Demokratiepolitische Probleme von TTIP und CETA - Greenpeace USA

26.02.2016 - Sonderklagerechte für ausländische Investoren. Bei Investor-State Dispute Settlement (ISDS) handelt es sich um einseitige Klagerechte für aus ...
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Fact Sheet 2: Demokratiepolitische Probleme von TTIP und CETA (Stand: 26. Februar 2016)

Intransparenz der Verhandlungen Nach wie vor haben Parlamentsabgeordnete nur unter sehr restriktiven Bedingungen Zugang zu den „konsolidierten Verhandlungstexten“, aus denen der aktuelle Verhandlungsstand hervorgeht. Die Öffentlichkeit hat gar keinen Zugang zu diesen Texten. Wenn die VerhandlerInnen in einem politischen „Kuhhandel“ Standards absenken und dies nicht sofort an die Öffentlichkeit kommt, kann womöglich nicht mehr rechtzeitig ausreichender öffentlicher Druck aufgebaut werden, der für die Verhinderung einer solchen Absenkung notwendig wäre. Die Parlamente können nämlich am Ende nur noch „Ja“ oder „Nein“ zum gesamten Vertragstext sagen, aber keine einzelnen Bestimmungen mehr verändern.

Sonderklagerechte für ausländische Investoren Bei Investor-State Dispute Settlement (ISDS) handelt es sich um einseitige Klagerechte für ausländische Investoren gegen Staaten: Investoren können Staaten auf Entschädigung klagen, wenn staatliche Maßnahmen ihre Investitionen beeinträchtigen. Bei CETA liegt bereits ein ISDS-Text vor (auch wenn aktuell noch Nachverhandlungen stattfinden, bei der es noch zu gewissen Veränderungen kommen dürfte). Für TTIP hat die EU-Kommission im Herbst mit einem „Investment Court System“ (ICS) eine modifizierte Form von ISDS vorgeschlagen. Zwar enthält sie im Vergleich zu „herkömmlichem“ ISDS gewisse Verbesserungen – dennoch leidet ICS ebenso wie ISDS in CETA am demokratiepolitischen Grundproblem von ISDS: Wenn Staaten demokratisch legitimierte Maßnahmen zum Schutz öffentlicher Interessen treffen, müssen sie befürchten, dafür mit hohen Entschädigungszahlungen bezahlen zu müssen. Denn auch unter ICS ist es möglich, dass ausländische Investoren Staaten wegen regulatorischer Maßnahmen, die dem Allgemeinwohl dienen, auf Entschädigung klagen. Das Risiko von Entschädigungszahlungen in Millionen- oder gar Milliardenhöhe kann Staaten von vornherein vor solchen Maßnahmen (z.B. Umweltschutzgesetze) zurückschrecken lassen („regulatory chill“). Konzerne können Klagedrohungen dabei gezielt als Druckmittel verwenden, um Staaten von solchen Maßnahmen abzuhalten. Außerdem ist es denkbar, dass sich Staaten, wenn sie geklagt wurden, mit dem klagenden Unternehmen auf einen Vergleich einigen: Dabei nehmen sie die beanstandete Maßnahme zurück oder schwächen sie ab, und der Investor lässt im Gegenzug die Klage fallen. All diese Dinge schränken de facto den regulatorischen Handlungsspielraum gewählter Parlamente und Regierungen ein. Den massiven Risiken von Klagerechten für ausländische Investoren steht kein volkswirtschaftlicher Nutzen gegenüber: Denn ausländische Investitionen sind in der EU, den USA und in Kanada durch funktionierende Rechtssysteme bereits ausreichend geschützt.

