Der Nebel von Osej

Erst mit vierzig Jahren nahm er sich Massari- al, eine junge Lehrerin aus dem Volk, zur. Frau. Sie sollte ihm möglichst viele Söhne schenken, und als die junge ...
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Brigitte Kemptner

Der Nebel von Osej Fantasy

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© 2015 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2015 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Marena Stumpf Printed in Germany Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck

ISBN 978-3-8459-1581-4 ISBN 978-3-8459-1582-1 ISBN 978-3-8459-1583-8 ISBN 978-3-8459-1584-5 Mini-Buch ohne ISBN

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Prolog

Osej, 1814. Die befreundeten Hexenvölker Smela und Sidoc bereiteten sich auf das jährlich stattfindende Fest anlässlich des Geburtstages ihrer Göttin Ichemea vor. Jeder konnte sich an kleinen oder großen Attraktionen beteiligen, doch der Höhepunkt des Tages waren ohne Zweifel die Wettkämpfe zwischen den Fürstenfamilien der beiden Völker. Die fanden in diesem Jahr auf dem Reit- und Turnierplatz des Fürsten Xantor von Walgsam in Turadero, der Oberstadt von Sidoc statt. Die drei Söhne des Fürsten Arval von Kaldam aus Miara, der Oberstadt Smelas, trugen gerade ihre tanzenden Flammen zur Schau, als das Unglück geschah. Das Feuer geriet plötzlich außer Kontrolle und griff auf die in 4

unmittelbarer Nähe liegenden Stallungen über. Dort bereiteten die beiden einzigen Söhne von Fürst Xantor ihre Pferde für die nächste Disziplin vor. Die Ställe brannten in Windeseile nieder und kosteten den jungen Burschen und mehreren sehr wertvollen Pferden das Leben. Das Fest wurde umgehend abgebrochen. Gleich am nächsten Tag erschien ein wütender Xantor samt Gefolge in der Burg von Fürst Arval. „Das war pure Absicht deiner Söhne‚, ging er ohne Gruß auf den Freund los. „Sie haben Schuld am Tod meiner Jungen. An den Verlust meiner unbezahlbaren Pferde will ich im Moment gar nicht erst denken.‚ „Wie kannst du so etwas Ungeheuerliches behaupten, Xantor?‚, erwiderte Arval mit Bitterkeit in der Stimme. „Das nenne ich eine boshafte Unterstellung und das aus deinem Mund, mein Freund. Der Tod deiner Söhne war ein schreckliches Unglück, und hat uns alle sehr getroffen.‚ 5

„Spar dir deine Worte und dein Mitleid. Es ist kein Geheimnis, dass unsere Söhne in letzter Zeit häufig aneinander gerieten und deine drei gingen dabei nicht gerade zimperlich mit meinen beiden um.‚ „Sie sind noch jung, genauso waren wir doch auch. Aber ich kann mir denken, worauf du anspielst. Auf meine Jinni und deinen Sohn, der ihr immerfort nachstellte.‚ „Falgor ist … war rebellisch, das gebe ich zu. Aber er war noch sehr jung. Ich habe ihm ja oft genug ins Gewissen geredet, dass er Jinni in Frieden lassen soll, weil sie bereits die Braut eines anderen ist.‚ „Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, ihr immer wieder nachzustellen. Meine Söhne haben nur das getan, was deine für ihre Schwester auch getan hätten. Sie haben sie beschützt.‚ „Davon konnte ich mich überzeugen‚, rief Xantor wütend. „Sie haben Falgor ordentlich verprügelt.‚ 6

„Wir haben das früher auch getan, schon vergessen, mein Freund?‚, fragte Arval, dem die ganze Diskussion langsam auf die Nerven ging. „Nein, aber aus Rache jemanden töten, das war nie unser Ding. Ab heute gibt es keine Freundschaft mehr zwischen unseren Familien und unseren Völkern. Prügeleien konnte ich noch verzeihen, aber den Tod meiner Söhne nicht. Den haben deine Jungens zu verantworten. Drum hör mir gut zu, Arval von Kaldam: Ab sofort gilt Folgendes: Kein Smelaner betritt mehr ungestraft das Land der Sidoc und keiner von Sidoc wird mehr euren Boden betreten. Diese Kunde gebe ich noch heute öffentlich bekannt. Außerdem werde ich an allen Grenzübergängen bewaffnete Wachen aufstellen.‚ „Das kannst du doch nicht wirklich wollen, Xantor!‚ Die Stimme Arvals klang entsetzt. „Du kannst doch nicht unsere Völker entzweien, nur weil wir beide im Augenblick eine Fehde 7

