Demokratie und Umweltkrise - Buch.de

Günter Gollmann, Universität Wien / Evolutionsbiologie; Herbert Gottweis, ... Layout: Wilfried Rameder, 1070 Wien, [email protected] ... Dieter PLEHWE.
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Interdisziplinär 14 ı 2011

Wissenschaft & Umwelt

Demokratie und Umweltkrise Brauchen wir mehr Mitbestimmung?

Dieses Buch wurde klimaneutral hergestellt. CO2-Emissionen vermeiden, reduzieren, kompensieren – nach diesem Grundsatz handelt der oekom verlag. Unvermeidbare Emissionen kompensiert der Verlag durch Investitionen in ein Gold-Standard-Projekt. Mehr Informationen finden Sie unter www.oekom.de

Herausgeber

Forum Wissenschaft & Umwelt; 1060 Wien, Mariahilfer Str. 77–79, Haus A, 4. Stock Tel. + Fax: +43 (0)1 / 585 29 85; E-Mail: [email protected], offi[email protected]

Editor-in-Chief

Rita Trattnigg

Co-Editor

Petra Schneider

Managing Editor

Reinhold Christian

Editoral Board

Eva Buchinger, ARC systems research / Sozialforschung; Renate Cervinka, Universität Wien / Umwelthygiene; Hubert Fechner, Arsenal Research / Erneuerbare Energietechnologien; Günter Gollmann, Universität Wien / Evolutionsbiologie; Herbert Gottweis, Universität Wien / Politikwissenschaft; Herbert Greisberger, ÖGUT / Umwelt und Technik; Gerhard Imhof / Naturwissenschaften; Ferdinand Kerschner, J.-K.-Universität Linz / Umweltrecht; Thomas Kühtreiber, ÖAW / Umweltarchäologie; Michael Narodoslawsky, TU Graz / Ressourcen schonende und nachhaltige Systeme; Bernd Raschauer, Universität Wien / Staats- und Verwaltungsrecht; Gunther Tichy, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung / Makroökonomie; Günter Virt, Universität Wien / Moraltheologie; Gerlind Weber, Universität für Bodenkultur / Raum, Landschaft und Infrastruktur; Andreas Windsperger, NÖ Landesakademie / Industrielle Ökologie; Verena Winiwarter, Universität Klagenfurt, IFF / Umweltgeschichte

Impressum

© 2011 oekom München oekom verlag, Gesellschaft für ökologische Kommunikation mbH Waltherstraße 29, 80337 München Umschlaggestaltung: Ines Swoboda, Sarah Schneider, oekom verlag Titelbilder: SmaragdShanghai_harbour©olly_fotolia.com, Young_protestant©satori_fotolia.com, huge_crowd©Vladimir_Wrangel_fotolia.com, Europäisches Parlament – Referat Audiovisuelle Medien Layout: Wilfried Rameder, 1070 Wien, office@ram-grafik.net Korrektorat: Michael Haala Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Dieses Buch wurde auf 100%igem Recyclingpapier gedruckt.

Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-86581-210-0

e-ISBN 978-3-86581-335-0 Diese Druckschrift wurde gefördert durch:

Wissenschaft & Umwelt INTERDISZIPLINÄR 14

DEMOKRATIE & UMWELTKRISE Brauchen wir mehr Mitbestimmung?

Wien, Februar 2011

4 Wissenschaft & Umwelt Interdisziplinär 14 | 2 0 1 1

Rita TRATTNIGG Petra SCHNEIDER

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Mit mehr Demokratie aus der Umweltkrise? Vorwort

VOLKSHERRSCHAFT UND ÖKO-LOGIK Klaus MÜLLER Ingolfur BLÜHDORN Peter HEINTEL Anton LEIST Felix EKARDT Martin COY Eva STERNFELD Susan GEORGE

Globalisierung und Demokratie. Chancen für eine ökologische Global Governance?

„

Zur Zukunftsfähigkeit der Demokratie. Nachdenken über die Grenzen des demokratischen Optimismus „Mit einer Antwort von Peter HEINTEL & Petra SCHNEIDER

10 19

Öko-Moral gegen (Neo-)Liberalismus? Über den demokratischen Umgang mit der Macht des Faktischen „

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Moralische oder politische Demokratie? Worauf kann die globale Umweltvorsorge bauen? „

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Umwelt und Menschenrechte. Eine Replik auf Anton Leist Bringt mehr Demokratie mehr Nachhaltigkeit? Das Beispiel Lateinamerika Ökologische Vernunft, Autokratie und Zivilgesellschaft. Der Fall China Zur verdunkelten Wirklichkeit der EU

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Mit einem Kommentar von Ulrich BRAND

ZWÄNGE UND INTERESSEN Dieter PLEHWE Hans-Jürgen KRYSMANSKI Christian FELBER Richard WILKINSON & Kate PICKETT Volkmar LAUBER

Die bedrängte Demokratie. Von der doppelten Entgrenzung des Lobbyismus „ Mit einem Kommentar von Rudolf SPETH

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Geldmacht gegen Demokratie. Naomi Kleins Katastrophenkapitalismus und die Privatisierung der Macht „

