Die Geschichte des Lebens in 100 Fossilien

Mila und Lorenzo O'Dea und Emma und James Taylor. ... hätte Charles Darwin seine Theorie der natürlichen Selektion womöglich nicht entwickelt. Fossilien ...
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Die Geschichte des Lebens in

100 FOSSILIEN PAUL D. TAYLOR & AARON O’DEA

Aus dem Englischen von Gudrun Kräbs

Dieses Buch widmen wir unseren eigenen wertvollen Unikaten: Mila und Lorenzo O’Dea und Emma und James Taylor.

A History of Life in 100 Fossils was first published in England in 2014 by The Natural History Museum, London. Copyright © The Trustees of the Natural History Museum, 2014 Photography copyright © The copyright holders 2014 (see picture credits) This edition is published by Wissenschaftliche Buchgesellschaft by arrangement with the Natural History Museum, London. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. Der Konrad Theiss Verlag ist ein Imprint der WBG © 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Textredaktion und Satz: Verlagsservice Henninger, Würzburg Einbandgestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-3148-9 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-3243-1 eBook (epub): 978-3-8062-3244-8

Inhalt EINLEITUNG 4

PRÄKAMBRIUM 6 Die ältesten Fossilien der Welt 8 s Die Große Sauerstoffkatastrophe 10 s Embryonenrätsel 12 s Das präkambrische Paradox 14 s

PALÄOZOIKUM 16 Die Kambrische Explosion 18 s Die Würmer gehen an Land 20 s Die ersten Stachelhäuter 22 s Paläozoisches Plankton 24 s Vettern der Seesterne 26 s Ordovizische Räuber 28 s Frühe Symbiose 30 s Geheimnisvolle Zähne 32 s Herrscher der Riffe 34 s Wälder aus Stein 36 s Skorpione der Urzeit 38 s Landnahme 40 s Bodensauger 42 s Erstes Sehen 44 s Räuber austricksen 46 s Halte mit oder du bist raus! 48 s Kiefer 50 s Erzfeinde der Haie 52 s Der Gang an Land 54 s Viereckige Quallen 56 s Energie aus dem Wald 58 s Die Kontinentaldrift 60 s Riesenamphibien 62 s Spirale aus Zähnen 64 s Sexueller Reiz oder Solarmodul? 66 s Konserviert durch Kieselsäure 68 s Die Massenaussterben 70 s

MESOZOIKUM 72 Der Liliput-Effekt 74 s Auf halbem Weg zum Säugetier 76 s Der Beginn von Großem 78 s Sicherheit durch Isolation 80 s Vielfältige Knochenfische 82 s Zehennägel des Teufels 84 s Massensterben 86 s Überlebende 88 s Fischsaurier 90 s Getarnt und langlebig 92 s Mit Paddeln zur Legende 94 s Farbe und Fossilien 96 s Überlebensgroß 98 s Korrelation 100 s Vögel schlüpfen 102 s Riesige Insekten 104 s Lebende Fossilien 106 s Kraftvoller Flug 108 s Dinosaurierzähne 110 s Netze aus Seide 112 s Hohe Andentanne 114 s Sexuelle Selektion 116 s Verlust des Skeletts 118 s Kreidefelsen 120 s Pumpende Maschinen 122 s Wettrüsten 124 s Aus der Tiefe der Zeit geholt 126 s Brutpflege 128 s Polar-Dinosaurier 130 s Abgegrast 132 s Mosasaurier aus Maastricht 134 s Muscheln und Öl 136 s Der legendäre König 138 s Das KT-Aussterben 140 s Klein und einfach 142 s

