Soziologen eigenen Abstraktion, Funktionsweisen von Herrschaft und deren Legitimitätsgrundlagen zu identifizieren, setzt der Historiker an seinem konkreten historischen Gegenstand an und versucht diesen zu beschreiben und zu erklären. Dies hat zur Folge, dass eine ganze Bandbreite von herrschaftlichen Beziehungsverhältnissen beschrieben worden sind, wie etwa Gerichtsherrschaft, Lehnsherrschaft, Grundherrschaft, Königsherrschaft usw.7 Eine umfassende Definition von Herrschaft bleibt bei den Historikern insofern immer gekoppelt an konkrete Erscheinungen von Herrschaft, so dass allgemeine Aussage letztlich weder möglich noch nötig werden. Die Rückgebundenheit von Soziologen und Historikern auf die eigene Gegenwart, in der sich Herrschaft im modernen Staat8 ausdrückt, ist jedoch für beide Disziplinen konstituierend. Weber ging der Frage nach, wie aus dem Phänomen Herrschaft in Gefolge der von ihm herausgearbeiteten »okzidentalen Rationalität« als Entwicklungsmoment der moderne bürokratisch-anstaltstaatliche Staat in Europa entstand. Die Verfassungshistoriker ihrerseits – und sie vor allem haben das Forschungsfeld »Herrschaft« bis fast in die Gegenwart beansprucht – haben die Entstehung des modernen Staates als »telos« der Geschichte mal vorsätzlich9 mal mit größer werdender Distanzierung10 als Perspektive der Herrschaftsbetrachtung gewählt: Prägnant formulierte Frantisek 5 Vgl. Bendix, Reinhard: Könige oder Volk. Machtausübung und Herrschaftsmandat. Erster Teil, Frankfurt/M. 1980, S. 34. 6 Vgl. Wieland, Georg: Die Rezeption der aristotelischen »Politik« und die Entwicklung des Staatsgedankens im späten Mittelalter: Am Beispiel des Thomas von Aquin und des Marsilius von Padua, in: Mock, Erhard; Wieland, Georg (Hg.): Rechts- und Sozialphilosophie des Mittelalters, (Salzburger Schriften zur Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie, 12), Frankfurt/M. 1990, S. 67–81, hier S. 70. 7 Deshalb kommt Kroeschell zum Schluss, dass Herrschaft als allgemeine Kategorie eher Ergebnis soziologischer, denn historischer Wissenschaft ist. Vgl. Kroeschell, Karl: Haus und Herrschaft im frühen deutschen Recht. Ein methodischer Versuch, (Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien, 70), Göttingen 1968, S. 19. 8 Zur Genese des Begriffs des modernen Staates noch relevant: Skalweit, Stephan: Der »moderne Staat«. Ein historischer Begriff und seine Problematik (Vorträge / Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Geisteswissenschaften 203), Opladen 1975, S. 17ff. 9 Zur verfassungshistorischen Forschung des 19. Jahrhunderts, vgl. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19.  Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder, (Schriften zur Verfassungsgeschichte 1), Berlin 1961. 10 Zu denken ist hier an die Arbeiten Theodor Mayers und die von ihm zunächst herausgegebenen Ergebnisse des Konstanzer Arbeitskreises in »Vorträge und Forschungen«. Ferner z.B. Hofmann, Hans Hubert (Hg): Die Entstehung des modernen souveränen Staates, Köln, Berlin 1967.

