Familie Schoch! Gerne würden wir euch mit Liebe Familie Schoch ansprechen, doch leider habt ihr unsere Zuneigung verspielt. Auch Sehr geehrte Familie Schoch scheint uns unpassend, denn mit Ehre hat das Tun, das diesem Brief voranging, leider nichts zu tun. Hallo Familie Schoch wäre eine Möglichkeit. Am besten vielleicht noch: Aber Hallo Familie Schoch! Ihr ahnt es wohl bereits – unser Brief bezieht sich auf die Vorfälle in der Nacht vom 2. auf den 3. März 2013. Und doch beginnt die Geschichte ganz anders. Mit einem historischen Abriss und einigen Gemeinsamkeiten vielleicht. Spätestens aber mit den 1980er Jahren, als in der Stadt Zürich günstiger Wohnraum knapp wird und sich einige Bewohner und Gewerbetreibende an der Ecke Zweier-‐/Ankerstrasse zusammenschliessen, um gegen die Gentrifizierung, die damals noch Wiederbelebung genannt wurde, anzukämpfen. Die Stadt Zürich als Besitzerin der Liegenschaften will abreisen, verdichten, maximieren – die Bewohner wollen bewohnen, leben und dies weiterhin zu fairen Bedingungen. Folglich gründen sie den Verein Das Dreieck, besetzen die leer stehenden Häuser und versuchen mit kreativen Aktionen die Bevölkerung hinter sich zu bringen im Kampf gegen Spekulation und vorsorgliche Vertreibung. Die Stadt fährt mit Baggern auf und reisst ein noch immer besetztes Haus an der Zweierstrasse ein. Die Fassade fällt – Ironie der Geschichte – direkt auf den verantwortlichen Architekten. Mit ihm stirbt das Neubauprojekt. Geboren ist dafür die Idee des selbstverwalteten Wohnens. Nach 10 jährigem Kampf gelingt es der 1996 gegründeten Genossenschaft Dreieck, das Areal im Baurecht zu übernehmen und sanft zu renovieren. Die Selbstkostenmieten bleiben moderat und die soziale Durchmischung bunt. Die Leute wohnen und leben gerne im Dreieck und beteiligen sich meist aktiv am Sozialleben sowie an neuen Projekten selbstbestimmten Wohnens. Blenden wir zurück in die Gegenwart. Die Familie Schoch setzt sich aktiv und kreativ für die Erhaltung ihres Soziotops und ihrer Klientel ein. Am Abend vom 2. März 2013 setzt sich die Familie Schoch in Bewegung um ihr Anliegen – 40 Jahre Freiraum für ein Weggli – in die Stadt zu tragen (40 Jahre Baurecht für 1 CHF). Der Zug wird angeführt von den hellen Köpfen der Schochs, erleuchtet von einem LED Transparenz, das uns klar macht: Das hier ist Geschichte, das hier ist Too Binz to Fail. In der Mitte das geistig und politisch bewegliche Fuss-‐ und Partyvolk mit rollenden Bars und Konzertbühnen. Open mindet, klar doch. Hinterher ein paar Jungs, die vorbildlich die leeren Trinkgefässe einsammeln und die Social Responsibility aufzeigen. Was danach kommt, darüber gibt es verschiedene Auffassungen. Klar ist lediglich: An der Ankerstrasse kommt es zu einigen Handlungen, die unsere Genossenschaft direkt betreffen und die uns schmerzen. Als erstes fällt das Fehlen von mitrollenden Toilettenwagen auf. Na ja, auch die Familie Schoch kann nicht immer an alles denken: Transparenz, Roger-‐Staub-‐Mütze, Bier... fehlt noch was? Dann los! Jedenfalls ist das Bier getrunken, die Blase voll, der Dreieck Innenhof dunkel und die Gelegenheit günstig. Es sei euch verziehen – unterdessen hat es geregnet, ja gar nochmals geschneit und der Uringestank ist weg. Als zweites fehlen Wurfgegenstände im Umzug der Schochs, weil die leeren Getränkeflaschen bereits anderweitig gegen kapitalistische Quartierlädeli geworfen
worden sind. Irgendwie war eure Recyclingtruppe doch nicht effizient genug beim Einsammeln potentieller Wurfgeschosse. Die Gelegenheit ist wiederum günstig und so wird die Urin getränkte Erde unserer Rabatten nach wertvollen Steinen umgegraben und weggetragen. Auch dies sei euch verziehen – nicht wir haben uns dabei die Finger schmutzig gemacht. Was uns aber wirklich wütend macht und zu diesem nun doch bereits längeren Schreiben an euch Anlass gib, ist lediglich ein einziges Wort, hingeschmiert auf die Sandsteinmauer unserer Genossenschaft. Da steht hässlich, aber dennoch leserlich: YUPPIES Dieses eine Wort hat unsere Bewohner getroffen. All die anderen Schmierereien und Sachbeschädigungen können wir irgendwie verkraften. Soweit möglich wurden diese unterdessen von uns übermalt oder abgeschliffen (Sandstein ist wirklich nicht der ideale Untergrund für eure Schmierereien). Aber „Yuppies“?! Was sollen wir mit diesem Wort anfangen? Ist dies das Menschenbild der Familie Schoch? Weil wir es uns leisten können, ja leisten müssen, jährlich Baurechtzins an die Stadt abzuliefern, sind wir in euren Augen überbezahlte, karrieregeile Grossstädter? Yuppies, weil wir Jahrzehnte lang für tiefe Mieten gekämpft haben und nicht wie ihr, für gar keine Mieten? Weil wir für Wohnraum für alle und nicht nur für Wohnraum für die eigene Familie einstehen? Wir verstehen es nicht. Gerne erwarten wir von euch eine Erklärung und eine Wiedergutmachung. Und bei der Gelegenheit, bringt doch bitte auch das Transparent zurück, das ihr uns in besagter Nacht geklaut habt. Sinnigerweise steht darauf: MEHR NACHBARSCHAFT Es passt irgendwie besser zu uns als zu euch. Mit genossenschaftlichen Grüssen Das Dreieck