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natürlich der Franzose Philippe Starck, dem die Firma Alessi ihr wohl berühmtestes und gleichzeitig meist verspottetes Produkt verdankt: die spinnenbeinige ...
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Der einsame Spatz

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30.08.2015 / Ausgabe 35 / Seite 29

Der einsame Spatz Ohne Alberto Alessi sähen unsere Küchen anders aus. Der italienische Designunternehmer ist für formschöne Espressokannen und

Von Annemarie Ballschmiter Redakteurin Alle Artikel von mir

spinnenbeinige Saftpressen verantwortlich. Ein Hausbesuch am Lago d'Orta

Der Mann, der das Design in unsere Küchen brachte, steht auf dem Turm, der Kommentare

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sein Haus krönt, hoch über dem Lago d'Orta, und blickt über seine Weinberge. Alberto Alessi deutet auf die Fahne mit der Zeichnung eines kleinen Spatzes, die

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fröhlich auf die neue Zeit vorbereiten, schaut ein einsamer Spatz nur zu. Von der

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eine Frau und eine Tochter, mit denen er gemeinsam auf dem Anwesen lebt. 4.

Firma, gemeinsam mit seiner Frau Laura einen lang gehegten Traum zu erfüllen. Er kaufte das Landgut in Pratolungo, nur ein paar Kilometer entfernt vom Sitz

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Ideen, verfolgt sie, nicht stur, aber mit einer gewissen Furchtlosigkeit. Vor 15 Jahren entschied sich Alessi, im Hauptberuf Präsident der gleichnamigen

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mit einem kleinen Vögelchen? Ganz so einsam ist der Spatz Alessi nicht: Er hat Alberto Alessi ist ein Visionär und Träumer, mutig und deswegen erfolgreich. Hat

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des fast einhundert Jahre alten Familienunternehmens, wo bis heute die berühmten Espressokannen, Wasserkessel und Brotkörbe hergestellt werden. Ein Wohnhaus, Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet, ein paar Nebengebäude

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und drei Hektar verwildertes Land. Sein Traum war, in seiner norditalienischen Heimat hervorragenden Wein herzustellen. Dass die Region nicht unbedingt ein Weinanbaugebiet ist, das Klima eher schwierig, zu nass – einen Alberto Alessi ficht das nicht an. Inzwischen ist der Traum wahr geworden: Vier Jahrgänge, nach biodynamischen Prinzipien erzeugt, sind abgefüllt und über die Website des Weingutes erhältlich. Und da ist er wieder, der Spatz, im Namen des Weingutes: Es heißt "Signora Eugenia e il passero solitario". Eine Eugenia war die erste urkundlich erwähnte Besitzerin des Gutes. Sie beflügelte Alberto Alessis Fantasie und ziert – als Alter Ego von Laura Alessi – gemeinsam mit dem Vögelchen die Flaschenetiketten. Martí Guixé, Designstar aus Spanien, hat sie entworfen, genauso wie die Website. Jedes Jahr zeichnet Guixé ein neues Label und variiert die beiden Figuren – mal trägt die Signora einen Regenschirm, mal trällert das Vögelchen.