»Herrschaft« und »Landesherrschaft«

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Graus deshalb bei seinen Reflexionen über den Stand der Verfassungsgeschichte in Deutschland, dass Verfassungsgeschichte von der Priorität des staatlichen Lebens ausginge.11 Darauf gilt es noch beim Begriff der »Landesherrschaft« zurückzukommen. Den wichtigen methodischen Bruch gegenüber dem 19. Jahrhundert vollzog Brunner mit »Land und Herrschaft« 1939.12 Er kritisierte die vor allem durch die Rechtsgeschichte vorgenommene anachronistische Verwendung des Staatsbegriffs für mittelalterliche Verhältnisse und betonte eine Besinnung auf die Quellen, verbunden mit der Wahrnehmung einer eigenständigen mittelalterlichen Realität.13 Der zentrale Begriff der Verfassungsgeschichte war nun nicht mehr der Staat, sondern die Herrschaft. Brunners Werk setzte mehrere wesentliche Impulse: Zum Einen definierte er »Land« als ein vom Fürsten getrenntes eigenständiges rechtliches Konstrukt, das sich vor allem aus dem Adel zusammensetzte und das in Wechselbeziehung zum Fürsten stand. Entscheidend war also die Postulierung einer bestehenden legitimen mithin adligen Herrschaft, neben der vermeintlich einzig natürlichen, staatlich-fürstlichen Herrschaft. Die Vorstellung einer monarchisch-staatlichen Herrschaft wurde ersetzt durch eine aristokratische Perspektive, die sich gleichsam im Land abbildete.14 Zum Zweiten definierte Brunner als Wesensmerkmal und Legitimitätsgrundlage von mittelalterlicher Herrschaft das Konstrukt von »Schutz und Schirm« gegen »Rat und Hilfe«, welches aus der Hausherrschaft hervorgegangen sei.15 Dieses Modell ist trotz der zu diskutierenden Kritik jüngster Zeit16 gemeinhin als Kernelement von mittelalterlicher Herrschaft anerkannt.17 »Land und Herrschaft« ist in Dissertationen zumal landesgeschichtlicher Orientierung als stehender Begriff ebenso ein geflügeltes Wortpaar geworden, wie das »Schutz und Schirm-Konzept«. Die Brunnersche Herrschaftsdefinition ist – zur methodischen Absicherung – an einem konkreten Sachverhalt formuliert. Eher soziologisch orientiert hingegen wäre eine Definition, wonach 11 Vgl. Graus: 1986, S. 547f. So auch die sich auf Graus beziehende Selbsteinschätzung von Schneidmüller/Weinfurter. Vgl. Schneidmüller, Bernd; Weinfurter, Stefan: Ordnungskonfigurationen. Die Erprobung eines Forschungsdesigns, in: Schneidmüller, Bernd; Weinfurter, Stefan (Hg.) Ordnungskonfigurationen im Hohen Mittelalter, (Vorträge und Forschungen, 64), Ostfildern 2006, S. 7–18, hier S. 15. 12 Vgl. Brunner, Otto: Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, Darmstadt 1990. 13 Ebd., S. 114. Mit der Evidenz dieser Aussage ist angesichts der brandenburgischen Landesgeschichte des 19. Jahrhunderts leicht zu zeigen, was im landesgeschichtlichen Forschungsüberblick noch eingehender behandelt werden soll. 14 Neben Brunner bot Theodor Mayer mit seiner Begriffsbildung des »Personenverbandsstaats« eine neue verfassungsgeschichtliche Perspektive für die mittelalterlichen Realitäten. Vgl. Mayer, Theodor: Die Ausbildung der Grundlagen des modernen deutschen Staates im Hohen Mittelalter, in: HZ 159 (1939), S. 457–487. Zur Rezeption des Begriffs: Schubert: 1996, S. 57f. 15 Hierbei steht er in Verbindung zu Weber und dem »oikos«. Ferner findet sich die Übereinstimmung in der Vorstellung von Zwing und Bann als Grundlage von Herrschaft. Vgl. auch: Bosl, Karl: Schutz und Schirm, Rat und Hilfe als Voraussetzung von Steuer, Abgabe und Dienst im Mittelalter, in: VSWG 111 (1994), S. 43–52. 16 Vgl. Algazi, Gadi: Herrengewalt und Gewalt der Herren im späten Mittelalter, Frankfurt/M., New York 1996. 17 Vgl. Moraw, Peter: 1982, S. 5–13, hier S. 8.

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Einleitung