Abschlussbericht Historikerkommission Dresden 1945 - Dresden.de

17.03.2010 - David Irving legte mit seiner Publikation »The Destruction of Dresden« ...... Alabama (AFHRA), Eighth Air Force Mission Files, Microfilm B 5018) ...
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Landeshauptstadt Dresden

Abschlussbericht der Historikerkommission zu den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 Redaktion: Matthias Neutzner unter Mitarbeit von Nicole Schönherr, Alexander von Plato und Helmut Schnatz

Inhaltsverzeichnis Abschlussbericht Einführung _________________________________________________________________________ 6 Auftrag an die Kommission .......................................................................................................................... 8 Selbstverständnis der Kommission ............................................................................................................... 9 Rahmenbedingungen der Kommissionsarbeit ............................................................................................. 10 Mitglieder der Kommission......................................................................................................................... 11 Organisatorische Struktur der Kommissionsarbeit ...................................................................................... 12 Verlauf der Kommissionsarbeit................................................................................................................... 12 Zu diesem Bericht ....................................................................................................................................... 14 Teil I Untersuchungsbericht zur Zahl der Toten der Luftangriffe auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 ________________________________________________________ 15 Gegenstand und Ausgangssituation............................................................................................................. 16 Perspektiven und Methoden der Untersuchung........................................................................................... 22 Perspektive A: Neuerliche Ermittlung der Zahl der Dresdner Luftkriegstoten................................. 23 Perspektive B: Untersuchung von Überlieferungen, Erzählbildern und Überlegungen zur Totenzahl........................................................................................................................................... 24 Perspektive C: Untersuchung der Erinnerung der Dresdner Erlebnisgeneration .............................. 25 Perspektive D: Untersuchung der Genesis der Zahlenangaben zu Dresdner Luftkriegstoten........... 26 Perspektive A: Neuerliche Ermittlung der Zahl der Dresdner Luftkriegstoten ........................................... 27 Ansatz 1: Untersuchung der Bergung, Registratur und Bestattung der Luftkriegstoten ................... 27 Ansatz 2: Untersuchung der Bevölkerungsbilanz der Stadt Dresden................................................ 42 Ansatz 3: Untersuchung der Beurkundungen im Personenstandswesen ........................................... 45 Auswertung der Datenbasis personenbezogener Informationen ................................................................. 50 Perspektive B: Untersuchung von Überlieferungen, Erzählbildern und Überlegungen .............................. 51 Zahlenangaben aus Literatur und Medien ......................................................................................... 52 Überlieferungen und Erzählbilder ..................................................................................................... 55 Unvollständige Registratur der Luftkriegstoten ................................................................................ 57 Höhe der Verluste unter Flüchtlingen in Dresden............................................................................. 60 Unterbliebene Bergung von Luftkriegstoten ..................................................................................... 62 Ungeordnete Bestattung von Luftkriegstoten ................................................................................... 63 Verheimlichte Bestattung von Luftkriegstoten ................................................................................. 64 Rückstandsloses Verbrennen im Feuersturm .................................................................................... 65 Statistische Überlegungen zum alliierten Luftkrieg gegen Deutschland .......................................... 66 Überlegungen zu kriegsbedingten Gesamtverlusten ......................................................................... 67