KÄNOZOIKUM 144 Die Entstehung von Fossilien 146 s Jungfernflug 148 s Zurück ins Wasser 150 s Willenloser Todesgriff 152 s Krabben und Konkretionen 154 s Amöben und Pyramiden 156 s Kalte Quellen in der Karibik 158 s Eine Schnecke von Darwin 160 s Eine tolle Zeit für Wale 162 s In der Zeit steckengeblieben 164 s Ursprünge der Primaten 166 s Blühende Pflanzen 168 s Wirbelnde Samaras 170 s Halbherzige Meeres-schildkröte 172 s Punktualismus 174 s Vor dem Consul 176 s Schrecken der Vogelbeobachter 178 s Isolation und Austausch 180 s Fossile Frösche 182 s Spiraliger Bezoar 184 s Ödes Meer 186 s Energie sparen 188 s Linksgewundene Schnecken 190 s Der Bunyip am Wasserloch 192 s Amerikanischer Austausch 194 s Fehlende Bindeglieder 196 s Gefährten in der Asche 198 s Inselverzwergung 200 s Gerichtete Evolution 202 s Mammut-Märchen 204 s Pseudopanax-Vermächtnis 206 s Geweihkoralle 208 s Schlachtung der Sirenen 210 s Unser letzter Vorfahr? 212 s

FOSSILIEN IM DETAIL 214 s GEOLOGISCHE ZEITSKALA 219 s INDEX 220 s ZUR VERTIEFUNG 223 s BILDNACHWEIS UND DANK 224 s

Einleitung 4

Die Geschichte des Lebens ist in Stein geschrieben oder genauer in Fossilien, die im Gestein

DIE GESCHICHTE DES LEBENS IN 100 FOSSILIEN

enthalten sind. Fossilien sind Überreste uralter Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroben, die durch natürliche Vergrabungs- und Verschüttungsprozesse erhalten sind. Ohne Fossilien hätte Charles Darwin seine Theorie der natürlichen Selektion womöglich nicht entwickelt. Fossilien, die Darwin in Südamerika während seiner prägenden Jahre als Naturforscher an Bord der HMS Beagle gesammelt hatte, überzeugten ihn, dass die Erde einst von Tieren und Pflanzen bewohnt war, die anders waren als heute lebende. Mit der Zeit hat sich das Leben verändert, alte Arten sind ausgestorben und neue haben sich aus den alten entwickelt. Über 99 % aller lebenden Arten sind mittlerweile ausgestorben. Wandel ist ein notwendiger Teil der Evolution. Allerdings lösen neue Arten nicht einfach alte ab, wie Baron Cuvier und andere prominente Naturforscher, zur Zeit Darwins, glaubten. Damit Evolution stattfinden kann müssen sich aus existierenden Arten neue entwickeln. Fossile Funde sind nur ein sehr unvollständiges Verzeichnis, auch wenn die erhaltenen Fossilien fantastisch sind. Nur ein kleiner Teil der existierenden Arten fossilsiert und bei den bekannten fossilen Arten wird nur der kleinste Teil einst lebender Individuen als Fossilien ausgegraben. Außerdem gehen weiche Körperteile wie Muskeln, Nerven und Eingeweide bei der Fossilisation verloren und DNA verschwindet auch mit der Zeit. Trotzdem erlaubt uns die sorgfältige Erforschung fossiler Funde bahnbrechende Ereignisse in der Geschichte des Lebens aufzudecken. Alles Leben auf Erden hat einen gemeinsamen Vorfahren. So belegen die fossilen Funde einen „Anlauf “ der Evolution auf einem Planeten. Auffallend ähnliche Ereignisse wiederholen sich mit der Zeit. Diese Wiederholungen decken die fundamentalen, evolutionären Prinzipien auf, wie beispielsweise die konvergente Evolution, bei der unähnliche Organismen während der Anpassung auf dieselbe Lebensweise eine ähnliche Form entwickeln. Es gibt grundsätzlich zwei Sorten von Fossilien: Körper- und Spurenfossilien. Körperfossilien sind erhaltene Schalen, Knochen, Zähne, Blätter, usw. von einst lebenden Organismen. Spurenfossilien sind Anzeichen für Aktivität von Organismen, wie Fußspuren, Höhlen und Exkremente. Durch beide erhalten Paläontologen viele Informationen darüber, welche Arten wann und wo existierten und wie sie, während der fast 4,6 Milliarden Jahre geologischer Zeit seit der Erdentstehung, lebten. Spurenfossilien halten Verhalten von längst toten Tieren im Detail fest. Jedoch ist die exakte Identität des Spurenverursachers nur selten bekannt, es sei denn Körperfossilien sind ebenfalls vorhanden.

