Das geheime Leben der Insekten

Funktion nicht mehr erfüllen, nämlich den Tieren im Winter Nahrung zu spenden. Darum darf man ihnen ... nete orange Flecken dienen ihr als. Orientierung. L.
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Monique Berger | Michel Gaudichon

Das geheime Leben der Insekten

Luftakrobaten und Kletterkünstler in unseren Gärten

Monique Berger | Michel Gaudichon

Das geheime Leben   der Insekten Luftakrobaten und Kletterkünstler in unseren Gärten

Ein Rostbraunes Ochsenauge sammelt Nektar an den Blüten eines Doldenblütlers.

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Die Insekten und die Blumen

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esuchen die Insekten die Blumen wegen ihrer Schönheit, ihrer Harmonie der For­ men und Farben ? Die Wahrheit ist viel nüchterner: Sie tun es, um den Nektar der Blüten zu trinken, den Pollen zu sammeln oder ihre Staubblätter abzuweiden. Im Gegenzug sorgen sie für die Bestäubung. Die­ ses wechselseitige Geben und Nehmen zwischen zwei Klassen von Lebewesen ist das Ergebnis einer langen gemeinsamen Evolution, die vor mehr als 50 Millionen Jahren ihren Anfang nahm. Ihren Aufschwung erlebten die Blütenpflan­ zen, als Insekten vor langer Zeit begannen, die Lüfte zu erobern. Es fing damit an, dass vor 250 Millionen Jahren Libellen mit Flügelspannweiten von 70 Zentimetern in den Sümpfen auf die Jagd gingen, aus denen sich zum Beispiel die Kohle­ schichten des Zentralmassivs entwickelten. Während sie die Wiesen besuchten, die mit der Ausbreitung der Gräser im Tertiär entstan­ den waren, gingen manche Insektenarten mit ei­ nigen der Blütenpflanzen Beziehungen ein, die auf Gegenseitigkeit beruhten. Aber nicht alle taten das, im Gegenteil ! Viele Insekten fraßen die Pflanzen einfach auf, ohne ihnen irgendwas im Tausch dafür zu geben, die Heuschrecken zum Beispiel, diese hungrigen Weidetiere. An­ dere Insekten wiederum, die Libellen etwa mit ihrem großen Appetit auf kleinere Insekten und andere Tierchen, beschränkten sich darauf, die

grasbewachsenen Weiten als Bühne ihrer Be­ triebsamkeit zu nutzen. Und was die Blüten­ pflanzen angeht, verzichteten viele von ihnen auf die Hilfe der Insekten und vertrauten ihren Pollen lieber dem Wind an, die Süßgräser zum Beispiel mit ihren unscheinbaren Blüten. Während des gesamten Tertiärs beschritten die Pflanzen und die sie bestäubenden Insekten erstaunlich unterschiedliche Wege in der ge­ meinsamen Evolution. Davon zeugt auf Seiten der Insekten die ungeheure Vielfalt an Vorrich­ tungen, mit denen sie das Manna der Blüten ein­ sammeln, etwa der lange Rüssel der Schmetter­ linge, mit dem diese auf dem Grund noch der tiefsten Blütenkelche nach Nektar suchen. Und die Pflanzen wiederum stellen wahre Schätze an Einfallsreichtum zur Schau, um die Insekten zum Besuch ihrer Blüten zu bewegen und in dem bunten Durcheinander an Farben und Gerüchen auf sich aufmerksam zu machen. Wenn der Rosenkäfer in die Blüte einer Rose oder Heckenrose eindringt, dann nicht, um sich an deren Duft oder ihren zarten Farben zu er­ freuen, sondern um die Staubblätter abzufres­ sen, von denen die Blüten überquellen. Bleibt noch anzumerken, dass – aus der Sicht des Men­ schen – die Blütenkreationen, denen die Insek­ ten stets auch einen Hauch des Animalischen verleihen, schon seit jeher Maler und Poeten ins­ piriert haben.

