Category A (short poems)

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,. In allen Lüften hallt es wie Geschrei,. Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei. Und an den Küsten – liest man ...
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Category A (short poems)

Johann Wolfgang Goethe: „Wandrers Nachtlied“ Der du von dem Himmel bist, Alle Freud und Schmerzen stillest, Den, der doppelt elend ist, Doppelt mit Erquickung füllest; Ach, ich bin des Treibens müde! Was soll all die Qual und Lust? Süßer Friede, Komm, ach komm in meine Brust!

Nelly Sachs: „Auf und ab gehe ich“ Auf und ab gehe ich in der Stubenwärme Die Irren im Korridor kreischen mit den schwarzen Vögeln draußen Um die Zukunft Unsere Wunden sprengen die böse Zeit aber die Uhren gehen langsam -

Christian Morgenstern: „Der Schnupfen“ Ein Schnupfen hockt auf der Terrasse, auf dass er sich ein Opfer fasse - und stürzt alsbald mit großem Grimm auf einen Menschen namens Schrimm. Paul Schrimm erwidert prompt: "Pitschü!" und hat ihn drauf bis Montag früh.

Category B (mid-length poems) Friedrich Hölderlin, „Hälfte des Lebens“ Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen Das Land in den See, Ihr holden Schwäne, Und trunken von Küssen Tunkt ihr das Haupt Ins heilignüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm’ ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den Sonnenschein, Und Schatten der Erde? Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen.

Jakob van Hoddis: „Weltende“ Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, In allen Lüften hallt es wie Geschrei, Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut. Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken. Die meisten Menschen haben einen Schnupfen. Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Zafer Şenocak: „In diesem Gedicht sind keine Tiere“ In diesem Gedicht sind keine Tiere nur Wörter die früher einmal Tiere gewesen sind sie wurden gefangen und gezähmt diese Tiere sind nicht in diesem Gedicht nur solche die erlegt wurden und von denen nur jene die ihren Tod überlebt haben sie fanden Unterschlupf in den Seelen ihrer Jäger vermehrten sich unbeobachtet ihre Jungen lernten Sprechen wir können sie nicht sehen doch müssen wir aufschreiben was sie uns zu sagen haben

Category C (longer poems) Rainer Maria Rilke: Archaïscher Torso Apollos Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt, darin die Augenäpfel reiften. Aber sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber, in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt, sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug der Brust dich blenden, und im leisen Drehen der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen zu jener Mitte, die die Zeugung trug. Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz unter der Schultern durchsichtigem Sturz und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle; und bräche nicht aus allen seinen Rändern aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

Ingeborg Bachmann: „Die gestundete Zeit“ Es kommen härtere Tage. Die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont. Bald mußt du den Schuh schnüren und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe. Denn die Eingeweide der Fische sind kalt geworden im Wind. Ärmlich brennt das Licht der Lupinen. Dein Blick spurt im Nebel: die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont. Drüben versinkt dir die Geliebte im Sand, er steigt um ihr wehendes Haar, er fällt ihr ins Wort, er befiehlt ihr zu schweigen, er findet sie sterblich und willig dem Abschied nach jeder Umarmung. Sieh dich nicht um. Schnür deinen Schuh. Jag die Hunde zurück. Wirf die Fische ins Meer. Lösch die Lupinen! Es kommen härtere Tage.

Johann Wolfgang Goethe: „Der Erlkönig“ Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind; Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm. Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? – Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif? – Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. – „Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir; Manch’ bunte Blumen sind an dem Strand, Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“ – Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht? – Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; In dürren Blättern säuselt der Wind. – „Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“ – Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort? – Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau: Es scheinen die alten Weiden so grau. – „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ – Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids getan! – Dem Vater grauset’s; er reitet geschwind, Er hält in Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Mühe und Not; In seinen Armen das Kind war tot.