65

Die Ungleichheitskrise der Demokratie Nachhaltigkeit braucht Gleichheit

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Windfall profits. Wer betreibt welche Lösungen für die Klimakrise? „

83

Mit einem Kommentar von Ingolfur BLÜHDORN und einer Antwort von Volkmar LAUBER

Achim BRUNNENGRÄBER Ulrich BRAND & Markus WISSEN Christian ZELLER Christoph THEN Thomas JAKL Jorgo RISS Peter WEISH Josef UNTERWEGER

Akteure des Wandels? Warum die sozial-ökologische Krise nicht mit „Global Governance“ zu beheben ist „

92

Clean Capitalism? Die Inwertsetzung von Natur als Krisenstrategie „

99

Warum der Kapitalismus nicht „clean” wird. Eine Replik zu Ulrich Brand und Markus Wissen. Mit einer Antwort von Ulrich BRAND & Markus WISSEN Gen-Logistik. Die Strategien der Agro-Gentechnik REACH. Die Kehrtwende der EU-Umweltpolitik für chemische Produkte Chemische Kriegsführung. Die Lobby-Schlacht um „Reach“ Vertrau uns, wir sind Experten! Wissenschaft im Dienste von Wirtschaft und Politik Gefährliche Gedanken. Über den Trend zum Gesinnungsstrafrecht am Beispiel des österreichischen Tierschutzprozesses

106 111 115 117 118 120

SELBSTORGANISATION UND GEGENMACHT Daniel HAUSKNOST

Die Kunst des Unmöglichen. Zivilgesellschaftliche Organisationen und die Grenzen demokratischen Wandels „

124

5 DEMOKRATIE & UMWELTKRISE

Inhalt Silke HELFRICH Mundo YANG & Johanna NIESYTO & Sigrid BARINGHORST Oskar NEGT Claus LEGGEWIE & Harald WELZER Christiana WEIDEL Clemens KONRAD

Tragödie, abgesetzt. Warum der demokratische Spielplan eine Neufassung der „Tragik der Allmende“ braucht „

135

Politische Partizipation im Social Web. Das Beispiel nachhaltiger Konsumkritik „

144

Gewerkschaft und Gegenmacht. Oder: Warum Krisenzeiten nur selten Erkenntniszeiten sind „

150

Bürger auf die Barrikaden! Auszüge aus „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“

157

„Compacts“ – neue Spielregeln für Staat und NGOs NGOs in internationalen Verhandlungen

161 162

UMWELTPRÄFERENZEN UND MEINUNGSBILDUNG Thomas MILIC & Bianca ROUSSELOT Volker MITTENDORF Harald HEINRICHS Matthias KARMASIN Thomas LEIF Markus HADLER & Max HALLER Rudolf BRETSCHNEIDER

Grün, wenn die Parole stimmt. Umweltpolitik in der schweizerischen direkten Demokratie „

168

Umweltfreundlich? Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Deutschland

178 180

Parallelgesellschaften? Politische Eliten und Bevölkerung „ „Ökologisierung“ der Öffentlichkeit? Umweltberichterstattung und mediale Verantwortung im Zeitalter der ökologischen Krise „ Herdentrieb und Tempospirale. Umweltjournalismus in der PR- und Nachrichtenfabrik „

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Wie viel „Umwelt“ wollen die Menschen? Über Umwelteinstellungen und die Chancen der demokratischen Umweltpolitik Verblassendes Grün. Umwelt vom Aufreger zum Mainstream-Wert in Österreich

198

191

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MITBESTIMMUNG UND BETEILIGUNG Jens NEWIG & Oliver FRITSCH Heike WALK & Carolin SCHRÖDER Kerstin ARBTER Bernhard RASCHAUER Felix EKARDT Reinhold CHRISTIAN

Anspruch und Wirklichkeit. Befördert Partizipation umweltpolitisch „gute“ Entscheidungen? „

206

Warum Partizipation? Einige Überlegungen am Beispiel der Umweltdebatte „

212

Qualitätsvolle Öffentlichkeitsbeteiligung Es gibt keine gallischen Dörfer. Umweltkonflikte in der repräsentativen Demokratie „

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Partizipation und Rechtsschutz. Eine Replik auf Bernhard Raschauer Souveräne Ohnmacht. Über die Notwendigkeit, gallische Dörfer zu bauen

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Mit einer E-Mail-Debatte der Gutachter Josef LUEGER & Robert UNGLAUB

Barbara HAMMERL Christoph KONRATH Peter WEISH Klaus POIER Christian FELBER Philipp JURSCHITZ

Öffentlichkeitsbeteiligung bei Infrastrukturprojekten. Ein Befragungsbericht Beredtes Schweigen. Über Transparenz und Demokratie in Österreich Wem kann man glauben? Oder: Wer begutachtet Gutachten? Warum wir nicht direktdemokratisch werden Renaissance der Demokratie Parlamente für alle! Ein Manifest und Thesenpapier

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Mit einem Vorschlag für ein Gemeindeparlament von Petra SCHNEIDER & Philipp JURSCHITZ „ Hauptbeiträge double blind peer reviewed oder board reviewed (Editorial Board / HerausgeberInnen)

