Demokratie - Die perfekte Form bürgerlicher Herrschaft - Buch.de

Lauter Anwälte der nationalen Notwendigkeiten . . . . . . 120. 2. .... es ab, wer regiert, also über den Einsatz des staatlichen Gewaltmo- nopols bestimmt und ...
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Peter Decker (Hrsg.)

Demokratie Die perfekte Form bürgerlicher Herrschaft

GEGENSTANDPUNKT

Demokratie Die perfekte Form bürgerlicher Herrschaft

Peter Decker (Hrsg.)

Demokratie Die perfekte Form bürgerlicher Herrschaft

GegenStandpunkt Verlag

© GegenStandpunkt Verlag 2013 Gegenstandpunkt Verlagsgesellschaft mbH Kirchenstr. 88 81675 München Tel (089) 272 16 04 Fax (089) 272 16 05 E-Mail: [email protected] Internet: www.gegenstandpunkt.com Alle Rechte vorbehalten ISBN der Druckausgabe: ISBN 978-3-929 211-13-9 ISBN des Ebooks (epub): ISBN 978-3-929 211-42-9

ISBN 978-3-929 211-41-2

Inhalt Editorial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Die demokratische Wahl 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Freiheit der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das eigentliche Subjekt der Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Wahlakt: Verzicht auf Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . 3. Die Wahlentscheidung: Zustimmung zum Regiertwerden . 4. Die moralische Bedeutung der Wahlbeteiligung: Bekenntnis zur demokratischen Ordnung . . . . . . . . . . . . . II. Die Souveränität des Volkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Selbstableitung der Herrschaft aus der Souveränität, die sie dem Volk zuschreibt . . . . . . . 2. Die Leistung der Wahl für ein funktionstüchtiges Gewaltmonopol: Herrschaft als Dienst am Amt . . . . . . . . . III. Die Staatsräson der Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betreuung der Klassengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Durchsetzung von Interessen, Rechten und Ehre der Nation nach außen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der gebotene Streit um Alternativen Erfolg versprechender Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der demokratische Wahlkampf 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Perspektive der Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das „Problem der Arbeitslosigkeit“: klassenspezifische Nöte als Handlungsauftrag an den Staat . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatlich definierte Interessen- und Lebenslagen als Probleme der Regierenden mit den Betroffenen . . . . . . 3. Der „Steuerzahler“: Parteinahme für die geschröpfte Basis . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die „Logik“ des Nationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die „Notwendigkeiten“ der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die „Gebote“ des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das „Diktat“ der knappen Kassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die „Sachzwänge“ der Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1) 2)

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2. „Der Staat muss sparen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. „Sozial ist, was Arbeit schafft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4. „Innere Sicherheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 5. „Überfremdungsgefahr“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 6. „Deutschland!“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 III. Die Vielfalt in der Einheit der Demokraten . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Die fundamentale Wahlalternative: Regierung oder Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 a) Das Argument der Regierung: Sie macht’s! . . . . . . . . . . 66 b) Das Argument der Opposition: Die Regierung kann’s nicht! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2. Die dauerhafte Unterscheidbarkeit der Parteien: unverwechselbare Gesinnungstäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Das demokratische Parteienspektrum: Wettstreit alternativer Etikettierungen der Staatsräson . . . . . . . . . . 75 a) Das konservative Angebot: Einheit durch Stärke. . . . . . 75 b) Das linke Angebot: Stärke durch Einheit . . . . . . . . . . . . 76 c) Die demokratische Hauptkampflinie: gegen Entzweiung der Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 d) Unzufriedenheit mit der Herrschaft als Quelle alternativer Politikangebote . . . . . . . . . . . . . 80 e) Selbstorganisierte Unzufriedenheit mit mangelnder Bürgernähe der Politik . . . . . . . . . . . . . 86 f) Die Grünen: von der Protestbewegung zur Staatspartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 g) Separatismus, Regionalismus und andere „Alternativen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 h) Staatsgegner und andere „Extremisten“. . . . . . . . . . . . . 94 IV. Die letzten und entscheidenden Waffen des Wahlkampfs: Vertrauensbildung für demokratische Nationalisten . . . . . . . 96 1. Der ewige Seufzer nach mehr Sachlichkeit im Wahlkampf . . . . . . . . . . . . . . . . 96 2. Der Kampf um Glaubwürdigkeit mit den Mitteln des Personenkults . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Die freie Wählerentscheidung: ein Geschmacksurteil über den Kandidaten und seine Erfolgsaussichten . . . . . 101 4. Reiz und Nutzen diffamierender Wahlwerbung . . . . . . . . 103

