Betriebliches Gesundheitsmanagement: Bedeutung, Nutzen und ...

3.15.1 Direkte Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen und Unfälle . ...... einer repräsentativen Umfrage der Initiative Gesundheit & Arbeit (IGA) aus dem Jahr ...
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Michael Degner

Betriebliches Gesundheitsmanagement Bedeutung, Nutzen und Handlungsansätze für Unternehmen

disserta Verlag

Degner, Michael: Betriebliches Gesundheitsmanagement. Bedeutung, Nutzen und Handlungsansätze für Unternehmen. Hamburg, disserta Verlag, 2016 Buch-ISBN: 978-3-95935-264-2 PDF-eBook-ISBN: 978-3-95935-265-9 Druck/Herstellung: disserta Verlag, Hamburg, 2016 Covermotiv: © carlosgardel – Fotolia.com

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Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung und Problemstellung ...................................................................................... 11 2 Zielsetzung ......................................................................................................................... 19 3 Gegenwärtiger Kenntnisstand ......................................................................................... 20 3.1

Was ist Gesundheit? .................................................................................................... 20

3.2

Sichtweisen der Gesundheit (Salutogenese Modell) ................................................... 20

3.3

Unterschied Arbeitsschutz (AS) vs. betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) vs. betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) ............................................... 22

3.3.1

Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ........................................................................... 23

3.3.2

Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) .......................................................... 24

3.3.3

Betriebliches Gesundheitsmanagement ................................................................ 25

3.4

Definition betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ......................................... 26

3.5

Entstehung des betrieblichen Gesundheitsmanagements ............................................ 27

3.6

Aufbau des betrieblichen Gesundheitsmanagements .................................................. 28

3.7

Akteure des betrieblichen Gesundheitsmanagement .................................................. 35

3.8

Ziele und Kennzahlen des BGM ................................................................................. 37

3.9

BGM als Führungsaufgabe ......................................................................................... 42

3.10 Rechtliche Rahmenbedingungen................................................................................. 43 3.11 Verhalten und Verhältnisse ......................................................................................... 48 3.12 Beschreibung des aktuellen Forschungsstandes zur Gesundheitssituation in Deutschland................................................................................................................. 49 3.13 Vergleich der aktuellen Gesundheitssituation Deutschlands mit Europa ................... 51 3.14 Beschreibung des aktuellen Forschungsstandes zu Belastungen und Erkrankungen im Zusammenhang mit der Arbeit....................................................... 52 3.15 Nennung und Erläuterung der Kostenunterteilung im Zusammenhang mit arbeitsbedingten Erkrankungen................................................................................... 53 3.15.1 Direkte Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen und Unfälle ............................... 53 3.15.2 Indirekte Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen und Unfälle ............................. 54 3.15.3 Volkswirtschaftliche Kosten: ............................................................................... 55 3.15.4 Kosten durch Verlust an Arbeitsproduktivität...................................................... 56 3.15.5 Ursachen von Fehlzeiten ...................................................................................... 58 3.16 Beschreibung des aktuellen Kenntnisstandes zu „klassischen“ Handlungsansätzen für ein Betriebliches Gesundheitsmanagement ........................... 59 3.17 Herausforderungen für das betriebliche Gesundheitsmanagement............................. 61

4 Methodik............................................................................................................................ 62 4.1

Forschungsfragen ........................................................................................................ 62

4.2

Hypothesenbildung ..................................................................................................... 63

4.3

Vorstellung der Unternehmen ..................................................................................... 64

4.4

Untersuchungseinheit/Stichprobe ............................................................................... 64

4.4.1

Zusammensetzung der Stichprobe........................................................................ 64

4.4.2

Rekrutierung ......................................................................................................... 66

4.4.3

Ort und Zeitpunkt der Befragung ......................................................................... 66

4.5

Untersuchungsablauf/Untersuchungsplan ................................................................... 67

4.6

Messinstrumente ......................................................................................................... 69

4.6.1

Zusammensetzung des Fragebogens .................................................................... 71

4.7

Die Methodik der Datenerhebung ............................................................................... 71

4.8

Methodische Vor- und Nachteile der Online-Datenerhebung .................................... 71

4.9

Datenauswertung ......................................................................................................... 74