Zusammenfassung der Ergebnisse .............................................................................................................. 67 Diskussion des Ergebnisses............................................................................................................... 68 Fazit................................................................................................................................................... 70 Teil II Untersuchungsbericht zu Tieffliegerangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 ___________________________________________________________________ 71 Gegenstand .................................................................................................................................................. 72 Ziel der Untersuchung ................................................................................................................................. 74 Untersuchungsansätze ................................................................................................................................. 74 Untersuchungsergebnisse ............................................................................................................................ 75 Ansatz A: Analyse der dokumentarischen Überlieferung ................................................................. 75 Ansatz 2: Auswertung subjektiver Erinnerungszeugnisse ................................................................ 78 Ansatz 3: Archäologische Untersuchungen ...................................................................................... 79 Ansatz 4: Militärtechnische Untersuchungen ................................................................................... 79 Schlussfolgerungen ..................................................................................................................................... 80 Teil III Untersuchungsbericht zur Erinnerung der Dresdner Erlebnisgeneration _____________ 81 Vorbemerkungen ......................................................................................................................................... 82 Sammlung subjektiver Erinnerungszeugnisse ............................................................................................. 82 Forschungsergebnisse.................................................................................................................................. 84 Erfahrungsgeschichtliche Erkenntnisse ............................................................................................ 84 Einige strittige Erinnerungen und ihre Interpretationen.................................................................... 85 Der Wert der Erinnerungszeugnisse.................................................................................................. 87 Literaturauswahl ___________________________________________________________________ 89 Danksagungen _____________________________________________________________________ 93

Einzelbeiträge der Kommissionsmitglieder Ergänzend zum Abschlussbericht werden die Untersuchungsergebnisse der Kommission in eigenständigen Einzelberichten der Kommissionsmitglieder vertieft. Die Einzelberichte sind entweder im Internetauftritt der Landeshauptstadt Dresden1 abrufbar oder in einer begleitenden Buchpublikation 2 enthalten. Einzelbeiträge  Götz Bergander: Erlebnisbericht2  Horst Boog: Die Zerstörung der Stadt Dresden am 13./14. Februar 1945 und die damalige Gesamtkriegslage2  Wolfgang Fleischer / Udo Hänchen: Tieffliegerangriffe auf Dresden am 13. und 14. Februar 19452  Thomas Kübler: Die Aktenüberlieferung im Stadtarchiv Dresden2  Rolf-Dieter Müller: Die militärische Bedeutung Dresdens im Frühjahr 1945 und die Auswirkungen der alliierten Luftangriffe2  Matthias Neutzner: Die Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten1  Rüdiger Overmans: Das Buch für Todeserklärungen und die Heimatortskarteien – Auswertung von Massendatenbasen2  Alexander von Plato / Nicole Schönherr: Die Erfahrung Dresden2  Helmut Schnatz: Die vergleichende Ermittlung von Todesopfern der britischen Luftangriffe (area bombings) auf deutsche Städte2  Thomas Westphalen / Jörg Wicke: Der 13. Februar 1945 aus archäologischer Sicht2  Thomas Widera: Expertengutachten zu Brandtemperaturen2

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Internetauftritt der Landeshauptstadt Dresden unter http://www.dresden.de/historikerkommission.

2

Rolf-Dieter Müller/Nicole Schönherr/Thomas Widera (Hg.), Die Zerstörung Dresdens13. bis 15. Februar 1945. Gutachten und Ergebnisse der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen, Dresden 2010.

Veröffentlichung Dieser Abschlussbericht steht im Internetauftritt der Landeshauptstadt Dresden unter der Adresse www.dresden.de/historikerkommission kostenfrei bereit. Über denselben Zugang sind die auch das von der Kommission erarbeitete Online-Kartenwerk »Dresden 1945« und weitere Ergebnisse der Untersuchungen verfügbar. Nach dem Abschluss der Arbeiten werden die Unterlagen der Historikerkommission schrittweise archiviert und im Dresdner Stadtarchiv 3 zugänglich gemacht.

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Bestand Stadtarchiv Dresden (StAD), 6.2.5, Untersuchungskommission 13. – 15. Februar 1945.

