Der Geizige

Der Groß vater Jean Poquelin (Pate von Molière) stirbt. 1631. Vater Jean Poquelin er wirbt von seinem Bruder. Nicol as die Charge des „Valet de chambre, tapis ...
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Königs Erläuterungen und Materialien Band 291

Erläuterungen zu

Molière

Der Geizige von Klaus Bahners

C. Bange Verlag – Hollfeld

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Herausgegeben von Klaus Bahners, Gerd Eversberg und Reiner Poppe

Hinweis der Herausgeber: Die Rechtschreibung wurde der amtlichen Neuregelung angepasst.

3. überarbeitete Auflage 1998 ISBN 3-8044-0310-7 © 1984 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Printed in Germany

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IN­HALT

Ein­lei­tung ....................................................................... 5 1.

Molière 

1.1 Zeit­tafel zu Leben und Werk............................................... 9 1.2.1 Molières Thea­ter und seine Zeit......................................... 17 1.2.2 Molière und die Komö­die des 17. Jahr­hun­derts................. 23

2.

„Der Gei­zige“ 

2.1

Hand­lungs­skizze................................................................ 30

2.2

Charakte­ristik der Haupt- und Neben­perso­nen.................. 32

2.3

Themati­scher Auf­bau......................................................... 44

2.4

Zur Tradi­tion und zur Wir­kungs­geschich­te



des Stof­fes.......................................................................... 49 2.5

Sach­liche und sprach­liche Er­läute­rungen.......................... 58

2.6

Ex­kurs: Ludwig XIV. und Molière........................................ 63

3.

As­pekte zur Diskussion  .......................................... 68

4.

Stim­men der Kritik 

4.1

Harpa­gon und seine Welt................................................... 75

4.2

Harpa­gons Mono­log und seine Be­deu­tung........................ 78

4.3

Harpa­gons ge­spal­tenes Be­wusst­sein................................ 81

4.4

Harpa­gons Un­mensch­lich­keit,



Selbst­ent­frem­dung und Wahn­sinn...................................... 83 4.5

Sozio­logie der Molière’schen Komik................................... 86

5.

Literatur (- Auswahl -)  ............................................. 89

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C’est une grande difformité dans la nature qu’un vieillard amoureux. La Bruy­ère

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EIN­LEI­TUNG Der franzö­sische Lite­ratur­kriti­ker Sainte-Beuve hat über Molière ge­ sagt, dass er zu den weni­gen ge­höre, „die immer gegen­wärtig sein werden“. Diese These ver­anlasst uns, ein­lei­tend zur Aktu­ali­tät Molières und seines Thea­ters einige Be­mer­kungen zu machen: Auch oder ge­rade nach 300 Jahren Molière-Kritik und Molière-For­ schung bleibt noch viel zu fragen: „Molière klas­ sisch? burlesk? barock? preziös? farcesk? Molière und die Antike, Spa­nien, Ita­lien, Quel­len, Nach­wir­kungen; Bio­gra­fie, Fami­lie, Ehe, Freun­de, Pole­miken; commedia dell’arte und aristote­lische Poetik; die Wander­bühne, die Schau­spiel­trup­pen und die Tri­as von ,auteur‘ / ,acteur‘ / ,metteur en scène‘; Molière in der Insze­nierung; Molière und die Liber­tins, Devo­ ten, Pre­ziösen und Ärzte; Molière und Ludwig XIV., Recht, Theo­logie, Stände; Spra­che, Stil, Dia­log, Komik, Formen der Komö­die; Molière und die zeit­genös­sische Wir­kung; Molière und seine ,Moral‘.“1 Aber Renate Baader schränkt diesen Fragen­kata­log so­gleich wieder ein, wenn sie zu Recht fest­stellt, dass „Schü­ler und Stu­denten durch dieses Wissen, von dessen Summe sie ge­mein­hin nur die summa­rische Aus­wahl er­reicht, eher ge­lähmt als an­geregt“2 werden. Wenn dieses nicht ganz ernst zu neh­mende Spek­trum an Pro­blemen die Aktu­ali­tät Molières aus der Sicht der romanis­tischen For­schung, der Thea­ter- und der Lite­ratur­wissen­schaft an­deutet, so ge­lingt dies mit dem Hin­weis auf die Ver­fil­mung des Lebens des großen Künst­ lers durch Ariane Mnouchkine um­so wir­kungs­voller und nachhaltiger. Renate Baader ist wohl zu­zu­stim­men, wenn sie dar­legt, dass es Mnouchkine ge­lungen ist, „was ganz all­gemein in den letz­ten Jahr­ zehn­ten die Bühne weit mehr als Schule und Uni­versi­tät ver­mocht hatten“, näm­lich „Enthu­sias­mus für seinen Gegen­stand neu zu we­ 1 2

Baader, Renate, Molière in Wirkung und Kritik; in: dies. (Hg.), Molière, Darmstadt (Wiss. Buchges.) 1980, S. 1-21, Zit. 13-14. Ebd., S. 14.

