Alle arbeiten jetzt im Marketing

15.08.2017 - Eingespannt für die Werbung: Samsung-Angestellte posieren mit dem neuen Smartphone ihres Arbeitgebers. MARK KAUZLARICH ...
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Dienstag, 15. August 2017

Mundpropaganda im digitalen Zeitalter Angestellte sind Botschafter ihres Unternehmens. Über soziale Netzwerke erreichen sie gar ein grösseres Publikum als ihr Arbeitgeber. Das möchten sich Firmen zunutze machen. Sie animieren das Personal, Inhalte zu verbreiten.

Alle arbeiten jetzt im Marketing

Gewöhnliche Angestellte als Unternehmensbotschafter: authentisch oder schwer kontrollierbar?

Mitarbeiter, die geschickt sind im Umgang mit sozialen Netzwerken, gelten bei vielen Unternehmen als wertvoll. Sie sollten sich dabei allerdings nicht wie selbsternannte PRProfis verhalten.

Firmenkommunikation verwehrt sind. Vor allem aber hat sie ein Gesicht. Das macht sie glaubwürdig. Der Umgang mit dem Thema verlangt in den Firmen aber auch Fingerspitzengefühl. Wenn jeder zum Sender wird, erfordert das vom Unternehmen eine Dialogstrategie, sagt Dominique Morel. Der Marketingleiter von KPMG Schweiz sagt, die Adressaten wollten ernst genommen werden «und keinen PRQuatsch lesen». Also strebt das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen danach, das «digitale Broschüren-Gestell», wie es Morel nennt, mit relevanten Inhalten zu füllen. Wenn etwa wie im Mai 2017 ein Schadprogramm viele Computer infiziert, können die Angestellten die Firmenstudie zum Thema Cybersecurity über die für sie wichtigen Plattformen wie Linkedin oder Xing mit ihren Kontakten teilen. Die Crux für Unternehmen besteht also darin, interessante Botschaften zu schaffen. Die Londoner Agentur Linkhumans bringt es auf den Punkt: «Wenn die Angestellten Inhalte nicht für relevant für sich selbst und ihr Netzwerk halten, ist die Chance, dass sie diese weiterverbreiten, sehr gering.»

EUGEN STAMM

Auf dem sozialen Netzwerk Instagram findet man unzählige Bilder, die das neue Gebäude von Roche, den Bau 1 in Basel, zeigen. Die Benutzer versehen ihre Fotos mit Schlagworten; meist verwenden sie naheliegende Begriffe, etwa #Basel oder #Roche. Eigene Interessen verdeutlichen sie mit Etiketten wie #Architektur. Eine ganz andere Bedeutung bekommt das höchste Gebäude der Schweiz durch die Beschreibung der Amateurfotografin Mona. Sie fügt ihrem Bild neben #Roche auf Englisch auch «toller Arbeitsort» und «bester Arbeitgeber, den es gibt» hinzu. Das ist keine Werbekampagne, sondern einfach eine Meinungsäusserung der offensichtlich motivierten Angestellten.

Übereifer tut nicht gut Welchen Wert solche ehrliche und kostenlose Werbung auf digitalen Plattformen hat, haben viele Unternehmen bereits erkannt. Gleichzeitig bereitet das Szenario einer unkontrollierten Menge von Mitarbeitern, die sich als selbsternannte Pressesprecher betätigen, den Kommunikationsprofis in den Gesellschaften Kopfzerbrechen. Denn falls der Eifer grösser ist als der Sachverstand und jemand etwa beginnt, online die Konkurrenz schlechtzureden, dann ist der Reputationsschaden gross und allenfalls sogar mit juristischen Konsequenzen verbunden. Ein Lehrbeispiel, wie man es nicht machen soll, bietet ein Fall aus Deutschland. Ein Artikel auf einem Blog, der die Rechtsschutzversicherung Arag kritisierte, bewog jemanden, eine lobende Stellungnahme zu verfassen, die in der

Eingespannt für die Werbung: Samsung-Angestellte posieren mit dem neuen Smartphone ihres Arbeitgebers.