haben. Und wie soll meine Tochter denn ihren Bräutigam heiraten, wenn sie nicht mehr zu ihm nach Turadero darf und umgekehrt?‚ Xantor lachte hart. „Was geht mich das noch an? Das ist nun euer Problem.‚ Er wandte sich zur Tür und ging. Aus dem einst so gutmütigen Fürsten von Walgsam wurde ein verbitterter Mann, daran änderte sich auch nichts, als er mit achtundfünfzig Jahren noch einmal Vater eines Sohnes wurde und der Fortbestand der Familie somit gesichert war. Ein Gesetz der Göttin Ichemea besagte nämlich Folgendes: Hat ein Fürst bis zu seinem sechzigsten Geburtstag keinen männlichen Nachkomme, so muss er all seine Güter und seine Macht abgeben und das Volk darf ein neues Oberhaupt wählen. Und während in Smela die Leute weiterhin stolz auf ihre beliebte Fürstenfamilie waren, zog in Sidoc ein rauer Wind ein. Von Generation zu Generation wurden die Fürsten von Walgsam immer 8

gefürchteter. Sie führten ein strenges Regiment, unterdrückten ihr Volk und setzten harte Bestrafungen bei Verfehlungen aus. 184 Jahre nach Beginn der Fehde war Fürst Walgor von Walgsam das am meisten verachtete Oberhaupt von Sidoc. Er war grausamer und rücksichtsloser als all seine Vorfahren. Erst mit vierzig Jahren nahm er sich Massarial, eine junge Lehrerin aus dem Volk, zur Frau. Sie sollte ihm möglichst viele Söhne schenken, und als die junge Fürstin schwanger wurde, sah Walgor sich schon als Vater eines Erben. Dann kam der Tag, an dem das Kind das Licht der Welt erblickte … Muriel, die Hebamme, hüllte das Baby, noch bevor es schreien konnte, in einen weißen Umhang, den sie zuvor mit einer geruchlosen und ungefährlichen Flüssigkeit besprüht hatte. Dann schaute sie auf das Bett, in dem Massarial, die junge Fürstin, lag. Ihr Gesicht, das 9

von einer Flut rötlicher Locken umgeben war, sah erschöpft und traurig aus. Muriel lächelte ihr aufmunternd zu. „Du kannst es dir noch überlegen‚, sagte sie. „Es ist noch nicht zu spät.‚ Massarial stieß einen Seufzer aus. „Nein. Es gibt kein Zurück. Wie wird es jetzt weitergehen, Muriel?‚ Es war nur ein Flüstern, das die junge Frau über die spröden Lippen brachte. Aber die Hebamme hatte sie verstanden und sagte mit ruhigem Ton: „Hab keine Sorge, ich werde schon eine Lösung finden, und jetzt musst du dich ausruhen. Ich läute nach deiner Dienerin.‚ Muriel zog an einer Kordel, die neben dem Bett hing. „Kümmere dich um deine Herrin‚, sagte sie zu dem jungen Mädchen, das wenig später den Raum betrat. „Ich muss zum Fürsten, um ihm die traurige Nachricht selbst zu überbringen.‚ Das Gesicht der Dienerin wurde blass, als sie den weißen Umhang sah. doch bevor sie et10

was sagen konnte, war Muriel aus dem Gemach verschwunden. Leichtfüßig, als wäre sie noch ein junges Mädchen, überquerte die Amme einen langen Korridor und kam endlich zu den Gemächern des Hexen-Fürsten. In diesem Augenblick öffnete sich auch schon eine der Türen und Walgor von Walgsam trat in Begleitung zweier Wachen auf den Flur. Beim Anblick der Amme oder besser gesagt, beim Anblick des weißen Tuches, wurde sein Gesicht aschfahl und seine kalten grauen Augen noch um eine Spur kälter. „Du weißt, was du zu tun hast, Alte!‚, herrschte er die Hebamme an, so, als trüge sie Schuld an diesem Malheur. Jedoch unbeeindruckt vom bösartigen Wesen des Fürsten nickte sie und sprach: „Sehr wohl, mein Herr!‚ Als Muriel die Burg Walgor von Walgsam, dem Fürsten der Sidoc-Hexen, verlassen hatte, 11

