Cyber-Mobbing: Mobbing unter Digital Natives ... AWS

über Jugendliche, die Suizid begingen, nachdem sie zuvor Opfer von (Cyber-)Mobbing. 1 Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden bei der Nennung von Personen die männliche Form verwendet, diese schließt jedoch die weibliche Form mit ein. 2 Die Begriffe (Cyber)bullying und (Cyber-)Mobbing werden in ...
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Sabrina Kern

Cyber-Mobbing Mobbing unter Digital Natives - Formen und Folgen von Sozialer Aggression im Internet

Kern, Sabrina: Cyber-Mobbing: Mobbing unter Digital Natives - Formen und Folgen von Sozialer Aggression im Internet. Hamburg, Diplomica Verlag GmbH 2015 Buch-ISBN: 978-3-95850-752-4 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95850-252-9 Druck/Herstellung: Diplomica® Verlag GmbH, Hamburg, 2015

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Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................................................................................. 3 1. Traditionelles Mobbing ................................................................................................... 6 1.1 Definitionen und Formen ............................................................................................ 6 1.2 Charakteristik der Beteiligten ...................................................................................... 8 1.3 Folgen für das Opfer .................................................................................................. 11 1.4 Zusammenfassung ..................................................................................................... 12 2. Cyberspace ..................................................................................................................... 13 2.1 Online-Kommunikation ............................................................................................. 13 2.1.1 Definition ............................................................................................................ 13 2.1.2 Merkmale ............................................................................................................ 15 2.1.3 Theorien und Modelle ........................................................................................ 17 2.2 Internet und Handy: Dienste und Anwendungen ...................................................... 19 2.3 Internet- und Handynutzung von Jugendlichen ......................................................... 24 2.4 Medienkompetenz ..................................................................................................... 26 2.5 Zusammenfassung ..................................................................................................... 27 3. Cyber-Mobbing.............................................................................................................. 29 3.1 Definition ................................................................................................................... 29 3.2 Merkmale ................................................................................................................... 31 3.3 Häufigkeit .................................................................................................................. 35 3.4 Formen und Methoden .............................................................................................. 37 3.5 Wie und wo findet Cyber-Mobbing statt? ................................................................. 42 3. 6 Charakteristik der Beteiligten ................................................................................... 47 3.7 Wahrnehmung, Reaktionen und Strategien der Opfer auf Cyber-Mobbing.............. 52 3.8 Folgen ........................................................................................................................ 55 3.9 Zusammenfassung ..................................................................................................... 58 4. Sozialpädagogische Handlungsansätze ........................................................................ 60 4.1 Soziale Arbeit an Schulen ......................................................................................... 60 4.2 (Online-)Beratung...................................................................................................... 73 4.3 Öffentlichkeitsarbeit .................................................................................................. 75 4.4 Zusammenfassung ..................................................................................................... 77 5. Fazit ................................................................................................................................ 79 Tabellenverzeichnis ........................................................................................................... 81 Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 82