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Mit mehr Demokratie aus der Umweltkrise? Ein Vorwort Rita Trattnigg | Petra Schneider

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s gärt nicht nur rund um „Stuttgart 21“. Das Bedürfnis nach Mitbestimmung wächst. Immer mehr Menschen entwickeln immer stärkere Allergien gegen fremdbestimmte Umweltveränderungen. Ihre Ablehnung richtet sich (nicht mehr nur) gegen umweltzerstörende Großprojekte, Atommülltransporte oder gentechnische Versuchsfelder, sondern auch gegen neue Stromleitungen, Windräder oder Wasserkraftwerke. Sie sind aufgebracht, wollen nicht länger stillhalten. Ist das Maß voll? Wird die lange Phase der Frustrationstoleranz und des Rückzugs ins Private abgelöst von einer Phase des selbstbewussten Aufbegehrens gegenüber kontraproduktiven Entwicklungen für Umwelt und Gesellschaft? Doch manifestiert sich der Widerstand in unseren reichen, vom Überfluss gekennzeichneten und allzu starr gewordenen Demokratien meist erst am lokal wahrnehmbaren Veränderungsprojekt. Noch regt sich kaum öffentlicher Protest, wenn ökologisch bedenkliche Maßnahmen wie die Abwrackprämie zur Existenzverlängerung von überalterten Industriezweigen oder Wachstumsbeschleunigungsgesetze beschlossen werden. Noch gibt es mehr Menschen, die sich angesichts komplexer Entwicklungen ohnmächtig fühlen, als solche, die sich auf die Suche nach Gestaltungsspielräumen und Alternativen machen und bereit sind, sich zu engagieren und zu exponieren, ihre Meinung öffentlich kundzutun, sich zu organisieren – und dafür zu sorgen, dass unsere Demokratie lebendig wird. Aber das Spektrum an angedachten Ideen und Lösungsansätzen wächst und reicht vom Ausbau der lokalen Demokratie bis hin zur Demokratisierung internationaler Institutionen. Einen kleinen Ausschnitt aus diesem gedanklichen Spektrum präsentieren die in diesem Heft versammelten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Expertinnen und Experten, denen großer Dank für ihre Bereitschaft gebührt, sich auf das Wagnis eines solchen Projekts einzulassen. Die Debatte „da draußen“ ist angesichts ihrer Vielfältigkeit ein wenig unübersichtlich: die Hoffnungen richten sich einmal auf eine Ökokratie, dann wieder auf eine neue außerparlamentarische Opposition; auf Bürgerkonvente und Direktdemokratie, auf einen Weltgerichtshof und „Global Governance“, auf NGOs und lokale Initiativen, auf Stakehol-

der-Dialoge und Öko-Kammern, auf Internet-Netzwerke – und sogar auf eine Umwelt-Reformagenda für die WTO. as die globale Ebene anbelangt, so besteht von wissenschaftlicher Seite angesichts einer Vielzahl von Reformvorschlägen Einigkeit offensichtlich bloß darin, dass bislang keine wirklich tauglichen Modelle zu ihrer Demokratisierung existieren. Was derzeit unter dem Titel „Global Governance“ praktiziert wird, ist weder demokratisch legitimiert, noch dazu geeignet, die Zivilisation vor dem klimabedingten Kollaps zu bewahren. Immer drängendere Appelle seitens der Zivilgesellschaft, ernsthafte Maßnahmen zur Abwendung sozial-ökologischer Krisenszenarien zu setzen, verpuffen zwischen realpolitischen Interessenkonstellationen. Besonders deutlich wird das auch an der widersprüchlichen politischen Ausrichtung der Europäischen Union, die umweltpolitische und technologische Erneuerung betreibt, in ihren Grundfesten aber weiterhin auf das Credo des immerwährenden Wachstums ausgerichtet ist (Kapitel 1). Wenn man sich fragt, warum wir gelassen die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder verspielen, muss man danach fragen, wie Entscheidungen zustande kommen. Zunehmend verschafft sich Kritik am ausgehöhlten „postdemokratischen“ Zustand unserer repräsentativ-demokratischen Regierungsform Gehör: Das politische System steht unter dem Primat des Ökonomischen, und die Durchsetzungsstrategien der damit verbundenen Interessen sind hoch entwickelt (Lobbyismus, Think Tanks, PR, Expertisen …). Entscheidungen für umweltpolitische Instrumente sollten unter diesem Aspekt betrachtet werden. Demokratiepolitisch zu thematisieren sind auch die zunehmende Ungleichverteilung von Reichtum und die damit einhergehende Machtkonzentration (Kapitel 2). Was kann die Zivilgesellschaft in dieser Konstellation erreichen? Dass NGOs „Gegenmacht“ entfaltet und vieles an Umwelt- und Lebensqualität erstritten haben, daran besteht kein Zweifel. Am Ziel einer tief greifenden Neuausrichtung unserer Gesellschaften sind sie allerdings gescheitert, was Kritiker und Kritikerinnen dazu veranlasst, die Strategie des Widerstands neu einzufordern, um einen Staat, der so tut, als wäre er gegenüber einer von den Märkten vorgegebenen

