Der Schwur

Spürt jedoch die herbe Trennung, die in Bälde ... küsst sie wach auf sanfte Weise und gibt Kraft der ... Die Gedanken an die Trennung trieben ihr Trä- nen in die ...
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Sophie R. Nikolay (Hrsg)

Sommer Potpourrie Autoren hinterlassen Spuren Anthologie

© 2012 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2012 Umschlaggestaltung: Tanja Hollmann, Sophie R. Nikolay Printed in Germany ISBN 978-3-8459-0367-5 AAVAA Verlag www.aavaa-verlag.com e Books sind nicht übe rtragbar! Es ve rstößt ge ge n das Urhebe rrecht, dieses We rk we ite rzuve rkaufe n ode r zu versche nke n Alle Pe rsone n und Name n inne rhalb dieses Romans sind fre i e rfunde n. Ähnlichke ite n mit le be nde n Persone n sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Inhalt:

Erwachen – Gerda Hillebrand Der Schwur – Tanja Hollmann Auto, 50 Mark, Telefon … - Alexander Bálly Andere Welt – Sandra Rehschuh Die Kraft des Wassers - Sophie R. Nikolay Stimmung in der Provence – Gerda Hillebrand Rachesommer – Uta Maier Fesselndes Shooting – Cathe Dral Erwachen des Sommers – Sandra Rehschuh Wie es scheint – Sigrid Lenz Der Wunsch – Sophie R. Nikolay Leben – Uta Maier Endgültiger Urlaub – Sigrid Lenz Das Wandern ist des Müllers Lust – Gerda Hillebrand Sehnsucht – Germaine Wittemann Endlich Frei! – Tanja Hollmann Die Hütte am See – Cathe Dral Gartenzauber – Sandra Rehschuh Touristen – Sigrid Lenz 3

Taormina – Gerda Hillebrand Drabble – Alexander Bálly Verlaufen – Sandra Rehschuh Leas wunderbare Reise – Andrea Mertz Traumtänzer – Uta Maier Fünf Sterne mit Ausblick – Nicole Döhling Der Aufruf – Alexander Bálly Zeit und Tod – Sandra Rehschuh Einen Sommer lang – Germaine Wittmann Kleine Schauergeschichten – Sophie R. Nikolay Neurotische Momente – Gerda Hillebrand Alfred – Susanne Sonntag Die Autoren stellen sich vor

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ERWACHEN Gerda Hillebrand

In den letzten Wintertagen stiebt der Wind noch rasch durchs Feld. Damit will er Abschied sagen und vermeint sich wohl als Held. Spürt jedoch die herbe Trennung, die in Bälde steht bevor, denn auf Berg und Flur da wartet schon der Frühling vor dem Tor. Aus des tiefen Schlafes Dunkel hebt ein zartes Glöckelein, weiß beglänzet wie Gefunkel sein behütet Köpfelein. Auf erstaunlich kraftvoll Weise aus dem harten Erdengrund, bohrt und streckt es sich, ganz leise, gibt so sein Erwachen kund. 5

Und ein laues Lüftchen koset durch die schlummernde Natur, küsst sie wach auf sanfte Weise und gibt Kraft der Kreatur! Alles dehnt sich, strebt zum Lichte, lässt die Wärme in sich ein. Metaphorisches Verzaubern, keine Müdigkeit ums Sein!

Nur noch Energie und Freude, Lebenslust und Tatendrang, ein Verzehren nach dem Werden, ein Gezwitscher, welch Gesang! Diese Sehnsucht nach dem Leben, die bescheret nur der Tod, Frühling lässt die Erde beben, und erwachen lässt sie Gott! 18.3.2010

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Der Schwur Tanja Hollmann

Es war nicht mehr als ein alberner Traum. Der Wunschgedanke zweier Kinder, die noch nichts von der Welt und ihren Ungerechtigkeiten wussten. Sofie schlug das Poesiealbum mit den längst vergilbten Seiten zu, nur um es im nächsten Moment wieder zu öffnen. Die Zeilen der kindlichen Schrift zogen Sofie magisch in die Vergangenheit zurück. Sie hatte gerade ihren zehnten Geburtstag gefeiert, Nico war bereits zwölf Jahre alt, also ein richtig großer Junge, ein verdammt gut aussehender noch dazu. Von Verliebtheit hatte Sofie noch keinen Schimmer. Und doch erinnerte sie sich genau an die seltsamen Gefühle, die sie damals durchströmt hatten. Es machte sie unsagbar stolz, wenn sie mitbekam, dass ältere Mädchen 7