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cken“.3 Klaus Schüle sagt, dass in diesem Film „durch die Ver­allgemei­ nerung des indivi­duellen Molière-Schick­sals etwas von der dama­ligen und heuti­gen Lebens­reali­tät durch­schim­mert. Den Ge­halt des Films kann man folg­ lich darin sehen, den Zu­ schau­ ern etwas von den wider­sprüch­lich ver­lau­fenden politi­schen und künst­leri­schen An­pas­ sungs- und Selbst­ver­wirkli­chungs­pro­zessen zu ver­mit­teln“.4 Auch in der Dar­stel­lung der „politi­schen Hand­lungs­mög­lich­keiten des Volkes“ sieht Schüle aktu­elle Be­züge, die die Aus­einan­der­set­zung mit dem Film und mit Molière zur loh­nenden Auf­gabe machen, wenn er auch den „kon­kreten Prozess der Persön­lich­keits­ent­wick­lung“5 Molières in der Mnouchkine-Ver­fil­mung ver­misst. Der Regis­seur Erik Vos, der 1983 am Düssel­dorfer Schau­spiel­haus Molières „Geizi­gen“ insze­niert hat, stellt eine Be­zie­hung zwi­schen Harpa­gon, dem Geizi­gen bei Molière, und uns her: „Das Tragi­sche heute ist doch, dass, eben­so wie Harpa­gon, heute keiner im Stan­de ist, zu sagen: Wir geben das alles auf, was wir ge­hortet haben. Man sagt zwar, Geld macht nicht glück­lich. Aber jeder will es den­noch be­ halten. Die Länder, die am reichs­ten sind, sind nicht am glück­lichs­ten. Sie haben nur mehr Pro­bleme.“ Und an ande­rer Stelle nennt er die „innere Welt von Harpa­gon eine merk­wür­dige, schizo­phrene Welt, in der auch die Welt von heute sicht­bar wird: Das reiche Haus geht lang­sam kaputt. Das reiche Haus des Sei­gneur Harpa­gon kann ja un­ mög­lich ein norma­les mehr sein, wenn der Cha­rakter seines Be­sit­zers so anor­mal ist. Harpa­gons Schizo­phrenie – und unsere? – geht bis zur Selbst­zerstö­rung“.6 Diese Sätze wirken wie eine – zwei­fel­los un­be­wusste – Vor­weg­nahme der aktu­ellen Situ­ation im wieder­ver­einig­ten Deutsch­land. Unter dem Titel „Avaritia. Die west­deut­sche Krank­heit“ heißt es in einer Tages­ 3 4 5 6

Ebd., S. 14. Schüle, Klaus, Der „Molière“ von Ariane Mnouchkine, in: französisch heute 1980, S. 48-49. Ebd., S. 49. Düsseldorfer Schauspielhaus (Hg.), Molière. Der Geizige, Spielzeit 1982/83, Heft 20, Düsseldorf 1983, unpaginiert.