Einführung

Dresden, Bahnunterführung Jahnstraße, 4.10.2008: Graffiti »300000 Tote«, überschrieben durch: »ANTIFA!« (Fotografie: Barbara Lubich)

Es ist durchaus nicht alltäglich, dass eine Kommune eine wissenschaftliche Kommission mit aufwendigen Untersuchungen beauftragt. Noch seltener geschieht dies, um ein Einzelproblem der Stadtgeschichte zu klären. Genau dies aber war Auftrag der Dresdner Historikerkommission: Im Mittelpunkt ihrer Forschungen sollte die Frage nach der Zahl der Menschen stehen, die im Februar 1945 durch alliierte Luftangriffe auf Dresden getötet worden waren. Gemessen am Themenreichtum einer mehr als 800-jährigen Stadtgeschichte scheint dies nicht mehr als eine unter vielen anderen Detailfragen zu sein. Im Kontext einer nach wie vor intensiven wissenschaftlichen und publizistischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges, mit seinen Voraussetzungen und Nachwirkungen, mag die aufwendige Konzentration auf das lokale Beispiel verwundern. Wenn Oberbürgermeister und Parlament der Landeshauptstadt Dresden dennoch eine solche Untersuchung in Auftrag geben, so illustriert dies eine weiterreichende Bedeutung: Über den lokalen Rahmen des historischen Geschehens hinaus hat das Erinnern an die Luftangriffe auf Dresden – symbolisch adressiert im Datum des Jahrestages 13. Februar – nach wie vor aktuelle Bedeutung in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Geschichtsbilder, Gesellschaftsentwürfe und Identitäten. In diesem Diskurs ist die Zahl der durch die Luftangriffe auf Dresden getöteten Menschen seit langem zu einem zentralen Argument geworden, in dessen Verwendung sich Bewertungen und Haltungen bündeln. Es ist durchaus nicht selten, dass genaue Zahlenangaben zu historischen Ereignissen unsicher bleiben; den Fall der Dresdner Luftkriegstoten kennzeichnet dabei zweierlei: Erstens ist die Spannbreite der seit mehr als sechs Jahrzehnten behaupteten Zahlen sehr groß; sie reicht von ca. 20.000 bis zu 500.000, in Einzelfällen gar bis zu einer Million Menschen. Zweitens werden diese um das bis zu Fünfzigfache unterschiedlichen Zahlen noch heute regelmäßig öffentlich verwendet: auf Transparenten in den Dresdner Straßen, auf Graffitis an Hauswänden, in Presse und Literatur, in Internet-Blogs und elektronischen Medien, in öffentlichen Debatten und privaten Gesprächen. Die Fragestellung, mit der sich die Kommission beschäftigte, ist also offensichtlich nicht in einer akademischen Nische, sondern mitten im gesellschaftlichen Diskurs angesiedelt. Tatsächlich entstammt der Impuls für die Bildung der Historikerkommission einem gemeinsamen Engagement von Bürgerschaft und Stadtverwaltung: Ende Februar des Jahres 2004 begann eine Gruppe Dresdner Bürger in Vorbereitung auf den 60. Jahrestag der Luftangriffe, programmatische Ansätze für ein verantwortliches und zukunftsorientiertes Erinnern zu erarbeiten. Mit diesen gemeinsamen Grundsätzen einer demokratischen Stadtbürgerschaft sollte auch dem Missbrauch des Geschichtssymbols Dresden für nationalistische, rassistische und antidemokratische Zwecke entgegen getreten werden. In den Jahren zuvor hatte das öffentliche Gedenken an den 13. Februar 1945 – seit Jahrzehnten fester Bestandteil der städtischen Identität – eine neuerliche, kontroverse Zuspitzung erfahren, die noch stärker als bisher im öffentlichen Raum und in den Medien ausgetragen wurde. Unter diesem Eindruck entstand die Anregung, eines der zentralen Argumente in der Debatte um das Geschichtssymbol Dresden – die Zahl der Luftkriegstoten –

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wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Der damalige Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Dresden, Ingolf Roßberg, griff im Ergebnis eines öffentlichen Podiumsgespräches im März 2004 diese Initiative auf. Nach den notwendigen Vorbereitungen berief er eine Historikerkommission, die sich am 24. November 2004 unter der wissenschaftlichen Leitung von Professor Rolf-Dieter Müller konstituierte.