ihr neidische Blicke zuwarfen, wenn sie mit ihm unterwegs war. Dabei war Nico nichts weiter als ein guter Freund. Okay, ihr bester Freund. Aber mehr war da nicht. Sie war ja auch noch viel zu klein. Trotzdem gehörte er zu ihr, seit sie denken konnte. Seite an Seite wuchsen sie auf. Auch wenn sie sonst noch nichts von der Welt wussten, eines stand für sie beide fest: Wenn sie einmal groß waren, würden sie heiraten. Anderes war vollkommen ausgeschlossen. Das war ein Versprechen, das sie sich gegenseitig feierlich in einem Baumhaus gegeben hatten. Mit Gefühlen hatte es nichts zu tun. Sie gehörten einfach zusammen, wie sie es in all den Jahren zuvor gewesen waren. Doch bald schon sollten sie ihre erste Lektion über die Ungerechtigkeiten dieses Lebens erfahren. Nur wenige Wochen nach Sofies zwölftem Geburtstag entschieden Nicos Eltern, in ihre Heimat zurückzukehren. Dummerweise lag dieses für 8

Nico neue Zuhause weit entfernt von Deutschland – in der Toscana. Sofie strich zärtlich über Nicos Zeilen in ihrem Album. Ein Schwur, den sie viele Jahre vergessen hatte, der sie heute jedoch nicht mehr losließ. Die Gedanken an die Trennung trieben ihr Tränen in die Augen, als wäre es gestern gewesen. Plötzlich war alles wieder so real, so präsent, dass sie Nico fast vor sich sah, seine Stimme hörte und seinen ganz eigenen Duft wahrnahm. Was sie vor sich sah, war ein zwölfjähriger Bursche, dem die Mädchen reihenweise nachsahen. Aber dieses Bild existierte so nicht mehr. Sofie legte den Kopf zurück und versuchte, sich den Mann vorzustellen, zu dem Nico in den letzten zwanzig Jahren herangewachsen sein musste. Es entstanden Tausende Bilder in Sofies Kopf und doch blieb Nico gesichtslos. Schlagartig wurde ihr bewusst, was getan werden musste. Sie war verrückt, das war ihr klar. Aber sie musste es einfach machen. Es war ein Schwur, ein Kindheitstraum. Von ihm wahrscheinlich längst vergessen. Sofie aber war ent9

schlossen, ihren Teil des Versprechens einzulösen. Bestimmt würde es eine Enttäuschung werden. Die Möglichkeit, dass er tatsächlich auftauchte, lag bei nahezu null Prozent. Wohlmöglich erschien er und enttäuschte durch äußerliche Entgleisung - oder noch schlimmer, inneren Werten, die nicht ihrem Freund Nico von damals entsprachen. Was würde sie empfinden, wenn er glücklich verheiratet und Vater von mindestens drei tollen Kindern wäre? Würde sie damit zurechtkommen, ihn in einem Leben zu sehen, an dem sie selbst nie teilhaben könnte? Sie lachte leise in sich hinein. Ach was, das würde sie nicht stören. Wäre ja auch völliger Unsinn. Schließlich waren sie nichts weiter als gute Freunde gewesen. Noch einmal las sie seine Zeilen, die sie längst auswendig kannte: 10. Juli 1992 Egal, was passiert, in genau zwanzig Jahren sehen wir uns wieder. Wenn die Sonne untergeht, werde ich in der Bucht von Baratti auf dich warten. Dann gebe 10

ich dir deinen Talisman zurück, auf den ich bis dahin aufpassen werde. Darunter hatte er den Talisman gezeichnet, den sie ihm vor der Trennung überlassen hatte, bis sie sich einmal wiedersehen würden. Ein silbernes Herz an einer Kette. Himmel, egal wie er jetzt aussieht und wie viele Kinder er in die Welt gesetzt hat, ich will mein Herz zurück, sagte sich Sofie und klickte auf den „Flug buchen“ Button der Internetseite, die sie seit Stunden geöffnet hatte. Ein wenig anders stand es um ihre Entschlossenheit, als die Maschine auf der Landepiste in Pisa aufsetzte. Ich bin komplett verrückt, war der einzige Gedanke, der ihren Geist beherrschte. Als sie jedoch in ihrem Mietwagen die enge Straße zur Bucht von Baratti entlangfuhr und auf ihr Hotel zusteuerte, änderte sie ihre Meinung. Auch Irre haben ein Recht auf Urlaub. Und diese traumhaft schöne Bucht versprach eine Woche Ferien, die ihr guttun würde; mit oder ohne Nicos Anwesenheit. 11

