Bilder der Vergangenheit

von Coco Chanel. Sie hatte sogar einige Klei- der. Aber sie war nicht nur von der Mode an- getan, sondern vor allem von Cocos Selbstän- digkeit. Je älter meine ...
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Susanna Länger

Bilder der Vergangenheit Roman

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© 2015 AAVAA Verlag Alle Rechte vorbehalten 1. Auflage 2015 Umschlaggestaltung: AAVAA Verlag Coverbild: fotolia, Familienbuch, 37292367 Urheber: PixelPower Printed in Germany

AAVAA print+design Taschenbuch: Großdruck: eBook epub: eBook PDF: Sonderdruck:

ISBN 978-3-8459-1629-3 ISBN 978-3-8459-1630-9 ISBN 978-3-8459-1631-6 ISBN 978-3-8459-1632-3 Mini-Buch ohne ISBN

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Kapitel 1 2002 Die alte Dame kramte in selten geöffneten Laden und stapelte alte Fotoalben auf einen kleinen Tisch, der neben der Kommode stand. „Was machst du da?‚, fragte Elisabeth. „Ach, nichts Besonderes. Mir fielen neulich diese Fotobücher in die Hände, als ich irgendetwas anderes suchte!‚ Sie lachte ein wenig verschmitzt, dann fragte Mimi ihre Enkeltochter, ob sie sich mit ihr zusammen alte Bilder ansehen möchte. „Ja, sehr gerne!‚ „Das sind deine Urgroßmama und deine Großtante Alma.‚ Versonnen zeigte die alte Dame auf eines der Bilder. „Mein Gott, war Almschi ein süßes Kind!‚ Es war auch wirklich eine allerliebste Fotografie, nicht ganz so steif wie die vorherigen. Hier saß ein etwa vierjähriges Mädchen auf dem Schoß seiner 4

Mutter. Die junge Frau hielt die Händchen der Kleinen ein wenig nach unten. Offensichtlich versuchte sie das stürmische Kind ruhig vor den Fotografen zu bannen. Beide lachten herzlich. Noch 75 Jahre später erkannte Elisabeth die Innigkeit, die zwischen Mutter und Tochter geherrscht haben musste. „Lass uns noch mehr alte Fotos anschauen!‚ Elisabeth war ehrlich begeistert, als sie die Bilder ihrer Vorfahren zum ersten Mal sah. „Erzähl mir ein bisschen von deinen Schwestern und deinen Eltern‚, bat sie ihre Großmutter. „Ach, das wird dich nicht interessieren. Ich weiß auch gar nicht, wo ich beginnen soll.‚ „Das interessiert mich sogar sehr. Beginn einfach am Anfang! Ich koche uns noch rasch einen guten Tee, dann erzählst du!‚ Elisabeth ging in die Küche und stellte Wasser für den Tee auf. Als sie mit der heißen Kanne wieder ins Wohnzimmer zurückkam, blätterte ihre Großmutter in einem der Alben. Ein Bild betrachtete sie lange und eingehend. 5

Es zeigte ein überaus junges Mädchen im züchtig hochgeschlossenen Brautkleid und einen stattlichen Herrn in Marineuniform. Die Braut hielt einen riesigen Blumenstrauß in der Hand, sodass von dem pompösen Kleid fast nichts zu sehen war. Ein langer Schleier kräuselte sich am Boden. Im Hintergrund sah man schemenhaft das Portal einer Kirche. Elisabeth betrachtete lange die schöne Fotographie. „Bist das du?‚ Es klang ein wenig wehmütig. ‚Schade, dass es so ein Bild von dir nicht gibt, es wohl auch nie geben wird,’ dachte die Ältere. Laut sagte sie: „Nein, das sind meine Eltern. Sie haben in der Schottenkirche geheiratet. Mein Vater war sehr fesch, damals in seiner Uniform.‚ „Wann war das? War da Krieg?‚ „Ja, meine Eltern, also deine Urgroßeltern haben 1917 geheiratet, am 19. Oktober; es war immer noch Krieg. Der war ja erst im November 1918 zu Ende. Meine Mutter hat mir oft von ihrer Hochzeit erzählt, sodass ich auch so eine wollte. Das ist mir neunzehn Jahre später 6

tatsächlich gelungen.‚ Ein wenig sarkastisch fügte sie hinzu: „Nur auf den Krieg haben wir noch drei Jahre warten müssen.‚ Die alte Dame streichelte zärtlich über die Fotografie. Dann blätterte sie einige Seiten zurück. „Schau, hier ist meine Mama, knapp vor ihrer Hochzeit‚. Das Bild zeigte eine elegante junge Dame in langem, fließendem Kleid. „Das war eine tolle Mode, die meine Urgroßmutter damals trug!‚, rief Elisabeth begeistert. „Einige Jahre zuvor gab es sogar noch Mieder. Meine Mama erzählte mir einmal, dass sie sich noch erinnern konnte, wie sich ihre eigene Mutter am Bettpfosten anhielt und ein Dienstmädchen ihr das Mieder schnüren musste. Später kam dann die Wespentaille in Mode und sehr auffällige Ärmelkreationen.‚ „Gibt es Bilder aus der damaligen Zeit?‚ Mimi blätterte in dem Album hin und her, fand aber keines. 7

