Der fremde Freund Drachenblut - Buch.de

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich ge- schützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen ...
415KB Größe 86 Downloads 473 Ansichten
Königs Erläuterungen und Materialien Band 439

Erläuterungen zu

Christoph Hein

Der fremde Freund Drachenblut von Rüdiger Bernhardt

Über den Autor dieser Erläuterung: Prof. Dr. sc. phil. Rüdiger Bernhardt lehrte neuere und neueste deutsche sowie skandinavische Literatur an Universitäten des In- und Auslandes. Er veröffentlichte u. a. Monografien zu Henrik Ibsen, Gerhart Hauptmann, August Strindberg und Peter Hille, gab die Werke Ibsens, Peter Hilles, Hermann Conradis und anderer sowie zahlreiche Schulbücher heraus. Seit 1994 ist er Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung Kloster auf Hiddensee. 1999 wurde er in die Leibniz-Sozietät gewählt.

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Unterrichtszwecke!

1. Auflage 2006 ISBN-13: 978-3-8044-1824-0 ISBN-10: 3-8044-1824-4 © 2006 by Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelabbildung: Christoph Hein, Foto [verfremdet] © Isolde Ohlbaum Druck und Weiterverarbeitung: Akcent, Vimperk

2

Inhalt Vorwort.................................................................

5

Christoph Hein: Leben und Werk ...................... Biografie................................................................. Zeitgeschichtlicher Hintergrund ............................. Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken .........................................

8 8 15

2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7

Textanalyse und -interpretation ......................... Entstehung und Quellen ......................................... Inhaltsangabe ......................................................... Aufbau ................................................................... Personenkonstellation und Charakteristiken............ Sachliche und sprachliche Erläuterungen ................ Stil und Sprache .................................................... Interpretationsansätze ...........................................

24 24 28 46 56 64 83 89

3.

Themen und Aufgaben .......................................

96

4.

Rezeptionsgeschichte...........................................

98

5.

Materialien........................................................... 103

1. 1.1 1.2 1.3

19

Literatur .............................................................. 107

(Zitiert durch nachgestellte Seitenangaben wird nach: Christoph Hein: Der fremde Freund. Drachenblut. Novelle. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 2002 [suhrkamp taschenbuch 3476]. In einzelnen Fällen wird auf die Originalausgabe verwiesen: Christoph Hein: Der fremde Freund. Novelle. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1982, zitiert als E [Erstausgabe] mit Seitenangabe.)

3

4

Vorwort

Vorwort Christoph Hein ist in der kurzen Zeit von 1975 bis 1982 ein anerkannter Schriftsteller geworden, vor allem als Dramatiker. Allerdings war er nur einem aufmerksamen Publikum bekannt. 1982 wurde er mit Der fremde Freund, den zweiten Titel Drachenblut gab es noch nicht, berühmt und galt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren. Das ist er bis heute dank einer außergewöhnlich konsequenten Geisteshaltung, eines eingreifenden und engagierten Schaffens und hoher ästhetischer Disziplin geblieben. Christoph Hein hatte mit Der fremde Freund seinen nationalen und internationalen Durchbruch; es wurde einer der erfolgreichsten und folgenreichsten Texte der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Der Grund ist in seiner Stoßrichtung gegen eine verbildende Zivilisation zu suchen, die den Menschen zu fortwährendem Fortschritt treibt, ihn als soziales Wesen zunehmender Fremdheit aussetzt und letztlich nichts anderes als Einsamkeit für ihn bereithält, die ihn wiederum zu neuem Hightech verführt. Als Hans Brender und Agnes Hüfer den Schriftsteller auf Hauptthemen wie „Fremdheit“ und „Gewalttätigkeit“ in dem Text festzulegen versuchten, widersprach er und erklärte: „Das Hauptthema ist, dass über unseren Stand der Zivilisation gesprochen wird. Das ist möglicherweise auch der Punkt, warum es – obwohl ganz in der DDR wurzelnd – auch außerhalb der Grenzen interessiert.“1 Hein versteht unter Zivilisation den „Stand der Waffentechnik

1

Die Intelligenz hat angefangen zu verwalten und aufgehört zu arbeiten. Ein Gespräch. In: Christoph Hein: Öffentlich arbeiten, Essais und Gespräche. Berlin und Weimar: Aufbau-Verlag, 1987, S. 155. Auch in: Hein: Texte, Daten, Bilder, hrsg. von Lothar Baier, S. 69 („Ich kann mein Publikum nicht belehren“).