Inspiriert von der immensen Sammlung unserer jeweiligen Museen, haben wir Fossilien ausgesucht, die die Meilensteine in der Geschichte des Lebens vom Ursprung bis zur Entstehung des modernen Menschen untermauern. Die ersten und letzten Fossilien einer Art sind besonders entscheidend bei der Rekonstruktion der Geschichte des Lebens auf Erden: wann entwickelten sich bestimmte Typen von Tieren und Pflanzen, wann erlebten ausgestorbene Arten ihren Untergang und was wissen wir über ihre Evolution und ihr Aussterben? Die präsentierte Auswahl beruht auf der Verfügbarkeit von geeigneten Arten und unseren persönlichen Vorlieben; andere Paläontologen hätten zweifellos völlig andere 100 Fossilien ausgewählt.

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Mikroben zu Dinosauriern, von Landkreaturen zu Ozeanbewohnern. In der geologischen Zeit spielt sich die Geschichte des Lebens in einer Welt konstanten Wandels ab: Landmassen wanderten über die Oberfläche des Globus, Ozeane entstanden und verschwanden, Meeresspiegle stiegen an, um tiefliegendes Land zu überfluten und gaben es wieder frei. Dazu kommen schnellere Veränderungen. Der Ausbruch von Vulkanen, der lokal oft tödlich ist, hatte mitunter auch einen globalen Einfluss indem er den Aufbau und die Klarheit der Atmosphäre veränderte und damit das Klima auf dem gesamten Planeten. Unabhängig vom Grund schwankte das globale Klima stark in der geologischen Zeit. Polare Eiskappen kamen und gingen, mit tropischen Lebensräumen, die sich manchmal bis in höhere Breiten erstreckten, als heute. Nach vielen Spekulationen decken Wissenschaftler heute fesselnde Beweise außerirdische Einflüsse auf unseren Planeten und sein Leben auf, darunter die ökologische Zerstörung und Vernichtung von Ökosystemen durch die Kollision von Asteroiden auf die Erde. Andere Fossilien illustrieren evolutionäre Themen: Artenbildung, evolutionäre Radiation, Invasion, sexuelle Selektion, Riesenwuchs und Kleinwuchs. Trotz des Fortschritts in der modernen Genetik und Molekularbiologie stammt unser Wissen über die Entwicklung von Leben auf der Erde oft immer noch von fossilen Funden. Sie sind die Zeugen der Vergangenheit, unvollständige Zeugen, die nur durch einen sorgfältigen Blick verstanden werden. Wie die Theorie des Punktualismus (viele evolutionäre Linien blieben für millionen von Jahren statisch, um sich dann rapide zu veränderten), die durch detaillierte Forschung an fossilen Stammlinien entwickelt wurde. Alleine durch die Erforschung lebender Tiere und Pflanzen wäre sie niemals aufgedeckt oder erwartet worden. Die 100 Fossilien sind grob chronologisch geordnet, vom ältesten zum jüngsten. Dadurch entfaltet sich die Geschichte des Lebens mit den Seiten des Buches. Das Buch gliedert sich in vier Teile, in die Hauptabschnitte der geologischen Zeit (siehe S. 219 für den geologischen Zeitstrahl): Präkambrium (4600–540 Millionen Jahre), Paläozoikum (540–250 Millionen Jahre), Mesozoikum (250–65 Millionen Jahre) und Känozoikum (65 Millionen Jahre bis zum heutigen Tag). Diese Zeitalter sind Wissenschaftlern seit zwei Jahrhunderten bekannt und bilden natürliche Kapitel in der Geschichte der Evolution des Lebens.