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M März: Eine Erdhummel-Königin zeigt Interesse an den Staub­ gefäßen dieses Krokus.

M April: Ein männlicher Aurorafalter posiert auf den Blüten dieses ­Wiesen-Schaumkrauts.

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O Juni: Eine Solitärbiene aus der Familie der Halictidae erkundet den weiten Blütentrichter einer Stockrose.

O April: Eine Hummel steckt wagemutig ihren Kopf in die Blütenkrone dieser Taubnessel …

Von Frühlingsbeginn bis zum Herbstanfang besuchen die Insekten die Blumen.

L … während im Oktober eine Artgenossin systematisch die Blüten der Kanadischen Goldrute inspiziert.

O Juli: Eine Biene stürzt sich kopfüber in eine Windenblüte und presst dabei die Staubgefäße mit dem Pollen auf den Stempel, wodurch dieser bestäubt wird.

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Was die Pflanzen zu bieten haben Der Nektar, Zucker in Flüssigform Der Nektar ist mit seinem hohen Gehalt an Einfachzuckern eine äußerst energiereiche Nahrung. Er allein genügt, um bei adulten Insekten die Mus­ kelaktivität aufrechtzuerhalten. Adult nennt man die Insekten, wenn sie ihr Wachstum beendet haben und nun ihr kurzes Leben ganz der Vermehrung und der Ausbreitung in ihrem Lebensraum widmen. Die Insekten, die sich vom Nektar ernähren, sammeln ihn mithilfe eines röhrenförmigen Saugorgans, das sich in Bau und Form von Art zu Art unter­ scheidet. Die Schmetterlinge nehmen den Nektar auf, wie er ist, um sich selbst von ihm zu ernähren. Die Bienen und Hummeln dagegen würgen einen Teil davon zum Füttern ihrer Larven wieder aus. Es handelt sich nun um ein verarbeitetes Produkt, weniger flüssig aufgrund des geringeren Was­ sergehalts und angereichert mit verschiedenen Substanzen: Honig. Die Honigbiene speichert ihn in Waben, aus denen ihn der Imker ge­ winnt. Dieser Imkerhonig, den man den Bienen raubt, kann seine eigentliche Funktion nicht mehr erfüllen, nämlich den Tieren im Winter Nahrung zu spenden. Darum darf man ihnen nicht alles wegnehmen und muss ihnen bei Bedarf eine andere Zuckerquelle als Ersatz anbieten. Die Solitärbienen, die so heißen, weil sie allein und nicht in Gemeinschaften leben, bauen jede für sich ein Nest, wo sie ihre Eier legen und als Proviant für die geschlüpften Larven ein Gemisch aus Nektar und Pollen deponieren. Der Nektar wird von kleinen Drüsen abgesondert, die überall in der Blüte sitzen können. Wenn sie sich am Boden des Blütenkelchs befinden und die Pflanze überdies den Weg dorthin durch Hindernisse erschwert, ist der Nek­ tar nur für Insekten zu erreichen, die für diesen Zweck spezielle Anpassun­ gen besitzen. Klee und Salbei etwa zählen zu den Pflanzen mit komplexem Blütenaufbau, der überdies von Art zu Art verschieden ist. Wird aber der Nektar großzügig und ohne Hindernisse oben auf den Blü­ ten angeboten, bedarf es keiner besonderen Anpassungen, damit ihn die Insek­ten trinken können. Das ist der Grund, warum man etwa auf der Dolde einer Wilden Möhre die verschiedensten Insektenarten beim Nektarsammeln vereint sehen kann.

O Das lange, biegsame Saugorgan, mit dem dieser Postillon aus den Blüten der Goldrute Nektar trinkt, ist allen Schmetterlingen gemeinsam.

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M Zu Beginn des Frühlings sind Primeln eine wichtige Nektarquelle, auch für diese Solitärbiene, die einer Hummel ähnelt (Antophora plumipes). Bevor sie landet, positioniert sie sich mit ihrer langen, braunen Zunge über der Kelchöffnung. Deren in Ringform angeordnete orange Flecken dienen ihr als Orientierung.

