Alfred Pompe
Der Fluch des Nordwinds Roman © 2010 AAVAA Verlag UG (haftungsbeschränkt) Quickborner Str. 78 – 80,13439 Berlin Telefon.: +49 (0)30 565 849 410 Email:
[email protected] Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2010 Lektorat: Hans Lebek, Berlin Covergestaltung Tatjana Meletzky Printed in Germany ISBN 978‐3‐86254‐140‐9
Alle Personen und Namen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Inhalt 1. Kapitel: Ankunft 2. Kapitel: Stürmische Zeiten 3. Kapitel: Rätsel über Rätsel 4. Kapitel: Der Fremde 5. Kapitel: Freunde 6. Kapitel: Aufbruch 7. Kapitel: Über den Pass 8. Kapitel: Die Schlachtfelder 9. Kapitel: Wieder zu Hause 10. Kapitel: Der Weg nach Gronndal 11. Kapitel: Auf der Suche 12. Kapitel: Spannungen 13. Kapitel: Entscheidung
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1. Kapitel: Ankunft Einsam und verlassen lag die Wildnis zu Füßen der großen Berge und der Schnee glitzerte im Licht der Sterne wie ein Heer aus Diamanten. Lange Eiszapfen hingen von den Bäumen, als warteten sie nur darauf, endlich fallen zu dürfen. Die Tannen schienen zu schlafen und nur an we‐ nigen Stellen erinnerten die blassen Nadeln an den letzten Sommer. Laubbäume gab es hier au‐ ßer einigen Birken nicht, und selbst die Tannen, Fichten und Kiefern erschienen kleiner und ver‐ krüppelter als weiter im Süden. Doch das Unter‐ holz war dicht und voller Schatten und selbst der Schnee hatte sich dort kaum niedergelassen. Be‐ drohlich wie offene Schlünde streckten sie sich dem Betrachter entgegen und erschufen mit der Stille einen Ort voller Geheimnisse und Trugbil‐ der. Einzig der Wind war zu hören, einsam und scheinbar suchend strich er um die Bäume. Sein verlorenes Heulen und Pfeifen erfüllte jeden Winkel des Waldes und hallte über die freien
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Flächen, den neuen Schnee der letzten Nacht wie dünnen Nebel vor sich her treibend. Links lag ein verlassener und verwunschener See. Nur die große ebene Fläche, eine unter Schnee und Eis begrabene Hütte und ein alter hölzerner Steg verrieten seine Anwesenheit. Roch‐Val oder auch Sturmsee wurde er genannt, denn in diesem Tal blies der Wind oft besonders stark und die hohen Wellen hatten schon so man‐ chen Fischer zurück ans Ufer getrieben. Doch nun ruhte er vor Ellin so still und glitzernd wie ein Spiegel im Dämmerlicht. Nur ein paar Schneeenten dösten auf dem Eis und hofften im Stillen auf wärmere Tage. Die Natur hatte den Atem angehalten, war in den dämmrigen Schlaf eines kalten Winters gefallen und nur dann und wann brach ein Ast knackend unter der Last von Schnee und Eis von seinem Baum. Spuren von Tieren fanden sich hier kaum, denn allzu rasch wurden sie vom verwehten Schnee wieder zuge‐ deckt. Es war ein idyllischer Anblick, der sich dem einsamen Wanderer bot, ein winterliches Still‐
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leben unter Mond und Sternen. Doch die Ruhe war trügerisch, die Leere des Waldes nur Schein, denn er war voller Leben. Selbst zu dieser Tages‐ und Jahreszeit. Dabei waren Wölfe oder Bären nicht einmal die gefährlichsten Bewohner dieser Wälder. Am meisten Schrecken verbreiteten die Vorge. Sie waren Wölfen nicht unähnlich, doch ragten ihre Schultern bis zu viereinhalb Fuß über dem Boden. Ihr Gebiss war so scharf und spitz wie das eines Dachses, nur dass es so groß war, dass es eben einem solchen mühelos den Kopf vom Rumpf zu trennen vermochte. Es waren in‐ telligente Tiere, die im Rudel jagten, wobei ein Vorg seine Beute stets in Richtung seiner ver‐ steckten Artgenossen trieb. Und so hielt Ellin den Bogen fest in Händen und der schlanke Pfeil lag auf dessen Sehne, doch es blieb ruhig. Es war bit‐ terkalt, so kalt, dass die Kondenswolken seines Atems beinahe schon als Eis zu Boden fielen. Es war einfach zu kalt. Vielleicht auch zu kalt für Vorge. Ellin konnte es nur recht sein. Er folgte dem Ufer eine Weile und mied den dichten Wald. Von dem Pfad, der hier verlief,
