Der Platz zum Glauben - Buch.de

möglichen Wissens liegen, dennoch gibt es genügend Raum für ein freies mit. Mündigkeit vereinbares ..... ethische Gesichtspunkte ins Spiel. Ein Teil des ...
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Gegenstand des Buches sind die Bedingungen, denen theistische Überzeugungen genügen sollten, um unter den Vorgaben der Moderne als mit mündigem Denken vereinbar gelten zu können. Bedingungen ontologischer Art betreffen das Verhältnis von Gott zu Raum und Zeit. Gott sollte nicht als eine transzendente und unveränderliche Macht gedacht werden, sondern als freie Person, die tätig ist und darum auf Zukunft hin ausgerichtet. Andere Bedingungen ergeben sich aus dem Postulat der absoluten Heiligkeit Gottes. Sie schränken nicht nur ein, welche Antworten auf den Einwand der Theodizee denkbar sind, sondern legen auch nahe, dass das Zentrum eines theistischen Glaubens in der Hoffnung auf eine postmortale Fortexistenz moralischer Wesen und eine ideale Verwirklichung von Gerechtigkeit gesehen werden sollte.

DER PLATZ ZUM GLAUBEN

Schwarz Pantone 153C

ISBN 978-3-89785-323-2

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Peter Rohs

DER PLATZ ZUM GLAUBEN ethica

Rohs · Der Platz zum Glauben

ethica Herausgegeben von Dieter Sturma und Michael Quante

Peter Rohs

Der Platz zum Glauben

mentis MÜNSTER

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. = ethica, Band 25

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem ∞ ISO 9706 und alterungsbeständigem Papier

© 2013 mentis Verlag GmbH Eisenbahnstraße 11, 48143 Münster, Germany www.mentis.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten ISBN 978-3-89785-323-2

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1.

Rational zulässiger religiöser Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.

Die Ambivalenz religiöser Erlebnisse . . . . . . . . . . . . . . . .

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3.

Raum, Zeit und Gott . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

4.

Die Freiheit Gottes und des Menschen . . . . . . . . . . . . . . .

63

5.

Physikotheologie und Ethikotheologie . . . . . . . . . . . . . . .

71

6.

Das Theodizeeproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

7.

Das Problem der postmortalen Fortexistenz moralischer Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

8.

Ist der christliche Glaube rational zulässig? . . . . . . . . . . . .

131

9.