„Es muss schön gewesen sein, solche Kleider zu tragen‚, sagte Elisabeth schwärmerisch. „Aber nur, wenn du aus reichem Hause warst! Die damalige Mode machte den Klassenunterschied wieder sehr deutlich, denn mit den eng anliegenden Röcken, Schleppen und den unverzichtbaren Sonnen- beziehungsweise Regenschirmen konnten Frauen nicht arbeiten. Die Mode eignete sich nur zum Flanieren und Schönsein.‚ Mimi lachte, als sie von einer längst vergangenen Zeit erzählte. „Hast du auch noch solche Kleider getragen?‚ „Nein, Kindchen! Ich bin zwar alt, aber so alt auch wieder nicht. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden die Kleider kürzer und bequemer. In meiner Jungend war die sogenannte Kriegskrinoline modern, weite glockenförmige Röcke, mit vielen Unterröcken. Das betonte die weibliche Figur und die Taille!‚ „Du hast sicher fantastisch ausgesehen, dünn wie du warst.‚ Mimi erwiderte nichts auf das 8

Kompliment ihrer Enkeltochter. Dünn war sie gewesen, sehr sogar, aber das hatte wenig mit Mode zu tun. „Meine Mama bevorzugte lange fließende Kleider. Sie war eine begeisterte Anhängerin von Coco Chanel. Sie hatte sogar einige Kleider. Aber sie war nicht nur von der Mode angetan, sondern vor allem von Cocos Selbständigkeit. Je älter meine Mama wurde, desto mehr wurde sie ihr zum Vorbild. Diese Fortschrittlichkeit hat sie ganz offensichtlich weiter vererbt, zumindest der Almschi.‚ „Eine interessante Dame, deine Mutter! Habt ihr euch sehr nahe gestanden?‚ „Ja sehr. Ich liebte sie über alles. Sie war eine mutige, für die damalige Zeit ungewöhnlich modern denkende Frau. Sie hat ihre Mutter jung verloren, und ihr Vater kam über deren Tod nicht hinweg. Er war stets verbittert und wortkarg. Ich habe mich immer ein wenig vor ihm gefürchtet, wenn wir bei ihm zum Essen waren. Meine Schwestern und ich durften nie reden und sollten eigentlich unsichtbar sein! 9

Aber er war Kinder auch nicht gewöhnt, denn er hatte nach dem Tod seiner Frau die Erziehung seiner einzigen Tochter einer ältlichen Kinderfrau überlassen. Später kam sie in ein Internat nach England.‚ „War das nicht sehr traurig für sie? Der Tod der Mutter und dann musste sie noch von zu Hause weg?‚ „Ihr Vater fand es als das Beste. Wahrscheinlich war er selbst schon so erzogen worden. Intellektuelle Eltern vertraten damals den Standpunkt, dass Bildung das Wichtigste sei.‚ „Und Arbeiterkinder mussten früh lernen, was es heißt zu arbeiten‚, warf Elisabeth ein. „Da hast du Recht. Für Kindsein blieb wenig Zeit.‚ „War das auch noch in deiner Kindheit so üblich?‚ „In vielen Familien schon. Bei uns sorgte aber Mama für eine ausgesprochen harmonische Kindheit. Sie war so ein sanguinischer Mensch.‚ Mimi lächelte versonnen, als sie jetzt ihrer verstorbenen Mutter gedachte. „So10

gar dem strengen, trostlosen Internat versuchte sie Positives abzugewinnen. Sie hatte einen kleinen Hund, einen Foxterrier, den nahm sie heimlich mit und deponierte ihn bei dem Hausmeister der Schule. Als das aufflog, hätte sie beinahe die Schule verlassen müssen, denn es war streng verboten Haustiere zu halten. Ich glaube, sie hat den Foxl dann woanders untergebracht. Sie liebte Hunde!‚ „Wie lange war deine Mama in England?‚ „Bis zum Beginn des ersten Weltkrieges. Dann lebte sie wieder in Wien und ein Jahr in Konstantinopel. Dort lernte sie meinen Vater kennen!‚ Beim Weglegen des Fotoalbums fiel ein Bild heraus. Es war offensichtlich einmal eingeklebt gewesen, denn Elisabeth sah noch alte Klebereste. Mimi betrachtete lange das Bild, das ihre jüngste Schwester zeigte. Die Ähnlichkeit mit der Mutter war nicht zu übersehen. „Das hier ist deine Großtante Alma. Sie glich nicht nur im Aussehen aufs Haar unserer 11