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war unter dem Schnee nichts zu sehen. Er wurde vornehmlich von den Fischern benutzt, die vom Frühjahr bis zum ersten Schneefall im Spätherbst hier im See ihre Netze auswarfen. Ellin kannte ihn. Er kannte die Wildnis, kannte die lang gezo‐ genen Täler ebenso gut wie die zahlreichen Pässe, die über die Berge führten. Selbst in der Dunkel‐ heit der Nacht fand er seinen Weg mit traum‐ wandlerischer Sicherheit und die Sterne wiesen ihm den Weg. Es war früher Abend und der Mond schickte sich an, als blasse Sichel den Himmel zu erobern. Um diese Jahreszeit wurde es bereits am späten Nachmittag dunkel und die Sonne sandte ihre kraftlosen Strahlen erst spät am Vormittag auf das Land. Die Winter waren lang, entbehrungsreich und kalt, doch gerade dies ließ die Menschen näher zusammenrücken und schenkte ihnen eine Herzlichkeit und Gast‐ freundschaft, die es sonst nur selten gab in diesen Zeiten. Ellin ließ den See alsbald hinter sich und folgte zielsicher dem unter dem Schnee verborgenen Pfad. Leise knirschten die gefrorenen Flocken
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unter seinen Stiefeln. Jetzt, wo der Wind allmäh‐ lich nachließ, war das Geräusch von weitem zu hören und erfüllte fast jeden Winkel in der Dun‐ kelheit. Der Wald umfing Ellin wieder, niedrige und stämmige Nadelbäume, die jeder Jahreszeit und jedem Wetter trotzten und sich nun in Schat‐ ten hüllten. Ellin hielt kurz inne. Hier, an diesem Ort, den selbst der Wind nicht erreichen konnte, war es gespenstisch still. Der Pfad, kaum mehr als eine Lücke im Unterholz, war nun weithin zu erkennen. Einem silbernen Band im Mondlicht gleich schlängelte er sich in Richtung Nord‐ westen, zu Füßen der Malmber, der Erzberge. Ellin war seinem Ziel bereits sehr nahe. Und so setzte er seinen Weg fort, den Bogen noch immer in Händen. Er war einer jener wandernder Jäger, die kein Zuhause zu kennen schienen und stets von einem Ort zum anderen zogen. Doch Ellin kannte seine Heimat. Es waren die zerklüfteten Täler und Ber‐ ge Norhorgs, seine schneebedeckten Gipfel eben‐ so wie die reißenden Flüsse und dichten Wälder. Noch nie hatte er die Nordlande verlassen. Von
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der Jagd ließ sich ganz gut leben, vor allem jetzt im Winter. Die Felle der Füchse und Hasen, die in der frostigen Jahreszeit ihren weißen Pelz trugen, waren im Süden sehr begehrt. Und Fleisch war in einem Land, in dem Getreide und Obst nur an wenigen, windgeschützten Orten gedieh, stets willkommen. So hatte Ellin sein Auskommen und genoss die Freiheit, die nur ein so raues und dünn besiedeltes Land wie Norhorg bieten konn‐ te. Und er freute sich auf das warme Feuer und das Bier, das ihn erwartete. Eine ganze Weile folgte Ellin dem Pfad gerade‐ aus, bis dieser schließlich eine lang gezogene Rechtskurve beschrieb. Im Wald blieb es still. Entweder hatten sich die Tiere in wärmere Ge‐ filde zurückgezogen, oder sie versteckten sich tief im Unterholz. Nur einmal sah Ellin die Spuren einiger Hirsche, die den Pfad gekreuzt hatten. Dann erreichte er eine Kreuzung. Ein schmaler Weg zweigte nach Süden ab und man hätte ihn kaum bemerkt, hätte nicht jemand einen Wegweiser an den Stamm einer alten Tanne genagelt. Das hölzerne Schild war von einer
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dicken Eisschicht bedeckt, die seine Inschrift verbarg. Fast armgroße Eiszapfen hingen von ihm herab. Alte Stiefelspuren, kaum mehr als fla‐ che Vertiefungen im Schnee, kamen von Süden und führten weiter nach Westen. Ein leichter Wind wehte von Süden her, doch vermochte er kaum die erfrorenen Nadeln der Bäume zu be‐ wegen. In der Ferne ertönte ein leichtes Knacken, als irgendwo in der Wildnis ein Ast unter der Last des Winters brach. Ellin sah sich um. Es war ruhig. Der Wald verharrte so still und reglos wie auf einem Gemälde. Er holte noch einmal tief Luft und ging dann weiter in Richtung Westen. Der Weg stieg nun leicht an und die dunklen Bäume wichen zusehends kargen Büschen. Ellin hatte die Skrankar erreicht, die zerklüftete Ebene. Umgeben von zwei schmalen Tälern schmiegte sie sich an die Füße der Berge. Nur ein einzelner Hügel befand sich in ihrer Mitte: der Hor‐Sol. Sein Gipfel leuchtete weithin sichtbar im Schein der Gestirne. Wegen dieses Glanzes und seiner Form nannte man ihn auch Silberhorn. Die Ebene um den Hor‐Sol war gutes Jagdgebiet, da wegen