EINLEITUNG

Unsere Fossilen decken das gesamte Spektrum des Lebens ab von Tieren zu Pflanzen, von

PRÄKAMBRIUM 6 DIE GESCHICHTE DES LEBENS IN 100 FOSSILIEN

Vor etwa 4,6 Milliarden Jahren bildete sich die Erde aus einer Wolke interstellaren

Staubs. Dies markierte den Beginn eines enormen geologischen Zeitalters, das Präkambrium genannt wird. Damals hätte ein Zeitreisender geglaubt, auf einem fremden Planeten gelandet zu sein. Ein verzeihlicher Irrtum, da der geringe Sauerstoffgehalt der Luft das Atmen unmöglich gemacht hätte und weder Tiere noch Pflanzen vorhanden waren. Vom Weltraum aus betrachtet, gab es die uns heute vertrauten Kontinente nicht; Form und Position der Landmassen waren vollkommen anders. Das Präkambrium dauerte vier Milliarden Jahre, also achtmal länger als das darauffolgende Phanerozoikum, und war eine Zeit tiefgreifender Umweltveränderungen. In den ersten 500 Millionen Jahren war die Erde aufgrund fortgesetzter Meteoriteneinschläge extrem ungastlich. Als der Meteorsturm schließlich nachließ, stabilisierte sich die Oberfläche unseres Planeten. Flüssiges Wasser und Kohlendioxid waren vorhanden, aber der Sauerstoffgehalt war sehr niedrig. Vor wahrscheinlich 3,9 Milliarden Jahren entstand unter diesen Bedingungen das Leben. Allerdings sind die ältesten bekannten Fossilien mit nur 3,45 Milliarden Jahren beträchtlich jünger. Diese winzigen Fossilien ähneln modernen Cyanobakterien und stellen nur eine von vielen Mikroorganismen-Arten dar, die im Präkambrium erfolgreich waren. Biofilme aus Bakterien und Cyanobakterien banden Sediment und bildeten so geschichtete Strukturen, die Stromatolithen. Erst da entstanden Fossilien, die so groß sind, dass man sie leicht erkennt. Die Stromatolithen sind ein Charakteristikum des Präkambriums. Sie erlebten ihre Blütezeit vor etwa 1,25 Milliarden Jahren und sind auch heute noch an bestimmten Orten, wie der Shark Bay in Westaustralien, zu finden. Bakterien und Cyanobakterien erzeugen ihre Lebensenergie auf unterschiedliche Weisen. Einer dieser Prozesse ist die Photosynthese, bei der Sauerstoff in die Atmosphäre gelangt. Der Sauerstoff, der von Präkambrium-Organismen produziert wurde, wurde anfangs von dem im Meer gelösten Eisen aufgenommen. Das oxidierte Eisen sank in Form der Mineralien Hämatit und Magnetit auf den Meeresboden und bildete dort großflächige Bänder. Viele dieser kommerziell wichtigen Ablagerungen entstanden vor 2,4 Milliarden Jahren während der „Großen Sauerstoffkatastrophe“. Als das Eisen nahezu vollständig gesättigt war, sammelte sich der Sauerstoff im Meer und in der Atmosphäre. Der steigende Sauerstoffgehalt bereitete den Weg für fortgeschrittenere Organismen mit großen, mehrzel-

7 Tieren auf der Suche nach Futter abgeweidet wurden. Wann genau komplexe Tiere auf der Erde auftraten, ist nach wie vor Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Der Abgleich der Unterschiede in den Molekülsequenzen von heutigen Tieren brachte einige Biologen zu der Überzeugung, dass es Fossilien großer Tiere schon in einer Milliarde Jahre altem Gestein geben müsse. Jedoch stammen die bislang ältesten derartigen Fossilien aus dem Ediacarium (635–542 Millionen Jahre) am Ende des Präkambriums. Zu diesen Funden zählen auch auf wundersame Weise erhalten gebliebene Embryonen und einige seltsam gefaltete größere Fossilien.

