Die blauen Huegel - Libreka

Ein etwas übereifriger Junge schmiss seinen Fel- lumhang in eine Ecke und rannte zu dem alten. Wolf, der neben Svens Stuhl auf einem Teppich lag. Der Wolf wollte sich wehren und knurrte, doch der Junge beachtete dessen Einwand nicht und streichelte ihn trotzdem. Sven sah ihm ge- nau zu. Er erinnerte ihn ein wenig ...
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Peter Schreiber

Die blauen Hügel Fantasyroman © 2013 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2013 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag, Berlin Coverbild: Fotolia, 24593690,- eternal world, © Phil Daub Printed in Germany ISBN 978-3-86254-984-9 AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Sven

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I Es war ungefähr im Jahre 980 nach Christi Geburt, als während des Winters ein alter Mann in seiner Holzhütte vor einem Feuer saß. Dieser dänische Winter war einer der kältesten und stürmischsten seines bisherigen Lebens, zumindest schien es ihm so. Das Feuer brannte den ganzen Tag über, und er stand jede Nacht auf, um ausreichend Holz nachzulegen. Er hätte es lieber gehabt, wenn ihm dabei jemand geholfen hätte, doch abgesehen von seinem tierischen Gefährten, einem ebenso alten Wolf, den er mit eigenen Händen aufgezogen hatte, lebte er allein. Die Hütte war nicht allzu groß, aber sie hatte bisher immer ausgereicht. Ein großer Wohnraum mit einem Holztisch, ein paar Stühlen sowie der mit kleinen Steinquadern ummauerten Kochund Feuerstelle. Der Schlafplatz befand sich in einem kleineren Raum, den sie nachträglich in einem früheren Sommer angebaut hatten. Sieben Bäume hatten 4

dafür gefällt werden müssen. Die Freunde des alten Mannes hatten ihm dabei geholfen. Er erinnerte sich gerne an diese Zeit zurück. Es war ein wunderbarer Sommer gewesen. Der Tisch war damals reichlich gedeckt gewesen. Es gab so viele Fische im Fjord, dass sie nicht einmal weit mit ihren Fischerbooten hinaussegeln mussten. Die Fische sprangen wie von allein in die Netze. Auch Rentiere und Hasen kamen bis an das Dorf heran. Sein kleines Dorf, Estwick. Eines Morgens war er aufgestanden, um auf die Jagd zu gehen. Damals war er noch jung gewesen. Trotz seines Tatendrangs hatte er nur ein paar Meter in den Wald laufen müssen, da waren schon die ersten, aufgeschreckten Rentiere an ihm vorbeigesprungen. Er hatte einen Pfeil in die Sehne gelegt, den Bogen erhoben und getroffen. Er hatte das Tier mit bloßen Händen bis auf den großen Platz gezogen, um den die Hütten und Häuser angeordnet waren. Alle waren in dieser Zeit satt geworden. Doch inzwischen war es anders. Die Zeiten änderten sich. Er selbst konnte nicht mehr auf die Jagd gehen. Dazu war er zu alt. Hin und wieder brachte ihm 5

jemand gepökeltes Fleisch oder Gemüse, doch das reichte kaum aus, um zu überleben. Ein kleines Zubrot blieb ihm noch. Auch heute war es wieder an der Zeit. Die Meisten in Estwick hörten nicht auf ihn. Sie lachten ihn aus, hielten ihn für verrückt. Er hatte sich schon die wildesten Sachen anhören müssen. »Du hast zu viel von dem vergorenen Hopfen getrunken«, hatte ihm einer im Vorbeigehen zugerufen, als er gerade frisches Holz aus dem kleinen Schuppen neben seiner Hütte holen wollte. »Der Met war dieses Jahr besonders gut, nicht wahr, mein Freund? «, so ein anderer. Doch der alte Mann hatte darauf nur geantwortet, »kümmere dich um deinen eigenen Kram, Sohn einer alten Ziege.« Der andere hatte gelacht und gesagt, »Du warst zu lange allein. Die Tiere und deine vier Wände sprechen zu dir.« Dann war er weitergegangen und hatte den alten Mann in Frieden gelassen.