Regulierungszusammenarbeit Die Regulierungszusammenarbeit in TTIP und CETA (auch „regulatorische Kooperation“ genannt) dient dazu, Unterschiede zwischen Standards auf beiden Seiten des Atlantiks abzubauen. Dies geschieht durch eine permanente Zusammenarbeit der Vertragsparteien in regulatorischen Fragen in fast allen Bereichen, die den Handel zwischen ihnen betreffen – und zwar erst nach der Ratifizierung der Abkommen. Betroffen sind davon nicht nur technische Standards, sondern auch Regelungen, die dem Schutz der Umwelt, der ArbeitnehmerInnen und der VerbraucherInnen dienen. Die Regulierungszusammenarbeit droht nicht nur zu einer Absenkung von Standards zu führen, sondern wirft auch verschiedene demokratiepolitische Probleme auf:

Bei CETA kann der Hauptausschuss, der mit den zuständigen MinisterInnen Kanadas und den zuständigen EU-KommissarInnen besetzt ist, völkerrechtlich verbindliche Entscheidungen über Änderungen der Vertragstexte treffen. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem „living agreement“ – einem „lebenden“ Abkommen, das sich auch nach Vertragsabschluss weiterentwickelt. Dass für die Änderungen der Vertragstexte durch den Hauptausschuss eine Zustimmung der Parlamente notwendig ist (insbesondere in wichtigen Bereichen wie Gesundheitsschutz, Umweltschutz und Arbeitsschutz), ist im CETA-Text nicht eindeutig gesichert. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass es nach der Unterzeichnung von CETA zu signifikanten Veränderungen des Vertrags ohne Zustimmung der Parlamente kommen könnte. Da auch TTIP als „living agreement“ konzipiert ist, könnte dieses Problem auch bei diesem Abkommen entstehen. Außerdem würden durch die Regulierungszusammenarbeit „Stakeholder“ (das heißt in der Praxis vor allem finanzstarke Wirtschaftslobbys) im Regulierungsprozess gestärkt – und zwar noch bevor Gesetzesentwürfe den Parlamenten vorlegt werden. Die Parlamente würden daher durch die Regulierungszusammenarbeit gegenüber wirtschaftlichen Partikularinteressen geschwächt. Gleichzeitig ist im CETA-Text bzw. den EU-Textentwürfen für TTIP nicht sichergestellt, dass die Zivilgesellschaft und die Sozialpartner ausreichend in die Regulierungszusammenarbeit eingebunden würden. Auch das trägt dazu bei, dass bei der Regulierungszusammenarbeit öffentliche Interessen gegenüber wirtschaftlichen Partikularinteressen das Nachsehen haben könnten.

Liberalisierung von Dienstleistungen Verschiedene Bestimmungen in den Dienstleistungskapiteln von TTIP und CETA schränken demokratische Handlungsspielräume ein. So werden etwa durch den Einsatz des sog. „Negativlisten-Ansatzes“ automatisch all jene Sektoren für die Konkurrenz aus den USA und Kanada geöffnet, die ein Staat verabsäumt explizit zu schützen. Der Einsatz sogenannter „Stillstands“und „Ratchet“-Klauseln macht die Liberalisierung in bestimmten Bereichen unumkehrbar. Und die in den Vertragsentwürfen enthaltenen Ausnahmebestimmungen für öffentliche Dienstleistungen gewährleisten keinen ausreichenden Schutz der Daseinsvorsorge vor Liberalisierung.

„Vorläufige Anwendung“ der Abkommen CETA sieht die Möglichkeit einer „vorläufigen Anwendung“ bestimmter Teile der Abkommen vor – und zwar (sofern der Rat CETA als „gemischtes“ Abkommen einstuft, das auch von einzelnen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden muss) noch bevor die nationalen Parlamente über die Abkommen abgestimmt haben. Zu jenen Teilen des Abkommens, die vorläufig angewendet werden können, zählen auch Sonderklagerechte für ausländische Investoren. Durch eine vorläufige Anwendung von CETA würden daher Investoren für mindestens drei Jahre ein Klagerecht gegen Österreich erhalten – selbst wenn der Nationalrat die Ratifizierung des Abkommens verhindert.