ZAHL ZUM THEMA

Formulierung «eine der fairsten und kompetentesten Versicherungen, die ich kenne» gipfelte. Dieser Jemand verschwieg allerdings, dass er selber bei der Arag arbeitete, was herauszufinden technisch kein Problem war. Das Landesgericht Hamburg qualifizierte diese Form des Online-Aktivismus als verschleierte Wettbewerbshandlung. Das Gegenteil von gut ist gut gemeint; Tucholskys Diktum gilt auch in der digitalen Sphäre. Um ihre Mitarbeiter zu sensibilisieren, erlassen Unternehmen Richtlinien für den Umgang mit neuen Medien. In ihrer Kürze und Prägnanz lesenswert sind etwa die «Social Media Guidelines» des Halbleiterherstellers Intel.

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Botschaften auf sozialen Netzwerken, die ein Angestellter verbreitet, werden 24-mal häufiger weiterverbreitet als solche, die von der Firma selbst stammen. Das hat die Kommunikationsagentur MSL-Group herausgefunden. Insgesamt sind die Mitarbeiter eines Unternehmens mit 10-mal mehr Personen verbunden als die Firma selbst. Allerdings ist nur einer von vier Mitarbeitern online stark engagiert.

MARK KAUZLARICH / BLOOMBERG

«Allein schon dadurch, dass du dich als Angestellter von Intel identifizierst, schaffst du eine Wahrnehmung von deiner Expertise und von Intel. Mach uns alle stolz», heisst es dort pragmatisch. Die Beziehung zu Intel offenzulegen, wenn es um Produkte oder die Firma geht, wird bereits im ersten Punkt der Richtlinie gefordert. Wenn Angestellte sich online für ihr Unternehmen einsetzen, sei es, indem sie Firmenbotschaften teilen, in der Freizeit auf Foren Probleme lösen oder als Markenbotschafter auftreten, nennt man das auf Englisch Employee Advocacy. Diese Art des Marketings lässt sich weder befehlen noch kaufen. Sie erreicht auch Gruppen, die der üblichen

Wie ein Fernsehsender denken Nun sind soziale Netzwerke aber nicht jedermanns Sache. Deshalb empfiehlt Simon Künzler, Managing Partner der Zürcher Kommunikationsagentur Xeit, den Unternehmen, die fortgeschrittensten Benutzer zu identifizieren und verstärkt mit ihnen zusammenzuarbeiten. Zuerst brauche es in einer Firma aber eine gewisse Erfahrung im Umgang mit sozialen Netzwerken, bevor es sich lohne, auf dieses Thema zu setzen. Laut seiner Erfahrung unterschätzten noch viele Unternehmen die Bedeutung des Kanals Youtube und das Potenzial von Videobotschaften. Eine solche Videobotschaft hat Mirko Kaminski von der Kommunikationsagentur Achtung in Hamburg verfasst. Ihr Inhalt: Firmen sollen anfangen, wie Fernsehsender zu denken und intern kompetente Moderatoren aufzubauen.

«Der Verstand bleibt manchmal auf der Strecke»

Die Anwältin Claudia Keller rät Firmen, mit klaren Weisungen das Bewusstsein der Mitarbeiter für die sozialen Netzwerke zu schärfen

Der gesunde Menschenverstand allein reicht nicht aus? Manchmal ist es auch sinnvoll, in Erinnerung zu rufen, was vermeintlich selbstverständlich ist. In sozialen Netzwerken bleibt der Verstand manchmal auf der Strecke. Das zeigt die Erfahrung. Darf denn der Arbeitgeber überhaupt die private Nutzung von sozialen Netzwerken regeln? Natürlich darf er das nur insofern, als die berufliche Tätigkeit tangiert ist. Es geht in Reglementen auch nicht nur um Verbote. Sie sollen vielmehr aufklären. Im Rahmen der Marken- und Unternehmenskommunikation ist es wichtig,

«Kritik am Arbeitgeber ist erlaubt, falls sie nicht gegen Gesetze verstösst.»

einen einheitlichen Auftritt sicherzustellen. Verwenden die Angestellten beispielsweise auf Linkedin nicht exakt die gleiche Bezeichnung für ihren Arbeitgeber, kann es sein, dass die Plattform verschiedene Firmenprofile erstellt. Das verursacht Aufwand, wenn man das im Nachhinein bereinigen will. PD

Sollen Firmen ihren Angestellten in Richtlinien vorschreiben, wie mit sozialen Netzwerken umzugehen ist? Das ist sehr zu empfehlen. Selbst wenn Firmen soziale Netzwerke selber nicht nutzen, ist es wahrscheinlich, dass die Mitarbeiter dies tun, auch während der Arbeitszeit. Wenn der Arbeitgeber klar regelt, was er erwartet oder nicht erlaubt, dann ist das nicht zuletzt bei Fehltritten der Mitarbeiter für Abmahnungen oder das Ergreifen von Sanktionen von Vorteil.