atmete sie auf. Doch aus der Gefahrenzone war sie noch längst nicht. Sie spürte die Blicke der Torwächter in ihrem Rücken und musste befürchten, dass Walgor ihnen am Ende sogar befahl, die Hebamme zu begleiten und aufzupassen, dass sie ihre Sache auch anständig ausführte. Doch es blieb zum Glück alles ruhig und keiner kam ihr hinterher. Sie schlug den Weg zur Grotte ein und als sie außer Sichtweite war, änderte sie die Richtung. Bald hatte der Wald sie verschlungen, doch Muriel eilte weiter, weil sie sich noch immer auf dem Land der Sidoc befand. Erst als die Grenze zum großen Wald überschritten war, wurde ihr Gang langsamer. Sie blieb stehen, hob das weiße Tuch etwas zur Seite und ein rosiges Babygesicht wurde sichtbar. Muriel lächelte es liebevoll an: „Nun darfst du schreien, mein Kleiner. Hier hört dich zum Glück niemand.‚ Aber die Gefahr war noch längst nicht gebannt. Muriel war sich dessen bewusst. Fürst Walgor war nicht dumm. Er wusste immer, 12

was in seinem Reich vor sich ging. Ob eine Familie Nachwuchs bekam oder einer der Sidoc-Bewohner zu Grabe getragen wurde. Sicher würde ein plötzlich auftauchendes, elternloses Baby sofort für großen Wirbel sorgen und Massarials Plan am Ende noch auffliegen lassen. Ein rauer Wind kam auf und Muriel bedeckte das Kind wieder mit dem weißen Tuch. Sie ging etwas tiefer in den Wald hinein, immer noch nicht wissend, wo sie das Neugeborene solange unterbringen konnte, bis sie sich über den nächsten Schritt klar war. Der Junge in ihrem Arm begann heftig zu strampeln und weinte. Er hatte sicher Hunger. Daran hatte die Hebamme nicht gedacht. Sie wiegte das Kind in ihren Armen und sprach ein paar beruhigende Worte. Nichts half. Muriel erschrak, als es neben ihr im Unterholz knackte. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Was, wenn Walgors Wachen ihr doch heimlich gefolgt waren? Ihr Blick irrte hin und her, 13

aber sie sah niemanden. „Du Närrin‚, schalt sie sich. „Du bist doch sonst nicht so leicht zu erschrecken.‚ Ein Räuspern ließ sie jedoch Sekunden später erneut erschauern und dann erblickte Muriel sie. Eine feenhafte Gestalt, nicht größer als ein Kind von etwa sechs oder sieben Jahren. Das Wesen trug ein weißes Gewand und auf den goldblonden Locken ruhte ein Kranz aus zartrosa Blüten. Muriel wusste sofort, dass sie einem Ajinn gegenüber stand. In Osej waren Ajinn kleinwüchsige Halblinge, halb Mensch, halb Fee. Sie lebten in Wäldern und waren äußerst scheue Geschöpfe. Nur selten traf man sie in Städten oder Dörfern an. Und nun stand Muriel mit dem Baby auf dem Arm einem solchen Wesen gegenüber. „Hab ich dich sehr erschreckt? Wenn ja, dann tut es mir leid!‚, mit einem scheuen Lächeln schaute die Gestalt zu der Hebamme auf. „Ich bin Mirial. Ich sehe dir an, dass du Hilfe brauchst.‚ 14

„Nein …. Ja, doch, die brauche ich‚, stotterte Muriel. Konnte sie sich diesem Ajinn anvertrauen? Andererseits, hatte sie überhaupt eine andere Wahl? „Ich suche für diese Nacht einen Unterschlupf für das Kind. Es ist außerdem hungrig‚, sagte Muriel. Ihr war es gar nicht wohl bei dem Gedanken, sich einer fremden Person auszuliefern. Unter ihrem langen Gewand wurde ihr ganz heiß. „Folge mir!‚, bat Mirial. „Ich weiß ein gutes, sicheres und vor allem trockenes Versteck. Und mit etwas Milch kann ich auch dienen. Sei unbesorgt, ich tue keinem etwas zuleide und stelle auch keine Fragen.‚ Die Hebamme folgte Mirial immer tiefer in den Wald. Dann blieben sie vor einem dicken Baum stehen, dessen Äste kreuz und quer in alle Himmelsrichtungen ragten. „Und wo ist nun das Versteck?‚, fragte Muriel. „Hier, im Lichterbaum. Warte einen Moment, dann wirst du es sehen.‚ Mirial begann zu 15