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Je nachdem, wie das Wetter war. Beim Gang durch den Weinkeller zeigt der 68-Jährige auf die Regale, in denen die Flaschen lagern: eine Spezialanfertigung, bedingt durch die ungewöhnliche Flaschenform. Sie erinnert an ein Laborgefäß, geht auf Leonardo da Vinci zurück und wurde von Alberto Alessi selbst entworfen. Er nennt sie "Leo". Auch so ein Stück Traumerfüllung. Das Regal hat das Designerpaar Gianfranco und Anna Gasparini entwickelt – Alessandro und Francesco Mendini, die berühmten Architekten, die für die Um-, Aus- und Neubauten des Weingutes zuständig waren, hätten das nicht hinbekommen, erzählt Alessi und lächelt verschmitzt. Alle am Projekt "Traumerfüllung" beteiligten Gestalter haben schon Objekte für die Designfabrik Alessi entworfen. Das Unternehmen war 1921 von seinem Großvater Giovanni als Hersteller von Küchengeräten aus Metall gegründet worden. Viele Produkte entwickelten sich zu italienischen Alltagsklassikern, die bis heute produziert werden, so wie der Brotkorb aus Draht aus dem Jahr 1948 oder der hohe Metallkorb für Zitrusfrüchte aus dem Jahr 1952. Albertos Vater Carlo wollte, dass sein Sohn Jura studierte, was dieser auch tat. Als er dann nach dem ungeliebten Studium 1970 in die Firma eintrat, übernahm er das Design-Management, baute die Kontakte zu Gestaltern und Architekten auf und ist bis heute als Vorstand für das Design verantwortlich. Dass Alessi seit Jahrzehnten als Synonym für Designobjekte im Haushaltsbereich gilt, ist vornehmlich sein Verdienst. Zum Designer-Portfolio von Alessi gehören die italienischen Maestri Ettore Sottsass, Achille Castiglioni, Aldo Rossi und Enzo Mari genauso wie die internationalen Größen Richard Sapper, David Chipperfield, Jasper Morrison, Patricia Urquiola und Marcel Wanders. Und natürlich der Franzose Philippe Starck, dem die Firma Alessi ihr wohl berühmtestes und gleichzeitig meist verspottetes Produkt verdankt: die spinnenbeinige Zitronenpresse Juicy Salif, die mehr spritzt und tröpfelt als entsaftet. Während der Mailänder Möbelmesse dieses Jahr im April wurde der Geburtstag der Juicy Salif gefeiert – unter dem Motto "25 Jahre ohne eine Zitrone zu pressen". Ein ziemlich selbstbewusster und augenzwinkernder Umgang mit einem Flop. "Wir betrachten sie nicht als Flop. Menschen werden von Emotionen mehr berührt als von Funktionen. Und wir spielen mit dem Kampf zwischen Funktion und Emotion", sagt der mit Jeans, T-Shirt und Birkenstock-Sandalen ganz in Schwarz gekleidete Alessi. "Wir haben eine mathematische Formel für den Erfolg eines Produktes entwickelt. Sie beinhaltet vier Parameter: Funktion, Preis, Emotion – was bedeutet, dass die Leute sagen, ein Produkt ist so schön, dass sie es besitzen wollen – und Kommunikation, was bedeutet, dass sie etwas kaufen, um anderen Leuten damit etwas mitzuteilen." Überhaupt betrachtet Alessi auch echte Misserfolge überwiegend positiv. "Fiaskos sind von essenzieller Bedeutung, wenn Sie der Führende im Wettbewerb sein wollen. Wir bewegen uns bei jedem Produkt an der Grenze dessen, was machbar ist und was nicht. Diese Grenze kann man nicht sehen. Und sicher nicht durch Marktforschung definieren. Man kann sie nur erspüren. Mit Intuition und Sensibilität." Und was passiert, wenn man in den Bereich des nicht Möglichen vordringt? "In diesem Moment gibt es für eine Millisekunde ein Blitzlicht, du siehst für einen Sekundenbruchteil, wo die Grenze war. Das ist dann zwar zu spät für das Projekt, aber sehr wertvoll für deine Sensibilität für die Zukunft." Der letzte Flop stammt von dem japanischen Minimalisten Naoto Fukasawa: Seine Topf- und Pfannen-Serie Shiba aus dem Jahr 2011 ist ein Misserfolg. "Manchmal gibt man sein Bestes und verkauft trotzdem nicht." Alberto Alessi geht zu der holzverkleideten Schrankwand neben dem geschwungenen Küchentresen aus Edelstahl. Er kommt mit zwei Töpfen wieder und stellt sie auf den langen Esstisch, um den 12 unterschiedliche Stühle stehen ("keiner ist so richtig bequem") und der aus dem Holz eines Baumes gefertigt ist, der hier auf