Wenige Stunden später, als der lang ersehnte Zeitpunkt erreicht war, nahm sie die Schönheit der Bucht kaum noch wahr. Anstatt mit Leichtigkeit und Freude an den Strand zu gehen, fühlte sie sich wie ein Häufchen Elend, das seiner eigenen Hinrichtung entgegensah. Die untergehende Sonne wärmte Sofies Haut, der feine Sand kitzelte ihre Fußsohlen, ein leichter Wind fuhr durch ihr offenes Haar, sodass es ihr ins Gesicht fiel. Sie strich es wieder zur Seite und betrachtete die Sonne, die kurz davor stand, das Meer zu berühren. Der Moment, den sie vor vielen Jahren so sehr herbeigesehnt hatte, war da, hier und jetzt. Sofie ging vorbei an den großen Pinien, die der Kulisse durch ihre imposanten Kronen das i-Tüpfelchen aufsetzten. Der Anblick war weit atemberaubender, als sie es sich zu Kinderzeiten vorgestellt hatte. Es war nahezu perfekt. Die Sonne tauchte ihre dunkelrote Glut ins Wasser. Sofies Puls beschleunigte sich.

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Der Strand war bereits ziemlich leer. Zu ihrer rechten Seite spielten vier Jugendliche Volleyball. Zu ihrer linken sammelte eine Mutter mit zwei Kindern ihre Sachen zusammen. Geradeaus, direkt am Wasser, saß ein Mädchen, vielleicht zehn Jahre alt, und starrte sie an. Wahrscheinlich träumte sie nur vor sich hin und nahm Sofie überhaupt nicht wahr. Doch die Person, die wirklich zählte, war nicht da. Von Nico keine Spur. Auch wenn sie es eigentlich gewusst hatte, die Enttäuschung schlug wie eine Keule zu und ließ Sofie auf die Knie sinken. Hier also endete ihr Kindheitstraum – allein. Allein, wie ihr bisheriges Leben, in dem sie keinen Mann an ihrer Seite geduldet hatte. Niemand hatte es je geschafft, sie so zu verstehen, wie Nico es damals tat. Damals – denn offensichtlich war ihr Traum nichts weiter als eine Seifenblase gewesen. Sofie legte sich auf den Rücken, grub die Hände in den warmen Sand und schloss die Augen.

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Als sie sich wieder aufrichtete, wäre sie beinahe gegen den Kopf des Mädchens gestoßen, das sie vorhin beobachtet hatte. Sofie blickte in das braun gebrannte Gesicht und verlor sich fast in ihren interessanten Zügen. Das Mädchen lächelte Sofie an, als würden sie sich seit Ewigkeiten kennen. Die Sonne war inzwischen komplett im Meer versunken. Nur noch das letzte Himmelsglühen erleuchtete den Strand. „Was machst du hier so allein am Wasser? Deine Eltern werden dich suchen“, fragte Sofie, ohne zu wissen, ob das Mädchen sie überhaupt verstand. „Ich hab auf jemanden gewartet“, antwortete die Kleine auf Deutsch. Sofie seufzte. „Da geht es dir wie mir.“ „Ehrlich?“ Die Augen des Mädchens fingen plötzlich Feuer. Sie stand auf und zog an Sofies Hand, damit sie es ihr gleich tat. „Ich bin Marie.“ „Und ich bin die Sofie. Aber jetzt sollten wir erstmal sehen, dass du zu deinen Eltern kommst.“ 14

„Zu meinem Vater.“ Marie betonte das Wort Vater. „Meine Mutter hasst Kinder und hat uns deswegen allein gelassen, als ich noch ein Baby war.“ „Das tut mir sehr leid, Marie.“ Sofie fragte sich, wie ein Mensch so herzlos sein konnte. „Bringst du mich zu meinem Vater? Wir wohnen gleich dort drüben im Hotel.“ Sofie blickte in die Richtung, in die Marie zeigte und lächelte. „Genau dort wohne ich auch. Hoffentlich ist dein Vater nicht auf der Suche nach dir. Schließlich ist es schon dunkel.“ Marie sah Sofie direkt in die Augen. „Du redest wie eine Mutter mit mir.“ Sofie nahm Marie die letzten Schritte zum Hotel an die Hand. Als sie die Tür öffnete, wurde Sofie sofort bewusst, dass Maries Vater sehr wohl längst auf der Suche nach ihr war. Aufgeregt kam ihnen einer der Portiers entgegen. „Da bist du ja, du Ausreißerin. Dein Vater ist schrecklich besorgt und sucht dich überall.“ „Au weia“, meinte Marie und biss sich auf die Oberlippe. 15