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Politik und Persönlichkeit in der Demokratie Der Beitrag der Charaktermaske zur Freiheit der Staatsmacht 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der demokratische Dialog und seine Geschäftsgrundlage . . Demokratie und Marktwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Recht des Volkes auf gute Führung . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Recht der Charaktermasken auf Führung: Selbstdarstellung als Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lauter Anwälte der nationalen Notwendigkeiten . . . . . . 2. „Sachkompetenz“: Mit der Dialektik von Macht und Ohnmacht den Bürger für die eigene Führungspersönlichkeit einnehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ministerpräsident Gerhard Schröder schafft „Vertrauen in die wirtschaftspolitische Kompetenz der SPD“. Ein Interview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auch Joschka Fischer ist kompetent – in Sachen Joschka Fischer! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wozu braucht Deutschland eine FDP?. . . . . . . . . . . . . . d) Gregor Gysi und seine bunte Truppe – die alternative Teil-Volkspartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bundeswirtschaftsminister Rexrodt trägt den Jahreswirtschaftsbericht 1996 vor . . . . . . . . . . . . . 3. Macherqualitäten: Handeln, nicht reden! . . . . . . . . . . . . . 4. Glaubwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Zirkel des Erfolgs: Vertrauen genießen schafft Vertrauen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Was hat Scharping falsch gemacht? . . . . . . . . . . . . . . . b) Was begeistert an Lafontaine? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Politische Sympathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . „Waschmittelwerbung“ – der schlechte Ruf der Versuche, die Willkür des politischen Geschmacks zu lenken . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit: Die Ordnungsleistung des demokratischen Dialogs . .

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Die Leistung der demokratischen Wahlen – vorgeführt von Barack Obama Wie die Unzufriedenheit der Bürger produktiv gemacht wird für die Fortschritte der Herrschaft 4) . . . . . 173 I. Change als Angebot ans Volk: Hoffnung auf den guten Führer – für eine neue Runde freiwilliger Unterwerfung unter die Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 II. Change als Forderung an die politische Klasse der USA: Selbstkritik der Weltmacht – für die Neusortierung ihrer politischen Erfolgsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Die Freiheit auf dem Vormarsch, Revolutionen per Stimmzettel Amerika spendet den Völkern der Welt freie Wahlen 5) . . . I. Das hohe Gut der freien Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wählen funktioniert am besten, wo es zuhause ist: in den kapitalistischen Demokratien . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diktatur resp. „ungefestigte Demokratie“: Warum das Wählen da etwas anders funktioniert . . . . . . 3. Die Forderung nach freien Wahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Wenn der Ruf nach freien Wahlen von außen erschallt . . . . 1. Die Freiheit kommt mit Bomben: Krieg für Wahlen. . . . . 2. Regime change im neuen Osten: Wahlen als Kriegsersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufschlussreiche Bedenken von Demokraten gegen die beste aller Staatsformen Das Letzte über Nutzen und Nachteil der Demokratie 6) . I. Keine demokratische Freiheit ohne Kontrolle von oben . . . II. Keine demokratische Freiheit ohne zweckmäßigen Gebrauch der Macht . . . . . . . . . . . . . . . III. Keine Demokratie mehr ohne vollständige Emanzipation der Staatsmacht von ihren Bürgern . . . . . . . IV. Fazit: Keine Demokratie ohne Selbstkritik vom Standpunkt der „nationalen Sache“. . . . . . . . . . . . . . . . 4) 5) 6)

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Aus GegenStandpunkt 1-09 Aus GegenStandpunkt 1-05 Aus GegenStandpunkt 4-93

