Dichtung und Wahrheit, aber nicht von Goethe AWS

Es hat sich eingebürgert den geneigten Leser mit einem Vorwort, auf das einzustimmen, was ihn auf den folgenden mehr oder weniger zahlreichen Seiten erwartet. Warum eigent- lich? Schätzt der Autor etwa die Konsumen- ten seines literarischen Ergusses geistig so un- terbemittelt ein, dass sie einer Art Gebrauchs-.
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Hans-Georg Kaethner

Dichtung und Wahrheit, aber nicht von Goethe Autobiografie

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© 2016 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2016 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Hans-Georg Kaethner, Pixabay Printed in Germany Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck

ISBN 978-3-8459-2144-0 ISBN 978-3-8459-2145-7 ISBN 978-3-8459-2146-4 ISBN 978-3-8459-2147-1 Mini-Buch ohne ISBN

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Vor(un)wort Es hat sich eingebürgert den geneigten Leser mit einem Vorwort, auf das einzustimmen, was ihn auf den folgenden mehr oder weniger zahlreichen Seiten erwartet. Warum eigentlich? Schätzt der Autor etwa die Konsumenten seines literarischen Ergusses geistig so unterbemittelt ein, dass sie einer Art Gebrauchsanweisung zum Verständnis bedürfen? Geht ein Autor hochnäsig von diesem Standpunkt aus, dann wäre die obligatorische Einleitung eigentlich ein Unwort. Möchte er dagegen die allesamt hochintelligenten Käufer seines Buches nur bescheiden um Nachsicht bitten, weil die sich durch einen dicken Wälzer quälen müssen und sie zum lohnenden Durchhalten ermutigen, könnte genau umgekehrt aus der Überschrift das zweifelnde (un) getrost gestrichen werden. Wozu ich persönlich mich aus vollem Herzen bekenne. Umso mehr, da es sich bei diesem Werk um eine JugendAutobiografie handelt. Deutschlands unsterb4

licher Dichterfürst Goethe hatte einst die Begrenztheit unseres Erinnerungsvermögens scharfsinnig erkannt und seinen berühmten Kindheits- und Jugenderinnerungen den Titel „Dichtung und Wahrheit“ gegeben, denn beides ist im Rückblick kaum noch auseinanderzuhalten. Dem Leser wird also eine Art höherer Wirklichkeit serviert, welche das Prosawerk fesselnder und fantasievoller gestalten soll, ohne dass gleich auf den Spuren eines Münchhausens gewandelt werden muss. Das könnte jedoch unbestechliche Realisten, bei denen jedes Detail exakt und historisch belegt zu stimmen hat, leicht abschrecken. Zudem überschwemmt seit geraumer Zeit ausgerechnet dieses Genre exhibitionistischer Selbstdarstellung auf geradezu inflationäre Weise den Büchermarkt. Leider gilt aber heutzutage im stärksten Maße die unschöne Devise: Zeit ist Geld! Wieso sollte deshalb jemand diese kostbare Substanz verschwenden, indem er sich die Memoiren eines unbekannten Schriftstellers mit bescheidenen Auflagen 5

seiner Bücher, der weder VIP, berühmter Künstler oder Spitzensportler ist, zu Gemüte führt? Schon aus platzsparenden Gründen will ich jetzt nicht in der Art eines Marktschreiers die Schilderung meines abenteuerlichen Werdegangs anpreisen, sondern ihnen lediglich überzeugt zurufen: Finden sie es einfach selbst heraus. Der vergnügliche Versuch lohnt sich! PS Im Leben ist es nie zu spät. Vielleicht halten sie gerade in diesem historischen Moment meinen ersten Bestseller in den Händen?!

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Kapitel 1 Sollte ich, Hans-Georg Kaethner, mich in einem pauschalen Satz treffend charakterisieren, ergäbe sich folgendes Fazit: Ein in allen praktischen und technischen Dingen total unbegabtes Wesen, das ziemlich gut schreiben, noch besser ohne Komma und Punkt reden und ungemein ausdauernd laufen kann. Die lebenswichtige Vorgeschichte einer ungemein bewegten Existenz, ohne die ich zu meinem größten Missbehagen nicht das Licht dieser schönen Welt erblickt hätte, begann im Jahre 1 nach Hitlers Machtergreifung (für Geschichtsunkundige: 1934). Die knackige, sportlich sehr aktive Hertha Heendorf zählte erst knapp zarte 18 Lenze. Dem damaligen Nichtaufklärungsniveau entsprechend war ihr Wissen über Verwicklungen mit dem anderen Geschlecht gleich null. Glaubte das herzige Mägdelein doch fest überzeugt, dass ein feuchter Kuss ausreichte, um den bewussten Klapperstorch auf den 7

