Dem Himmel so nah SCHWINDELFREI. Baumhäuser sind längst nicht mehr nur Kindern vorbehalten. Immer mehr Erwachsene erklimmen die Baumkronen und erfüllen sich so eine lang gehegte Sehnsucht. Von Elisabeth Stolzer

»darin, Der Reiz eines Baumhauses liegt eine Auszeit vom Alltag zu nehmen, „offline“ zu gehen und zu sich selbst zu finden.«

33

FOTOS: BAUMBARON GMBH.

32

„BAUMBARON“ JOHANNES SCHELLE SCHAFFT MIT SEINEM TEAM AUSSERGEWÖHNLICHE LEBENSRÄUME.

S

chon als Kind wollte ich immer ein Baumhaus haben. Ein geheimer Ort, der die Welt um mich herum winzig klein wirken lässt und trotzdem genug Platz für alle meine Schätze bietet. Mitten im Freien und doch ganz weit entfernt. Immer wieder habe ich Menschen getroffen, die auch von so einem Ort träumen.

Vermutlich ist das der Grund, warum Baumhäuser immer beliebter werden. Und immer professioneller: Längst reicht es nicht mehr, ein paar Bretter zusammenzunageln und eine Strickleiter daran zu hängen. Profis bauen echte Kunstwerke auf Eiche, Buche und Co. Das hat nicht mehr viel mit unseren kindlichen Fantasien gemeinsam, ist aber mindestens genauso schön.

Als ich bei meiner Recherche den Baumhausbauer Richard Polsterer anrufe, befindet der sich gerade auf einem Baum (wo sonst?). Es wäre besser, wenn ich ihm eine E-Mail schicken würde, denn wenn er erst einmal an einem Projekt arbeite, vergesse er die Welt um sich herum, erzählt er mir. Genau das ist es nämlich, was das Baumhaus so reizvoll macht: die Abge-

schiedenheit, der Rückzug aus dem Alltag, die volle Konzentration auf eine Sache. Der Baumhaus-Profi schwärmt: „Der Reiz eines Baumhauses liegt für mich darin, eine Auszeit vom Alltag zu nehmen und offline zu gehen. Die Natur wahrzunehmen, um wieder ein Stückchen mehr zu sich selbst zu kommen.” Kurz: Ein Baumhaus entführt uns in eine völlig andere Welt. Wer das Baumhaus erklimmen will, sollte vor allem eines sein: schwindel-

frei. Einen ersten Versuch kann man auf dem Wipfelwanderweg im steirischen Rachau wagen. Rund 30 Meter über dem Boden bekommt man ein erstes Gefühl dafür, wie sich das Leben hoch über der Erde anfühlt. Die Konstruktion ist massiv, Höhenangst stellt sich zumindest schon mal nicht ein. Aber hier oben schlafen, essen oder arbeiten? Bei den Korowai, einem indigenen Volk auf der Insel Neuguinea, gehört das zum Alltag. Ihre Häuser befinden sich in rund 50 m Höhe, man erreicht den Ein-

gang lediglich über Einkerbungen im Baumstamm. Aufgrund der tropischen Witterung muss das Baumhaus alle drei bis fünf Jahre erneuert werden. Diese Lebensweise sichert nicht nur das Überleben der Korowai: Es macht auch ziemlich einsam. Wenn das Baumhaus zu klein wird, teilt sich die Gruppe einfach und baut eine neue Unterkunft. Die Frauen verlassen das Baumhaus nur selten, Kontakt zur Außenwelt gibt es praktisch keinen. Bis heute gilt das Volk als nahezu unerforscht.

AUCH AUF DER PLATTFORM AIRBNB LIEGEN BAUMHÄUSER GANZ WEIT VORNE: DAS „TREEHOUSE“ IN ATLANTA WURDE 2016 VON DEN USERN AM HÄUFIGSTEN AUF DIE WISHLIST GESETZT.

34

35

FOTOS: AIRBNB, BAUMHAUS LODGE.