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7 Vorwort

Wirklichkeit nicht handlungsfähig, zum Handeln zu bringen. Aussichtsreiche Optionen für eine engagierte Vernetzung „von unten“ hält das Internet bereit; es scheint, wie die jüngsten Ereignisse um die Internet-Plattform Wikileaks zeigen, die Rolle der Medien als „Vierte Gewalt“ zu bestätigen. Und schließlich zeigen gemeinschaftlich-genossenschaftliche Experimente alternative Wege des Umgangs mit Energie und Ressourcen auf – es hat Signalcharakter, dass Elinor Ostrom als Erforscherin und Verfechterin der „Commons“ den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat. Wenn sich dann noch etablierte Kräfte wie die Gewerkschaften mobilisieren und ihre Vorbehalte gegenüber der Ökologie über Bord werfen, könnte durchaus von Potenzialen für neue Massenbewegungen gesprochen werden (Kapitel 3). önnten solche Bewegungen Repräsentativität beanspruchen? Wer aus ökologischen Gründen mehr Mitbestimmung fordert, sollte Einblick in die Umweltbeziehungen der Bevölkerung haben. Die direktdemokratischen Erfahrungen in der Schweiz zeigen einen recht konservativen Souverän, der Umweltmaßnahmen vor allem dann zustimmt, wenn sie vom politischen Establishment mitgetragen werden. Das Wachstumsparadigma scheint (noch) breite Zustimmung zu genießen, die damit verbundenen ökologischen und sozialen Nebenwirkungen scheinen weiterhin in Kauf genommen zu werden – wenngleich sich das Umweltthema durchaus seinen Platz in den Köpfen der Menschen erobert hat. Aber zwischen ökologischen Bekenntnissen bei Umfragen oder Ängsten vor dem Klimawandel und der Bereitschaft, das eigene Leben zu ändern, liegen Welten. Wenn es Möglichkeiten gibt, diese Kluft zwischen Wissen und Tun zu überbrücken, dann sind diese weniger in aufklärerischer „Umweltbildung“ durch die klassischen Medien zu suchen (die zudem unter großen Effizienz- und Renditedruck geraten sind), sondern eher darin, Visionen zu entwerfen, die konkrete, reale Handlungen und damit Selbstwirksamkeit ermöglichen. Es geht darum, dass Menschen gemeinsam auf ein Ziel hin handeln können (Kapitel 4). Doch wer Partizipation als Allheilmittel für die Umwelt betrachtet, könnte enttäuscht werden. Denn alles hängt davon ab, wer mit welchen Interessen woran partizipiert. Wenn Bürgerinitiativen und Umwelt-NGOs bessere Möglichkeiten vorfinden, sich an rechtlichen Verfahren um Großprojekte oder an der Entwicklung politischer Strategien zu beteiligen, wenn es hier weniger Intransparenz und (finanzielle) Benachteiligung gibt, dann ist der Umwelt sicherlich geholfen. Bei einem Mehr an partizipativer und direkter Demokratie ist der umweltpolitische „Outcome“ allerdings ungewiss.

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Es spricht aber viel dafür, dass wir dieses Risiko eingehen sollten – und damit auf der lokalen Ebene beginnen, die den Menschen am nächsten ist (Kapitel 5). enn erstens können sich Präferenzen und Haltungen verändern, wenn Menschen sich intensiv mit einer Sache auseinander setzen und das Gefühl bekommen, (Mit-)Verantwortung übernehmen zu können. Zweitens würden wir, direktdemokratisch betrachtet, vermutlich (oder: hoffentlich) keine Gelder in Atomkraftwerke, Abwrackprämien, gentechnische Labors und industrielle Agrarproduktion investieren und keine Delegationen entsenden, um die Finanzmärkte zu deregulieren. So wollen wir denn drittens durchaus davon ausgehen, dass die Souveräne angesichts der anstehenden Vielfach-Krisen zu sich kommen und eindeutige(re) umweltbewegte Signale an ihre, in vielerlei Hinsicht unbeweglich gewordenen Repräsentanten und Repräsentantinnen aussenden. Sie sollten sich also, diesen Schluss ziehen wir, selbst ermächtigen und den Vorsatz fassen, sich ihre Demokratien anzueignen.

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DANKSAGUNG Wir bedanken uns bei allen Mitwirkenden, insbesondere den AutorInnen und GutachterInnen, für ihr Engagement, ihre Offenheit und für die außerordentlich fruchtbare Zusammenarbeit.

HERAUSGEBERINNEN RITA TRATTNIGG, Jg. 1973, Studium der Politikwissenschaften in Wien; Expertin für nachhaltige Entwicklung im österreichischen Lebensministerium, Prozessbegleiterin/Moderatorin, freie Forscherin; Schwerpunkte u.a. Governance, Partizipation, Lebensqualität. E-Mail. [email protected] PETRA SCHNEIDER, Jg. 1964, Studium der Geschichte in Wien; Redakteurin der Reihe „Wissenschaft & Umwelt Interdisziplinär“; Schwerpunkte nachhaltige Entwicklung, Modernisierungsprozesse, Wahrnehmung von räumlichen Transformationen. E-Mail: [email protected]