Auftrag an die Kommission Originär zuständig für die Ermittlung der Zahl der im Februar 1945 in Dresden getöteten Menschen waren und sind die lokalen Behörden: die örtliche Polizeibehörde und die Dresdner Stadtverwaltung. Seit dem Frühjahr 1945 und bis heute kursieren die bereits erwähnten extrem divergierenden Angaben zur Zahl der Dresdner Luftkriegstoten – und das obwohl die zuständigen Lokalbehörden in den Jahren 1945/46 mehrfach offizielle Feststellungen dazu trafen, die mit 25.000 (ab März 1945) und 35.000 (ab etwa Ende 1946) 4 zumindest eine – verglichen mit konkurrierenden Angaben – ähnliche Größenordnung aufwiesen. Wenn dennoch bis heute vielfach höhere Zahlen genannt, geschrieben und politisch verwendet wurden und werden, dann stellt dies auch eine Kritik an der Aufgabenerfüllung der zuständigen Institutionen dar. Insofern war es folgerichtig, dass die Dresdner Stadtverwaltung angesichts ihrer sachlichen Zuständigkeit für den Gegenstand und eingedenk ihrer Verantwortung für die Erinnerungskultur in der Stadt eine neuerliche Untersuchung beauftragte. Als der Dresdner Oberbürgermeister im November 2004 die »Historikerkommission der Landeshauptstadt Dresden zu den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945« berief, erhielt sie den Auftrag, den »aktuellen Forschungsstand zur Zahl der durch die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 getöteten Menschen festzustellen«. Dabei war klar, dass es unmöglich sein würde, jeden einzelnen getöteten Menschen mit Sicherheit zu erfassen. Wohl aber sollte die Zahl der Toten in ihrer Größenordnung ermittelt werden, d.h. mit einer wesentlich geringeren Schwankungsbreite, als sie in der aktuellen Diskussion zu beobachten war. Über die nun folgenden zwei Jahre hinweg wurde die Arbeit der Kommission zunächst dadurch behindert, dass es nicht gelang, die notwendigen politischen, organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen für die geplanten Untersuchungen zu sichern. Nach kontroversen kommunalpolitischen Debatten bestätigte der Dresdner Stadtrat die Kommission erst im Januar 2007, bewilligte schließlich ihren Etat und erweiterte dabei den Untersuchungsauftrag: Die Kommission wurde zusätzlich mit der Aufgabe betraut, die Erinnerung der Zeitzeugen an die Zerstörung der Stadt zu dokumentieren und zu untersuchen. Zudem sollte nun ein weiteres strittiges Detail der Dresdner Ereignisse im Februar 1945 geklärt werden – die Frage, ob die

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Zu den genannten Zeit- und Zahlenangaben siehe Kapitel »Gegenstand und Ausgangssituation«.

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Bevölkerung im Verlauf der Februar-Luftangriffe aus tieffliegenden alliierten Flugzeugen heraus beschossen worden sei. 5 Bereits in ihr erstes Arbeitsprogramm hatte die Kommission eine eigenständige Auseinandersetzung mit Erinnerungszeugnissen eingeschlossen. Durch den Stadtratsbeschluss vom Januar 2007 erhielt diese Perspektive ein zusätzliches Gewicht. Über die Auswertung der Erinnerungszeugnisse für die originäre Fragestellung hinaus sollten nun ein »Zeitzeugenarchiv« geschaffen und Erkenntnisse über den Zusammenhang von »Erinnerung und Vergangenheitsrekonstruktion« gewonnen werden. Im Gegensatz zu diesem Untersuchungsfeld hatte die Kommission zunächst keine detaillierte Nachforschung zu etwaigen Tieffliegerangriffen geplant. Dies schien für die Ermittlung entbehrlich: Selbst in den Darstellungen, die solche Angriffe behauptet hatten, war keine solche Größenordnung an dadurch getöteten Menschen erwartet worden, dass dies die Gesamtzahl der Dresdner Luftkriegstoten wesentlich beeinflusst haben würde. Insofern erweiterte der Stadtratsbeschluss den Auftrag der Kommission um eine zusätzliche Untersuchungsperspektive.

