Der perfekte Absprung - Buch.de

stiegen ukrainische Langläufer und Biathle- ten ein, in den nächsten eine deutsche Fan- gruppe. Springers Chauffeur hielt hinter dem letzten Bus an. Er sagte ...
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Gerald Pusch

Der perfekte Absprung Roman

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© 2015 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2015 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Printed in Germany

AAVAA print+design Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck:

ISBN 978-3-8459-1589-0 ISBN 978-3-8459-1590-6 ISBN 978-3-8459-1591-3 ISBN 978-3-8459-1592-0 Mini-Buch ohne ISBN

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DER PERFEKTE ABSPRUNG

1. Die olympische Goldmedaille, er musste sie nur abholen. So war der Plan. Es war Abend geworden. Versüßt durch herabfallende Schneeflocken bat der Tag zum Ausklang, versalzt durch Streuwägen zerfloss das malerische Weiß auf dem neuen Asphalt der Straßen gewollt dahin, das erhoffte Wintermärchen schien einzutreten. Das Olympiafieber grassierte, es hatte die Sportler und die Medien im Griff, es hatte die Menschen in der Stadt und im ganzen Land erreicht. Es war der Abend vor der Eröffnung der olympischen Winterspiele. In den verträumten Vororten wurden Großparkplätze eingerichtet, der Großteil der Stadt 4

wurde zur Fußgängerzone umfunktioniert, keinem Fahrzeug ohne klar sichtbaren Akkreditierungsausweis, oder Streuwägen, war es erlaubt einzufahren. Nur wenige durften sich glücklich schätzen zu den Ausnahmen zu gehören. Thomas Springer ließ sich chauffieren. Er kannte Salzburg, er wuchs hier auf, keine Gasse war ihm fremd. Diese Stadt war der Schoß seines Lebens. Trotzdem rieten ihm seine Manager, hier und jetzt nicht selber zu fahren. Sie stellten ihm ein Auto mit getönten Scheiben zur Verfügung. Chauffeur inbegriffen. Nur langsam kamen sie voran, trotz Akkreditierungsausweis. Menschen, sehr viele, waren in den sonst verkehrsverstopften Straßen zu Fuß unterwegs. Von fünf Grad unter Null ließ man sich nicht abhalten, vom leichten Schneefall wurde man in eine paradiesische Winterlandschaft verzaubert. Das Glockengeläut des Domes zu jeder vollen Stunde 5

war kaum zu vernehmen. Am Medal Plaza, so sollte der Residenzplatz während der zwei olympischen Wochen heißen, war eine große Bühne aufgebaut. Neben den Medaillenvergaben, die allabendlich für große Begeisterung sorgen sollten, waren hier zudem kulturelle und musikalische Darbietungen vorgesehen. Die für diesen Abend geplante Medienveranstaltung war bereits im Gange. Der Wagen mit den getönten Scheiben war auf dem Weg dorthin. Der Bundeskanzler, der Wirtschaftsminister, der Landeshauptmann und der Großteil des Salzburger Stadtrates standen erwartungsvoll zusammen mit zwei dutzend Sportlern auf dieser imposanten Bühne. Zehntausende Menschen jubelten ihnen zu, den Politikern weniger. Einzeln wurden sie aufgerufen. Die Sportler. Die Sponsoren luden zu diesem Event ein. Jeder Aufgerufene war ein Medaillenanwärter, ein Goldfavorit in seiner Disziplin. Natürlich 6

wolle jeder eine Medaille gewinnen, gaben sie nacheinander zur Antwort auf immer dieselbe Frage, welche Ziele sie denn hätten in den folgenden vierzehn Tagen. Der Chauffeur war ein erfahrener Mann. Von der Karolinenbrücke kommend bog er auf den Rudolfskai ein. Ab dem Mozartplatz versuchten vier Männer der Security eine Gasse zu bilden zwischen all den Menschen. Alle waren sie nur wegen ihm gekommen. Nicht wegen dem Chauffeur, wegen seinem Mitfahrer. Dieser saß auf der Rückbank. Nur selten schweiften seine Blicke durch das Seitenfenster nach draußen. Sie konnten ihn nicht sehen, doch er sie. Nur wollte er sie nicht sehen. Nicht mehr. Thomas Springer hatte im Jahr zuvor den Durchbruch geschafft. Er war der Shootingstar des Winters. Den Weltcup der Schispringer mit neunzehn Jahren zu gewinnen hatten vor ihm nicht viele erreichen dürfen. Der 7

