Alexander Samans (Hrsg.) Freges Philosophie nach Frege

Bastian Reichardt | Alexander Samans (Hrsg.) ... Einbandabbildung: Alexander Samans – Frege in Bonn. Bibliografische .... Siehe hierzu etwa Singer, Wolf: Der.
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Dass Gottlob Frege den Status eines Klassikers innehat, kann kaum bezweifelt werden. Sein Werk bildet eine der bedeut­ samsten und reichhaltigsten Quellen philosophischer Theorie­ bildung und ist für den systematischen Verlauf der wichtigsten Grundströmungen in weiten Bereichen der theoretischen Philosophie des 20. Jahrhunderts prägend. Wie für jeden Klassiker gilt daher auch für Frege, dass seine Schriften sowohl Anlass zu systematischen Erweiterungen geben als auch exe­ getische Probleme aufwerfen. Vor dem Hintergrund des vergangenen Jahrhunderts stellen sich die Fragen, welche Theoriestücke noch implizit in Freges Werk schlummern, welche seiner Gedanken aus heutiger Sicht als Irrwege zu bezeichnen sind und welchen alternativen An­sätzen zu verschiedenen Bereichen seines Schaffens Frege auch heute noch aus guten Gründen widersprechen kann. Aufgrund der Reichhaltigkeit seines Werks beschränken sich die Beiträge in »Freges Philosophie nach Frege« nicht auf einen einzelnen Bereich im Denken Freges, sondern werfen ein kritisches Licht auf unterschiedliche Aspekte im Gesamtwerk dieses Philosophen. So wird ein Einblick in das weite Spektrum möglicher Interpretationen, systematischer Erweiterungen und Kritikpunkte eines philosophischen Klassikers geboten.

Reichardt | Samans (Hrsg.) · Freges Philosophie nach Frege

Bastian Reichardt | Alexander Samans (Hrsg.)

Freges Philosophie nach Frege

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Reichardt/Samans (Hrsg.) · Freges Philosophie nach Frege

Bastian Reichardt, Alexander Samans (Hrsg.)

Freges Philosophie nach Frege

mentis MÜNSTER

Einbandabbildung: Alexander Samans – Frege in Bonn

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INHALTSVERZEICHNIS

Bastian Reichardt Frege – Eine ganz kurze Wirkungsgeschichte zur Einführung

FREGE INNERHALB DER PHILOSOPHISCHEN TRADITIONEN James Conant Die Suche nach logisch fremdem Denken – Kant, Frege und der Tractatus 19 Alexander Samans Freges Kritik am Psychologismus und Kants transzendentaler Idealismus 71 Gottfried Gabriel Frege als Philosoph – Zum Verhältnis von Sprachphilosophie, Logik und Erkenntnistheorie 95 Wolfram Hogrebe Frege als Hermeneut

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Inhaltsverzeichnis

SINN, BEDEUTUNG UND EXISTENZ John McDowell Über Sinn und Bedeutung eines Eigennamens Wolfgang Freitag Frege über »leider« und »gottlob«

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Joachim Bromand Frege über Existenz und den ontologischen Gottesbeweis 175

LOGIZISMUS UND PLATONISMUS Robert B. Brandom Die Bedeutung von komplexen Zahlen für Freges Philosophie der Mathematik 195 Bastian Reichardt Frege und die mathematische Wirklichkeit Rainer Stuhlmann-Laeisz Das Nachwort zu den Grundgesetzen – Ein Kommentar 239