5 Ergebnisse.......................................................................................................................... 76 5.1

Deskriptive Analyse .................................................................................................... 76

5.2

Ergebnisse der Online-Befragung ............................................................................... 77

5.3

Fragen zum Unternehmen ........................................................................................... 77

5.3.1

Größe des Unternehmens (Frage 1)...................................................................... 77

5.3.2

Branchenzugehörigkeit der Unternehmen (Frage 2) ............................................ 78

5.3.3

Befindet sich das Unternehmen in einem Ballungszentrum? (Frage 3) ............... 79

5.3.4

Anteil Computerarbeit, Anteil Frauen vs. Männer und Raucherquote im Unternehmen (Fragen 4, 5 und 6) ........................................................................ 79

5.3.5

Gründe für mangelnde Leistungsfähigkeit und krankheitsbedingte Fehlzeiten bei den Beschäftigten (Fragen 20-23)................................................. 81

5.3.6

Welche gesetzlichen Regelungen werden bisher im Unternehmen umgesetzt? (Fragen 24 und 25) ............................................................................ 82

5.4

Fragen zu bisherigen BGM-Maßnahmen .................................................................... 83

5.4.1

Ist im Unternehmen bereits ein BGM eingeführt worden? (Frage 7) .................. 83

5.4.2

Ist das BGM inhaltlicher Bestandteil der Betriebs- und/oder Tarifvereinbarung? (Frage 8 und 9) ..................................................................... 84

5.4.3

Investition in das BGM vom Betriebsergebnis (Frage 10)................................... 85

5.4.4

Welcher Stelle im Unternehmen ist das BGM zur Berichterstattung unterstellt? (Frage 11) .......................................................................................... 86

5.4.5

Beweggründe zur Einführung eines BGM (Frage 12) ......................................... 87

5.4.6

Welche BGM-Maßnahmen werden bereits durchgeführt? (Frage 26) ................. 88

5.5

Fragen zu zukünftigen BGM-Maßnahmen ................................................................. 88

5.5.1

Beweggründe zur zukünftigen Einführung eines BGM (Frage 13) ..................... 88

5.5.2

Was kann BGM aus Sicht der Unternehmen leisten? (Fragen 14-19) ................. 89

5.5.3

Welche BGM-Maßnahmen würden Sie durchführen wollen? (Frage 27) ........... 90

5.5.4

Sind Zusammenschlüsse mit anderen Unternehmen zwecks burden sharing (Lastenteilung) möglich bzw. denkbar? (Frage 28) ............................................. 91

5.5.5

Welche Anforderungen haben Unternehmen an die Gestaltung eines BGM? (Fragen 29-35) ...................................................................................................... 92

5.6

Fragen zu rechtlichen Aspekten des BGM ................................................................. 93

5.6.1 5.7

Welche rechtlichen Grundlagen zum BGM sind inhaltlich bekannt? (Fragen 36-41) ................................................................................................................... 93

Beantwortung der Forschungsfragen .......................................................................... 94

5.7.1

Forschungsfrage I. ................................................................................................ 94

5.7.2

Forschungsfrage II. ............................................................................................... 99

5.8

Beantwortung und Überprüfung der Hypothesen ..................................................... 103

5.8.1

Irrtumswahrscheinlichkeit .................................................................................. 105

5.8.2

Hypothese I......................................................................................................... 105

5.8.3

Hypothese II. ...................................................................................................... 107

5.8.4

Spearman-Rangkorrelation ................................................................................. 109

6 Diskussion ........................................................................................................................ 112 6.1

Erläuterung und Interpretation der Ergebnisse ......................................................... 112

6.2

Barrieren zur Einführung von BGM-Maßnahmen .................................................... 114

6.3

Kritische Reflektion der eigenen Vorgehensweise (Methodenkritik)....................... 115

6.4

Abbruchquote der Befragung .................................................................................... 117

6.5

Hindernisse im Rahmen von BGM ........................................................................... 118

6.6

Probleme der Kosten- und Nutzenerfassung ............................................................. 120

6.6.1

Kosten-Nutzen-Analyse (KNA) ......................................................................... 121

6.7

Widerstände gegen Veränderungen .......................................................................... 124

6.8

Anreizsysteme ........................................................................................................... 126