Plan zu rufen, der ihr ein unerwünschtes Baby in den jungfräulichen Bauch zaubern könnte. Solchermaßen gegen männliche Anmache gewappnet wartete sie mit ihrer älteren Schwester an der Haltestelle der Straßenbahnlinie 1 im Ortsteil Sudenburg, um ins Zentrum der Stadt Magdeburg zu fahren. Zwar schien die herzige Maid gegen stachelbeerbeinbewehrte Herren der Schöpfung immun zu sein, nicht aber gegen den treusten Freund des Homo sapiens, denn sie liebte Hunde jeglichen Kalibers mit abgöttischer Inbrunst. Zum Quadrat verstärkt dadurch, dass ihre Eltern keine Haustiere dulden wollten. Für die schon bald aufkeimende Romanze war es unerlässlich, dass ein arbeitsloser schlaksiger junger Mann, namens Georg Kaethner, gerade den Schäferhund seiner hochnäsigen Eltern spazieren führte. Sein durch wild schlenkernde Armbewegungen unterstützter Gang wirkte so typisch charakteristisch, dass Freunde und Verwandte daran schon in Kilometer weiter Entfernung erkannten: „Da kommt Schorsch!“ 8

Ein nicht zu unterschätzender Vorteil, um sich rechtzeitig aus dem Staub machen zu können, damit er sie nicht anpumpen würde. Stets, wenn die keusche Hertha einen schmucken Vierbeiner erspähte, überkam sie der unbezwingbare Drang, mit der Zunge schnalzend das treuherzig mit dem Schwanz wedelnde Wesen heranzulocken und innig zu streicheln. In diesem Fall jedoch nahm der gerade innig die Duftnote einer läufigen Hündin beschnuppernde bildschöne Rüde von ihr nicht die geringste Notiz. Umso mehr jedoch das, was er an der Leine hinter sich herzog. Statt einem sich den Kopf kraulen lassenden Schäferhundes pflanzte sich plötzlich ein sympathischer Jüngling vor ihr auf und flötete mit bewundernder Hingabe: „ Den Kleinen haben sie gerufen, aber der Große ist gekommen!“ Zwar kannte man anno 1934 den heutzutage zum festen Bestandteil der deutschen Sprache gewordenen Begriff „Small Talk“ noch nicht, aber genau der entspann sich zwischen den beiden. Eine leider nur kurze Er9

bauung, welche durch die Ankunft der Straßenbahn unterbrochen wurde. Fatalerweise hielten die von großbürgerlichem Dünkel besessen Erzeuger ihren Sprössling, der wie alle männlichen Ahnen mit dem ihn verhassten Vornamen Georg beglückt worden war, so knapp, dass sich der arme Einkommenslose nicht einmal Billetts für die enteilenden Wagen leisten konnte. Dabei sind die Magdeburger Verkehrsbetriebe schon immer die billigsten in ganz Deutschland gewesen. Jedoch das jäh erwachte Gefühl bisher unbekannter leidenschaftlicher Liebe erweckte in einer an sportlicher Bewegung eigentlich völlig desinteressierten Person noch nie zuvor verspürte Energien. Im Handumdrehen war sein gänzlich überrumpelter Hund mit der Leine an einen Laternenpfahl gekettet und der Besessene spurtete mit langen ausufernden Schritten auf dem Bürgersteig neben den Gleisen die Hauptachse der Stadt entlang. Hatte die Angebetete doch zutraulich gehaucht, 10

dass man am rund vier Kilometer entfernten Theater aussteigen werde. Erschreckt stoben Fußgänger zur Seite und schimpften den Finger bezeichnend auf die Stirn tippend dieser schnaufenden menschlichen Dampflok nach. Völlig außer Puste, hochroten Gesichtes, schweißglänzend, die Hose halb runtergerutscht mit am Hinterteil verschämt herausblickendem Hemdzipfel wartete Herthas erster Ritter freudestrahlend bereits an der Haltestelle. Eine bestaunenswerte Leistung meines künftigen Erzeugers, ohne die ich nicht existieren würde. Die seine Grenzen sprengende Heldentat wurde tatsächlich auf beglückende Weise belohnt. Heimlich hinter dem Rücken beidseitig ahnungsloser Elternpaare waren zwei gänzlich unerfahrene verliebte Turteltäubchen in den nächsten Monaten so versunken nur miteinander beschäftigt, dass ihnen völlig entging, was sonst noch auf unserer schönen Erde passierte. Da jedoch niemand im luftleeren Raum lebt, sollen wenigstens einige, sehr verschiedenartige Ereignisse 11