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Editorial Demokratie gilt, mittlerweile weltweit, als Wert, der sich – wie es sich für einen Wert gehört – von selbst versteht. Für und gegen staatliche Einrichtungen und Verfahrensweisen lässt sich, wie gut oder schlecht auch immer, argumentieren; beim Wert ‚Demokratie‘ ist das unzulässig: Der wird nicht geprüft; an ihm werden Staatsverfassungen und Regierungsaktivitäten gemessen. Die Idee ist dabei die, eine Herrschaft, die sich von ihrem Volk periodisch beauftragen lässt, wäre keine Herrschaft; eine Gewalt, die sich von denen, die ihr gehorchen müssen, legitimieren lässt, wäre keine; Lebensverhältnisse, deren politische Macher und Aufseher in Wahlkämpfen durch Publikumsentscheid ermittelt werden, wären verwirklichte Freiheit. – Das ist das Eine. Dass das entscheidungsbefugte Publikum in seinem Alltag von seiner Wahlfreiheit viel hält; dass es darauf so große Stücke hält, wie die demokratische Wertlehre es unterstellt; erst recht: dass es von der Konkurrenz der Wahlkämpfer um seine Stimme besonders angetan wäre: das lässt sich allerdings nicht behaupten. Unter wahlberechtigten Bürgern ist es Sitte, die Bedeutung der eigenen Wahlstimme „illusionslos“ zu sehen, also gering zu schätzen, den Wahlkampf als ‚Zirkus‘ zu verachten, von den Politikern eine überwiegend schlechte Meinung zu haben – und trotzdem zur Wahl zu gehen, wenn sie angesetzt ist. – Das ist das Andere. Also wieder mal ein Fall von ‚schöner Idee‘ und ‚unzureichender Verwirklichung‘? Beide Sichtweisen, die Hochachtung vor dem Ideal wie das mehr oder weniger verächtliche Abwinken bezüglich der Praxis, gehen daran vorbei, was Demokratie tatsächlich ist und was das Institut freier Wahlen tatsächlich leistet. Immerhin hat man es mit einem System politischer Herrschaft zu tun, das sich auf seine durch ein freies Wählervotum beglaubigte Unabhängigkeit von seiner Basis – vom ‚Druck der Straße‘ – viel zugute hält. Notwendige Überlegungen zur Sache enthält die vorliegende Sammlung redigierter Artikel aus verschiedenen Jahrgängen der Zeitschrift ‚GegenStandpunkt‘. Das Material, das diese Aufsätze verwenden, ist teilweise nicht mehr aktuell; die daraus gezogenen Schlüsse sind es leider nach wie vor. Die je aktuellen Entsprechungen wird der Leser selbst finden, solange die Staatsgewalt, der er gehorcht, demokratisch funktioniert. 9

Die demokratische Wahl I. Die Freiheit der Wahl Freie Wahlen werden amtlich als das Kernstück der Demokratie geschätzt – durch sie zeichnet sich diese Staatsform vor allen anderen aus. Wahlen, so heißt es, legitimieren die Ausübung der politischen Macht. In der Demokratie wird nicht einfach regiert – das Volk erteilt per Abstimmung höchstförmlich den Auftrag zur Wahrnehmung der Staatsgeschäfte. Die Regierung beruft sich bei ihrer Amtsführung zu Recht auf den Willen des Volkes, da sich ihre Vollmachten der Entscheidung der Wähler verdanken. Freie Wahlen nehmen aber auch in anderer Hinsicht eine Sonderstellung unter den gesellschaftlichen und politischen Affären ein. Weniger amtlich betrachten sowohl Politiker als auch Wähler diese Veranstaltung nämlich ganz ohne die Ehrerbietung, mit der sich das landläufige Lob der Demokratie stets vorträgt. Diejenigen, die beschlossen haben, Politiker zu werden oder zu bleiben, nehmen Wahlen nüchtern bis distanziert als Bedingung für ihre Ambitionen, im positiven wie im negativen Sinn; und sie zieren sich auch nicht, es auszusprechen. Dass Wahlen eine Gelegenheit sind, in ein (höheres) Amt zu gelangen, sich auf Kosten der Konkurrenten in der eigenen Partei wie in anderen Vereinen zu „profilieren“ und durchzusetzen, bekennen sie ohne Scheu. Ebenso vermelden sie hörbar, welche Risiken für sie, ihre Karriere und ihre Partei mit Wahlen zu einem ungünstigen Zeitpunkt verbunden sind; sie sorgen sich öffentlich um den Verlust der Macht, den sie befürchten, wenn die Stimmbürger ihr Vertrauen falsch gewichten. Mit der Heuchelei, dem ganzen Land würde furchtbarer Schaden entstehen, fürchten sie sich umgekehrt keineswegs zu blamieren, auch wenn sie auf diese Weise unverblümt auf den erheblichen Unterschied zwischen ihren Interessen an der Nation und denen der Wähler hinweisen. Ebenso eindeutig fällt die Meinung des abstimmungsberechtigten Volkes aus. In klarem Gegensatz zur Legende von der Macht, die von ihnen ausgeht, betrachten die meisten Wähler die Wahlen als ziemlichen Schwindel, den sie längst durchschaut haben. Dass aufgrund der Abstimmung ihr Wille geschieht, wenn sich die Ermächtigten ans Regieren machen, glauben sie nicht; und sie lassen sich auch nicht nachsagen, dass sie „naiv“ und „vertrauensselig“ der Vorstellung anhängen, sie könnten etwas 11