Vorwort

5

Vorwort samt der zivilen Abfallprodukte“2 (S. 103 der vorliegenden Erläuterung). Er wurde nicht müde, dieses Hauptthema immer wieder als Thema seines Fremden Freundes zu benennen, auch wenn er immer wieder hören und lesen musste, er habe in der Novelle „die Zurichtung des Subjekts unter den Bedingungen seines Landes geschildert“3. Dabei ging es ihm um die Menschen seines Landes, die einer weltweit wirkenden Zivilisation ausgesetzt waren, und um die sozialen Beziehungen seines Landes, die trotz ihres Anspruchs die Deformation durch die Zivilisation nicht aufzuhalten in der Lage waren. Er wurde zum Chronisten einer Deformation, die nicht an bestimmte Gesellschaftssysteme oder einzelne Länder gebunden ist, sondern sich mit technischem Fortschritt installiert, mit einem scheinbar materiellen Überfluss, der Reduktion von Geist auf Spaß und ein pragmatisches Nützlichkeitsdenken verbindet und traditionell humane Formen des Zusammenlebens zerstört. Indem er die Deformation beschrieb, wollte er vor ihr warnen und war mit seiner Vorstellung eines traditionsbewusst geführten Lebens voller ethischer Werte durchaus ein konservativer Denker, wie ihm nach der Wende oft genug vorgeworfen wurde. Es war deshalb auch nicht notwendig, nach 1989 die Lesart des Fremden Freundes grundsätzlich zu verändern, hatte er doch „die auf dem Kopf stehende Vergesellschaftung des modernen Menschen (die Abschottung der Einzelnen) mit großer Klarheit herausmodelliert. Folgt man dieser Überlegung, so verringert sich mindestens in bestimmter Hinsicht der Unterschied zwischen der vielzitierten Aufarbeitung vor und nach der Wende.“4 2 3 4

6

Christoph Hein: Worüber man nicht reden kann, davon kann die Kunst ein Lied singen. In: ders.: Öffentlich arbeiten, S. 47. Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Leipzig: Gustav Kiepenheuer Verlag GmbH, 1996, S. 306. Hans Kaufmann: Herzloses Pathos, S. 154.

Vorwort

Vorwort Der fremde Freund beschreibt die Doppelbödigkeit moderner Sinnsuche und die Gefährdung des sinnsuchenden Menschen, die umso größer wird, je zivilisierter das Leben im oben skizzierten Umfeld wird. Der Ausweg ist nur der Rückzug auf sich selbst, so wie ihn Heins Claudia vornimmt. Hein überließ damals und überlässt heute die Bewertung der Vorgänge seiner Texte dem Leser; er bietet den sachlichen, genau geschilderten Einzelfall, enthält sich aber kommentierender Sätze. Der fremde Freund hat mit der Beschreibung oberflächlicher menschlicher Beziehungen und der Dominanz zerstörerischer Kälte im sozialen Zusammenleben der 70er Jahre, der man sich nur durch Verweigerung entziehen kann, gegenwärtig eine beim Erscheinen der Novelle nicht erwartete Aktualität erhalten. Heins Ärztin Claudia ist auf dem Wege, aus der Ausnahme die Regel zu werden. Die Gesellschaft war zur „Spaßgesellschaft“ verkommen, „das hatte etwas mit Reichtum und dem Überfluss zu tun. Aber die verschwinden gerade. Jetzt wird es für viele Leute existenziell.“5 Diese Erläuterung stellt die übergreifenden Wirkungen des Textes dar, die an keine bestimmte gesellschaftliche Struktur gebunden sind, sondern inhumane Entwicklungen im Zusammenleben der Menschen reflektieren. Der Band geht auch auf die verschiedenen Ebenen des Textes ein, manches kann aus Raumgründen – wie zum Beispiel das „Spiel“ als organisierender Bestandteil der Hein‘schen Handlungen – nur gestreift werden.

5

Kunst ist, was man nicht kann. Ein Gespräch mit dem zukünftigen Intendanten des Deutschen Theaters Christoph Hein. In: Berliner Zeitung vom 11. Oktober 2004, Nr. 238, S. 27.

Vorwort

7

1.1 Biogra!e

1. Christoph Hein: Leben und Werk 1.1. Biogra!e Ort

1944

Heinzendorf/ Am 8. April als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren. Schlesien (heute Polen) Nach Kriegsende Flucht nach Thüringen, dann nach Sachsen. Bad Düben Leben im Pfarrhaus. bei Leipzig Berlin (West) Nach Ablehnung des Besuchs der Oberschule in der DDR Internatsschüler in einem humanistischen Gymnasium. Berlin Die Familie zieht nach Berlin (Ost). Berlin Hein entscheidet sich am 13. August (Mauerbau), bei der Familie im Ostteil der Stadt zu bleiben. Der Schulabschluss wird dadurch vorerst verhindert. Arbeit als Montagearbeiter, Buchhändler, Journalist, Kellner; Regieassistent bei Benno Besson. Berlin (Ost) Abitur an einer Abendschule.

