Das deutsche Spiel - Buch.de

dass weder Banken noch Börsen aus den. Kursabstürzen vor einigen Jahren gelernt hät- ten. .... verstehen. „Mädchen.‚ So nannte er sie manchmal – damals ...
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Ira Ebner

Das deutsche Spiel Thriller

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© 2017 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2017 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: Veronika Aretz Coverfotos: Fotolia.com, Konstantin Yuganov, Cherezoff. pure-life-pictures Lektorat: Carolin Olivares Printed in Germany Taschenbuch: ISBN 978-3-8459-2200-3 Großdruck: ISBN 978-3-8459-2201-0 eBook epub: ISBN 978-3-8459-2202-7 eBook PDF: ISBN 978-3-8459-2203-4 Sonderdruck Mini-Buch ohne ISBN AAVAA Verlag, Hohen Neuendorf, bei Berlin www.aavaa-verlag.com eBooks sind nicht übertragbar! Es verstößt gegen das Urheberrecht, dieses Werk weiterzuverkaufen oder zu verschenken! Alle Personen und Namen innerhalb dieses Buches sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Dieses Buch ist ein Roman, ein fiktionales Werk, das seinen eigenen Regeln und seiner eigenen Logik folgt. Das Beschriebene hat sich so nicht in der Realität ereignet. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen waren aber aufgrund der Sache während des Schreibprozesses nicht immer vermeidbar. Sie sind nicht beabsichtigt, aber von der im Grundgesetz geschützten Freiheit der Kunst umfasst.

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New York „Die Finanzkrise ist keineswegs überwunden, sondern sie schläft nur.‚ Damit beendete Arne Steenborg seinen Vortrag in fließendem Englisch. Vor ihm saßen die Damen in Kostümen, die Herren in Anzügen. Der Saal, in den eine der großen amerikanischen Banken zum Vortrag des ehemaligen deutschen Ministers eingeladen hatte, war bis auf den letzten Platz gefüllt. Sie hatten ihm bis hierhin zugehört, dem Mister Chivalry, dem sein Ruf als Retter in der Krise vorausgeeilt war. Er hatte von den Gefahren der Spekulationen und dem Handel mit Schrottpapieren gesprochen, und davon, dass weder Banken noch Börsen aus den Kursabstürzen vor einigen Jahren gelernt hätten. Hier, in New York, dem größten Handelsplatz, vor diesem Publikum, hatte er Zusammenhänge erklärt und begründet, warum 5

Steuern auf Wertpapierhandel und das Trennen von Bankgeschäften nötig seien. Das Stehen strengte ihn an, aber er kam zum Ende seines Vortrags. Er hielt einen Atemzug lang inne und rückte die Brille zurecht. Im Saal regten sich die ersten Hände, um ihm zu applaudieren. Doch der Beifall käme zu früh. „Any questions, ladies and gentlemen?‚ Arme streckten in die Höhe. Arne rief einen nach dem anderen auf. Einer nach dem anderen erhob sich und stellte seine Frage an den Mann aus Deutschland, der den Kapitalismus so klar und logisch anfocht. Arne antwortete freundlich, aber mit der Flapsigkeit, die ihm in seinen Ministerzeiten als Impertinenz ausgelegt worden war. Als sich niemand mehr meldete, nahm er sein Skript und trat einen Schritt zurück. „Thank you, you’ve been a wonderful audience.‚ Applaus. Applaus. Der Beifall dauerte an. Arne verweilte auf dem Podium und trank 6

das Wasserglas leer. Ein Blick ins Publikum, damit sie wussten, dass er sein Kompliment ernst meinte. Doch dann standen sie auf. Standing Ovations. Sie überwältigten ihn. Mit einem Mal vergrößerte sich das Podium. Die Dimensionen schienen sich auszudehnen. Sein Mund weitete sich zu einem Lächeln. „Thank you, thank you!‚ New Yorks Lärm stieg aus der Straßenschlucht herauf und drang durch die geöffnete Balkontür. In für sie schwindelnder Höhe. Gesa Steenborg packte die ersten Sachen in den Koffer. Der Flug ging am nächsten Vormittag. Sie legte die Geschenke für Tochter und Sohn zwischen einen Rock und eine Strickjacke. Die Freiheitsstatue, die sie in einem kleinen Laden gekauft hatte, stand auf dem Tisch. Das Nachmittagslicht streifte das Dach des gegenüberliegenden Wolkenkratzers und brach sich im Glas der Vase. Auf der 7