LITERATUR Brix, Emil / Nautz, Jürgen / Trattnigg, Rita / Wutscher, Werner (Hg.) (2007): State and Civil Society. Wien (Passagen Verlag) Krainer, Larissa / Trattnigg, Rita (Hg.) (2007): Kulturelle Nachhaltigkeit. Konzeptionen, Perspektiven, Positionen. München (oekom Verlag) Steurer, Reinhard / Trattnigg, Rita (Hg.) (2010): Nachhaltigkeit regieren. Eine Bilanz zu Governance-Prinzipien und -Praktiken. München (oekom Verlag) Schneider, Petra (2011/i.E.): Fahrt durchs Nirgendwo. Expertenvernunft, Alltagsgefühle und die Krux der modernen Raumproduktion. In: Jahrbuch für die Geschichte des ländlichen Raumes 2011. Innsbruck / Wien / Bozen (StudienVerlag) (im Erscheinen) Schneider, Petra (2011): Lebensraum? Wie sich in Gestaltung und Wahrnehmung des Raumes soziale Wirklichkeit widerspiegelt. In: Michael Rosecker / Sabine Schmitner (Hg.): Armut und Reichtum. Ungleiche Lebenslagen, -chancen, -stile und -welten in Österreich. Wiener Neustadt (Verein Alltag Verlag) S. 379ff Borsdorf, Axel / Brunner, Karl / Schneider, Petra (Hg.) (2005): Umwelt Stadt. Geschichte des Natur- und Lebensraumes Wien. Wien u.a. (Böhlau)

ANMERKUNG Die in diesem Vorwort von Rita Trattnigg vertretene Meinung entspricht nicht notwendigerweise den Standpunkten des Lebensministeriums.

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Volksherrschaft und Öko-Logik

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Kann uns globales Regieren vor dem ökologischen Kollaps bewahren? Klaus MÜLLER hält solche Hoffnungen für naiv: Nationale Eigeninteressen bestehen fort, autoritäre oder „postdemokratische“ Verhältnisse nehmen zu – und „Global Governance“ bedeutet die Aushebelung demokratischer Prozesse und den Verzicht auf bindende Übereinkünfte. Als ökologische Agenda kann sich dabei nur durchsetzen, was als wachstums- und marktkonform gilt. Ingolfur BLÜHDORN nimmt die Illusionen in den Blick, die sich umweltbewegte Akteure hinsichtlich der Weiterentwicklung der Demokratie machen. Er hegt Zweifel, ob sich „mehr Demokratie“ positiv auf die Umwelt auswirken würde. Dazu nämlich bräuchte es zuerst Menschen mit nachhaltigen Lebensstilen, und das setzt nichts anderes als einen tiefgreifenden Kulturwandel voraus. Wie ein solcher zu bewerkstelligen wäre, fragt Peter HEINTEL. Wie bringt man Menschen in Zeiten von Pluralisierung und Individualisierung dazu, sich auf gemeinsame Ziele und Verpflichtungen einzulassen? Normative Appelle werden als Fremdbestimmung empfunden; die einzige Möglichkeit zum Umdenken und Lernen bestünde im praktizierten „Einbeziehen und Mitbestimmen“. Noch vehementer kritisiert Anton LEIST moralische Appelle und plädiert für eine pro-demokratische Kompromisspolitik im nationalen Rahmen. Gerade im internationalen Raum fehle es ethischen Forderungen an den Bedingungen ihrer Umsetzung, die da wären (ökonomische) Kooperation, (rechtlicher) Zwang und (einigende) Kultur. Moral sei nicht kulturrelativ, entgegnet Felix EKARDT, zumal sie sich in die völkerrechtlich bindende Form von Menschenrechten gegossen findet, die in einem notwendigen Lernschritt hin zu sozialen Rechten auf Umweltgüter erweitert werden sollten. Einen empirischen Eindruck von den ökologischen Effekten, die Demokratisierungsprozesse mit sich bringen, gibt Martin COY am Beispiel Lateinamerikas. Dieser Eindruck ist zwiespältig: Bottom-up-Prozesse sind möglich – ob sie so weit führen werden, nicht-nachhaltige Projekte und Politiken zu unterbinden, bleibt offen. Noch zwiespältiger stellt sich die Lage in China, der größten Einparteienherrschaft der Erde, dar, die Eva STERNFELD beschreibt. Während lokale Umweltproteste angesichts der desaströsen Situation stark zunehmen, fehlt es dem Umweltministerium an Durchsetzungsstärke gegenüber Wirtschafts- und Wachstumsinteressen. Die EU-Institutionen können ihre Staaten auf die Einhaltung von Umweltzielen verpflichten. Was aber nützen die schönsten Richtlinien, wenn eines der Hauptziele der politischen Union in ökologisch destruktivem Wirtschaftswachstum besteht? Dieses Ziel besitze keinerlei demokratische Legitimation, wie Susan GEORGE vehement kritisiert: Auf die neoliberale Agenda der großen Player ausgerichtet, müssen die undurchsichtigen Entscheidungsstrukturen der EU als demokratische Rückentwicklung gewertet werden. Ulrich BRAND stimmt dem zu, verweist aber auf die Wichtigkeit der nationalen Ebene: Ändern wir unsere Politik zuhause, verändert sich auch die EU.