6.9

Stellenwert des BGM ................................................................................................ 126

6.9.1

Exkurs BiG-Modell ............................................................................................ 127

6.10 Zukünftiger Ausblick ................................................................................................ 129 6.11 Grenzen der Thesis.................................................................................................... 133 7 Zusammenfassung .......................................................................................................... 135

8 Literaturverzeichnis ....................................................................................................... 139 9 Abbildungs-, Tabellen-, Abkürzungsverzeichnis ......................................................... 148 9.1

Abbildungsverzeichnis .............................................................................................. 148

9.2

Tabellenverzeichnis .................................................................................................. 151

9.3

Abkürzungsverzeichnis ............................................................................................. 152

10 Anhang ............................................................................................................................. 155 Anhang 1: Fragebogen der Online-Befragung ................................................................. 155 Anhang 2: Berechnung Chi-Quadrat-Test (x²) Hypothese I. ........................................... 163 Anhang 3: Berechnung Chi-Quadrat-Test (x²) Hypothese II. .......................................... 164 Anhang 4: Berechnung Rangkorrelation nach Spearman Hypothese II........................... 165 Anhang 5:

Berechnung Chi-Quadrat-Test (x²) Unternehmensgröße im Vergleich zur BGM-Maßnahmen Einführung....................................................................... 166

Anhang 6: EFQM-Modell ................................................................................................ 167 Anhang 7: Berechnung Chi-Quadrat-Test (x²) Hypothese II. „nicht definierter“ Rechenschritt .................................................................................................. 168

In dieser Arbeit wird folgend, aus Gründen der besseren Lesbarkeit, nur die männliche Ansprache verwendet. Es sind jedoch stets alle Geschlechter gemeint. Weiterhin werden absolute Häufigkeiten bei Zahlenwerten unter „10“ nummerisch aufgeführt und nicht ausgeschrieben.

1 Einleitung und Problemstellung In Zeiten des demografischen Wandels, des Fachkräftemangels, des zunehmenden Leistungsdrucks und sich einer auf Grund neuer Produktionsabläufe - Arbeitsprozesse sind bei weitem nicht mehr so anstrengend wie noch vor wenigen Jahrzehnten - rasant verändernden Arbeitswelt suchen Unternehmen aller Branchen verstärkt nach Konzepten, die sie in die Lage versetzen, die Gesundheit und Leistungsfähigkeit ihrer Beschäftigten zu erhalten und die Produktivität zu steigern. Die Ressource Mensch gewinnt zunehmend an Bedeutung (vgl. Dachrodt, 2014). Immer mehr Unternehmen führen daher Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit ihrer Beschäftigten durch. Schaut man sich die Statistiken der Krankenkassen an, so zeigt sich, dass die Krankenstände innerhalb der letzten Jahre wieder angestiegen sind (vgl. Aurich-Beerheide & Knieps, 2014, S. 36). Zwei Fakten, welche auch Bedeutung für das betriebliche Arbeitsunfähigkeitsgeschehen haben, lassen sich darüber hinaus aus den Statistiken ablesen: Zum einen haben Muskel-SkelettErkrankungen den höchsten Anteil an den gesamten Arbeitsunfähigkeitstagen, zum anderen steigen die Fallzahlen bei psychischen Erkrankungen (vgl. ebd.). Nach Badura, Schellschmidt, Vetter & Bäcker (2004) ergeben sich auf Grund veränderter gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen neue Herausforderungen für die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben. Die meisten Menschen verbringen immer weniger Zeit zu Hause. Die meiste Zeit des Tages wird bei der Arbeit bzw. zum Arbeiten investiert. Daher haben die Bedingungen während der Arbeitszeit großen Einfluss auf das Leben. Heutzutage ist der Job oftmals mehr als nur eine Einkommensquelle. Dieser beeinflusst auch das Selbstwertgefühl und vermittelt soziale Kontakte (vgl. BKK Bundesverband, 2008, S. 4). Jedoch wird die Situation der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben von den meisten Arbeitnehmern positiv bewertet. Der Psychologe A. Maslow erforschte gesunde, erfolgreiche und glückliche Menschen. Er entdeckte dabei, dass man die menschlichen Bedürfnisse nach einer bestimmten Rangordnung einteilen kann. Er stellte diesen Zusammenhang in der Bedürfnispyramide, einem Stufenmodell der menschlichen Motivationen, dar. Diese Pyramide wurde von ihm in insgesamt fünf Stufen unterteilt. Die Basis der Pyramide besteht in physiologischen Bedürfnissen, während sich in der Spitze das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung befindet. Zwischen diesen Extremen liegen, von unten nach oben betrachtet, die Bedürfnisse nach Sicherheit, Zugehörigkeit und Wertschätzung. Die Hypothese der hierarchischen Motivaktivierung besagt, dass