glatten Tischoberfläche schimmerte ein kleiner Regenbogen. Der freundliche Zimmerservice hatte den Raum mit frischen Blumen bedacht. Ein Klopfen an der Tür. Gesa wandte sich um und öffnete. Arne kam herein. „Wie war es?‚, fragte sie. „Es gab viel Beifall. Mein Vortrag war bis auf den letzten Platz ausgebucht.‚ Er zog sein Jackett aus und löste die Krawatte, legte sie zusammen und neben die Vase. Der kleine Regenbogen durchwirkte die graue Seide. „Miss Liberty.‚ Er nahm die Miniatur, begutachtete sie und sah seine Frau an, als fragte er, ob sie die Figur für ihn gekauft hätte. Oder brachte sie nur jemand anderem ein Souvenir mit, weil man sie darum gebeten hatte? „Freiheit und ein neues Land mit Wohlstand für alle gehören zu den schönsten Versprechen, die eine Frau geben kann.‚ An den Tisch gelehnt erwiderte sie seinen Blick. 8

„Sag nur, du warst auf eigene Faust in der Stadt unterwegs.‚ Sie nickte. Er gab ihr die Freiheitsstatue zurück. „Mach dir um mich keine Sorgen. Ich komme schon zurecht.‚ „Es ist heute sehr warm.‚ Arne suchte ihren Blick. „Wie wäre es mit dem Central Park? Du wolltest dorthin, sollte die Zeit dafür reichen.‚ Gesa packte die Freiheitsstatue in ihren Koffer. Über den Baumwipfeln und den dahinter aufragenden Wolkenkratzern strahlte der Septemberhimmel in tiefem Blau. Nebeneinander gingen Gesa und Arne an den Grünflächen vorbei, wo sich andere Menschen zu einem Nachmittagspicknick trafen. An einem Stand kaufte Gesa eine Tüte Erdnüsse. Er betrachtete die Büsche und die Blumenbeete und die Felsen, die diesem Park etwas immer schon Da9

gewesenes verliehen. Der See glitzerte in der Sonne. Arne setzte sich auf eine Bank und erwartete, dass sie dazukam. Gesa setzte sich neben ihn, legte die Papiertüte auf ihrem Schoß ab. Spatzen und Finken flatterten herbei und sprangen im Staub umher. „So könnte es immer sein‚, sagte sie. „So wie die Felsen, die so aussehen, als seien sie ein Teil dieses Parks, dieser Stadt, dieses Tages und darüber hinaus. Es kommt mir so unwirklich vor, dass wir morgen schon wieder nach Deutschland zurückfliegen. Ich denke mir, wir sind hier, und alles andere ist nicht echt.‚ „Wir sind hier‚, wiederholte er ihre Worte. Er sah auf den See, auf die Spiegelbilder im Wasser, die das Glitzern der Sonne und die Bewegung der Luft brachen. Während er seine Gedanken kommen und wieder ziehen ließ, kaute er auf einer Erdnuss. Nur ein Gedanke 10

blieb, und er schickte ihn nicht fort zu den anderen, nicht zum Glänzen der Sonne und auch nicht zum Wind auf dem Wasser. „Das Sommertheater ist weit weg‚, fuhr Arne fort. „Entweder ist es zu Ende, weil andere Themen die Schlagzeilen und den politischen Betrieb in Berlin bestimmen oder es erweist sich als mehr.‚ „Du meinst die Kandidatenfrage. Die Presse hat für den Sommer ein Thema gefunden, das unterschwellig und doch permanent in den Zeitungen und Fernsehsendungen auftaucht.‚ Zwei Polizisten ritten vorbei und blickten zu ihnen herüber. Die Hufe der Pferde schlugen in langsamem Takt auf. Als sie sich weiterbewegten, wanderten ihre Schatten hinter ihnen her, bis sie unter den ausladenden Ästen einer Buche verschwanden. „Obwohl der Vorsitzende immer wieder beteuert hat, dass sich die Frage frühestens zur Jahreswende stellen wird‚, sagte Arne. 11