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

145

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

»Um zum Glauben Platz zu bekommen«, das ist die Wendung, mit der Kant das für die Religionsphilosophie wichtigste Ergebnis seines kritischen Denkens zum Ausdruck bringt. Es soll gezeigt werden, dass der religiöse Glaube eine sinnvolle Einstellung ist und dass es nicht unvernünftig ist, an ihm sein Leben zu orientieren, dass dieses Recht allerdings auch begrenzt ist. Nicht alles, was Menschen je aus religiösen Gründen geglaubt haben, ist auf diesem Platz zugelassen. Außerhalb dieser Grenzen degeneriert der Glaube zum Aberglauben. Dieser Platz zum Glauben ist jedoch, wie Kant gezeigt zu haben beansprucht, keineswegs leer; nicht jeder religiöse Glaube kann als irrig oder vernunftwidrig erwiesen werden, nicht jeder ist Aberglaube. Er betrifft zwar – zumindest im Kern – Sachverhalte, die außerhalb des Bereichs möglichen Wissens liegen, dennoch gibt es genügend Raum für ein freies mit Mündigkeit vereinbares Fürwahrhalten auch solcher Sachverhalte. In dieser Arbeit möchte ich ebenfalls dafür argumentieren, dass religiöse Überzeugungen nicht generell als unvernünftig und abergläubisch erwiesen werden können. Insbesondere für den Glauben, dass es Gott und eine postmortale Fortexistenz moralischer Wesen gibt, soll die rationale Zulässigkeit aufgewiesen werden. Es ist nicht unvernünftig, einen solchen Glauben zu vertreten und nach ihm zu leben, auch wenn nicht bewiesen werden kann, dass er wahr ist. Der Atheismus kann nicht beanspruchen, rationaler als der Theismus zu sein. Aus moralphilosophischer Perspektive liegt sogar, wie man mit Kant annehmen darf, ein Mangel an innerer Konsequenz auf seiner Seite. Wo die Grenzen für einen vernünftigen Glauben liegen, muss allerdings ebenfalls zur Sprache kommen. Ein religiöser Glaube ist stets auf gewisse ontologische Annahmen angewiesen, ob nun eine transzendente Wirklichkeit oder die Möglichkeit immaterieller Seelen vorausgesetzt wird. Ich möchte aber zeigen, dass ein vernünftiger Glaube keine Prämissen benötigt, die über das hinausgehen, was schon für die Annahme von Freiheit erforderlich ist. Es muss also weder eine transzendente Wirklichkeit noch die Existenz immaterieller Seelen angenommen werden. Vor allem wende ich mich dagegen, die Zeit von Gott fernzuhalten und ihm nach neuplatonischem Muster eine zeitlose Ewigkeit zuzuschreiben. Gott ist, wenn es ihn gibt, tätig, und Tätigkeiten haben mit begrifflicher Notwendigkeit eine zeitliche Struktur. Für Gott sollte deswegen eine Ontologie gelten, für die ich (im Anschluss an Harada und Strobach) den Ausdruck »Hemiaktualismus« verwende. Gemeint ist, dass die Wirklichkeit nicht als immer schon fertig und abgeschlossen angesehen werden sollte, dass

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Vorwort

vielmehr zu ihr ein Prozess des Wirklichwerdens gehört. Eine solche Ontologie muss Grundlage einer Theorie von Freiheit sein – bei Handlungen unterscheiden sich die Perspektiven auf sie ex ante und ex post innerlich – sie sollte darum auch die Basis einer vernünftigen Theologie sein. Die Idee der Freiheit ist, wie man mit Kant sagen darf, Grundlage der Idee Gottes. Es ist die Idee der Freiheit, die der Idee Gottes Sinn gibt und damit den Platz zum Glauben öffnet. Ich folge deswegen Kant auch darin, an der Opposition zwischen Physikotheologie und Ethikotheologie festzuhalten und den vernünftigen Glauben auf die letztere zu konzentrieren. Sein Ziel liegt in der Vernünftigkeit einer Hoffnung, nicht darin, gute Erklärungen für etwas Geschehenes geben zu können. Zu danken habe ich in erster Linie Christian Weidemann, der alle Teile meiner Arbeit mit gründlichen und konstruktiven Kommentaren versehen hat. In manchen Fragen haben wir uns nie geeinigt, seine Einwände waren jedoch stets von großem Nutzen. Jan G. Michel hat einige Abschnitte mit einer gründlichen Kritik bedacht – herzlichen Dank! In dem Kolloquium von Oliver Scholz konnte ich einige Abschnitte vorstellen und aus den Diskussionen manches mitnehmen – auch ihm und allen Teilnehmern dafür herzlichen Dank! Danken möchte ich auch Michael Quante. Wer weiß, ob die Arbeit ohne die Anregungen und den freundschaftlichen Druck von ihm überhaupt zustande gekommen wäre. Zu danken ist schließlich auch Attila Karaku¸s, der die Herstellung einer zum Druck geeigneten Datei besorgt hat.