Vor 600 Millionen Jahren

PRÄKAMBRIUM

ligen Körpern, wie Pilze, Pflanzen und Tiere. Die Stromatolithen gingen zurück, da sie von

Die ältesten Fossilien der Welt Apex Chert 9 brechen sich unzählige Wissenschaftler die Köpfe, und wir sind von einer Antwort noch weit entfernt. Fossilien sind dabei nur bedingt hilfreich. Sie zeigen jedoch, dass alle lebenden Organismen, die älter als 600 Millionen Jahre sind, klein und einfach gebaut waren, wie die modernen Bakterien, und dass sie in mehr als Zweidritteln der 4,6 Milliarden Jahre langen Erdgeschichte existierten. 1993 beschrieb Professor J. William Schopf (* 1941), ein renommierter Spezialist für früheste Lebensformen, in einem Artikel die ältesten Fossilien der Welt. Er hatte sie in Westaustralien im Kieselschiefer des Apex Chert gefunden. Mithilfe der radiometrischen Daten des assoziierten Vulkangesteins wurden die Funde auf ein Alter von etwa 3,465 Millionen Jahren geschätzt. Die Fossilien selbst sind winzige Filamente, die Schopf als Cyanobakterien deutete. Sie sind kleiner als einhundertstel Millimeter und auf der Gesteinsoberfläche nicht zu erkennen. Sichtbar werden sie erst unter dem Mikroskop, nachdem der Kieselschiefer in lichtdurchlässige Dünnschliffe geschnitten wurde. Dann aber erscheinen zahllose gewundene, schlauchförmige, dunkelbraune oder schwarze Filamente, die oft mit Zwischenwänden unterteilt sind. Schopf unterschied elf verschiedene Typen, die er als eigenständige Arten ansah. Die Apex-Chert-Filamente lösten eine hitzige Debatte aus. Manche Wissenschaftler unterstützen Schopfs Behauptung, es handle sich um echte Fossilien, andere favorisieren jedoch eine anorganische Herkunft. Die Kontroverse verdeutlicht das generelle Problem: Wie können biologische Fossilien von anorganischen Strukturen unterschieden werden? Komplexe Fossilien sind unproblematisch – was kann, zum Beispiel, das stark gegliederte Skelett eines Trilobiten anderes sein als das Fossil eines einst lebendigen Organismus? Eine andere Sache sind dagegen einfache Strukturen wie die Apex-Chert-Filamente. Für die Fossilien-Theorie sprechen die große Ähnlichkeit mit heutigen Cyanobakterien sowie die chemische Zusammensetzung, die Schopf als Kerogen bestimmte, eine Kohlenstoffform, die beim Zerfall organischer Bestandteile lebender Organismen entsteht. Kritiker verweisen darauf, dass einige dieser Filamente im Gegensatz zu modernen Cyanobakterien verzweigt sind. Sie halten diese „Fossilien“ für Haarrisse im Gestein, die sich mit anorganischen Mineralien füllten. Zwar steht ein endgültiges Urteil über die Apex-Chert-Filamente noch aus, und das wird noch eine Weile so bleiben, doch andere chemische Belege bestätigen die Existenz von Leben auf der Erde vor 3,5 Milliarden Jahren.

PRÄKAMBRIUM

Über die Frage, wie Leben aus einem nicht lebendigen Vorläufer entstehen konnte, zer-

Die Große Sauerstoffkatastrophe Stromatolithen 10 DIE GESCHICHTE DES LEBENS IN 100 FOSSILIEN