1945 1958

1960 1961

1964

8

Alter

Jahr

Ereignis

1 14

16 17

20

1. Christoph Hein: Leben und Werk

1.1 Biogra!e

Jahr

Ort

Ereignis

1966

Berlin (Ost)

Heirat mit Christiane H., einer 22 Dokumentarfilmerin; die Söhne Georg und Jakob werden 1966 und 1971 geboren. Versuche, Dramaturgie zu studieren, scheitern. Studium der Philosophie und 23–27 Logik bis 1971 (ab 1970 Berlin); Diplom im Fach Logik. Assistent und Dramaturg an der 27 Volksbühne. Autor an der Volksbühne (Ltg.: 29–35 Benno Besson). 25. 9. Uraufführung der Komö30 die Schlödel oder Was solls (Regie: Manfred Karge/Matthias Langhoff) und Vom hungrigen Hennecke (einaktiges Kinderspiel). Freiberuflicher Schriftsteller; nach35 dem Benno Besson die Volksbühne verlassen hat, kündigt Hein. Erste Buchpublikationen. 36 Eintritt in den Schriftstellerver38 band der DDR. Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste (Ost), Laudator: Peter Hacks6. Der fremde Freund.

1967–71 Leipzig/ Berlin (Ost) 1971

Berlin (Ost)

1973–79 Berlin (Ost) 1974

Berlin (Ost)

1979

Berlin (Ost)

1980 1982

Berlin (Ost) Berlin (Ost)

6

Alter

Peter Hacks: Heinrich-Mann-Preis 1982. Laudatio. In: neue deutsche literatur (ndl), Berlin 1982, Heft 6, S. 159 ff. – Hacks bezeichnete Hein als den „letzten Vertreter der schlesischen Schule“.

1. Christoph Hein: Leben und Werk

9

1.1 Biogra!e

Ort

1984

Berlin (West) Literaturpreis des Verbandes deutscher Kritiker (West). Wahl in den PEN (Ost). USA Vorträge an Universitäten zur Literatur der DDR. 17. November: Preis der Neuen Literarischen Gesellschaft Hamburg. Paris Lesungen und Diskussionen über die Literatur der DDR. Berlin (Ost) Rede Die Zensur ist überlebt auf dem X. Schriftstellerkongress der DDR (24.–26. November). Kamenz 21. Januar: Lessing-Preis der DDR. Essen Sommersemester: Poetik-Dozentur am Lehrstuhl für Poetik der Folkwang-Schule. Berlin (Ost) Veröffentlichung des Stücks Die Ritter der Tafelrunde, das als Prophetie des Untergangs der DDR verstanden wird. Uraufführung in Dresden am 24. März. Schweich 9. September: Stefan-AndresPreis. Hamburg Hein gibt dem Spiegel ein Interview zu aktuellen Fragen (23. Oktober, Nr. 43), Heins Antworten werden in der Jungen Welt vom 3. November nachgedruckt.

1985 1986

1987

1989

10

Alter

Jahr

Ereignis

40 41 42

43

45

1. Christoph Hein: Leben und Werk

1.1 Biogra!e

Jahr

Ort

Berlin (Ost) 1990

Berlin Wien

Berlin

1991

1992

Berlin

Darmstadt

7

Ereignis Arbeit in der Kommission zur Aufklärung staatlicher Gewalt am 40. Jahrestag der DDR. 4. November: Rede auf dem Alexanderplatz. 7. Januar: Rede zum 100. Geburtstag von Kurt Tucholsky. 6. Mai: Erich-Fried-Preis. Der von Hein verehrte Kritiker und Literaturwissenschaftler Hans Mayer hält die Laudatio.7 Berufung in die Akademie der Künste (West) und die Akademie der Künste (Ost). 22. November: Wahl zum Vizepräsidenten der Erich-Fried-Gesellschaft. Mitglied der neuen Akademie der Künste. Von nun ab Mitherausgeber der Wochenzeitung Freitag. Ludwig-Mühlheim-Preis u. a. Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.

Alter

46

47

48

Der produktive und vielseitige Literaturwissenschaftler Hans Mayer, der für Generationen von Germanisten ein entscheidender Lehrer war, und Walter Benjamin, dem Hein in seinem Stück Passage ein Denkmal setzte, sind Heins Leitbilder.

1. Christoph Hein: Leben und Werk

11