1. Rational zulässiger religiöser Glaube

Aufgabe der Religionsphilosophie ist zu prüfen, ob es einen Platz zum Glauben an etwas Göttliches gibt, und wenn ja, welche Inhalte für diesen Glauben zugelassen sind. Die kantische Wendung »Platz zum Glauben« (KrV B XXX) macht nur Sinn, wenn man sich dabei auf einen irgendwie qualifizierten Glauben bezieht. Einen solchen qualifizierten Glauben werde ich im Folgenden als »rational zulässig« bezeichnen. Es geht um Glaubenseinstellungen, die einzunehmen nicht die Aufgabe intellektueller Mündigkeit verlangt. Kant selbst stellt einer solchen vernünftigen Religion Phänomene gegenüber, die er als »Aberglaube«, »Afterdienst« oder »Schwärmerei« bezeichnet. Sie sollen ausgeschlossen bleiben aus dem Platz zum Glauben. Aufgabe der Religionsphilosophie ist also zu zeigen, wo die Grenze zwischen Glaube und Aberglaube verläuft, was als rationaler Glaube zuzulassen ist und was nicht. Kein Theologe wird bestreiten, dass es Aberglauben gibt – in manchen Kulten, in der Esoterik und sonst wo, Glaubensformen, die als mehr oder weniger unvernünftig gelten müssen, für die deswegen in den Grenzen der Vernunft kein Platz ist. Man kann auch kaum abstreiten, dass es solche Glaubensformen selbst im Christentum gibt oder zumindest gegeben hat – im Hexenwahn, in manchen Auswüchsen des Reliquienkultes usw. Ein sicheres Kennzeichen für Aberglauben ist, dass es zu Verbrechen kommt, die durch religiöse Überzeugungen veranlasst worden sind. Der Glaube eines Inquisitionsrichters, der Personen mit von ihm selbst nicht geteilten religiösen Überzeugungen zum Verbranntwerden überstellt, kann nicht frei von Aberglauben sein. Es muss nicht alles Aberglaube sein, was er glaubt, doch sein Handeln beweist, dass sich in das System seiner religiösen Vorstellungen Aberglauben eingeschlichen hat, der in praktischer Hinsicht das ganze System durchdringt und vergiftet. Dasselbe gilt z. B. für Päpste, die Inquisitionsgerichte installieren oder Hexenbullen verfassen. Die rationale Zulässigkeit eines Glaubens schließt die moralische ein. Die Grenzziehung ist also zwar zunächst Sache der theoretischen, dann aber auch der praktischen Vernunft. Was der letzteren widerspricht, liegt außerhalb des Platzes zum Glauben. Zu einem rational nicht zulässigen Glauben müssen aber auch Überzeugungen gerechnet werden, die mit gut bestätigten wissenschaftlichen Erkenntnissen unvereinbar sind. Auch bei ihnen handelt es sich um Aberglauben in dem hier gemeinten Sinn. So ist z. B. die Vorstellung, dass Gott die

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1. Rational zulässiger religiöser Glaube