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der vielen freien Flächen nie Mangel an Wild herrschte. Doch nun glich sie einer glatten Fläche aus Schnee, aus der nur die eingeschneiten Bäu‐ me und Büsche als kleine Hügel hervorragten. Funkelnd glitzerten sie im Schein der Sterne und des Mondes, und in der Ferne ragten die Berge der Odur‐Greb in die Höhe, ihre Gipfel in der Dunkelheit verbergend. Der Pfad, den Ellin nun gänzlich aus den Augen verlor, führte hier nach Norden. Das Ziel seiner Reise war nicht mehr fern. Ellin achtete auf jeden seiner Schritte, denn niemand vermochte zu sagen, was sich unter dem Schnee verbarg. Seinen Bogen hatte er wie‐ der geschultert, die Gefahr war vorüber. Vorge zogen das Unterholz vor und jagten nur selten auf freier Fläche, wo es keine Deckung gab. Der einsame Jäger beschleunigte seine Schritte, denn auch er fror mittlerweile. Und für die romanti‐ sche Schönheit dieses Ortes hatte er jetzt keinen Blick übrig. Eine geraume Weile führte ihn sein Weg nach Norden, bis er an einen Wegweiser ge‐ langte, der verlassen aus dem Schnee ragte. Lesen
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musste ihn Ellin nicht. Er kannte den Weg. Er wandte sich nach rechts und sah in der Ferne be‐ reits die ersten Lichter. Es waren nur wenige, doch sie kamen rasch näher, denn Ellin beeilte sich. Schon bald hatte er das Dorf erreicht. Es war ein kleiner Ort, der kaum ein Dutzend Häuser umfasste. Svilldal war sein Name, eine typische Jäger‐ und Fischersiedlung wie es so vie‐ le gab in diesen kalten Landen. Sie lag am Malmstett, dem Fuß der Malmber. Einst war an seiner Westseite Erz abgebaut worden, doch dies lag nun schon lange zurück. Diese Stollen waren es, die den Bergen ihren Namen gegeben hatten: Erzberge. Die Straße vor Ellin war leer und nur in wenigen der Häuser war der flackernde Schein von Fackeln oder Kerzen zu erkennen. Schwach glimmte zu seiner Rechten die letzte Glut einer Esse und tauchte die Flanke des Berges in ein fah‐ les Licht, denn die Schmiede war in den Hang hinein gebaut worden. Doch dies interessierte den späten Wanderer nicht. Er umrundete ein Haus, das Brehn, dem Fischer, gehörte. Die Stan‐ gen und Leinen, auf denen die Fische zum
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Trocknen aufgehängt wurden, waren nun leer und verwaist. Ellin trat auf einen größeren Platz, um den die Wohn‐ und Arbeitsstätten der weni‐ gen Bewohner kreisförmig angeordnet waren. Im Norden dieses Kreises lag jenes Gebäude, das schlicht die Große Halle genannt wurde, das größte von allen im Dorf. Es war Taverne und Versammlungsort zugleich und bot dem Reisen‐ den auch stets ein warmes Bett. Obwohl niemand zu sehen war, schien der Ort doch lebendig, denn von weither waren Gelächter, Unterhaltung und das Klirren von Krügen zu hören. Ellin wusste, von woher es kam, und rasch lenkte er seine Schritte dorthin. Die Halle war wie jedes andere Gebäude aus Holz errichtet, doch besaß es im Gegensatz zu den anderen ein gemauertes Fundament. Schwe‐ re Holzbalken trugen ein hohes, spitzes Dach, auf dem sich nur wenig Schnee hielt. Aus dessen Mit‐ te kräuselte Rauch aus einem Kamin, verdeckte die Gestirne und brachte die Luft zum Flimmern. Ornamente zierten das schwere Geländer beider‐ seits der Treppe, die zum Eingang hinauf führte.
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Ellin rieb sich die kalten Hände. Endlich war er da. Schnell stieg er die Stufen hinauf und öffnete die beiden Türflügel. Wohltuende Wärme und der Geruch gebrate‐ nen Fleisches begrüßten den Jäger, als er eintrat. Ein gutes Dutzend Augenpaare richteten sich so‐ fort auf ihn. Die Halle war groß, maß gut dreißig auf fünfzig Fuß und in ihrer Mitte brannte ein großes, von Steinen umringtes Feuer unter einem schmiedeeisernen Rost. Bänke und Tische einfa‐ cher Art waren entlang der Seitenwände aufge‐ reiht und zwei massive Säulen aus Holz trugen die Decke. Im hinteren Teil der Halle führte eine schmale Treppe nach oben, und unter ihr stapel‐ ten sich mehrere Fässer. Sechs Männer saßen um das prasselnde Feuer, teils auf Stühlen, teils auf Hockern, die kaum mehr waren als Baum‐ stümpfe, oder auf dem Boden. Einer von ihnen stand auf, ein junger Mann Anfang dreißig mit langem Haar und gestutztem Bart. „Bei allen Nordwinden!“ Seine freudige Stim‐ me hallte durch den Raum. „Dass du dich hier auch einmal wieder blicken lässt.“
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