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Bastian Reichardt FREGE Eine ganz kurze Wirkungsgeschichte zur Einführung Das Werk Gottlob Freges (1848–1925) erlebt im 20. wie im 21. Jahrhundert ein kaum nachlassendes Interesse. Sowohl historisch als auch systematisch präsentieren sich seine Arbeiten immer wieder als bedeutsam. Einer der Hauptgründe dafür ist sicherlich, dass Freges Werk – wie das jedes Klassikers – Einfluss auf unterschiedlichste Bereiche der Philosophie nimmt. Frege entwickelt seine Grundlegungsgedanken zur Philosophie der Mathematik auf eine Weise, die Einflüsse auf die meisten Disziplinen der theoretischen Philosophie nach sich zieht. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Implikationen seiner mathematischen Grundlegungsversuche bis in die Ontologie, Epistemologie und Sprachphilosophie reichen und die modernen Debatten in diesen Feldern essentiell prägen. Freges Bemühungen geschehen in einem historischen Umfeld, welches ihn in Verbindung mit weiteren Vätern der analytischen Philosophie – wie etwa Bertrand Russell, George Edward Moore oder Ludwig Wittgenstein – bringt. 1 Die systematischen Verflechtungen in dieser Frühphase der analytischen Philosophie bilden gleichsam den Kreißsaal der idealsprachlichen Philosophie und werden philosophiehistorisch zunächst zu einem der systematischen Stützpfeiler des logischen Empirismus, der sich im Wiener Kreis etablierte. So nehmen die in der Begriffsschrift entwickelte formale Sprache und die daraufhin entstandenen Versuche, das logizistische Programm durchzuführen – also die Rückkopplung der Arithmetik an die Logik – welche zunächst in den Grundlagen der Arithmetik vorbereitet und schließlich in den beiden Bänden der Grundgesetze der Arithmetik versucht wird, eine zentrale Rolle in den philosophischen Entwicklungen des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ein, indem sie ebenso wesentlich auf die Philosophie der Mathematik wie auf die Sprachphilosophie wirken. Detaillierte Ausführungen zur Wirkungsgeschichte, die vom Werk dieses Mathematikers und Philosophen ausgeht, können und sollen an dieser 1

Dieses Umfeld ist natürlich noch sehr viel dichter besiedelt. Im vorliegenden Band stellt Gottfried Gabriels Beitrag dar, aus welch reichhaltigen Quellen die frühe analytische Philosophie schöpfen kann.

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Stelle nicht geschehen. Einleitend lassen sich jedoch die Impulse, die Frege dem weiteren Verlauf der Philosophiegeschichte gab, andeuten, indem man grundlegende Stationen seiner Arbeit nachzeichnet. 2 Das Entstehen der Begriffsschrift im Jahre 1879 verdankt sich einer »Unzulänglichkeit der Sprache,« 3 die sich darin ausdrückt, dass alltägliche Wendungen immer dann an Genauigkeit einbüßen, wenn die Beziehungen, welche sie auszudrücken versuchen, komplexer werden. Freges Bestreben, arithmetische Begründungen nachzuzeichnen und als rein logisch auszuweisen, gilt in besonderem Maße als solch ein Fall, in welchem die Komplexität des Gedankengangs nur allzu leicht dafür Sorge trägt, dass die Unschärfe der Alltagssprache die Genauigkeit des Beweises beeinträchtigt. Daher betont Frege die Notwendigkeit einer formalen Sprache des reinen Denkens wie folgt: Das Verhältnis meiner Begriffsschrift zu der Sprache des Lebens glaube ich am deutlichsten machen zu können, wenn ich es mit dem des Mikroskops zum Auge vergleiche. Das Letztere hat durch den Umfang seiner Anwendbarkeit, durch die Beweglichkeit, mit der es sich den verschiedensten Umständen anzuschmiegen weiss, eine grosse Ueberlegenheit vor dem Mikroskop. . . . Sobald aber wissenschaftliche Zwecke grosse Anforderungen an die Schärfe der Unterscheidung stellen, zeigt sich das Auge als ungenügend. Das Mikroskop hingegen ist gerade solchen Zwecken auf das vollkommenste angepasst . . . 4