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Schon oft hatte er ihnen das Leben gerettet. Ohne ihn würde es Estwick schon lange nicht mehr geben. Allerdings erinnerte sich daran niemand mehr. Der alte Mann blickte in die Glut des Feuers. Es war schon fast wieder heruntergebrannt. Er nahm etwas frisches Holz und legte es vorsichtig auf die fast verglühten Holzscheite. Dann nahm er die Eisenzange, die immer neben dem Feuer an der Wand hing und schob das Holzscheit nach hinten durch. Er wollte noch ein zweites auflegen. Funken stoben durch die Luft und setzten sich auf seiner behandschuhten Hand ab. Er pustete sie fort, doch der ein oder andere fraß sich in das Leder und hinterließ eine bleibende Spur, ähnlich einer Narbe. Es klopfte nicht an der Tür, sie wurde einfach aufgerissen und eine vereisende Windböe stieß ihm entgegen. Er drehte sich um. Sein Wolf hob kurz den Kopf. »Sven, kannst du uns heute wieder eine Geschichte erzählen?«, fragte ein Mädchen, das durch die Tür gestolpert kam. 7

Es war etwa 14 Jahre alt und nicht allein. Fünf weitere Kinder und eine Frau besten Alters folgten. Der alte Mann erhob sich von seinem Holzstuhl und legte seine Wolldecke beiseite, die er immer um die Beine geschlungen hatte, wenn er länger saß. Die ersten Schritte schmerzten im Rücken und in den Gelenken, doch dann ging es besser. »Seid gegrüßt«, wandte er sich an die Kleine und kraulte ihr durch die Haare, was sie kichern ließ. »Wollt ihr Ziegenmilch haben? Honig sollte auch noch da sein«, bot er ihnen an. Ein etwas übereifriger Junge schmiss seinen Fellumhang in eine Ecke und rannte zu dem alten Wolf, der neben Svens Stuhl auf einem Teppich lag. Der Wolf wollte sich wehren und knurrte, doch der Junge beachtete dessen Einwand nicht und streichelte ihn trotzdem. Sven sah ihm genau zu. Er erinnerte ihn ein wenig an sich selbst, als er noch jung war und keine Furcht gehabt hatte. »Ganz zum Leidwesen Gleipnirs«, schmunzelte der alte Mann.

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Seine Schwester Linda hatte ihrerzeit dem Wolf diesen Namen gegeben. In den Sagen über die alten Götter hatte er eine Bedeutung. Dort gab es einen Wolf, der war nicht wie Gleipnir. Er war abgrundtief böse, verschlang und tötete alles, was ihm in die Quere kam. Die Alben hatten einen magischen Faden gesponnen, um ihn an einen Felsen zu binden. Dieser Faden, Gleipnir, hält den Fenriswolf bis heute gefangen. Befreien kann er sich erst bei Ragnarök, wenn er gegen Odin in die Schlacht zieht und ihn verschlingt. »Setzt euch doch um das Feuer, das hält warm an diesen eisigen Tagen.« Dann kam Sven auch schon mit der Ziegenmilch und einem großen Bottich mit Honig. Er reichte sie in die Runde und setzte sich wieder in seinen alten Holzstuhl. Ein Junge fragte höflich, »Soll ich dir helfen?« »Nein, das schaffe ich auch allein«, wies er ihn dankend ab. Sven nahm seine Decke. »Was hast du getrieben, als du noch jung warst?«, wollte das Mädchen wissen.

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»Hast du Abenteuer erlebt?«, fiel der Junge aufgeregt ins Wort. Sven schaute in das prasselnde Feuer. »Als ich jung war, habe ich viele Abenteuer erlebt. Ich habe einiges von der Welt gesehen und noch ein bisschen mehr. Es lohnt nicht, nur von mir zu berichten. Da gab es noch andere, mit denen ich gezogen bin und wieder andere, die unsere Wege ein Stück lang teilten. Da gab es Leif, Wulfric und natürlich meine kleine Schwester Linda. Aber auch Dorgrem, Preya und Berdhil.« Sven wurde unterbrochen. »Wer nennt sich denn Berdhil? Was ist das denn für ein Name?«, fragte das Mädchen. Der alte Mann beugte sich zu ihr hinunter und sagte bedächtig, » ich werde es euch erklären.« »Was ist auf den blauen Hügeln geschehen, von denen du letztes Mal gesprochen hast? Warum nennst du dich Sven von den blauen Hügeln?«, wollte die Frau wissen. Sven dachte zurück an die vergangene Zeit. Viel war seitdem geschehen. Aber die blauen Hügel hatte er plötzlich vor Augen, als wäre er erst gestern da gewesen. Der Wind war dort immer sehr 10

stark, doch die Luft war angenehm warm und streichelte seine Haut. Er hatte früher schon ein wenig von dieser Gegend berichtet. Ausgelacht hatte man ihn, beschimpft und für verrückt erklärt. Blaue Hügel gab es nicht. Wusste er es doch besser, denn er war mit seinen Freunden dort gewesen. »Eines nach dem anderen, mein junger Freund. Ich werde da ansetzen, wo alles anfing. Das wird ein Weilchen dauern.« »Wer warst du?«, fragte der Junge, der anfangs auf Gleipnir zugelaufen war und nun neben ihm auf dem Bauch lag. »Wer wir waren?«, dachte Sven laut nach. »Lassen wir Linda und Preya einmal außen vor. Am einfachsten ausgedrückt sind wir wohl Krieger gewesen, Krieger und Schwertdänen. Mehr waren wir letztendlich nie. Der Kampf war unser Handwerk, so wie andere ihr Leben mit Fischen bestreiten. Linda hingegen war etwas Besonderes. Wenn man sich in ihrer Nähe aufhielt, hatte man den ganzen Tag über gute Laune. Sie war schlau und konnte auf jede Frage die richtige Antwort ge11