„Angenommen, sie fragen dich, ob du es machst.‚ Gesa sah ihm tief in die Augen. Er kannte diesen Blick und wusste, sie würde zusagen, fiele diese Frage jemals an sie. Freiheit und ein neues Land mit Wohlstand für alle gehören zu den schönsten Versprechen, die eine Frau geben kann. Aber die Frage würde nie an sie fallen. Und nicht sie würde dieses Versprechen einlösen, sondern …? „Der Vorsitzende hat das Vorrecht, dann der Fraktionsvorsitzende‚, antwortete er. „Wenn sie dich fragen, wirst du ablehnen?‚, insistierte sie. „Unser Altkanzler hat dich dem Land empfohlen, denn du kannst es.‚ Er wandte sich ihr zu. Ihr Blick wurde groß und hungrig. Doch sie schien ihn nicht zu verstehen. „Mädchen.‚ So nannte er sie manchmal – damals, einst und dann. „Ich war Finanzminister. Ich bin nur noch Bundestagsabgeordneter. Eigentlich habe ich vom Berliner Zirkus 12

genug. Ich könnte in der Rolle des Elder Statesman bleiben und mit meinen Vorträgen weiter um die Welt reisen. Aber was reden wir über Dinge, die nicht spruchreif sind?‚ Der Wind strich über das Wasser und die Sonnenstrahlen ließen es blinken. Über den Bäumen und den dahinter aufstrebenden Wolkenkratzern strahlte ein Septemberhimmel, wie er blauer und friedlicher nicht sein konnte.

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I. Die Kunst des Möglichen Hamburg. Arne Steenborg drückte die Zigarette aus. Der Qualm kringelte zum Fenster. Die Sonne durchdrang den Morgennebel. Auf dem Tellerrand der Klecks Erdbeermarmelade. „Ich wünsche dir gutes Gelingen‚, sagte Gesa. „Jetzt gibt’s wohl kein Zurück mehr.‚, entgegnete er. „Nein.‚ Sie strich über die Tischdecke und lächelte versonnen ins Nichts. Er betrachtete sie. Ihr alter Traum kehrt zurück. Der Traum, an meiner Stelle zu stehen. Sie füllt kein Amt mehr aus. Dennoch hat sie ihre Rolle gefunden und angenommen. Ihre Hand berührte seine. „Du weißt, mit wem du es aufnimmst‚, sagte sie. Ihr Lächeln verwandelte sich in eine ernste, schmale Linie. „Was für ein Chaos, so über Nacht‚, fuhr sie 14

fort. „Da ruft dich unser Vorsitzender an und bittet dich, zu kandidieren. Einige in der Partei werden dich nicht unterstützen. Sie werden sagen, du und ihr Programm, das geht nie zusammen. Die Presse wird schreiben, dass dich der Altkanzler der Partei aufgezwungen hat, weil er dich will. Lass dich auf nichts mit denen ein.‚ Kopfschüttelnd stand Arne auf. Es war so weit. Heute und kein anderer Tag. Er blickte aus dem Fenster. Auf der Straße, hinter dem Zaun, wartete ein schwarzer A8. Der Fahrer war zeitig gekommen. Im Flur lag der altersschwache Hund. Hier, wo antikes Silber auf einer Kommode stand, Fotografien neben Gemälden von stolzen Dreimastern hingen – Familienstücke. Arne stieg über den Hund. Vor dem Spiegel band er die Krawatte. Heute rot.

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