Springer hatte seinen Sport nicht nur im Namen, sondern auch im Blut. In dieser Saison war er bislang unschlagbar. Nach jedem Springen, bei dem er angetreten war, landete er auch auf dem höchsten Treppchen des Siegespodestes. Er war die Regel, zu Ausnahmen kam es nicht. Jetzt kamen die olympischen Spiele in seinem Heimatland Österreich, in seiner Heimatstadt Salzburg zweifellos zur rechten Zeit. So zumindest war die öffentliche Auffassung. Keine Zeitung, seriöse wie weniger ernsthafte, war käuflich, dessen Titelblatt er nicht garnierte, Plakate im ganzen Land mit seinem jugendlichen Gesicht sollten dieser Tage Werbung für die Spiele machen. Denn er sprach die Menschen an, mit seiner zurückhaltenden Unbekümmertheit, mit der er seinen Sport auslebte und so von Sieg zu Sieg sprang. Sie schrieben vom besten Schispringer aller Zeiten. Und vom sympathischsten. Der Gold – Springer holt 8

das Springer – Gold! Er war beliebt. Nicht nur einmal hatte seine Anwesenheit hysterische Ohnmachtsanfälle ausgelöst. Nicht ausschließlich bei den jungen Mädchen. Die älteste Person, die es wegen eines solchen Anfalles auf die Trage eines Rettungswagens schaffte und abtransportiert werden musste, war zweiundsiebzig! Wöchentlich hatte Thomas Springer Auftritte in Sportstudios, Shows oder Werbeveranstaltungen. Sowohl im In- als auch im Ausland schaffte er es unvorstellbare, doch positive Hysterie zu erzeugen. Ein beneidenswertes Leben. Ruhm, Geld, Ansehen, sportlicher Erfolg! Die olympische Goldmedaille, ja, er musste sie nur abholen. Im ersten Durchgang einen Vorsprung herausspringen, im zweiten den Sack mit der Draufgabe eines neuen Schanzenrekords zu machen! Den Jubel von sechzigtausend Fans genießen. So war der Plan. Sechzigtausend! Mehr Karten durften sie 9

nicht verkaufen. Das neu gebaute Schisprungstadion unweit der Stadt wurde zu klein dimensioniert verglichen mit der Anzahl der Anfragen für Eintrittskarten. Die Fans wussten, wer im verdunkelten Auto saß. Sie klopften aufs Dach, gestikulierten, brüllten heroische Siegesschreie. Vor der Bühne warteten weitere acht dieser Security – Männer. Nur durch das harte Durchgreifen dieser war es Thomas Springer überhaupt möglich geworden auszusteigen. Der Chauffeur versuchte es nicht einmal. Zuerst schüttelte ihm der Bundeskanzler begeistert die Hand. Darauf folgten nacheinander alle anderen Politiker, nachdem er auch mit dem zweiten Bein die Bühne erklommen hatte. Noch Hände schüttelnd wurde ihm auch schon die erste Frage gestellt. Welche Ziele er denn habe in den nächsten zwei Wochen? Auch, oder eben wegen seiner schüchternen unkonventionellen Art und Weise sol10

che Fragen zu beantworten, gewann er immer mehr glühend leidenschaftliche Anhänger. Bodenständig sei er geblieben, behaupteten die Medien, keineswegs abgehoben. Bodenständig und nicht abgehoben – die Auffassung, ob dies gut oder schlecht sei für einen Schispringer, müsse hierbei jedem Leser offen gestellt bleiben. Die Goldmedaille wäre sein Ziel. Den zweiten Teil seiner Antwort, auch mit einer Silberoder Bronzemedaille zufrieden zu sein, hörte man nicht mehr. Zu Laut war der Jubel der zehntausenden. Er wollte das nicht. Nicht mehr. Glanz und Gloria hätte er als Kind ersehnt. Schi zu springen war sein Leben seit er denken konnte! Seine Trainer mussten nicht viel zum Erfolg beitragen, er selbst war es, der hart trainierte. Ausgestattet mit viel Talent und eben dieses selbstauferlegte, harte Training waren die siegreiche Kombination, an der sich zur11