der Chronik eines Jahres aufgezählt werden, wo die Menschheit unaufhaltsam der Apokalypse entgegen zu taumeln begann. Aus einem undurchschaubaren Tohuwabohu von verlogenen Pakten europäischer Mächte zwischen sogenannten Alliierten oder mit eigentlichen Feinden wurde als Höhepunkt von Unterzeichnungen vertraglicher Dokumente, zwischen Polen und Deutschland ein Nichtangriffspakt abgeschlossen. Genauso gut könnte die bereits zum Sprung ansetzende mordlustige Katze einer geduckten Maus ihre Friedfertigkeit versichern. Adolf Hitler, der selbst ernannte Führer aller Deutschen, machte noch im gleichen Jahr mit schamloser Offenheit klar, was er von dem eigentlich völkerrechtlich verbindlichen Papierchen hielt. In einer Rede vor hohen Parteifunktionären höhnte der Führer unverblümt: „Alle Abmachungen mit Polen haben nur vorübergehenden Wert. Ich denke gar nicht daran, mich ernstlich mit Polen zu verständigen. Immerhin hielt das rein taktische Vertrags12

werk gut vier Jahre. Polens Ablehnung jedoch, der Annexion von Danzig und einem deutschen Korridor mit je einer Straßen- und Eisenbahnverbindung nach Ostpreußen zuzustimmen, nahm die Naziregierung zum willkommenen Anlass, den Nichtangriffspakt einseitig zu kündigen. Wenige Monate danach griffen deutsche Truppen ohne Kriegserklärung am 1. September 1939 Polen an. Der Beginn des katastrophalen 2. Weltkrieges! Was hätten meine potenziellen Erzeuger aus diesem politischen Verrat für sich persönlich lernen können? Selbst wenn man es im überschwänglichen Taumel der Gefühle nicht wahr haben will, ist auch ein Ehekontrakt nur ein Stück Papier, das schneller gekündigt werden kann, als die Polizei erlaubt. Schon einige Monate vorher, zu einem Zeitpunkt, wo meine künftige Existenz erst vage in den Sternen stand, weil der denkwürdige Lauf des späteren Herrn Vaters noch Zukunft war, ereignete sich bevölkerungspolitisch betrachtet eine Sensation. Die damals einmaligen Fünf13

linge der Familie Dionne waren das erste bekannte überlebende Quintett von 1000 Gramm-Babys. Mit Hilfe eines schlichten Landarztes und zweier Hebammen wurden sie in einer Hütte ohne Wasser und Stromversorgung in der kanadischen Provinz Ontario geboren. Dies galt als unglaubliche Sensation, da anno 1934 die Überlebenschance aller Fünf einem Lottogewinn glich, denn sie lag bei 1 zu 57 Millionen. So viele Mäuler zu stopfen, bereitete kaum lösbare Sorgen. Deshalb beschloss man im Familienrat sehr pragmatisch, seinen ungewöhnlichen Kindersegen auf der Weltausstellung in Chicago auszustellen. Was für ein unmoralischer Affront, der entrüstete Puritaner vor Zorn erbeben ließ. Prompt entzog die Regierung Ontarios den überforderten Eltern das Sorgerecht und untersagte ihnen jeglichen näheren Kontakt. Wenn zwei das Gleiche tun, ist es bekanntlich mitnichten das Gleiche. In einem Hospital durch ihren Geburtshelfer erzogen wurden die berühmten Kinder nicht nur von der Wissenschaft als 14

Studienobjekte verwendet, und als Werbeträger für Maissirup äußerst gewinnbringend vermarktet, sondern auch von den behördlichen Moralhütern selbst im extra umgebauten Freizeitpark Quintland vor etwa 6000 Besuchern zwei oder dreimal täglich hinter einseitigem Spiegelglas zur Schau gestellt. Zum Glück musste ich nicht ebenfalls derart qualvoll eng im mütterlichen Fruchtwasser schwimmen. Übrigens begann für mich die zunächst nur befruchtete Eizelle im übertragenen Sinne Anfang Oktober das gleiche Ereignis, welches in Fernost der große Führer der Kommunistischen Partei Chinas initiierte: der „Lange Marsch“. Während ich zum stattlichen Achtpfünder gereift am Ende meines neunmonatigen einsamen „Marsches“ mühsam ans Tageslicht gepresst wurde, kreierte Mao Tse-tung wesentlich weltbewegender den zentralen Heldenmythos der chinesischen Kommunisten schlechthin. Darunter versteht man den militärischen Rückzug seiner Streitkräfte, um sich 15