rezenten Arten von Lebewesen unabhängig voneinander ungefähr gleichzeitig in Stammexemplaren hervorgebracht hat, nach den Ergebnissen der Evolutionstheorie unhaltbar geworden. Ein solcher Glaube kann heute nicht mehr als rational zulässig und für einen mündigen Theisten vertretbar gelten. Dasselbe gilt für die von Paulus (Röm. 5,12) vorgetragene Meinung, dass durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod. Auch sie muss inzwischen als Aberglaube gelten. Alle Vorfahren des Menschen bis hin zu den primitivsten Lebensformen im Kambrium sind gestorben; die Sünde eines bestimmten Vorfahren hat dabei keine Rolle gespielt. Der Tod gehört essentiell zum Leben. Es ist also durchaus möglich, dass wissenschaftliche Erkenntnisse für bestimmte religiöse Glaubensannahmen nachweisen, dass sie nicht auf den Platz zum Glauben gehören. Daraus folgt freilich nicht, dass die Wissenschaft nachweisen kann oder gar nachgewiesen hätte, dass der Platz zum Glauben insgesamt leer ist, dass also alle religiösen Überzeugungen den Status haben, Aberglaube zu sein. Wenn ein solcher Nachweis für einzelne Dogmen gelingt, müssen diese als unwesentlich angesehen werden. Die Möglichkeit des Aberglaubens ist mit der des religiösen Glaubens so untrennbar verbunden wie die des Irrtums mit der von Erkenntnis. Es gibt das eine nicht ohne das andere, und immer wieder sind in historischen Glaubensformen Glaube und Aberglaube miteinander verquickt gewesen. Theisten müssen aber darauf beharren, dass nicht jeder Glaube Aberglaube ist, dass es Gestalten des Glaubens gibt, die einzunehmen nicht unvernünftig ist. Ob es solche rational zulässigen Formen des Glaubens gibt, und wenn es sie gibt, wo die Grenzen für sie liegen, das ausfindig zu machen soll heißen, den Platz zum Glauben zu bestimmen. In nahezu allen Gesellschaften gibt es naturwüchsige und naive religiöse Praktiken. Sie werden von der Religionswissenschaft erforscht und beschrieben. Ihren Platz haben sie, weil sie verwendet werden, hier wird nichts durch philosophische Überlegungen gesichert. Seitdem es aber überhaupt Philosophie gibt, seit Xenophanes und Heraklit sind sie einer philosophischen Kritik unterzogen worden. Ein Glaube, in dem den Göttern Diebstahl, Ehebruch und Betrug zugeschrieben werden, ist nach Xenophanes nicht rational zulässig. Nach Kant ist es Aberglaube, wenn man der Auffassung ist, die Zuneigung Gottes allein durch kultische Handlungen gewinnen zu können. Solche Beispiele machen klar, was eine philosophische Kritik religiösen Glaubens bedeutet, und wohl auch, dass sie unverzichtbar ist. Ein naiver, unreflektierter Glaube muss nicht Aberglaube sein, aber er kann nie sicher sein, keiner zu sein, er ist dieser Gefahr wehrlos ausgeliefert. Er widerspricht aber auch einer wichtigen noch zu diskutierenden Bedingung für einen rational zulässigen Glauben: er muss auch von einer mündigen Person vertreten werden können. Die von Kant formulierte Maxime der Aufklärung »Sapere

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aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« gilt auch für einen mündigen Glaubenden. Ein solcher muss sich fragen, ob sein Glaube kein Aberglaube ist. Das bloße Vertrauen darauf, dass eine etablierte Institution schon das Richtige lehren wird, reicht für sich allein nicht aus, wie ein Blick in die Religionsgeschichte lehrt. Wie Kant in seiner Programmschrift zur Aufklärung fortfährt: »Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, usw.: so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken. . .« (AA 8, 35) Lassen wir den Arzt als medizinischen Experten beiseite – ein Buch und ein Seelsorger sollten einem auch in Glaubensfragen das eigene Denken nicht vollständig abnehmen. Weidemann hat eindringlich und mit überzeugenden Argumenten für die »Unverzichtbarkeit natürlicher Theologie« plädiert (2007). In jedem Fall sind rationale Überlegungen erforderlich, wenn es darum geht auszumachen, ob es rational zulässige Formen des Glaubens gibt. Die Abtrennung eines solchen Glaubens von Aberglauben und Schwärmerei kann nicht durch den Glauben selbst erfolgen. Nur die Vernunft kann sagen, wo ihre Grenzen verlaufen, was innerhalb und was außerhalb liegt. Religionsphilosophie ist eine philosophische Disziplin, die so rational wie möglich betrieben werden sollte. Das bedeutet keineswegs, wie noch ausgeführt werden soll, dass der Glaube selbst zu einer Sache bloßer Rationalität wird. Das Resultat einer Abgrenzung von rational zulässigem Glauben ist nicht, dass dieser Glaube jedermann rational als wahr andemonstriert werden kann. Die Zielrichtung ist eine kritische: Von manchen Glaubensinhalten soll gezeigt werden, dass für sie innerhalb der Grenzen der Vernunft kein Platz ist. Das gilt nicht nur vom Glauben an ehebrechende Götter. Daraus folgt keineswegs, dass die zugelassenen Glaubensinhalte wahr sein müssen. Auch der Atheismus mag rational zulässig sein. Als wahr wäre er erst dann erwiesen, wenn gezeigt wäre, dass jeder Glaube Aberglaube ist, wenn es also gar keinen Platz für einen Glauben an etwas Göttliches gibt. Ob die Grenzziehung der Vernunft dies radikale Resultat hat, wird zu prüfen sein. Es mag sich aber auch herausstellen, dass innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft sowohl für einen vernünftigen Atheismus wie für einen vernünftigen Theismus Platz ist. Für Kant kommt dies bei der Kritik der theoretischen Vernunft heraus. Religiöse Glaubenssätze behalten darum den Status von praktischen Postulaten. Eine mündige Person sollte nicht glauben, ohne sich ihres Verstandes zu bedienen. Dass sie glaubt, kann trotzdem eine ganz andere Quelle als den Verstandesgebrauch haben. Vermutlich ist kaum jemand, der gläubig ist, durch bloße Verstandesüberlegungen dazu gekommen. Dass der eigene Glaube kein Aberglaube ist, kann man freilich nur wissen, wenn man sich seines eigenen Verstandes bedient. Doch behält der Glaube immer etwas von