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Globalisierung und Demokratie Chancen für eine ökologische Global Governance? Klaus Müller

Die Erfolge ökologischer Bewegungen verliefen parallel zur Demokratisierung westlicher Gesellschaften und der Herausbildung einer staatenübergreifenden Umweltpolitik in der EU. Kann man von der Ausbreitung der Demokratie nach 1989 eine effektivere Politik erhoffen, welche nun auch die globalen Umweltgefahren angeht? Der Diskurs einer ökologischen „Global Governance“ signalisiert Problembewusstsein; allerdings unterlaufen ein manageriales Politikverständnis und die Dominanz von Unternehmensinteressen, etwa im „Global Compact“ der UN, eine demokratisch legitimierte „Global Public Policy“. Seit der Finanzkrise behaupten sich in der EU nationale und wirtschaftlich verengte Interessen, die ihr so häufig beklagtes Demokratiedefizit verschärfen. Schlüsselwörter: Dritte Welle der Demokratie, europäische Umweltpolitik, Global Governance, Postdemokratie

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ie gesellschaftlichen Transformationen der zurückliegenden Jahrzehnte scheinen durch zwei übergreifende Trends charakterisiert. Seit den 1980er-Jahren scheinen sich die traditionellen Untersuchungsobjekte der Sozialwissenschaft, nämlich (national)staatlich organisierte Gesellschaften, zunehmend aufzulösen. Fortgeschrittene Ökonomien haben sich durch die Liberalisierung von Kapitalmärkten, durch grenzüberschreitende Direktinvestitionen, transnationale Fusionen und geöffnete Märkte von ihren nationalen Standorten gelöst. Im Alltagsleben ist die Globalisierung in Form von Moden und Konsummustern, Ferntourismus und Weltmusik, Migration und postnationalen Identitäten präsent. Staatlicher Politik wird ein weitgehender Souveränitätsverlust diagnostiziert. Die Gestaltung der Globalisierung scheint an supranationale Projekte wie die Europäische Union, an multilaterale Institutionen und neue Formen von „Global Governance“ überzugehen. Darin gewinnen nichtstaatliche Akteure und Mechanismen „weicher“ Machtausübung an Relevanz. Diese Transformation politischer Macht wird mit einem zweiten weltweiten Trend in Verbindung gebracht: mit einer globalen Welle der Demokratie. Trotz immer wieder auftretender Rückschläge werden heute mehr Länder denn je, nämlich 89 von 194 untersuchten Staaten, als demokratisch klassifiziert (Freedom House 2010). Nicht nur im entwickelten Westen gilt Demokratie als alternativlose Regierungsform, auch im Osten Europas, in Afrika, Lateinamerika und Ostasien scheint das Zeitalter

11 Klaus Müller Globalisierung und Demokratie

von Entwicklungsdiktaturen abgelaufen, sodass prominente Politikwissenschaftler kurz nach der Jahrtausendwende von einem kommenden „demokratischen Jahrhundert“ sprachen (Lipset/Lakin 2004, Diamond 2003). Haben sich mit der Globalisierung und der Ausbreitung von Demokratie die Chancen einer Ökologisierung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse verbessert? Zweifellos hat der Zusammenbruch der Planwirtschaften eines der düstersten Kapitel der Geschichte der Umweltzerstörung beendet. Von der offiziellen Politik totgeschwiegene ökologische Katastrophen in der Baikal-Region, um den Aral-See, in Sibirien, in den Baltischen Staaten, Belarus und der Ukraine hatten Umweltbewegungen hervorgerufen, die das Ende des Kommunismus und das Auseinanderbrechen der Sowjetunion beschleunigten (Feshbach/ Friendly 1992). Bereits in den späten 1950er-Jahren entstanden und seit 1988 in der Sozial Ökologischen Union zusammengeschlossen, sind Umweltgruppen zu einer wichtigen Strömung der civil society-Bewegungen in den postsowjetischen Staaten geworden (Agyeman/ Ogneva-Himmelberger 2009). Tatsächlich hat der Zusammenbruch der überindustrialisierten Planwirtschaften zu ökologischen Entlastungen geführt (auf denen sich das vereinigte Deutschland in der Klimadebatte bis heute ausruht), während die politische Liberalisierung ökologischen Initiativen in Osteuropa neuen Raum verschafft hat. Noch in einer weiteren Hinsicht wird dem Ende des Ost-West-Konflikts eine befreiende Wirkung zugeschrieben. Waren die Organisationen der Vereinten Nationen (UN) bis zum Ende der 1980er-Jahre von Blockdenken und sicherheitspolitischen Fragen eingenommen, so konnte sich der Blick nun auf globale Probleme – von der Überfischung der Ozeane über die Veränderung des Weltklimas bis zur Nahrungssicherheit – weiten. Mit dem oft diagnostizierten Transfer politischer Macht hin zu supranationalen Institutionen schienen sich zugleich die Perspektiven des „Jahrhundertprojekts“ eines „Weltregierens“ zu eröffnen, das globale Probleme jenseits des beschränkten Horizonts des Nationalen angeht (Rittberger et. al. 2010, S. 15). Das Bewusstsein um die Bedrohung globaler Gemeingüter hat sich zu einem neuen Diskurs über die Bedingungen und Chancen einer global governance zur Regulierung globaler Umweltprobleme verdichtet – eines „Prozesses, in dem Konflikte oder unterschiedliche Interessen vermittelt“ werden können und „kooperatives Handeln erfolgen kann“ (Commission on Global Governance 1995, S. 2). Allerdings lässt dieser Diskurs offen, in welchem Verhältnis die Globalisierung, die Ausweitung von Demokratie und das Management globaler Probleme zueinander stehen.