Obwohl die »Formelsprache des reinen Denkens« und die darauf aufbauenden Erweiterungen durch Russells und Whiteheads Principia Mathematica als Beitrag zur Philosophie der Mathematik intendiert sind, zählen sie neben Wittgensteins Tractatus Logico-Philosophicus zweifellos zu den wichtigsten Anstößen für den linguistic turn im beginnenden 20. Jahrhundert. Die formale Logik Freges ermöglicht es, philosophische Argumentationen auf ihre syntaktische Grundstruktur herunterzubrechen und so argumentative Fehler nachzuweisen. Innerhalb der Philosophie wird die Ersetzung der Alltagssprache durch eine ideale Sprache zu Zwecken der Wissenschaft in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts nur umso dringender, wenn man in Betracht zieht, welche Revolutionen sich in der Physik sowohl durch die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie als auch durch die Quantenmechanik vollziehen. Das intellektuelle Klima jener Zeit, das einerseits durch den im2

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Dies geschieht hier, ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Wer diese Vollständigkeit dennoch sucht, der sei unter den vielen hervorragenden Einführungen zu Freges Werk auf Lothar Kreisers Buch hingewiesen, das an Detailliertheit unübertroffen ist. Siehe Kreiser, Lothar: Gottlob Frege. Leben – Werk – Zeit. Hamburg: Meiner 2001. Begriffsschrift. Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens. Halle: Louis Nebert 1879, S. IV. Ebd., S. V.

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mensen naturwissenschaftlichen Erfolg und andererseits durch die Bereitstellung eines exakten Instruments zur Analyse philosophischer Argumentation etabliert wird, bildet die Keimzelle des Wiener Kreises. Der philosophische Zeitgeist greift die systematische Konstellation, in welcher sich die Werke Freges zusammen mit denen Russells, Whiteheads und Wittgensteins befinden, auf und findet beispielsweise in Rudolf Carnap einen Proponenten, der die neuen methodischen Mittel gebraucht, um die kontinentale Tradition der Metaphysik mit ihren Scheinproblemen zu konfrontieren. 5 Der Stillstand der Philosophie, welcher sich im steten Kreisen um die immer selben Probleme ausdrückt, gegenüber dem Fortschritt der Naturwissenschaften kann nun – so sagt der Zeitgeist – relativiert werden, indem philosophische Argumentationen dahingehend untersucht werden, ob sie frei von demjenigen sind, was (im Sinne Freges) nichts zum assertorischen Gang der Argumentation beiträgt oder was (im Sinne Wittgensteins) das Gesagte derart verunstaltet, dass es zum Unsinn wird. Als einer der wirkmächtigsten Trabanten dieser Konstellation in der frühen analytischen Philosophie ist daher der logische Empirismus anzusehen, welcher zunächst in einer Rotation um die Achse Jena /Cambridge entsteht, um schließlich eigenständig zu werden und weite Bereiche der Philosophie im beginnenden 20. Jahrhundert zu prägen. 6 Frege selbst spielt in diesen Zusammenhängen die stille Rolle des Initiators, welcher derweil mit seinen eigenen Problemen kämpft, die sich keineswegs als Scheinprobleme entlarven lassen. Das Erwachsen der Psychologie als eigenständiger Wissenschaft aus dem Schoße der Philosophie und die darauffolgende Gründung erster psychologischer Institute in den 1870er und 1880er Jahren erwecken den Verdacht, dass die Psychologie zur Leitwissenschaft avanciert, die ihre Thesen und Methoden auf andere Wissenschaftsbereiche ausweitet. Die Naturalisierung des Geistes in Form des Psychologismus, welcher für sich in Anspruch nimmt, klassische Probleme der theoretischen und praktischen Philosophie lösen zu können, kann Frege nur ein Dorn im Auge sein. Der Psychologist deklariert die Gesetze des Denkens – also die Gesetze der Logik – zu wesentlich naturwissenschaftlich erfassbaren Mechanismen, welche in Ergänzung durch sozio-kulturell geprägte psychologische Dispositionen unsere Überzeugungsbildung bestimmen. 7 Frege zufolge drückt sich hier »der verderbliche Einbruch der Psychologie in die Logik« aus, welcher 5 6