Die Stromatolithen gehören zu den wichtigsten Organismengruppen in der Erdge-

schichte. Es sind keine Einzeltiere, sondern Gemeinschaften aus Cyanobakterien und Mikroben, die über viele Generationen hinweg Sedimente eingefangen und gebunden haben. So entstanden die charakteristisch geschichteten Säulen in felsähnlichen Formationen. Sie waren eine der ersten Lebensformen auf der Erde und es gibt sie auch heute noch. Der älteste Stromatolith wird auf unglaubliche 3,5 Milliarden Jahre datiert, möglicherweise sind sie sogar noch älter. Drei Milliarden Jahre lang dominierten sie im Flachwasser der Weltmeere, reproduzierten sich asexuell über Zellteilung, bildeten dicke Sedimentschichten und schufen sich ein wahres Nirwana. Scheinbar durch nichts aufzuhalten, stellten sie, um zu wachsen, aus Wasser, Kohlendioxid und Sonnenlicht Zucker her und produzierten dabei Sauerstoff – im Grunde wie bei der Photosynthese moderner Pflanzen. Anfangs verband sich dieser Sauerstoff mit den in den Weltmeeren gelösten Eisen und formte auf dem Meeresboden feste Schichten. Diese Bänder stellen den größten Teil der weltweit vorhandenen Eisenerze dar. Erst als das im Meer gelöste Eisen fast ganz gebunden war, konnte sich der Gehalt an freiem Sauerstoff in der Atmosphäre aufbauen, was zur „Großen Sauerstoffkatastrophe“ führte. Die Große Sauerstoffkatastrophe war der Durchbruch für die Entwicklung komplexer, sauerstoffatmender und sich sexuell fortpflanzender Lebensformen, die bald auf der Erde dominierten. Es wird vermutet, dass die anaeroben Bakterien der Stromatolithen sich nicht gegen das Abweiden durch komplexere, sauerstoffatmende Lebewesen schützen konnten und so ihre dominante Stellung einbüßten. Tatsächlich sind die Stromatolithen heute in extrem salzige Lagunen verbannt, in denen ihre Feinde nicht überleben. Wie es scheint, haben die Stromatolithen beim Aufbau der sauerstoffreichen Welt geholfen, die die Grundlage der heute bekannten, enormen Lebensvielfalt bildet. So haben sie ihren Niedergang – nicht aber ihre Auslöschung – selbst verursacht und sind jetzt gezwungen, ein Leben am Rande zu führen.

Embryonenrätsel Die Doushantuo-Fossilien 13 gewöhnlichen Bedingungen erhalten bleiben. Die Orte, an denen Fossilien gefunden werden, nennt man Lagerstätten. Die 580 bis 560 Millionen Jahre alte Doushantuo-Formation in China ist eine der bemerkenswertesten Lagerstätten der Welt. Dort sind Weichkörperfossilien in feinsten Details konserviert; sogar einzelne Zellen lassen sich mit leistungsstarker Scantechnik ausmachen. Diese ungewöhnliche Konservierung ist der Phosphatierung, also der Ersetzung absterbender Zellen durch Salze, die widerstandsfähiger gegenüber Zerfall und Zerstörung sind, zu verdanken. Die so entstandenen Fossilien helfen den Paläontologen, die Lücken bei der Rekonstruktion der Entwicklung tierischen Lebens zu schließen. Vor etwa 540 Millionen Jahren, in der Kambrischen Explosion, tauchten plötzlich fossile Skelette komplexer, vielzelliger Tiere auf. Dieser rapide Anstieg der Tiervielfalt könnte jedoch eher die Ausbildung harter Skelette widerspiegeln denn eine Diversifizierung des Lebens selbst. Analysen der DNA (der Bausteine, die alle bekannten Lebewesen besitzen) erhärten dies. Demnach hat die Entwicklung der Tiere vor etwa 780 Millionen Jahren ihren Ursprung in einem einzelligen Organismus, der sich mit einer peitschenähnlichen Struktur fortbewegte. Zwischen dem Beginn tierischen Lebens und dem eindeutigen Erscheinen von Tieren in den dokumentierten fossilen Funden besteht eine große Lücke, deshalb sind die Doushantuo-Fossilien so wichtig. In der Doushantuo-Formation findet man wunderschön erhaltene Fossilien, die erstaunlicherweise den Embryonen moderner Tiere ähneln. Sie bestehen aus nebeneinanderliegenden Zellen, was auf eine flexible Membran hindeutet, im Gegensatz zur festen Membran von Algen oder Pilzen. Die Anzahl der Zellen ist stets eine Zweierpotenz (1, 2, 4, 8 usw.), wie es für die embryonale Zellteilung charakteristisch ist. Die Zellen sind zudem größer als andere Zelltypen. Diese sehr alten Weichkörperfossilien werden ganz unterschiedlich interpretiert. Es wurde sogar bezweifelt, dass sie die ältesten Tierfossilien sind. Im Laufe der Debatte hat eine Wissenschaftlergruppe einige Fossilien in einem Teilchenbeschleuniger, dem Synchrotron, untersucht. Die Bilder haben, wie dieses hier, eine beispiellose Auflösung und zeigen nicht nur die Struktur der sich multiplizierenden Zellen, sondern im Innern durchweg auch einen Kern. Stimmt dies, so können es keine Embryonen sein. Um was handelt es sich aber dann? Manche denken an eine parasitäre Lebensform, die ihre Zellen in einer Zyste vermehrte, die dann als „Sporen“ diese sprengten und so die nächste Generation verbreiteten.