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einem rational nicht einholbaren Wagnis. Es kann, wie Kant meinte, so sein, dass weder der Atheist noch der Theist ihre Überzeugungen mit theoretischen Argumenten rechtfertigen können. In der Vorrede zur zweiten Auflage der »Kritik der reinen Vernunft« bezeichnet er es als einen »unschätzbaren Vorteil« der Kritik, dass sie »allen Einwürfen wider Sittlichkeit und Religion auf sokratische Art, nämlich durch den klärsten Beweis der Unwissenheit der Gegner, auf alle künftige Zeit ein Ende« mache (KrV B XXXI). Ob dieser »klärste Beweis« korrekt ist, wird noch zu untersuchen sein. Ich werde aber festhalten, dass rational zulässiger Glaube durchaus auch ohne Wissen möglich ist. Im Folgenden sollen die Bedingungen ermittelt werden, die ein Glaube erfüllen muss, um rational zulässig zu sein. Zu diesen Bedingungen soll nicht gehören, dass er durch Argumente theoretischer Art oder gar durch Beweise gestützt werden kann. Manche Autoren haben großen Wert darauf gelegt, dass religiöser Glaube einen solchen theoretisch unsicheren Status behält. Jacobi etwa postuliert gerade aus Glaubensgründen für die Unmöglichkeit, dass aus Glaube Wissen werden kann (Werke 2, 1, 153). Für echten Glauben sei es erforderlich, dass er ein existenzielles Wagnis bleibt und nicht zu ausgewiesenem bequemem Wissen wird. Kant hat in dem gegen Jacobi gerichteten Aufsatz »Was heißt, sich im Denken zu orientieren?« auf dem Vorrecht der Vernunft bestanden, auch in Religionsfragen das erste Wort zu haben. Andernfalls sei aller Schwärmerei, Aberglauben, ja selbst der Atheisterei eine weite Pforte geöffnet (AA 8, 143). Beide Auffassungen widersprechen sich aber nicht unbedingt. Die Vernunft sollte Schwärmerei und Aberglauben ausgrenzen, weshalb sie insoweit in systematischer (nicht unbedingt biographischer) Hinsicht allerdings das erste Wort haben muss. Sie muss dafür aber nicht imstande sein, der »Atheisterei« die Pforte zu verschließen; sie muss nicht selbst zum Glauben motivieren können. Kant bezeichnet in diesem Aufsatz den »Vernunftunglauben« als einen misslichen Zustand des menschlichen Gemüts, der den moralischen Gesetzen alle Kraft nehme und zuletzt sogar dahin führe, gar keine Pflicht mehr anzunehmen (ebd. 146). Das führt aber weit über die Forderung hinaus, dass der Vernunft das Vorrecht des ersten Wortes auch in Religionsfragen bleiben müsse. Im Folgenden soll nur festgehalten werden, dass zwar die Vernunft allein bestimmen kann, welcher Glaube innerhalb ihrer Grenzen liegt, dass sie damit jedoch keineswegs schon den Atheismus widerlegt. Die Vernunft muss allerdings ebenfalls nachweisen, dass es überhaupt religiösen Glauben gibt, der innerhalb ihrer Grenzen liegt, dass also nicht jeder Glaube Aberglaube ist. Das Vorrecht der Vernunft ist in diesem Sinn auch mit dem von Kierkegaard geforderten »Sprung« in den Glauben, der ausschließlich existenziellen Entscheidung für ihn verträglich. Ein Glaube, der rational zulässig ist, kann außerdem durchaus auch noch so beschaffen sein, dass dem exis-