GLOBALISATION AND DEMOCRACY CHANCES FOR AN ECOLOGICAL GLOBAL GOVERNANCE? Successful ecological movements emerged parallel to the democratization of western societies and the rise of supranational environmental policies in the EU. Will the global spread of democracy since 1989 promote a policy ready to address the global environmental threats? The discourse of ecological Global Governance indicates an awareness of the situation; nevertheless, a managerial approach to politics and dominating corporate interests, e.g. in the “Global Compact” of the UN, subvert a democratically legitimised global public policy. Since the financial crisis, national and narrow economic interests have returned to the EU, which exacerbates the much-cited democratic deficit. Keyword: Third Wave of Democracy, European environmental policy, Global Governance, Post-democracy

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Globalisierung (Global Governance) Demokratisierung

Es reicht nicht aus, diese Frage durch den Verweis auf vertiefte internationale Interdependenzen und einen daraus erwachsenden Kooperationsbedarf zu beantworten. Objektiver Problemdruck erzeugt von sich aus weder institutionelle Lösungen noch einen verhaltenswirksamen Wandel von Einstellungen oder politischen Konsens, und die GovernanceLiteratur abstrahiert allzu leicht von eingeschliffenen Interessenkonflikten und Machtverhältnissen. Genauer betrachtet, handelt es sich bei dem Verhältnis von Globalisierung, Demokratisierung und Ökologisierung weniger um eine Lösungsform als um einen Problemzusammenhang, der nach drei Seiten hin betrachtet werden kann.

Ökologisierung

emokratisierung und ökologische Transformation – national, regional, global. In der Geschichte der Bundesrepublik wurden ökologische Themen lange Zeit durch ökonomische Fragen überblendet, sei es durch die Wirtschaftswundermentalität, sei es durch die seit Mitte der 1970er-Jahre verkündete „Krise der Arbeitsgesellschaft“. Während ökonomische Konflikte bereits seit dem späten 19. Jahrhundert durch die Einführung sozialer Bürgerrechte institutionalisiert worden waren, gewann die Umweltthematik erst in den 1970er-Jahren an Aufmerksamkeit. Die Verbindung zwischen Umweltthemen und Demokratisierung wurde durch eine sozialliberale „Politik innerer Reformen“ hergestellt, in deren Verlauf Umweltpolitik auf eine ministerielle Ebene gehoben wurde. Seit den frühen 1970er-Jahren fanden Fachexpertisen Eingang in die Gesetzgebung, und der 1971 installierte Rat von Sachverständigen für Umweltfragen erhielt Druck von außerparlamentarischen „neuen sozialen Bewegungen“, die unkonventionelle Wege der politischen Partizipation einforderten. Bei der von Bürgerinitiativen1 geforderten Öffnung der politischen Entscheidungsprozesse ging es von vornherein nicht um single issues. Politische Ökologie als soziale Bewegung wandte sich gerade gegen technokratische und insofern antipolitische Detaillösungen, indem sie gegen die Zerstörung der Alltagskultur durch administrative und ökonomische Apparate auftrat (Gortz 1982). Es lag daher nahe, die Politisierung ökologischer Fragen auf eine Vertiefung der Demokratie zu beziehen: auf die Ausweitung partizipativer Verfahren auf vormals undemokratisch geregelte Politikbereiche (vgl. Dahl 1989, S. 313). Die Erfolge ökologischer Protestbewegungen schienen deren transformatives Potential zu bestätigen. Im Verlauf eines Jahrzehnts pflügten sie die Parteienlandschaft um und brachten ökologische Belange als Querschnittsaufgabe in die Steuerpolitik, in die industrielle Modernisierung und Energiepolitik, den Verbraucherschutz und viele andere Politikbereiche ein. Charakteristischerweise war die nationale Umweltpolitik sehr früh in internationale Zusammenhänge eingebettet.2 Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft formulierte 1973 das erste Umweltaktionsprogramm, um den Umweltschutz später in der Einheitlichen Europäischen Akte von 1987 als Gemeinschaftsziel zu verankern. In keinem anderem Bereich hat die Vergemeinschaftung der EU eine vergleichbare Dichte erreicht: Nur im Umweltbereich werden nahezu 80 Prozent der Gesetzgebung von EU-Vorgaben angestoßen (König/Mäder 2008, S. 442). Dahinter steht ein zweifacher Lernprozess: Grenzüberschreitende Umweltprobleme können nicht länger als nationale Angelegenheit betrachtet werden. Obwohl Umweltziele in den ärmeren südlichen und östlichen EU-Ländern eine geringere Priorität genießen als in den alten Kernländern, hat ein Deregulierungswettbewerb „nach unten“ nicht stattgefunden. In Umweltfragen ist ein regionaler Politikansatz am stärksten legitimiert; hier scheint es am ehesten gelungen, das Demokratiedefizit der EU abzubauen. Mehr als zwei Drittel der befragten EU-Bürger messen einer dezidiert europäischen Umweltpolitik einen hohen Stellenwert bei und erwarten von europäischen Entscheidungen mehr Durchschlagskraft