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dem Grundstück stand. Bedauernd sagt er: "Eine wunderschöne Serie. Bei Weitem das beste Design, das wir je bei Töpfen und Pfannen hatten. Aber Griffe aus Holz verkaufen sich nicht. Nirgends. Das habe ich Naoto auch erklärt, doch ihn kümmerte das nicht." Und trotzdem wurde die Serie so produziert. Eine Entscheidungsfreiheit, auf die Alessi großen Wert legt. "Wenn es sich um ein Projekt handelt, an das ich glaube, oder wenn der Designer für uns wichtig ist, dann machen wir das. Das ist eine der Charakteristiken einer Boutique-Fabrik – wir können uns das erlauben." Alberto Alessi vergleicht sich mit einem Verleger, der nicht nur die besten Autoren, sondern die besten Romane dieser Autoren veröffentlichen will. "Manchmal kann man eben nur 1000 Exemplare eines Buches veröffentlichen, weil es zu schwierig ist." Fukasawa ist immerhin zugleich auch für einen der neuen Klassiker und Verkaufserfolge von Alessi verantwortlich: ein kleiner bauchiger schlichter Teekessel namens Cha, der 2014 lanciert wurde. Ein weniger schlichtes Modell gehört zu den Dauerverkaufsschlagern Alessis: der Wasserkessel mit dem blauen Griff und der Vogel-Flöte, den der in diesem Frühjahr verstorbene Michael Graves 1985 entworfen hatte. Die Poleposition teilen sich rund 20 Produkte, darunter die Aldo-Rossi-Espressokanne, der Flaschenöffner Anna G von Mendini, die Käsereibe von Richard Sapper und einige Kunststoffprodukte von Stefano Giovannoni. Manches reduziert und elegant, manches verspielt, manches zu witzig, an der Grenze zum Kitsch. Seit über vier Jahrzehnten arbeitet der Mann mit den wasserblauen Augen und dem stoppelkurzen grauen Haar schon mit Designern und Design. Interessiert es ihn immer noch, neue Talente zu finden oder stellt sich mit den Jahren eine gewisse Sättigung ein? Er denkt nach. "Ob es passiert, dass ich mich langweile? Durchaus. Aber die Hoffnung, neue und gute Ideen zu finden, überwiegt. Mir ist lange niemand Spezielles mehr begegnet. Ich weiß, er ist irgendwo da draußen. Es ist natürlich schwierig, denn die Maestri arbeiten immer noch, und sie sind immer noch so gut!" Überhaupt interessiert er sich eigentlich am meisten für Architekten. Gerade erst hat Michele De Lucchi, 63, Architekt des Eingangspavillons der Mailänder Expo, für Alessi eine Espressokanne entworfen. Mit ihrem spitzen Ausguss und ihren runden Formen erinnert sie an ein Küken, und weil das im Italienischen "pulcino" heißt, Espressokannen aber weiblich sind, lautet der Name von de Lucchis Kanne jetzt eben "Pulcina". Doch nicht alle Architekten sind auch gute Industriedesigner, und manche sind nicht an Produktdesign und der Zusammenarbeit mit der "Traumfabrik", wie Alberto Alessi ein Buch über das Unternehmen betitelte, interessiert: die Stararchitekten Tadao Ando oder Herzog & de Meuron zum Beispiel haben abgewinkt. Alessi nimmt das sportlich: "Besser man weiß das vorher, als dass man viel arbeitet, ohne dass ein Ergebnis dabei herauskommt." Der 2005 verstorbene amerikanische Architekt Philip Johnson hat es versucht – das Resultat: uninteressant. Will er sich irgendwann einmal aus der Firma zurückziehen, sich zur Ruhe setzen? "Nie", sagt er und zieht an seinem Zigarillo. Er hatte ja mal davon geträumt, sich dann hauptsächlich um den Weinberg zu kümmern, aber nein. Außerdem macht seine Frau das. So ruhig und besonnen Alberto Alessi wirkt, er bleibt ein Suchender. Der einsame Spatz, er sucht: nach einem Design-Ausnahmetalent, dem besten Wein, dem perfekten Topf – und nach bequemen Stühlen für den Esstisch. © WeltN24 GmbH 2015. Alle Rechte vorbehalten

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