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ein nächst höheres Bedürfnis erst dann aktualisiert wird, wenn das hierarchisch untergeordnete Bedürfnis befriedigt ist. Situative Bedingungen, die z.B. eine Befriedigung des Bedürfnisses nach Wertschätzung (Anerkennung) ermöglichen, gewinnen demnach erst nach der Befriedigung der untergeordneten Bedürfnisse den Charakter eines Anreizes (vgl. Springer Gabler Verlag). Abbildung 1: Grundmodell der Bedürfnispyramide nach A. Maslow) stellt die Bedürfnispyramide nach Maslow noch einmal vereinfacht dar.

Abbildung 1: Grundmodell der Bedürfnispyramide nach A. Maslow

Laut Friedrich, (2010, S. 25) sind 57,6 % der Männer und 65,4 % der Frauen der Auffassung, dass die Bedeutsamkeit der Arbeit in ihrer Lebenssituation genau richtig ist. Damit denken 61,9 % aller Befragten, dass ihre Arbeit den richtigen Stellenwert hat. Dieses Bild verändert sich jedoch mit zunehmendem Alter, wobei die höchste Zustimmungsquote mit 70,6 % bei den 20- bis 29Jährigen zu sehen ist und die niedrigste bei den 50- bis 59-Jährigen mit 56,9 %. 60- bis 65-Jährige erreichen aber wieder das Zustimmungsniveau der beiden jüngeren Altersgruppen. Mit zunehmendem Alter wächst auch der Anteil der Befragten, für die die Arbeit einen zu hohen Stellenwert einnimmt. So bewerten 45% der 40- bis 49-jährigen Männer und 35 % der 50- bis 59jährigen Frauen den Stellenwert ihrer Arbeit als zu hoch (ohne Abb.). Der Anteil der Arbeitnehmer, für den die Arbeit einen zu geringen Stellenwert aufweist, beläuft sich in allen Altersgruppen nahezu konstant auf Werte zwischen 2,5 und 3,8 %. Mit steigender Schulbildung findet sich eine leichte Steigerung für einen zu hohen Stellenwert der Arbeit. Personen mit Haupt- und Volksbzw. Realschulabschluss geben zu 32,6 % an, dass der Stellenwert der Arbeit zu hoch sei,

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während es bei Abiturienten 37,1 % sind. Die Unternehmensgröße scheint primär keinerlei Einfluss auf den Stellenwert der Arbeit auszuüben. Jedoch empfinden Männer in Kleinstunternehmen den Stellenwert ihrer Arbeit tendenziell eher als zu groß (46,7 %), vor allem im Vergleich mit den Frauen in Unternehmen gleicher Größe (22,3 %). In der Differenzierung der Berufsgruppen ist der Anteil der befragten Männer, die einen zu hohen Stellenwert der Arbeit angeben, in der Gruppe der Büroberufe mit 46 % und in der Gruppe der sonstigen Dienstleistungsberufe mit 40,3% am größten. Den niedrigsten Anteil mit 28 % findet man in der Gruppe der Berufe aus dem Gesundheitswesen. Bei den Frauen sind es vor allem die Lehrerinnen bzw. Sozialberufe, die zu 37,4 % einen zu hohen Stellenwert der Arbeit angeben. An zweiter Stelle in dieser Hinsicht stehen die Fertigungsberufe mit 36,2 %. Frauen in technischen Berufen schätzen zu 78,8 % den Stellenwert ihrer Arbeit als genau richtig ein. Die folgende Abbildung 2 verdeutlicht den genannten Sachverhalt noch einmal:

Abbildung 2: Stellenwert der Arbeit – Verteilung der Antworten nach Geschlecht, Alter, Schulabschluss und Unternehmensgröße (Anzahl, in Prozent) (vgl. Friedrich, 2010, S. 25)

Die meisten Beschäftigten beurteilen ihre Arbeitssituation zudem als außerordentlich positiv. Laut einer repräsentativen Umfrage der Initiative Gesundheit & Arbeit (IGA) aus dem Jahr 2007 finden 79 % der Männer und 87 % der Frauen, dass ihre Arbeit sie fit hält (vgl. Bödeker & Hüsing, 2008, S. 6). Allerdings sind mit der beruflichen Tätigkeit oft auch Belastungen verbunden, die Krankheiten verursachen oder deren Verlauf negativ beeinflussen können. Praktische Beispiele sind Lärm am Arbeitsplatz, schwere Lasten heben oder geringe Handlungsspielräume im Tagesgeschäft. Krankheit kann zu vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder sogar zu dauer-

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hafter Erwerbsunfähigkeit führen und verursacht neben den persönlichen gesundheitlichen Folgen auch erhebliche volkswirtschaftliche Kosten. Unternehmen müssen Produktivitätsausfälle hinnehmen und Lohnfortzahlungen leisten. Die Sozialsysteme werden darüber hinaus durch Behandlungskosten, Krankengeldzahlungen und Einnahmeausfälle belastet (vgl. ebd.). Daher gilt es, die Verhältnisse am Arbeitsplatz optimal anzupassen, um den Mitarbeitern ein größtmögliches Leistungsspektrum und eine bestmögliche Lebensqualität zu gewährleisten. Folgende Herausforderungen ergeben sich somit für die Sozialversicherungsträger: Folgekosten für die Krankenversicherung: In der gesundheitspolitischen Diskussion spielen das Krankengeld für die Krankenkassen und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für die Unternehmen eine besondere Rolle. Ist ein Arbeitnehmer krank, bedeutet dies für den Arbeitgeber nicht nur volle Lohnfortzahlung von bis zu sechs Wochen oder länger, beispielsweise wenn der Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit an einer weiteren Krankheit erkrankt, sondern zusätzlich auch den Produktivitätsausfall oder anfallende Substitutionskosten. Für die Krankenkassen bedeutet Arbeitsunfähigkeit: Ist ein Arbeitnehmer länger als sechs Wochen krank, müssen sie nicht nur die Krankengeldzahlungen übernehmen, sondern erhalten darüber hinaus auch keine Arbeitgeberbeiträge. Die Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung für arbeitsbedingte Krankengeldleistungen belaufen sich jährlich auf rund zwei Milliarden Euro. Die höchsten Krankengeldzahlungen fallen dabei mit über 750 Millionen Euro für Muskel- und Skeletterkrankungen an, gefolgt von den psychischen Krankheiten (vgl. BKK Bundesverband, 2008, S. 8). Auch die Rentenversicherung ist betroffen: Erwerbsunfähigkeit stellt die Rentenversicherung vor eine doppelte Herausforderung. Zum einen muss die Versicherung Rentenzahlungen leisten, zum anderen entgehen der Rentenkasse Beitragszahlungen. Diese finanziellen Folgen der arbeitsbedingten Frühberentung für die gesetzliche Rentenversicherung belaufen sich auf rund drei Milliarden Euro jährlich, die von der Solidargemeinschaft aufgebracht werden müssen. Die höchsten Kosten mit jeweils ca. einer halben Milliarde Euro verursachen die psychischen Krankheiten und die Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (vgl. BKK Bundesverband, 2008, S. 9). Ergänzend dazu sind die Kosten durch Arbeitsunfähigkeitstage für Unternehmen immens. Nach Berechnungen der BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) (vgl. Bundesanstalt für Arbeits-