zeit die Konkurrenz die Zähne ausbiss. Weit, weiter, am weitesten zu springen war immer sein Ziel. Während seine Freunde, so man die wenigen als solche bezeichnen konnte, im Sommer das kühle Nass der Seen und Freibäder suchten, machte er Trockentraining. Sprungübungen gepaart mit Ausdauer- und Krafttraining. Kaum fielen im Herbst ein paar Zentimeter Schnee, um das herabgefallene Laub der Ahornbäume unweit seines Elternhauses zu verdecken, holte er seine Schischuhe aus dem Keller, schob auf halbsteilen Wiesen den Schnee zu Sprungschanzen zusammen, schnallte seine Schi an seinen Körper und sprang drüber. Den ganzen Tag, oft wurde es finster. Zu Weihnachten bekam er einmal eine Stirnlampe geschenkt, da war ihm auch die Nacht egal. Sein Großvater wusste immer solche brauchbaren Dinge zu verschenken. 12

Zum Flughafen, sagte Thomas Springer zu seinem Chauffeur im verdunkelten Wagen. Dieser setzte seinen mittlerweile leicht verbeulten Wagen behutsam in Bewegung. Ob ihn das alles stolz mache, wurde Springer gefragt. Die anderen Sportlerkollegen müssten sich selbst hinters Steuer setzen, er aber würde herum kutschiert. Mache ihn das stolz? Ja, mächtig. Springer lächelte verschmitzt. Der Chauffeur wusste, dass er log. Vom Residenzplatz zum Flughafen Salzburg waren es nur wenige Kilometer. Sie benötigten eine Stunde. Der Chauffeur offenbarte, Sport sei etwas, das er so liebe wie Fieber. Thomas vermied eine weitere Konversation durch ignorieren dieser Anmerkung. Mächtig und doch nutzlos schlug die Domuhr elfmal, sie wurde von niemandem gehört, die vorolympische Party war am Höhepunkt. Im Kofferraum lag das Gepäck, bestehend aus 13

einer Reisetasche und einem kleiner Rucksack. Am Flughafen herrschte reger Flugverkehr. Eine Maschine war soeben gelandet. Eine zweite war bereits wieder im Anflug. Um diese nächtliche Zeit durften Flugzeuge gewöhnlich weder starten noch landen. Die Lärmbelästigung wäre nicht zumutbar für die Salzburger Bevölkerung. Jetzt während der Spiele wurde dieses Flugverbot aufgehoben, ansonsten wäre die zeitgemäße Anreise der Athleten und Betreuer nicht zu garantieren gewesen. Busse standen wie aufgefädelt vor dem Flughafengebäude. In den vordersten stiegen ukrainische Langläufer und Biathleten ein, in den nächsten eine deutsche Fangruppe. Springers Chauffeur hielt hinter dem letzten Bus an. Er sagte, er dürfe hier nur kurz stehen bleiben. Es sei ein Busterminal, der extra eingerichtet worden war zum schnellen Abtransport der Flugankömmlinge. Seine Verklei14

dung würde schon passen, es würde ihn niemand erkennen, versicherte er. Und wenn er sich seinen Schal noch weiter übers Gesicht ziehen würde, würde er nichts mehr sehen können. Das wäre spätestens bei der Gehsteigkante eine beträchtliche Gefahr sich eine Verletzung zuzuziehen. Das Gepäck müsse er sich selber aus dem Kofferraum holen, er sähe schließlich im Rückspiegel schon den nächsten Bus heranbrausen, lichthupend! Er würde jetzt gerne fahren. Und er, Springer, solle aufpassen beim Aussteigen. Nur solle er dies schleunigst vornehmen! Eines, so Springer, müsse er noch klären. Der Chauffeur ließ ihn allerdings nicht zu Wort kommen, schüttelte nur hastig den Kopf und versprach, er könne zweifellos darauf vertrauen, dass er nie erzählen werde, wo er ihn hingebracht hätte. Im Gegenteil, er habe diese knappe Stunde, die die Anreise zum Flughafen in Anspruch nahm, nicht im Entferntesten 15