Einleitung Nach einer Reise stellte eine Schülerin fest, dass ihre Klassenkameraden1 nicht mehr mit ihr sprechen wollten und bemüht waren möglichst viel Abstand zu ihr zu halten. Es stellte sich heraus, dass in ihrer Klasse eine SMS mit dem Gerücht kursierte, sie habe sich auf ihrer Reise mit SARS infiziert (Wachs 2009, 30 nach Gianetti und Sargarese 2006). Ein 15-jähriger kanadischer Jugendlicher filmte sich selbst während er Szenen aus den bekannten Star Wars Filmen nachstellte. Mitschüler veröffentlichten das Video, ohne sein Wissen, auf der Videoplattform Kazaa. Dort avancierte es unter dem Namen „Star Wars Kid“ in kürzester Zeit zu einem der meist angeklickten Videos, über das sich mittlerweile geschätzte 900 Millionen Menschen amüsierten. Der Betroffene musste wegen ständiger Hänseleien und der emotionalen Belastung, unter der er litt, die Schule wechseln und sich in psychiatrische Behandlung begeben (Hillenbrand, 2003; Niemann 2003). Eine Gruppe Mitschülerinnen verhöhnte Alan über Instant Messaging aufgrund seiner kleinen Größe und forderte ihn auf, Dinge zu tun, die er nicht konnte. Sie behaupteten die Welt wäre ein besserer Ort wenn er Suizid begehen würde. Alan diskutierte das mit ihnen. Die Mädchen dachten es wäre alles ein großer Spaß. An einem Nachmittag holte Alan die Schrotflinte seines Großvaters, lud sie und nahm sich das Leben. Er hatte bis auf folgende Nachricht alles von seinem Computer gelöscht: „Der einzige Weg den Respekt zu bekommen den du verdienst, ist zu sterben.“ (Willard 2007, 1). Diese drei Beispiele beschreiben ein Phänomen, das in den letzten Jahren zunehmend in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt: Cyber-Mobbing. Mit diesem Begriff wird Mobbing über Internet und Handy bezeichnet. Diese neuartige Erscheinung wird im englischen Sprachraum Cyberbullying2 genannt und ist erst seit wenigen Jahren Gegenstand der Forschung. Die Besonderheiten von Online-Kommunikation sowie die sog. „MitmachAnwendungen“ des Web 2.0, bilden die Grundlagen für Cyber-Mobbing. Denn sie ermöglichen es, ohne großen Aufwand und anonym, kompromittierende Inhalte zu veröffentlichen, Gerüchte zu verbreiten oder andere Personen zu beleidigen. Die genannten Beispiele verdeutlichen die Relevanz des Themas und dessen weitgreifende Auswirkungen. Und sie sind keineswegs Einzelfälle, in der Presse häufen sich Berichte über Jugendliche, die Suizid begingen, nachdem sie zuvor Opfer von (Cyber-)Mobbing

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Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden bei der Nennung von Personen die männliche Form verwendet, diese schließt jedoch die weibliche Form mit ein. 2 Die Begriffe (Cyber)bullying und (Cyber-)Mobbing werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet.

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geworden waren. Daher ist es wichtig, Präventions- und Interventionsstrategien zu entwickeln, um dem Phänomen entgegen zu wirken. Die folgende Untersuchung beschäftigt sich mit nachstehenden Fragestellungen: Durch welche Merkmale zeichnet sich Cyber-Mobbing aus? Wie häufig tritt das Phänomen auf? Welche Erscheinungsformen gibt es? Wie lassen sich die Beteiligten charakterisieren? Welche Folgen hat Cyber-Mobbing für die Opfer? Ziel ist es, einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Cyberbullying zu geben und Sozialpädagogische Handlungsansätze zum Umgang mit der Problematik darzulegen. Die Fragestellungen werden anhand der Auswertung aktueller Fachliteratur diskutiert. Als ergänzende Informationsquelle wurden Experteninterviews herangezogen. Da Cyber-Mobbing ein sehr umfangreiches Themengebiet mit vielen unterschiedlichen Aspekten ist (z.B. Cyber-Mobbing unter Erwachsenen, Cyber-Mobbing von Lehrern durch Schüler, sexuelle Belästigung im Internet etc.), ist es notwendig, das Thema näher einzugrenzen. Die vorliegende Studie konzentriert sich auf Cyber-Mobbing unter Kindern und Jugendlichen3, weil angloamerikanische Untersuchungen und Studien sich überwiegend auf diese Zielgruppe beschränken. Zudem nimmt das Internet vor allem im Leben junger Menschen eine wichtige Rolle ein, die dieses als Teil ihres sozialen Lebens sehen und die technischen Fertigkeiten besitzen, es zu nutzen. Ferner setzen die erläuterten Präventionsund Handlungsmöglichkeiten Sozialer Arbeit hauptsächlich bei dieser Zielgruppe an. Die Nutzung des Internets bei Cyber-Mobbing steht in dieser Untersuchung im Vordergrund. Befasst man sich mit Cyber-Mobbing, liegt es nahe, zunächst dessen Grundlagen zu erläutern. Dies erfolgt im ersten Kapitel mit einem Überblick über traditionelles Mobbing, da im späteren Verlauf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Cyber-Mobbing thematisiert werden. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem Cyberspace, der virtuellen Welt. Hierbei werden speziell Online-Kommunikation, deren Merkmale sowie damit verbundene Theorien und Modelle betrachtet, da sie die Basis für Cyberbullying bilden. Des Weiteren wird eine Darstellung möglicher Internet- und Handydienste bzw. -anwendungen vorgenommen und auf deren Nutzung durch Jugendliche eingegangen. Das Konzept der Medienkompetenz wird ebenfalls erläutert, da die genannten Punkte wichtige Grundlagen für die weitere Untersuchung liefern. Kapitel 3 zeigt den aktuellen Forschungsbestand über Cyber-Mobbing auf. Zunächst erfolgt eine Begriffsklärung. Anschließend wird ein Überblick über die identifizierten 3