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schutz und Arbeitsmedizin, 2012, S. 40) ergeben sich für das Jahr 2011 durchschnittlich 12,6 Tage Arbeitsunfähigkeit je Arbeitnehmer - kumuliert belaufen sich die Arbeitsunfähigkeitstage auf 460,6 Millionen. Ausgehend von diesem Arbeitsunfähigkeitsvolumen schätzt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin die volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle auf insgesamt 46 Milliarden Euro bzw. den Ausfall an Bruttowertschöpfung auf 80 Milliarden Euro (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, 2012, S. 40). Der Anteil von Erkrankungen, der durch bestimmte Faktoren verursacht wird, lässt sich durch die so genannten attributiven Risiken beschreiben bzw. berechnen. Übertragen auf die Arbeitswelt geben attributive Risiken an, welcher Anteil des Erkrankungsgeschehens vermieden werden könnte, wenn etwa durch Präventionsmaßnahmen ein Belastungsfaktor der Arbeitswelt ausgeschaltet oder vermindert werden würde. Zur Berechnung attributiver Risiken ist es erforderlich, zunächst die Stärke des Zusammenhangs zwischen dem Auftreten einer Belastung und einer Erkrankung zu bestimmen (das sogenannte relative Risiko). Sofern weiterhin bekannt ist, welcher Anteil der Arbeitsbevölkerung dem Belastungsfaktor ausgesetzt ist (die Prävalenz), lässt sich durch Verrechnung der beiden Größen das attributive Risiko bestimmen (vgl. Badura, Schellschmidt & Vetter, 2007, S. 33). Zur Berechnung der Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen müssen dann nur noch die Krankheitsausgaben mit den arbeitsbedingten Anteilen multipliziert werden (vgl. BKK Bundesverband, 2008, S. 5). Direkte Krankheitskosten (Kosten der Krankheitsbehandlung) und indirekte Krankheitskosten (Verlust an Erwerbsjahren) summieren sich zu den Kosten arbeitsbedingter Krankheiten (vgl. ebd.; Kapitel 2.15). Die folgende Abbildung (Abbildung 3) stellt zur Verdeutlichung des attributiven Risikos noch einmal grafisch den Zusammenhang dar:

Abbildung 3: attributives Risiko als Einflussfaktor der Kosten für arbeitsbedingte Krankheiten (vgl. BKK Bundesverband, 2008, S. 5)

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Die Berechnung von Krankheitskosten erfolgte bis vor einiger Zeit ausschließlich über die Abwesenheitszeiten kranker Arbeitnehmer vom Arbeitsplatz (Absentismus). Seit einigen Jahren finden zudem die Auswirkungen von Präsentismus in Literatur und betrieblicher Praxis viel Beachtung. Präsentismus bezeichnet das Verhalten von Erwerbstätigen, die trotz ihrer Erkrankung zur Arbeit gehen. Durch die eingeschränkte Arbeitsfähigkeit entstehen Kosten, etwa durch verringerte Arbeitsqualität, Fehleranfälligkeit, Unfälle, sich verzögernde Genesung bis hin zu chronischer Erkrankung und Burnout. Die durch Präsentismus bedingten Kosten sind bisher nicht verbindlich quantifiziert worden (vgl. Dr., Maar, Christa, 2011, S. 7f.). Die von Booz & Company (2011) durchgeführte Berechnung zeigt jedoch, dass der durch Fehlzeiten bedingte Betrag von 1.199 Euro pro Mitarbeiter und Jahr nur rund ein Drittel der Kosten erfasst, die tatsächlich in deutschen Unternehmen durch Krankheit entstehen. Den erheblich höheren Posten verursacht Präsentismus. Dieser lässt sich in einer näherungsweisen Rechnung auf 2.399 Euro pro Kopf und Jahr beziffern und steigert für den Arbeitgeber die krankheitsbedingten Kosten auf 3.591 Euro pro Jahr und Arbeitnehmer. Diese Berechnung erfolgt auf Basis konservativer Grundannahmen. Berücksichtigt man zusätzlich die Kosten für Vertretungen, Know-how-Verlust, Ansteckung von Kollegen und Verschlechterung der Zusammenarbeit im Team, ergibt sich ein weitaus höherer Betrag. Die Krankheitskosten haben zudem eine höchst relevante volkswirtschaftliche Dimension. Bedingt durch Absentismus und Präsentismus fielen in deutschen Unternehmen laut Berechnung von Booz & Company (2011) im Jahr 2009 Kosten in Höhe von etwa 129 Mrd. Euro an. Dies entspricht etwa 50 % der gesamten Gesundheitsausgaben in Deutschland im gleichen Zeitraum. Der volkswirtschaftliche Schaden belief sich mit einem Bruttowertschöpfungsausfall auf 225 Mrd. Euro und beträgt damit 9 % des Bruttoinlandsproduktes (2.397 Mrd. Euro). Dr. Christian Feldhaus, leitender Werksarzt der RWE AG merkt dazu an: „Viele Unternehmen messen nur den Krankenstand bzw. die Arbeitsunfähigkeitstage in ihrem Unternehmen. Das ist irreführend, vor allem da Präsentismus das weitaus wichtigere Phänomen ist. Gesundheits- oder Motivationsindizes eignen sich besser und lassen Rückschlüsse auf die Qualität des betrieblichen Gesundheitsmanagements zu.“ (vgl. Dr., Maar, Christa, 2011, S. 7). Folgende Abbildung verdeutlicht noch einmal den Zusammenhang zwischen Absentismus und Präsentismus:

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Abbildung 4: „Eisbergmodell“ (vgl. Badura, 2012, S. 14)

Die folgende Abbildung fasst einleitend die umfangreichen Aufgabenfelder des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) übersichtlich zusammen:

Abbildung 5: Aufgabenfelder der betrieblichen Gesundheitspolitik (vgl. nach Badura, Walter & Hehlmann, 2010)

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Folglich gilt es zu ermitteln, welche Motive bzw. Handlungsansätze ein Unternehmen hat, um ein betriebliches Gesundheitsmanagement einzuführen. Welche Barrieren ergeben sich aus Sicht der Unternehmensleitung und welche Voraussetzungen sind zu schaffen, um den noch gesunden Mitarbeiter in den Fokus des unternehmerischen Handelns zu stellen?

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2 Zielsetzung Warum soll ein Unternehmen in die Gesundheit, Sicherheit und das Wohlbefinden seiner Beschäftigten investieren? Ziel dieser Arbeit ist es, den Bedarf für Maßnahmen zur Förderung der Gesundheit, die Motive bzw. die Beweggründe der Unternehmensleitung für die Einführung solcher Maßnahmen sowie die Anforderungen an die Gestaltung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements zu ermitteln. Was ist nötig, um den gesunden Mitarbeiter in den Mittelpunkt zu stellen und welche Barrieren ergeben sich aus Sicht der Unternehmensleitung? Ergänzt wird diese Arbeit mit der Darstellung der wirtschaftlichen, sozialen und demografischen Faktoren, die aufzeigen werden, warum es wichtig und von großer Bedeutung ist, dieses Instrument des betrieblichen Gesundheitsmanagements in der heutigen Zeit in Unternehmen zu implementieren und weitere Unternehmen für eine Einführung zu gewinnen. Supplementär erfolgt eine Erläuterung über die verschiedenen Kernbereiche des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Dieser Ansatz kann für Unternehmen, die noch kein BGM implementiert haben, im ersten Schritt als Aufklärungswerkzeug und darauf aufbauend als Entscheidungshilfe für die Unternehmensleitung zu Gunsten einer BGM-Einführung verstanden werden. Zusätzlich wird der aktuelle Forschungsstand zu Auswirkungen von Krankheiten auf den Unternehmenserfolg dargestellt. Darüber hinaus werden entsprechend geeignete Handlungsansätze für die Einführung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements vermittelt und Hindernisse bei der nachhaltigen Etablierung beleuchtet. Aus den genannten Motiven und vorhandenen Barrieren werden Ansatzpunkte für eine Implementierung, und darüber hinaus, unterstützend eine Priorisierung von Maßnahmen abgeleitet. Ergänzt wird dieser theoretische Teil durch die Auswertung einer selbst erstellten und durchgeführten Online-Befragung zu dem Thema „Handlungsansätze für ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) aus Sicht des Unternehmens“. Die vorliegende Arbeit soll Antworten auf die einleitende Fragestellung geben: Warum sollte ein Unternehmen in die Gesundheit, Sicherheit und das Wohlbefinden seiner Beschäftigten investieren? Welche Faktoren motivieren Unternehmen ein betriebliches Gesundheitsmanagement einzuführen, was sind entsprechende Handlungsansätze und welche Widerstände sind entsprechend vor der Einführung zu überwinden?

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