„bewirken“ oder „verändern“. Wählen geht der mündige Bürger selbstbewusst „ohne Illusionen“. Merkwürdig ist das schon. Das Maß an Verachtung, das dieser Veranstaltung entgegengebracht wird, kontrastiert nicht nur mit dem riesigen Aufwand, der für das Gelingen der Wahlen sorgt. Schließlich geht es auch um einiges – von den ausgezählten Stimmen hängt es ab, wer regiert, also über den Einsatz des staatlichen Gewaltmonopols bestimmt und Gesetze macht, die er für nötig hält. Aus den Kreuzen auf den Zetteln erwächst die Lizenz zur Verwaltung des nationalen Geldes wie die Befugnis, den Frieden zu unterbrechen und Krieg zu führen. Die Anwärter auf diese Lizenz halten sich viel auf ihre Kompetenz zugute, durch die sie sich als Kandidaten vom Publikum abheben, das für die Führung der Staatsgeschäfte gar nicht vorgesehen ist; aber sie überantworten ausgerechnet den aufs Regiertwerden abonnierten Laien die Entscheidung darüber, wer die politische Macht übernehmen soll. Die wiederum treffen ihre Wahl – selbst Leute, die am Stammtisch und nach ausgiebigem Studium von Skandal-Blättern nur noch „lauter Lumpen“ in der politischen Arena entdecken, kennen am Wahlsonntag Unterschiede. Ihre Vorbehalte münzen sie in die Redensart vom „kleineren Übel“ um, so dass sie nach der Wahl eine Regierung kriegen, die mit Gesetzeswirkung anordnet, was der Staat von der Wirtschaft und sozial Schwachen, den Steuerzahlern und Autofahrern, den Frauen, Studenten, Rentnern und Soldaten braucht. * Zu den erklärten Sorgen hauptberuflicher Demokraten in Wahljahren gehört die „Partei der Nicht-Wähler“: Einen gewissen Bodensatz „politisch uninteressierter“ Zeitgenossen buchen sie zwar gewohnheitsmäßig als normal ab. Manchmal aber ist ihnen nicht nur die Zahl der Nichtwähler zu groß, sondern es drängt sich der Verdacht auf, dass wohlüberlegte „politische Gründe“ ihrer „Wahlabstinenz“ zugrunde liegen. Gemeint ist eine aus Meinungsumfragen ersichtliche Abneigung der Wähler gegen offenkundigen Parteiegoismus und die selbstsüchtigen Karriereinteressen von Politikern; so erzeugt die Verdrossenheit darüber Verständnis. Zweifel werden laut an der Fähigkeit der Parteien – der großen Volksparteien vor allem –, das Volk in gewohnter Vollzähligkeit an die Wahlurnen zu bringen. Die Parteien reagieren auf diese Sorgen mit dem Versprechen, sich solche „vernichtenden“ Umfrageergebnisse sorgfältig zu Herzen zu nehmen, keineswegs „arrogant“ darüber hinwegzugehen, sondern ihr „Bild in der Öffentlichkeit“ zu überdenken und „um jede Stimme zu 12