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Carnap, Rudolf: Scheinprobleme in der Philosophie. Hamburg: Meiner 2005. Eine immense Kritik erfährt der logische Empirismus spätestens mit Wilfrid Sellars Kritik am myth of the given. Vgl. sein »Empiricism and the Philosophy of Mind,« in: Feigl, H. & Scriven, M. (Hrsg.): Minnesota Studies in the Philosophy of Science, Vol. 1. Minneapolis: University of Minnesota Press 1956. Vgl. beispielsweise Wundt, Wilhelm: Logik. Eine Untersuchung der Principien der Erkenntiss und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. Stuttgart: Enke 1880 und Erdmann, Benno: Logik. Logische Elementarlehre. Halle: Max Niemeyer 1892. Freges psychologistischer Gegner

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dazu führt, dass die Logik als Disziplin nicht mehr auf eigenen Füßen steht, sondern »durch und durch psychologisch verseucht« ist. 8 Der Psychologist zieht demnach eine Analogie zwischen raumzeitlichen Ereignissen in der Außenwelt und den mentalen Vorgängen unserer Überzeugungsbildung – oder wie Frege es ausdrückt: . . . das Wort »Denkgesetz« verleitet zu der Meinung, diese Gesetze regierten in derselben Weise das Denken, wie die Naturgesetze die Vorgänge in der Aussenwelt. Dann können sie nichts anderes als psychologische Gesetze sein; denn das Denken ist ein seelischer Vorgang. Und wenn die Logik mit diesen psychologischen Gesetzen zu thun hätte, so wäre sie ein Theil der Psychologie. Und so wird sie in der That aufgefasst. 9

Wenn es allerdings die Gesetze des reinen Denkens in dem Sinne geben soll, wie Frege sie sich zum Thema macht, so kann es sich dabei nicht um psychologische Dispositionen handeln, die das individuelle Denken lenken, sondern vielmehr um Gesetze, die vorschreiben, wie überall dort gedacht werden soll, wo überhaupt gedacht wird. 10 Freges Grund, auf der Selbständigkeit der Logik zu bestehen, liegt in seiner Diagnose, dass der Psychologist einem fundamentalen Irrtum aufgesessen ist, der sich in der Verwechslung von Wahrheit und Fürwahrhalten ausdrückt: So setzt Herr B. Erdmann . . . die Wahrheit mit Allgemeingültigkeit gleich und gründet diese auf die Allgemeingewissheit des Gegenstandes, von dem geurtheilt wird, und diese wieder auf die allgemeine Uebereinstimmung der Urtheilenden. So wird denn schliesslich die Wahrheit auf das Fürwahrhalten der Einzelnen zurückgeführt. Dem gegenüber kann ich nur sagen: Wahrheit ist etwas anderes als Führwahrgehaltenwerden . . . Es ist kein Widerspruch, dass etwas wahr ist, was von Allen für falsch gehalten wird. Ich verstehe unter logischen Gesetzen nicht psychologische Gesetze des Fürwahrhaltens, sondern Gesetze des Wahrseins. 11

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könnte uns auch heutzutage wieder in Form neurowissenschaftlicher Forschung begegnen. Der Umstand, dass technische Innovationen wie die funktionale Bildgebung dazu geführt haben, prominente Neurowissenschaftler zu philosophischen Thesen zu verführen, kann durchaus als Wiederbelebung des Psychologismus gedeutet werden. Siehe hierzu etwa Singer, Wolf: Der Beobachter im Gehirn. Essays zur Hirnforschung. Frankfurt /Main: Surhkamp 2002 und Roth, Gerhardt: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen. Frankfurt /Main: Suhrkamp 1996. Frege: Grundgesetze der Arithmetik. Begriffsschriftlich abgeleitet. Paderborn: mentis 2009, S. XIV. Ebd., S. XV. Vgl. ebd., S. XV. Die Normativität der Denkgesetze wird Frege bis zum Lebensende beschäftigen. Ausdruck dessen sind die Logischen Untersuchungen. Vgl. dafür auch Stuhlmann-Laeisz, Rainer: Gottlob Freges »Logische Untersuchungen«. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995. Frege: Grundgesetze der Arithmetik, S. XVf.