IM NIEDERÖSTERREICHISCHEN SCHREMS KANN MAN IN DER „BAUMHAUS-LODGE“ ÜBERNACHTEN UND GENIESST DABEI ALLE VORTEILE EINES KLASSISCHEN HOTELZIMMERS.

Hierzulande boomt die touristische Erschließung der Wipfel. Baumhäuser werden als Hotels, Büros oder als eigenständige Wohneinheiten genützt. Dank ihrer modernen Ausstattung braucht man dabei auf nichts mehr zu verzichten: Fließendes Wasser, Strom und ein gemütliches Bett gelten fast schon als Standards. So auch beim „Treehouse” in Atlanta. Das kleine Baumhaus wurde von den Usern der Plattform „Airbnb” im vergangenen Jahr zur meistgewünschten Unterkunft weltweit gewählt. Eine Nacht an diesem Sehnsuchtsort gibt es für 359 Euro. Der Andrang ist so groß, dass sich die Gäste sogar extra für eine Übernachtung bewerben müs-

sen. Und auch in Österreich sperren immer mehr Baumhaushotels auf. Mittlerweile gibt es sechs Anbieter, die eine Nacht in luftiger Höhe möglich machen. Etwa die Baumhauslodge in Schrems: Um Ruhe und Sicherheit zu garantieren, ist hier eine Übernachtung erst ab 18 Jahren möglich.

BEIM WIPFELWANDERWEG IN RAUCHAU GENIESST MAN DEN HÖHENRAUSCH.

Wer nicht nur eine Nacht im Baumhaus verbringen möchte, sondern gleich einen privaten Rückzugsort im eigenen Garten bauen will, muss früher oder später zum Profi. Der Ablauf ähnelt dem eines klassischen Hausbaus: Man plant, holt Gutachten ein, lässt sich ein Modell visualisieren und anschließend wird gebaut. Heimwerker können sich Baupläne und Material auch aus dem Internet besorgen – zur Umsetzung gibt es zahlreiche Anleitungen online. Baumhaus-Experte Richard Polsterer erklärt: „Man braucht Erfindergeist und Fantasie und sollte handwerklich geschickt sein. Außerdem sind statische Kenntnisse eine Grundvoraussetzung. Höhen-

Um ein Baumhaus zu bauen, »braucht es Erfindergeist und Fantasie. Und man sollte handwerklich geschickt sein.«

36

BAUMHAUSEXPERTE RICHARD POLSTERER HAT SCHON SO MANCHEN KINDHEITSTRAUM WAHR WERDEN LASSEN.

„Je nach Größe des Baumes kann dann das Baumhaus geplant werden”, so der Experte. Auch die Befestigung ist entscheidend für die Gestaltung: Soll das Haus nur am Baum verankert sein

oder benötigt man zusätzliche Stützen? Wer über wenig handwerkliches Geschick verfügt, wird so ein Projekt also nur schwer selbst umsetzen können. Bleibt also noch die Frage: Wie teuer ist so ein Profi-Baumhaus eigentlich? „Je nach Ausstattung beginnt der Preis bei rund 7.000 Euro – nach oben hin offen”, erklärt Richard Polsterer. „Es hängt

etwa davon ab, welche Materialien verwendet werden, wie hoch die Plattform im Baum verankert ist, ob eine Zufahrtsmöglichkeit besteht und ob das Domizil in den Wipfeln zusätzlich winterfest sein soll – auch das ist möglich.” Die Fantasie scheint nahezu unbegrenzt. Und das ist wohl wirklich mehr als wir uns als Kinder je erträumt haben. v

FOTOS: TREEHOUSES.AT/RICHARD POLSTERER.

angst wäre ebenfalls nicht hilfreich.” Sogar eine Kletterausrüstung kann bei manchen Projekten erforderlich sein.

AUFWENDIGE HOLZKONS­ TRUKTIONEN IN SCHWINDELERREGENDER HÖHE SIND SEIN SPEZIALGEBIET.