Damit ist die Altersgruppe der 12- 19-Jährigen gemeint, wobei diese Altersgrenze nicht als exakte Eingrenzung, sondern als Anhaltspunkt zu verstehen ist.

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Merkmale gegeben, gefolgt von Angaben zur Häufigkeit des Phänomens. Nach einer Vorstellung der verschiedenen Formen und Methoden von Cyber-Mobbing, wird verdeutlicht wie und wo es stattfinden kann. Bevor auf Wahrnehmung, Reaktionen und Strategien der Opfer eingegangen wird, wird eine Charakteristik der Beteiligten vorgenommen. Das Kapitel schließt mit der Darstellung der Folgen für die Opfer. Ausgehend von den beschriebenen Inhalten werden in Kapitel 4 mögliche Sozialpädagogische Handlungsansätze präventiver und intervenierender Art aufgezeigt. Hierbei werden speziell die Bereiche Sozialarbeit an Schulen, (Online-)Beratung sowie Öffentlichkeitsarbeit betrachtet. Abschließend wird in Kapitel 5 ein Fazit gezogen, indem die Ergebnisse der Studie dargestellt werden.

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1. Traditionelles Mobbing Im nachstehenden Kapitel erfolgt zunächst eine Definition von Mobbing und eine Abgrenzung zu anderen Begriffen und Verhaltensphänomenen. Anschließend wird auf die Formen von Mobbing sowie die Akteure eingegangen, die bei Mobbing eine Rolle spielen, indem eine Charakterisierung von Tätern, Opfern und Zuschauern vorgenommen wird. Speziell wird auf die Folgen von Mobbing für die Opfer eingegangen.

1.1 Definitionen und Formen Im Englischen spricht man von bullying („Bully“ = brutaler Kerl), wenn Jugendliche sich in irgendeiner Form wiederholt gewalttätig gegenüber anderen Jugendlichen verhalten, während sich im Deutschen die Bezeichnung Mobbing durchgesetzt hat.4 Es ist zu beachten, dass sich der Begriff Mobbing im Deutschen sowohl auf Bullying in der Schule bzw. unter Jugendlichen, als auch auf die gezielte Schikanierung und Belästigung von Erwachsenen am Arbeitsplatz beziehen kann (Leymann 2006, 22). Er leitet sich vom englischen Verb „to mob“ ab, was soviel bedeutet wie anpöbeln oder schikanieren.5 Dies kann den Eindruck erwecken, es müsse sich immer um eine Gruppe von Tätern handeln (Mob = der Pöbel), es kann sich jedoch auch um einen Täter handeln, der allein agiert. Die meisten Autoren orientieren sich an der Mobbing-Definition von Olweus, die auch im weiteren Verlauf der Studie bei der Definition von Cyber-Mobbing eine Rolle spielt: „Ein Schüler oder eine Schülerin ist Gewalt ausgesetzt oder wird gemobbt, wenn er oder sie wiederholt und über eine längere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Schüler oder Schülerinnen ausgesetzt ist“ (Olweus 2006, 22). Negative Handlungen sieht Olweus dann als gegeben an, wenn folgende vier Komponenten vorliegen: 1.