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Besonders die Grundlagen der Arithmetik (1884) und das Vorwort zum ersten Band seiner Grundgesetze der Arithmetik (1893) sind davon geprägt, die Folgen dieser Verwechslung des Psychologisten sichtbar zu machen und als untragbar auszuweisen. Frege geht es hierbei um die Nicht-Überführbarkeit von Rationalität in Kausalität. Jede Reduktion rationaler Verhältnisse auf kausale Bestimmungen ist Frege zufolge mit nicht zu plausibilisierenden Eliminationen verbunden. Gegen den Psychologisten drängt Frege auf das unabhängige Bestehen eines »Reichs der Gedanken«, das weder in eins mit der empirischen Außenwelt noch mit den subjektiven Vorstellungen fällt, jedoch mit der Außenwelt gemeinsam hat, dass es ebenso selbständig besteht und mit den Vorstellungen, dass es nicht in kausale Relationen eingebettet ist. 12 Seinen größten Beitrag zur Sprachphilosophie leistet Frege in den Jahren 1891 und 1892 in Form der Aufsatz-Triade »Funktion und Begriff«, »Über Sinn und Bedeutung« und »Über Begriff und Gegenstand«. Freges Umdeutung des Subjekt /Prädikat-Schemas von Sätzen zu einem Argument / Funktion-Schema erlaubt es ihm, zu zeigen, wie der semantische Gehalt von Sätzen durch den semantischen Gehalt seiner Bestandteile konstituiert wird. In Analogie zu mathematischen Funktionen begreift Frege Prädikate (wie etwa ». . . ist sauer«) als Funktionen, die für sich genommen ergänzungsbedürftig sind und durch die Sättigung durch einen Gegenstand (wie etwa »Die Zitrone«) das Wahre oder das Falsche als Funktionswert liefern. Die Bedeutung von Sätzen ist demnach ein Wahrheitswert. Die Gedanken, welche durch die Sätze »Michael Dummett hat Bücher über Frege geschrieben« und »Gottfried Gabriel gehört zu den Autoren des vorliegenden Buches« ausgedrückt werden, stehen also für denselben Gegenstand: das Wahre. Einen Wahrheitswert an dieser Stelle als Gegenstand zu begreifen, begründet sich durch die berühmte Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung, die Frege vornimmt. Offensichtlich können verschiedene Argumente in ein und demselben Funktionsausdruck gegeneinander ausgetauscht werden, ohne dass dadurch ein anderer Funktionswert geliefert würde. Betrachten wir die Funktion ». . . ist die frühere Hauptstadt Deutschlands« und sättigen sie mit verschiedenen Argumenten, wie z. B. in: (1) Bonn ist die frühere Hauptstadt Deutschlands. (2) Die Geburtsstadt Beethovens ist die frühere Hauptstadt Deutschlands. Dass (1) und (2) denselben Wahrheitswert haben, liegt daran, dass sich die Ausdrücke »Bonn« und »Die Geburtsstadt Beethovens« auf denselben Gegenstand beziehen. Der Funktionsausdruck ». . . ist die frühere Hauptstadt 12

Vgl. Frege: »Der Gedanke,« in: Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus 1 (1918/19), S. 58–77.