ben. Und sie konnte kochen. Wenn ich an ihr Beerenkompott denke, läuft mir heute noch das Wasser im Mund zusammen. Preya, die war eine Heilerin. Wisst ihr, was eine Heilerin ist?« »Eine böse Hexe?« Sven schmunzelte. »Nein, gewiss nicht. Sie kannte sich mit Kräutern und allen möglichen anderen Dingen aus, mehr nicht. Aber sie hat mir mit ihrer Magie mehr als einmal das Leben gerettet. Die Götter wollten mich damals in Walhalla noch nicht haben. Deswegen haben sie mir Preya über den Weg geschickt. Ich habe sie geliebt.« »Igitt«, entfuhr es dem Jungen, der es sich neben Gleipnir gemütlich gemacht hatte. Die Frau sah tadelnd zu ihm, doch Sven gab ihr ein Handzeichen, das es in Ordnung war. »Sie sind noch jung.« »Aber jetzt hört gut zu.« Sven legte einen Zeigefinger auf die Lippen, es wurde still, nur das Knistern im Kamin war noch zu hören, und seine Geschichte begann...

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II »Es geschah in einer sternenklaren Nacht, in der meine Schwester Linda und ich vor dem Haus meines Vaters Ragnar auf einer Bank saßen und in den Himmel blickten. Damals war ich noch jung, ungefähr vierzehn Jahre alt. Manchmal, wenn man nur lange genug in den Himmel schaute und sich konzentrierte, konnte man eine Sternschnuppe sehen. So war es auch an diesem Abend. Es dauerte ein Weilchen, doch dann fiel auf einmal ein Stern vom Himmel. Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, abgesehen davon, dass man sich etwas wünschen durfte. Meinen damaligen Wunsch habe ich nie laut ausgesprochen, doch er hat sich erfüllt. An diesem Abend aber geschah etwas vollkommen anderes. Der Stern, der vom Himmel fiel, hätte uns beinahe das Leben gekostet. Er schoss über unsere Köpfe hinweg und fiel in den angrenzenden Wald, dem Wald, der sich zur Linken Estwicks erstreckt. Ich stieg mit meiner 13

Schwester auf das Dach, um dem Stern hinterherzusehen. Unser Vater mochte es nicht, wenn wir auf Dächern herumkletterten, doch an diesem Abend kam er uns nach und stellte sich hinter uns. Er sagte kein Wort. Linda hatte Angst und versteckte sich hinter dem Arm meines Vaters. Wo der Stern aufgetroffen war, brannte der Wald lichterloh, vielleicht zwei Tagesmärsche weit. Man konnte ihn nicht mehr verfehlen. Die Schneise, die er in den Wald geschlagen hatte, schien gewaltig. Wir beobachteten die Flammen und den aufsteigenden Qualm, konnten jedoch nichts machen und gingen tatenlos schlafen. Mein Vater stellte am nächsten Tag einen Trupp zusammen, um mit ein paar Männern zu der Schneise zu ziehen. Ich durfte nicht mit und wartete ungeduldig mit meiner Schwester auf ihre Rückkehr. Als mein Vater Tage später endlich zurückkam und mit den anderen erschöpft den Dorfplatz entlangtrottete, liefen wir ihm entgegen und überhäuften ihn mit Fragen. Er berichtete hingegen nur, dass ein weiter Teil des Waldes um die 14

Einsturzschneise verbrannt sei und weiter entfernte Bäume mitsamt Wurzeln durch die Wucht wie Grashalme aus der Erde gerissen worden waren. Abseits hatten sie noch Fußspuren entdeckt. Sie waren ihnen nachgegangen, hatten aber ihre Fährte bei aufkommendem Regen verloren. Ich war enttäuscht, hatte gedacht, dass etwas so Großes auf irgendeine Art und Weise aufregend sein musste. So zogen die Tage ins Land, und wir vergaßen, was geschehen war. Später erst erfuhr ich von Berdhil, was sich wirklich unmittelbar nach dem Absturz des Sterns ereignet hatte. Die Sonne war gerade erst aufgegangen, der Waldboden noch feucht und die Luft kühl. Seine Mutter Cassayara und er saßen auf einem der ausgebrannten, verkohlten Baumstümpfe und starrten in ein Waldstück neben der Schneise. Berdhil trug Stoffkleidung. Er war gerade acht Jahre alt geworden und hatte lange, dicke und

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