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tenziellen Gewicht der Sache, ihrem Ernst gebührend Rechnung getragen wird. Die Vernunftkritik macht es rational zulässig, dadurch aber nicht existenziell bequemer, zum Glauben zu kommen. Sowohl beim Glauben wie beim Unglauben kann es so sein, dass er ohne Wagnis und Entscheidung durch bloße Gewohnheit oder auch Trägheit angenommen wird, ohne dass das irgendwelche Konsequenzen für das Leben hätte. Für einen mündigen Glauben sollte allerdings gelten, dass man nicht auf eine solche äußerliche und zufällige Weise zu ihm gekommen ist. Es kann aber wie das von Kierkegaard kritisierte oberflächliche und äußerliche Christentum auch nicht minder oberflächlichen und unvernünftigen Atheismus geben. Wie der Glaube, so kann auch der Unglaube ohne inneren Ernst sein. Kierkegaard betont allerdings sehr die Absurdität und Irrationalität des christlichen Glaubens. Wenn dieser so beschaffen wäre, wie er von ihm geschildert wird, dann könnte er nicht als rational zulässig akzeptiert werden. Kierkegaard nimmt anscheinend an, dass es eine größere existenzielle Leistung ist, etwas Absurdes als etwas Vernunftgemäßes zu glauben, so als würde es die wahre Leidenschaft mindern, wenn man sich auf rationale Weise überzeugt hat, keinem Unsinn anzuhängen. Eine treffende Kritik an dieser Auffassung liefert Weidemann (a. a. O. 137f.). Es wird mit Recht festgestellt, dass sich diese Konzeption religiösen Glaubens gerade auch in existenzieller Hinsicht als abwegig erweist. Wenn es allein auf die Leidenschaft ankommt, mit der geglaubt wird, und gar nicht mehr auf den Inhalt, der geglaubt wird, dann ergibt sich eine vollständige Nivellierung aller Glaubensformen. Der Unterschied zwischen Glaube und Aberglaube kann nicht allein darin bestehen, ob etwas mit großer oder geringer Leidenschaft geglaubt wird, auch wenn es sein kann, dass jemand an einem Glauben, der kein Aberglaube ist, nur oberflächlich teilnimmt. Die Leidenschaft, mit der geglaubt wird, ist ein wichtiger Zug an einer Glaubenshaltung, sie muss aber geleitet sein durch eine andere wichtige Eigenschaft, die Mündigkeit. In ihr sind rationale und existenzielle Momente vereinigt. Das zeigt schon Kants Aufforderung »habe Mut!«. Zur Mündigkeit gehört nicht nur der Verstand, sondern auch der nötige Mut, und ihn aufzubringen kann mehr Mühe machen als die Leidenschaft. Unmündigkeit ist eben, wie Kant bemerkt, sehr bequem, und zwar auch dann, wenn sie mit großer Leidenschaft gepaart ist. Aus unmündiger Leidenschaft können die schlimmsten Missbildungen von Religion entstehen. Die Bedeutung der Mündigkeit für den Glauben hat von Kutschera in seiner Bilanzierung des Christentums herausgestellt (2008). Er geht aus von der Opposition zwischen mythischem und mündigem Denken. Das »mythische Erbe des Christentums« möchte er aus dem Bereich des rational zulässigen Glaubens ausscheiden. Und es ist nicht wenig, was von Kutschera diesem Erbe zurechnet. Es beginnt schon mit der Einstellung zu den bib-