Was darf der Arbeitgeber verbieten? Das ist stark abhängig von der konkreten beruflichen Tätigkeit und lässt sich nur schlecht verallgemeinern. Grundsätzlich kann verboten werden, was mit der beruflichen Tätigkeit zusammenhängt und unter dem Aspekt der Treuepflicht des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber schadet. Können Sie ein Beispiel machen? Ein Unternehmen kann den Mitarbeitern untersagen, in Auftritten und Beiträgen auf sozialen Netzwerken den Eindruck zu erwecken, in ihrem Namen zu sprechen. Es ist ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, die Kontrolle über die offizielle Kommunikation zu behalten. Man sollte auch regeln, ob Mitarbeiter auf Kritik an Produkten der Firma selber etwas entgegnen dürfen oder ob sie eine andere Stelle informie-

Claudia Keller Anwältin in Zürich bei Wenger & Vieli AG

ren müssen. Sich gegenüber der eigenen Firma kritisch zu äussern, kann man aber niemandem verbieten. Wieviel Kritik muss man sich als Unternehmen gefallen lassen? Kritik am Arbeitgeber ist erlaubt, solange sie nicht gegen die vertragliche Treuepflicht oder andere gesetzliche Bestimmungen verstösst. Letzteres kann der Fall sein, wenn die Kritik unnötig herabsetzend, irreführend oder unwahr und damit unlauter ist oder einen Straftatbestand, beispielsweise Ehrverletzung und üble Nachrede, darstellt. Nicht gesetzlich geregelt ist die Frage, ob man als Vorgesetzter mit seinen Angestellten auf Facebook «befreundet» sein soll. Was sollte man sich überlegen, bevor man jemandem eine Anfrage schickt?

Einen Anspruch auf Annahme einer solchen Anfrage hat jedenfalls niemand. Persönlich finde ich es heikel, insbesondere in Unternehmen, die noch eher hierarchisch organisiert sind. Das gilt vor allem für den Fall, in dem die Anfrage von einem Vorgesetzten an einen ihm unterstellten Mitarbeiter erfolgt. Besser, man wahrt Distanz, als dass man Dinge erfährt, die mit der Arbeit nichts zu tun haben. Letztlich ist das aber eine persönliche Entscheidung der betroffenen Personen. Über die Einstellungen von Facebook lässt sich ja auch steuern, wie viel Einsicht die Arbeitskollegen oder Vorgesetzten in persönliche Beiträge tatsächlich bekommen sollen. Welche rechtlichen Fragen treten auf, wenn ein Unternehmen auf die eigenen Mitarbeiter als Markenbotschafter in sozialen Netzwerken setzt? Primär geht es darum, sicherzustellen, dass die Mitarbeiter keine Aussagen oder Zusagen machen, die sich nachteilig auf das Unternehmen auswirken können. Hier sind eben klare Anweisungen nötig, welche Art und welchen Stil der Kommunikation Mitarbeiter in den sozialen Netzwerken pflegen sollen, wenn sie sozusagen als Markenbotschaf-

ter des Arbeitgebers agieren. Auch wenn das eine sehr gute Form von Werbung sein kann, muss man sie doch in irgendeiner Form kanalisieren. Welchen Schaden können unkontrollierte Äusserungen anrichten? Wenn die Mitarbeiter beispielsweise Vergleichswerbung machen oder gezielt die Konkurrenz angreifen, womöglich noch, ohne ihre Verbindung zur Firma offenzulegen, kann das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb verletzt sein. Das Fehlverhalten der Angestellten kann in diesem Fall allenfalls auch dem Unternehmen zugerechnet werden. Das klingt nach einem Minenfeld. In meiner Beratungstätigkeit versuche ich zu vermitteln, dass Mitarbeitende im Zusammenhang mit sozialen Netzwerken nicht primär als rechtliches Risiko betrachtet werden sollten, sondern als potenziell wertvolle und selbstverantwortliche Markenbotschafter. Es empfiehlt sich jedoch, das Bewusstsein der Mitarbeitenden zu schärfen: Die Kommunikation auf sozialen Netzwerken, die mit ihrer Arbeit zusammenhängt, weist Besonderheiten auf. Interview: Eugen Stamm