Wiederholungsaspekt: Die Angriffe müssen wiederholt und über einen längeren Zeitraum stattfinden.

2.

Verletzende Absicht: Die Angriffe müssen darauf abzielen dem Opfer psychischen und/oder physischen Schaden zuzufügen.

3.

ein Kräfteungleichgewicht, also ein Machtgefälle zu Gunsten des Täters: Diese Kräftediskrepanz kann auf verschiedenen Komponenten, wie physischer Überle-

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Hier ist anzumerken, dass die Übersetzungsschwierigkeiten des Wortes bullying dazu führen, dass verschiedene Studien mit unterschiedlichen Begriffen arbeiten und so zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. 5 Den Begriff verwendete zuerst der Verhaltensforscher Konrad Lorenz, der damit Gruppenangriffe von unterlegenen Tieren bezeichnete, um einen überlegenen Gegner zu verscheuchen.

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genheit, verbalen oder sozialen Fähigkeiten oder dem Status in der Peergruppe, basieren (Scheithauer et al. 2008, 38) 4.

Hilflosigkeit: Das Opfer ist klar unterlegen, hilflos und hat Mühe sich zu verteidigen. Es fühlt sich der Situation und dem Täter ausgeliefert.

Die meisten Autoren übernehmen diese Elemente in ihren Definitionen und ergänzen sie teilweise noch um weitere Aspekte, wie die Inakzeptabilität des Verhaltens und einen normativen Charakter (Smith und Brain 2000, 1). Eine ausführliche Definition von Mobbing in der Schule gibt Gollnick (2006, 36): „Unter Mobbing wird eine konfliktbelastete Kommunikation in der Klasse/im Kurs (…) verstanden, bei der die angegriffene Person systematisch, oft und während längerer Zeit mit dem Ziel und/oder dem Effekt der Ausgrenzung aus der Lerngruppe direkt oder indirekt angegriffen wird und dies als Diskriminierung empfindet. Dabei sind die Angriffe in verletzender Weise tendiert und können sich gegen einzelne, aber auch gegen eine Gruppe richten und von einzelnen oder von einer Gruppe ausgehen.“

Bullying kann direkt oder indirekt stattfinden und sich in verschiedenen Äußerungsformen manifestieren, z.B. verbal (verspotten, beleidigen), psychologisch (ausgrenzen, Gerüchte verbreiten) und körperlich (schlagen, spucken) (Fawzi 2009, 9). Scheithauer et al. (2003, 28ff.) unterscheiden zwischen Indirekter Aggression „soziale Manipulation, die eine Zielperson auf Umwegen attackiert“; Relationaler Aggression „Verhalten, dass die Beziehungen einer Person zu Gleichaltrigen oder die Gefühle der sozialen Zugehörigkeit und Akzeptanz beschädigt“; Sozialer Aggression „Manipulation der Akzeptanz in der Gruppe durch Diffamierung, Ächtung oder Entfremdung“; und Psychischer Aggression „jegliche nicht-physische Aggressionen wie Beleidigungen (…) und somit auch verbal-aggressive und relational-aggressive Verhaltensweisen“. Leymann (2006, 33f.) befasst sich zwar explizit mit Mobbing am Arbeitsplatz, sein Schema, nach dem er die Verhaltensweisen der Täter kategorisiert, lässt sich jedoch auch auf das Mobbing zwischen Jugendlichen übertragen. Leymann identifiziert fünf Ansatzpunkte: 1. Angriffe auf die Möglichkeiten sich mitzuteilen, bspw. durch Drohungen 2. Angriffe auf die sozialen Beziehungen, z.B. das Ignorieren oder „Schneiden“ des Opfers 3. Auswirkungen auf das soziale Ansehen, durch das Verbreiten von Gerüchten oder lächerlich machen des Opfers

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