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lischen Texten. »Wer, ohne dabei überhaupt eine Begründungslast zu erkennen, einfach voraussetzt, die Evangelien seien Berichte vertrauenswürdiger Zeugen, ist von mündigem Denken – von wissenschaftlichem Denken ganz zu schweigen – weit entfernt. Sein Glaube ist nicht Resultat eigener Überlegungen und bewusster Entscheidungen, sondern Ergebnis der Prägung durch seine religiöse Umwelt.« (a. a. O. 65) In einer zusammenfassenden Passage wird auf »Vorstellungen wie Erbsünde, Erlösung, Inkarnation und Jungfrauengeburt hingewiesen, die mythischem Denken entstammen und zum Teil schon eine sehr lange Vorgeschichte haben.« (ebd. 104) Das mündige Denken wird charakterisiert durch die Forderung, dass das Subjekt sich als autonom und verantwortlich für seine Überzeugungen versteht. Von Kutschera zitiert ebenfalls die berühmte Wendung aus Kants Aufsatz über die Aufklärung: »Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!« (ebd. 35) Auch nach meiner Auffassung muss diese Mündigkeit als eine formale Bedingung für jeden rational zulässigen Glauben gelten. Sie ist formal in dem Sinn, dass durch sie zwar manches (wie das Mythische) ausgeschlossen wird, dass aber noch viele Möglichkeiten offen bleiben, über die mit Argumenten anderer Art entschieden werden muss. Für von Kutschera widerspricht z. B. die Überzeugung von einer transzendenten Wirklichkeit keineswegs mündigem Denken: »Die Annahme einer transzendenten Wirklichkeit, von Gott und ewigem Leben, ist als solche nicht mythisch. Sie widerspricht nur der heute vorherrschenden immanenten Weltsicht. . . . Mündigkeit zeichnet als solche noch keine bestimmte Weltsicht aus.« (ebd. 122) Es bleiben also philosophische Fragen innerhalb des mündigen Denkens. Ihre Untersuchung sollte aber – das mündige Denken ist ein Ideal, wie von Kutschera bemerkt (ebd. 35) – in den Grenzen des mündigen Denkens bleiben. Vor allem aber soll die Forderung der Mündigkeit von dem Glauben, dem ein Platz gesichert werden soll, erfüllt werden. Die wichtigste Forderung an einen mündigen Glauben ist, dass sein Subjekt sich selbst als autonom begreifen können muss, denn damit kommen ethische Gesichtspunkte ins Spiel. Ein Teil des mythischen Erbes im Christentum besteht aus Dogmen, für die es aus ethischen Gründen keinen Platz zum Glauben geben kann. Ein Beispiel dafür, bei von Kutschera erwähnt, ist die Lehre der Erbsünde, zumindest in dem traditionellen Sinn, dass die Tat eines fernen Vorfahren es schon für sich allein gerecht macht, dass ein Mensch von Gott verurteilt und verdammt wird. »Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren.« (Paulus, Röm. 9, 22) Aus ethischen Gründen kann es keinen Platz geben zu glauben, autonome Personen könnten zum Verderben bestimmte Gefäße des Zorns sein, nur weil Gott seine Macht kundtun wollte. Paulus (wie auch