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Deutschlands« wird also in beiden Fällen durch denselben Gegenstand gesättigt. Dieser Gegenstand unserer Bezugnahme – die Bedeutung dieser Ausdrücke – hat jedoch jeweils einen anderen Sinn: Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortverbindung, Schriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist. 13

Ebenso verhält es sich bei den Sätzen »Michael Dummett hat Bücher über Frege geschrieben« und »Gottfried Gabriel gehört zu den Autoren des vorliegenden Buches«. Sie sind verschiedene Arten des Gegebenseins ein und desselben Gegenstandes – des Wahren. Freges sprachphilosophische und logische Errungenschaften bestimmen die Landschaft der theoretischen Philosophie auch heutzutage noch. Auf Freges Überlegungen bauen die Entwicklung und systematische Ausarbeitung der wahrheitskonditionalen Semantik (und natürlich die Kritik an dieser), welche die Sprachphilosophie im letzten Jahrhundert dominierte, wesentlich auf. Freges Einfluss auf die jüngere Philosophiegeschichte macht deutlich, dass der wegweisende Charakter seines Werks sowohl exegetisch als auch systematisch in eine Vielzahl von Richtungen gedeutet wurde und wird. Freges Werk bietet aufgrund der Klarheit seiner Sprache und der philosophischen Brisanz seiner Themen nicht nur Anknüpfungspunkte, sondern klarerweise auch Angriffsfläche. Der vorliegende Band verfolgt das Ziel, einen Einblick in das weite Spektrum möglicher Interpretationen, systematischen Erweiterungen und Kritikpunkte eines philosophischen Klassikers zu bieten. Die im vorliegenden Band zusammengestellten Arbeiten beschränken sich daher nicht auf einen einzelnen Aspekt von Freges Werk, sondern betrachten seine Philosophie aus unterschiedlichen systematischen und exegetischen Perspektiven.

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Frege: »Über Sinn und Bedeutung,« in: Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik 100 (1892), S. 25–50, hier: S. 26.

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Frege innerhalb der philosophischen Traditionen Die historische und systematische Stellung, die Frege in Bezug auf die Arbeiten von Vorläufern wie Immanuel Kant und Nachfolgern wie Ludwig Wittgenstein einnimmt, wird eindrucksvoll von James Conant herausgearbeitet. In seinem Beitrag zeigt Conant, wie sich die Methode des Tractatus Logico-Philosophicus aus einem Gedankenexperiment speist, welches Frege im Vorwort zu seinen Grundgesetzen der Arithmetik als Argument gegen den Psychologismus entwickelt hat. In Freges Überlegungen zu logisch fremdem Denken tritt ein Verständnis von Logik zutage, das einerseits das Kantische Verständnis der Logik als allgemeinster Wissenschaft beerbt, andererseits jedoch mit grundlegenden Einsichten Kants bricht. Diese Spannung in Freges Logikverständnis schlägt eine philosophische Brücke zwischen Kant und Wittgenstein. Auf Grundlage der Argumente, die Frege gegen den Psychologismus formuliert, stellt Alexander Samans Freges Psychologismuskritik als Kombination von Anti-Naturalismus und Anti-Idealismus dar. Theorien der Objektivität von Begründungen des Wahrseins müssen sich Frege zufolge sowohl naturalistischen als auch subjektiv-idealistischen Tendenzen verwehren. Samans bezieht sich auf Kants transzendentalen Idealismus, um den Forderungen, die Frege formuliert, anhand von Kants Auflösung der ersten Antinomie der reinen Vernunft gerecht zu werden. Da Freges Werk in weiten Bereichen der theoretischen Philosophie Wirkungen entfaltet, stellt sich die Frage, welches Anliegen Freges ursprünglichstes ist. Gottfried Gabriel widerspricht der Deutung Michael Dummetts, Frege sei in erster Linie Sprachphilosoph, indem Gabriel zeigt, dass Freges Ausgangspunkt in der Erkenntnistheorie liegt. Freges erstes Ziel besteht in der Wahrung mathematischen Wissens. Von diesem Projekt aus entfaltet Gabriel Freges Werk genealogisch über die Logik bis zur Sprachphilosophie, indem er die historischen und systematischen Verflechtungen zu anderen Denkern in der Frühphase der analytischen Philosophie mit in Betracht zieht, welche Dummett größtenteils ignoriert. Wolfram Hogrebe diagnostiziert in seinem Beitrag eine Drift in Freges Denkentwicklung, die ihn vom Mathematiker zum Logiker und vom Logiker zum Sprachphilosophen werden ließ. Hogrebe argumentiert dafür, dass damit die Fregesche Denkentwicklung noch keinesfalls abgeschlossen ist – wie üblicherweise vermutet wird. Vielmehr treiben ihn seine sprachphilosophischen Überlegungen noch einen Schritt weiter, wodurch Frege vom Sprachphilosophen zum Hermeneuten wird. Durch diese Diagnose wird es Hogrebe möglich, drei Elemente in Freges Denken zu isolieren, die in der Forschung bislang wenig (bis gar keine) Berücksichtigung fanden: Theoriestücke zum kreativen Verstehen, zur Ahnung und zum Absurden.