PRÄKAMBRIUM

Im Fossilienbestand sind Tiere ohne Skelett sehr selten, da Weichtiere nur unter außer-

Das präkambrische Paradox Dickinsonia 14 DIE GESCHICHTE DES LEBENS IN 100 FOSSILIEN

Während der australische Geologe

Reg Sprigg (1919–1994) in den Ediacara

Hills Südaustraliens sein Mittagessen einnahm, machte er den bedeutsamsten Fossilfund aller Zeiten. Sprigg fand einige fast 600 Millionen Jahre alte, eigenartige, quallenähnliche Abdrücke im Gestein. Aus der Zeit vor der Kambrischen Explosion (S. 18), erstaunen diese Ediacara-Fossilien immer noch die Paläontologen. Zuvor wurden ähnliche Versteinerungen in Neufundland und Namibia entdeckt. Da Zweifel an ihrem Alter und daran bestanden, ob es überhaupt Fossilien waren, fanden sie jedoch kaum Beachtung. Sie rückten erst in den Fokus, als im englischen Charnwood Forest, Leicestershire, andere Ediacara-Fossilien, die Charnia, in Gestein gefunden wurden, das sicher aus dem späten Präkambrium stammt. Doch was ist an den Ediacara-Fossilien so besonders? Zum einen haben sie nicht die Spur eines harten Skeletts und unterscheiden sich stark von den Schalentieren, die im jüngeren Gestein nach der Kambrischen Explosion entdeckt werden. Wichtiger ist jedoch, dass sie sich jedem Vergleich mit lebenden Organismen entziehen. Einige ähneln plattgedrückten Quallen, wegen der fehlenden Tentakel ist diese Zuweisung aber nicht haltbar. Andere, wie die Charnia, sehen blattähnlich aus. Deswegen hielt man sie zunächst für Verwandte der modernen Seefedern. Was allerdings nicht sein kann, da die festen Wedel der Charnia nicht zu den Polypenästen der Seefedern passen. Daneben gibt es noch fremdartiger wirkende Ediacara-Fossilien. Dickinsonia, die wie scheibenförmige Würmer mit segmentiertem Körper aussehen und wenige Zentimeter bis über ein Meter groß werden, ohne – was ungewöhnlich ist – dabei stark die Form zu verändern. Tribrachidium, auch ein scheibenförmiges Ediacara-Fossil, mit seinem dreistrahligen Aufbau, der der dreibeinigen Triskele im Wappen der Insel Man gleicht. Über die Identität dieser bizarren Fossilien besteht noch kein Konsens. Handelt es sich um Tiere, Pflanzen oder, wie ein prominenter Paläontologe vorschlägt, eine Art Flechte (eine Symbiose aus Pilz und Alge)? Einige Wissenschaftler halten sie für primitive Vorfahren von heutigen Tierstämmen, andere für eine eigenständige Gruppe längst ausgestorbener, gefalteter Organismen – die Vendobionten. Unklar ist auch, wie sie gelebt haben. Bezogen sie ihre Energie aus der Photosynthese, ernährten sie sich, wie viele moderne Meerestiere, von Plankton oder absorbierten sie gelöste organische Stoffe aus dem Salzwasser? Eine Lehrmeinung besagt, dass einige Ediacara-Fossilien Tiere waren, die sich von mikrobiellen