L Nach der Landung taucht sie ihre Zunge hinab auf den Grund des Blütenkelchs, wo sich der Nektar befindet.

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M Das Mundwerkzeug dieser Hummel, die auf den Blüten eines ­Doldenblütlers Nektar sammelt, ist  die Zunge, mit der sie den Nektar zunächst leckt und danach ansaugt.

L Diese Fliege, die auf einem Doldenblütler sitzt, tupft den Nektar mit den beiden kleinen Pölsterchen am Ende ihres kurzen Saugrüssels auf – so wie es eine Stubenfliege bei einem Stückchen Zucker macht.

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L Diese Federmotte holt den Nektar mit ihrem fadenförmigen Rüssel wie mit einem Strohhalm aus den Blüten eines Rainfarns. Der Rainfarn ist somit für die Federmotte eine Nektarpflanze. Daneben dienen seine Blüten dem Weibchen zur Eiablage und später den Larven, die aus den Eiern schlüpfen, als Nahrungsquelle. Damit ist der Rainfarn für die Federmotte außerdem eine Wirtspflanze.

M Der Rüssel dieses Nachtfalters, einer Gammaeule, die an einer Flockenblume gerade Nektar trinkt, besteht aus zwei Teilen. Sie sind wie die Läufe einer Schrotflinte zusammengesetzt.

L Dieses Rostbraune Ochsenauge knickt seinen biegsamen Strohhalm, um ihn in die nektarreichen Blüten des Oregano einzuführen.

Die Schmetterlinge bleiben außen auf der Blüte sitzen, entrollen ihren Saug­ rüssel und tauchen ihn direkt ins Manna. Als große Nektartrinker – er ist ihre einzige Nahrung – sind sie völlig abhängig von der Blühsaison. Die Energie, die der Nektar liefert, reicht aus, um die Flugaktivität dieser kurzle­ bigen Tiere aufrechtzuerhalten, deren adultes Leben einzig der Fortpflan­ zung und der Verbreitung gewidmet ist.

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Auch wenn er ihnen äußerlich kaum ähnelt, ist der Wollschweber mit den Fliegen verwandt. Dieses große Insekt, das seine Beine im Flug hinter sich herzieht, ist versessen auf den Nektar des Wiesen-Schaumkrauts. In der Luft erinnert es mit seinem manchmal stationären, durch Flügelvibrationen bedingten Flug an einen Kolibri, während der orange Sauger einem langen Schnabel gleicht, mit dem der Wollschweber auf die Blume zielt. Doch anders als der Kolibri muss er zum Nektarsammeln auf der Blütenkrone landen: Er braucht sie dabei aber nur mit den Spitzen seiner langen, zierlichen Beine zu berühren.

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O Eine Biene sammelt Pollen auf den Blüten einer AckerWitwenblume.

Der Pollen, eine reiche Proteinquelle Bienen und Hummeln, die an Staubblättern reiche Blüten besuchen, etwa die des Mohns oder der Heckenrose, sieht man oft beladen mit farbigen „Ku­ geln“ an den Außenseiten der Hinterbeine ihres Weges ziehen. Die Farbe dieser Kissen entspricht der Farbe des gesammelten Pollens. Diese „Höschen“ aus Pollen werden in das Nest gebracht. Sie liefern den Larven die Ration an Proteinen, die sie für ihre Entwicklung brauchen. Bei der Honigbiene wird der Pollen in den Wabenzellen eingelagert, die geöffnet bleiben. Bienen, die Ammendienste leisten, verteilen ihn dann an die Larven in anderen Zellen, die zu Kinderstuben zusammengefasst sind.

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M Eine Honigbiene mit orangen Pollenhöschen auf der Blüte einer Heckenrose.

L Eine Biene (der Gattung And­ rena) mit gelben Pollenhöschen auf einem Hahnenfuß.

O Eine Biene (Andrena virides­ cens) mit weißen Pollenhöschen auf einer Veilchenblüte.

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