Mutter, sie hatte auch deren lebenslustige Art geerbt. Als sie vier oder fünf Jahre alt war, schockierte sie einmal eine Gesellschaft unserer Eltern. Einige Kollegen unseres Vaters und deren Gattinnen waren im Salon versammelt und wollten gerade zu Tisch gehen, als Almschi hereinstürmte. Doch sie knickste nicht höflich, wie es von ihr erwartet wurde, sondern schlug ein Rad nach dem anderen. Ihre weiten Röcke flogen lustig in die Höhe und jeder der Anwesenden konnte ihre rüschenbesetzte Unterhose sehen. Zum Entsetzen unseres Vaters war dies Tagesgespräch in Wien‚, Elisabeth musste lachen. „Ja, ja, die Zeiten haben sich sehr geändert. Heute würde das niemand mehr beeindrucken‚, sinnierte die alte Dame. „Was haben eure Eltern dazu gesagt?‚ „Mein Vater hielt Alma eine gehörige Strafpredigt, wobei er besonders ihr schamloses Verhalten tadelte. Aber meine Mama lachte, allerdings nur vor mir! Sie erzählte mir, dass Almschi, das kleine Luder, ihrem Vater auf 12

den Schoß geklettert und ihm ins Ohr geflötet hatte, dass, wenn sie eine Tageshose getragen hätte, es ihm nicht so peinlich gewesen wäre. Dann küsste sie ihn auf beide Wangen. Sie hatte wieder einmal gewonnen!‚ „War dein Vater streng mit euch Mädchen?‚ „Nein, nicht wirklich streng. Dazu war er, glaube ich, zu vernarrt in seine vier Damen! Obwohl ich manchmal den Eindruck hatte, dass Josefine immer ein wenig vernachlässigt wurde.‚ „Inwiefern?‚, fragte Elisabeth. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen! Aber ich habe ja leider auch keine Geschwister.‚ Darauf wollte Mimi nichts erwidern. „Als Alma geboren wurde, rechnete unser Vater nicht mehr mit einem Sohn und Erben. Hin und wieder klagte er, was wohl mit seiner gut gehenden Praxis eines Tages geschehen würde. Die Mädchen könnten doch auch Medizin studieren, erwiderte unsere Mutter mitunter. Wir leben schließlich im 20. Jahrhundert. Aber er hielt nicht viel von seinen weib13

lichen Kollegen. Sie bekommen dann Kinder und sind nicht mehr so belastbar, oder sie werden Blaustrümpfe. Solche Töchter wünscht sich kein Vater, erwiderte er. Diese Angst war allerdings unbegründet. Ich war schon als Kind ein modebewusstes Persönchen, sehr auf mein Äußeres bedacht. Selten machte ich meine weißen Strümpfe oder die adretten Kleider schmutzig. Als ich älter wurde, liebte ich Mode, Schmuck, Musik und all die vielen schönen Dinge, die es in unserer Umgebung gab. Dies trug mir nicht selten die Kritik meiner jüngeren Schwester ein. Josefine, die unter keinen Umständen Fini oder Josy gerufen werden wollte, war so ganz anders als Almschi und ich. Sie war immer ernst, erledigte die ihr gestellten Aufgaben gut, aber nie herzlich oder voll Freude. Unsere Mutter verstand diese Tochter manchmal nicht. Es schien, als ob für Josefine alles eine Last wäre. Mit Almas Geburt wurde dies noch ausgeprägter. Rückblickend tut sie mir leid. Josefine war von Anfang an das, was man ein Sand14

wichkind nennt, manches Mal die Große, mit Pflichten, dann wieder die Kleine ohne Rechte. Unsere Mutter versuchte immer wieder Josefines Hang zur Biederkeit entgegenzuwirken. Aber je älter sie wurde, desto ausgeprägter wurde dieser Wesenszug, von dem niemand wusste, woher sie ihn hatte.‚ Je ausführlicher Mimi von den alten Zeiten sprach, desto lebhafter wurde ihre Schilderung. „Unser Vater war sehr konservativ und hielt teilweise an althergebrachten Dingen fest. Er überzeugte stets durch Belesenheit und Bildung, ohne schulmeisterlich zu wirken. Er war auch keinesfalls ein engstirniger Mensch. Meine Eltern besprachen viele Dinge miteinander. Das war in damaliger Zeit durchaus nicht die Norm. Vor allem wenn die Ehefrau nicht die Meinung ihres Gatten voll und ganz teilte. Und das tat unsere Mutter wirklich nicht immer!‚ Mimi musste kichern, als sie an die längst vergangenen Dinge dachte. 15