kämpfen“; schließlich sei ihnen bewusst, dass sie „jede Stimme brauchen“. Und zwar nicht nur für ihren Erfolg, um dessen Aufteilung schon im Zuge der anlaufenden Kandidatenaufstellung karrieresüchtig gestritten wird – da geht es nämlich um „sichere Wahlkreise“ und „Listenplätze“ –; ganz generell habe sich die „Integrationsfähigkeit“ der Parteien zu erweisen. Insofern kämpfen die Kandidaten auch um die „Akzeptanz“ des pluralistisch-repräsentativ-demokratischen Systems insgesamt beim wahlberechtigten Volk. Solche Sorgen und Versprechungen stellen einiges klar über Subjekt, Prädikat und Objekt der in dem Wörtchen „Demokratie“ enthaltenen Behauptung, hierzulande regiere das Volk sich selbst. 1. Das eigentliche Subjekt der Wahl Verantwortungsbewusste Demokraten gehen davon aus, dass dem Volk von sich aus an dem politischen System, das ihm die Wahlfreiheit schenkt, so übermäßig viel nicht liegt. Sache der Parteien ist es jedenfalls, dem Wahlvolk Alternativen zu bieten, damit es überhaupt etwas zum Entscheiden hat – von den Inhabern des aktiven Wahlrechts ist da nichts als Passivität zu erwarten; sogar die Kritischen, Skeptischen und Verdrossenen tun nichts als auf Angebote warten; die aktive Rolle liegt ganz bei denen, die das passive Wahlrecht wahrnehmen. Deren demokratische Pflicht ist es überdies, die Leute überhaupt zur Stimmabgabe zu bewegen, weil niemand von sich aus zu diesem Höhepunkt seiner demokratischen Freiheit hindrängt. Letztlich geht der mündige Bürger zwar noch allemal ins Wahllokal, solange Wahlen angesetzt sind; wenn das nicht alle tun, so hat das die am Ende Gewählten noch nie gestört; insofern ist die Besorgnis um die Zahl der Nicht-Wähler nicht gar so ernst zu nehmen. Aufschlussreich ist aber die darin enthaltene Einschätzung schon, dass der demokratische Bürger der Letzte ist, der gebieterisch auf seinem Wahlrecht besteht – wie auch, wenn es seine Rolle ist abzuwarten, was die Parteien ihm bieten. Die Parteien haben also die demokratische Pflicht, sich und ihre führenden Kandidaten anständig aufzustellen und beim Volk beliebt zu machen, damit es überhaupt wählen geht. Dieser Pflicht, das Heft in die Hand zu nehmen, entspricht nach ihrer eigenen und allgemein geteilten Auffassung auf der anderen Seite ein gewisses Recht, den Aufwand dafür mit einer Wahlstimme vergütet zu bekommen. „Politisch nachdenkliche“ Nicht-Wähler finden zwar, solange es noch nicht wirklich ans Wählen geht, ein gewisses Verständnis; doch das ist mehr darauf berechnet, die Parteien anzuspornen, und gilt nie einem 13

wirklichen Wahlboykott – der gehört sich erstens überhaupt nicht, wenn der Bürger schon mit einem freien Wahlrecht beglückt wird. Und zweitens verweigert der Nicht-Wähler den Parteien einen Nutzen, auf den sie, führen sie sich nur ordentlich auf, doch irgendwie einen Anspruch haben. Gerade die öffentlichen Sorgen um das Bild der Parteien und ihre womöglich schwindende Fähigkeit, Zustimmung zu organisieren, belegen diesen Standpunkt, dass das Wahlvolk den Parteien als den eigentlichen Unternehmern in Sachen Demokratie nicht „entgleiten“ darf; der Vorwurf, sie würden in dieser Hinsicht versagen, misst sie am Maßstab des problemlosen Zugriffs auf eine sichere Anhängerschaft. An diesem Kriterium messen im Übrigen zuallererst die Parteien sich selbst: Sie eröffnen ihren Wahlkampf – schon traditionell – mit der Erklärung, dass sie „keine Stimme zu verschenken haben“, erheben also mit größter Selbstverständlichkeit einen gewissen Besitzanspruch auf die freie Bürgerentscheidung – auf die ihrer „Stammwählerschaft“ sowieso und auf die zuletzt eroberten „Wechselwähler“ ebenfalls. Aber auch andere und vor allem „die noch Unentschlossenen“ sollen sich von der Beteuerung beeindrucken lassen, dass jede demokratische Partei ihre Stimme „benötigt“ – so als wäre deren Bedürfnis umstandslos eine Pflicht der Bürger. Alles das sind immerhin Klarstellungen über das eigentliche Subjekt freier demokratischer Wahlen. Die Wähler jedenfalls sind es nicht. Wahlen sind eine aufwendige Übung, der sich die Parteien und ihre Kandidaten unterziehen. Die wissen auch, warum; denn für sie geht es um einiges: Ihr Aufwand ist Mittel zum Erwerb der Macht. Dafür ist er zweckmäßig und im Erfolgsfall dermaßen lohnend, dass der Ertrag in gar keinem Verhältnis mehr zu dem Einsatz steht, den demokratische Politiker bei ihrem Ausflug in den Wahlkampf zeigen müssen – sogar der wird für Erfolgreiche, wie der deutsche Wähler seit Adenauer weiß, zum reinen Vergnügen. 2. Der Wahlakt: Verzicht auf Einflussnahme Die Stimmen der Wähler werden benötigt, um zusammengezählt zu werden und in der Masse ein Zahlenverhältnis darzustellen, nach dem die höchsten Personalfragen im Staat entschieden werden, nämlich eine Politikergarnitur die politische Macht bekommt. Das ist die ganze „Vermittlung“ zwischen Wählermeinung und Politik, Bürgerfreiheit und Herrschaft, die in der demokratischen Wahl stattfindet. Vom Standpunkt der Staatsmacht aus betrachtet, grenzt selbst dieser Bürgerbeitrag zum politischen Geschehen schon an Abhängig14