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13 Klaus Müller Globalisierung und Demokratie

als von nationalen Gesetzen. Zwar sind die Protestkultur von Umweltbewegungen und die europäische Öffentlichkeit nach wie vor national fragmentiert und durch Elitendiskurse dominiert (Della Porta/Caiani 2009, S. 42ff.). Gleichwohl hält die überwiegende Mehrheit der Befragten eine gemeinschaftliche Umweltpolitik für wichtiger als gemeinsame Regelungen in den Bereichen von Migration, Außenpolitik, Kriminalitätsbekämpfung, Wirtschafts- oder Steuerpolitik (Eurobarometer 2008, S. 53). Zum anderen hat die EU eine Schlüsselrolle in internationalen Verhandlungen übernommen. Nicht allein gegenüber ihren Mitgliedern, auch in Abkommen mit dritten Parteien sind ihr eigene Zuständigkeiten zugefallen.3 Hat die Gemeinschaft erst einmal internationale Regulierungen ausgehandelt, können diese nicht mehr durch Mitgliedstaaten ausgehebelt werden. Allerdings ist die Abgrenzung gemeinschaftlicher und nationaler Zuständigkeiten nicht in jedem Fall scharf und daher notorischer Konfliktstoff zwischen der Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat beziehungsweise den Mitgliedsregierungen, insbesondere wenn Umweltziele mit industriepolitischen Interessen kollidieren. Gleichwohl erscheint die EU noch am ehesten ein Modell für eine „Global Governance“ in den großen Umweltfragen abzugeben, allen voran in der Politik des Klimawandels (Giddens 2009, S. 192ff.). Sie verknüpft ihr Rahmenprogramm zum Klimaschutz mit nach Wirtschaftskraft differenzierten Auflagen für ihre Mitglieder und gesteht den Ländern des globalen Südens längere Zeiträume zur Umstellung sowie Finanzhilfen zu. Damit empfiehlt sich die EU als natürliche Verbündete jener internationalen Institutionen, die in jüngerer Zeit so etwas wie eine globale Umwelt-Governance organisieren.4 Mittlerweile ist ein breites Spektrum globaler Umweltbelange zum Gegenstand multilateraler Abkommen geworden – etwa zum Schutz von Arten, der Meere und Gewässer, zur Bekämpfung von Emissionen und so weiter. Das Umweltprogramm der UN (UNEP) hat die Koordination klimapolitischer Aktivitäten übernommen, setzt den internationalen rechtlichen Rahmen und schlägt institutionelle Lösungen vor. Während das UNEP selbst ein – durch mehrere Umweltgipfel und Deklarationen freilich aufgewertetes – Programm geblieben ist, wurden die gravierendsten Probleme spezifischen Institutionen übertragen. Die Welternährungsorganisation (FAO) etwa hat sich der Biodiversität, der Landwirtschaft und Ernährungssicherheit sowie der Fischbestände angenommen. Verantwortung für den globalen Klimaschutz hat die Carbon Finance Unit der Weltbank übernommen, die technische Expertise mit der Armutsbekämpfung im globalen Süden und einer Art von Umweltgerechtigkeit verknüpft, indem sie Finanzmittel aus den OECD-Ländern in Projekte zur Verringerung von Treibhausgasen umleitet. Die universale Zuständigkeit und Inklusivität der UN, die öffentlichen Entscheidungsverfahren und neuerlich auch die Einbeziehung von Nichtregierungsorganisationen verleihen dieser „Global Governance“ eine höhere Legitimität, als sie etwa Abkommen zwischen den einflussreichen Industrieländern zukommt. Tatsächlich haben transnationale AktivistenNetzwerke wie das Climate Action Network an der Durchsetzung der UN-Klimakonvention mitgewirkt (Heins 2008, S. 97). Eine gemeinsame Sicht auf die Weltprobleme setzt also tatsächlich mehr als gemeinsame Interessen voraus, nämlich gegenseitige Anerkennung und Fairness, die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, sowie die Überwindung von Misstrauen und Ungleichheit (O’Brien et al. 2010).

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uf dem Weg zu einer globalen ‚stakeholder society’? Es wäre allerdings riskant,

an die von den UN mit ihrem Global Compact 5 zur Jahrtausendwende angekündigte Öffnung der „Weltpolitik“ Hoffnungen auf eine globale Zivilgesellschaft oder eine kosmopolitische Demokratie zu knüpfen. Denn zu diesem Forum wurden im Namen einer

EUROBAROMETER Die überwiegende Mehrheit der Befragten hält eine gemeinschaftliche Umweltpolitik für wichtiger als gemeinsame Regelungen in den Bereichen von Migration, Außenpolitik, Kriminalitätsbekämpfung, Wirtschafts- oder Steuerpolitik