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zei­ tung: „Zwan­ zig Jahre des Wieder­ auf­ baus wurden im Westen glück­lich ge­meis­tert. Die zwan­zig fol­genden Jahre der Satu­riert­heit aber haben eine De­forma­tion er­zeugt, die sich mit einem Be­griff aus dem Kata­log der Tod­sünden am besten fassen lässt: Von Avaritia, von Geiz und Hab­gier werden die West­deut­schen be­herrscht. Sie spre­chen zwar von Fleiß und Spar­sam­keit. Doch ge­hört auch das zu einer Tod­sünde, dass sie sich unter einer Tugend ver­birgt. Und nun erst recht der Geiz. Die Selbst­ge­rechtigkeit, mit der vom Lohn des Schwei­ßes ge­spro­chen und dabei unter­stellt wird, dass andere durch mangeln­den Fleiß ihr Elend mit­ver­schul­det hätten, ist ein Haupt­zug des geizi­gen Charak­ters. Der Gei­zige hat alles auf seiner Seite, das Geld und das gute Ge­wissen. (. . .) Der Geiz ist ein Laster, dem die Heuche­lei stets auf dem Fuße folgt. In seiner ent­wickel­ten Form zeigt es sich als System von Blo­ckaden, die den Hand­lungs­ spiel­ raum des Geizi­ gen auf eine ihm selbst schon un­ erträg­ liche Weise ein­schrän­ken: Er be­ginnt, von Sach­zwän­gen zu spre­chen. (. . .) Das Argu­ment des Be­währ­ten ist ein weite­rer Aus­weis des geizi­ gen Charak­ters, der nur das Fest­halten ge­lernt hat. Wo aber alles festliegt, scheint dem Geizi­gen selbst das Geld knapp zu werden. (. . .) In der äußers­ten Be­dräng­nis be­ginnt der Gei­zige stets von seiner eige­nen Armut zu reden. Es ist rüh­rend. Es ist wie in einem Thea­ ter­stück. Mit den west­deut­schen Minis­ter­präsi­denten haben wir die besten Cha­rakter­dar­stel­ler des Geizes bei­einan­der. Jeder von ihnen hat seine eigene Inter­preta­tion der Molière’schen Rolle ge­funden. Mit meis­ter­hafter Heuche­lei be­strei­ten sie schon jetzt jede Mit­schuld an der Kata­strophe, die sie gleich­wohl im Osten deut­lich herauf­ziehen sehen.“7 Ein wissen­ schaft­ licher Sammel­ band – ein popu­ lärer Film – eine zeit­genös­sische Insze­nierung – ein hoch­bri­santer, politi­scher Kom­ mentar: vier Hin­weise zur Aktu­ali­tät Molières. Zum Ver­ständ­nis seines „Geizi­gen“ will dieses Bänd­chen bei­tragen. Es will dem jungen Leser eine Ein­füh­rung in das Leben und Werk Molières und vor allem in eines seiner wich­tigsten Thea­ter­stücke bieten; da­durch sollen ihm Hilfen 7

Jessen, Jens, „Avaritia. Die westdeutsche Krankheit“, FAZ vom 16.2.91.

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ge­geben und Denk­an­stöße ver­mit­telt werden, die ihn ge­gebe­nen­falls in die Lage ver­setzen, über die biblio­grafi­schen An­gaben am Schluss dieser Dar­stel­lung tiefer in das Werk Molières ein­zu­drin­gen und sich im Ideal­fall sogar kri­tisch mit der um­fang­rei­chen Lite­ratur zu Molière und seinem Thea­ter aus­einan­der zu setzen.8

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Alle deutschen Zitate mit Akt-, Auftritt- oder/und Seitenangaben beziehen sich auf die Übersetzung von Georg Goyert: Molière, Der Geizhals. Lustspiel in fünf Aufzügen, Stuttgart (Reclam 338) 1963.

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1. MOLIÈRE 1.1 Zeit­tafel zu Leben und Werk 1621

27. April: Hoch­zeit der Eltern.

1622

15. Januar: In der Kirche von Sainte-Eustache wird Jean Poquelin ge­tauft (später Jean-Baptiste Molière), das äl­teste von sechs Kin­dern, von denen vier über­leben.

1626

Der Groß­vater Jean Poquelin (Pate von Molière) stirbt.

1631

Vater Jean Poquelin er­wirbt von seinem Bruder Nicol­as die Charge des „Valet de chambre, tapissier ordinaire du roy“.

1632

11. Mai: Tod der Mutter.

1633

11. April: Hei­rats­kon­trakt zwi­schen Vater Poquelin und Cathérine Fleu­rette.

1635 (?)

Jean-Baptiste tritt in das Col­lège de Clermont ein.

1636

Stief­mutter Cathérine stirbt im Wochen­bett.

1637

14. Dezem­ ber: Jean-Baptiste Poquelin leis­ tet (ob­gleich Schü­ler des Col­lège de Clermont) den Diensteid der Nach­folge als „Valet de chambre“.

1638

13. Dezem­ber: Tod des Groß­vaters Louis Cressé.

1639 (?)

Jean-Baptiste Poquelin ver­lässt das Col­lège de Clermont.

1640

Jean-Baptiste Poquelin stu­diert die Rechte in Orléans.

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