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Sinn, Bedeutung und Existenz John McDowell stellt sich der Frage, inwiefern eine Theorie der Wahrheit mit einer Theorie des Sprachverstehens zusammenhängt. Eine Beantwortung dieser Frage besteht im Wesentlichen in einer Klärung des Verhältnisses von Sprache und Welt. Freges Differenz zwischen Sinn und Bedeutung wird hierfür herangezogen und unter anderem gegen Saul Kripkes Kritik an deskriptivistischen Ansätzen verteidigt. Ausgehend von dieser Differenz rekonstruiert McDowell Freges Überlegungen in unterschiedlichen Kontexten und wägt sie gegen einige nicht-Fregesche Konzeptionen ab, die in diesem Aufsatz entwickelt werden. Behauptungssätze zeichnen sich Frege zufolge dadurch aus, dass sie neben der Behauptung und dem ausgedrückten Gedanken häufig noch durch die Alltagssprache gefärbt sind. Adverbiale Bestandteile wie etwa »leider« und »gottlob« tragen jedoch nichts zum assertorischen Gehalt des Satzes bei und sind daher begriffsschriftlich irrelevant. Wolfgang Freitag argumentiert dafür, dass Sätze der genannten Art im eigentlichen Sinne keine Behauptungssätze sind. Vor dem Hintergrund der Sprechakttheorie interpretiert er diese Arten der sprachlichen Färbung als explizit-expressive Sprechakte, die mentale Einstellungen des jeweiligen Sprechers ausdrücken. Färbungen wie »leider« und »gottlob« stehen also nicht als logisch irrelevante Satzbestandteile neben dem assertorischen Gehalt, sondern transformieren die kommunikative Funktion des Satzes in eine gänzlich andere. Es ist strittig, ob Freges Bemerkung, Existenz sei keine Eigenschaft, so verstanden werden kann, dass Existenz somit auch keine Eigenschaft des Gottesbegriffs sein kann. Joachim Bromand untersucht das Verhältnis von Freges Ausführungen zum Existenzbegriff und stellt klar, dass damit kein prinzipielles Argument gegen die Möglichkeit eines ontologischen Gottesbeweises gegeben ist. Vielmehr lässt sich Freges Charakterisierung des Existenzbegriffs auf ein Argument gegen eine spezielle Form des Gottesbeweises zuspitzen: den Cartesischen Gottesbeweis.

Logizismus und Platonismus Obwohl eine Beschäftigung mit komplexen Zahlen in Freges Philosophie der Mathematik fehlt, lässt sich ein solcher Ansatz aus grundlegenden Annahmen der Semantik Freges rekonstruieren. Robert Brandom zeigt auf äußerst luzide Art und Weise, dass die Eindeutigkeits- und Existenzbedingungen, welche Frege an die Einführung singulärer Terme knüpft, im Falle der komplexen Zahlen, nicht haltbar sind. Freges Konzeption der singulären Referenz kollidiert hier mit gutfundierten mathematischen Eigenschaften, die auf der Ebene