Selbstverständnis der Kommission Es entsprach sowohl den Erwartungen der Auftraggeber als auch dem Selbstverständnis der Kommissionsmitglieder, dass die Kommission ihre Arbeit allein wissenschaftlichen Prinzipien verpflichtet und damit ergebnisoffen durchführt. Wie es angesichts der geschichtspolitischen Relevanz des Untersuchungsgegenstandes und der kontroversen öffentlichen Diskussion dazu nicht anders zu erwarten gewesen war, blieben mancherlei Verdächtigungen nicht aus, die Kommission würde von politischen Interessen geleitet oder doch zumindest beeinflusst werden. Es soll daher noch einmal festgestellt werden: Mit der Übergabe des Abschlussberichts erfüllt die Kommission wohl einen Auftrag, aber keine Auftragsforschung mit inhaltlichen Vorgaben. Die Dresdner Historikerkommission stand vor einer doppelt anspruchsvollen Aufgabe: Sowohl in ihrer fachlichen Arbeit als auch in der öffentlichen Kommunikation waren Wege zu beschreiten, die von denen üblicher wissenschaftlicher Projekte abwichen. Nur selten wird einer gesellschaftswissenschaftlichen Untersuchung so unmittelbare Aufmerksamkeit der Medien und der Bevölkerung zuteil wie im Falle der Kommissionsarbeit – und das nicht nur im lokalen Kontext, sondern mit weiter internationaler Ausstrahlung. Die Kommission versuchte, diesem Interesse durch mehrfache Werkstattberichte – beispielsweise im Rahmen des Deutschen Historikertages 2008 in Dresden – und durch Medienbeiträge nachzukommen. Sie forderte mehrfach und öffentlich interessierte Bürger und Gruppen auf, ihre Hinweise und Darstellungen in

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Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden, Interfraktioneller Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP-Fraktion, Gegenstand: Historikerkommission zu den Luftangriffen auf die Stadt Dresden, Beschlussvorschlag, Antragsnummer: A0 341, 17.10.2006.

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die Untersuchung einzubringen. Mehrere Hundert Beiträge gingen ein und wurden ausgewertet. Zudem war die Kommission bemüht, bürgerschaftliches Engagement für die Untersuchung selbst nutzbar zu machen. Etwa zwei Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – teils selbst der Erlebnisgeneration des Jahres 1945 angehörend – unterstützten die Kommission ehrenamtlich, in dem sie über längere Zeiträume hinweg zumeist sehr aufwendige Arbeiten übernahmen. Die Untersuchungen der Kommission fanden also nicht im wissenschaftlichen »Elfenbeinturm« oder im sonst Verborgenen statt. Stattdessen hat die Kommission aktiv versucht, den lebhaften öffentlichen Diskurs um Aufgaben und Ergebnisse – vor allem die vorgebrachten fachlichen Einwände und die intensiven politischen Auseinandersetzungen – aktiv aufzugreifen und wo möglich fruchtbar zu machen. Zum wissenschaftlichen Selbstverständnis der Kommission gehört die Einsicht, dass Forschungsergebnisse, selbst wenn sie nach bestem Wissen und Gewissen mit professionellem Standard erarbeitet wurden, stets nur einen aktuellen Stand der Erkenntnisse repräsentieren können. Auch die Forschungen zum Gegenstand der Kommissionsarbeit – wie insgesamt zur Dresdner Stadtgeschichte des Jahres 1945 und ihrer Rezeption – werden daher fortgeführt werden müssen. Die Kommission hat dafür ein breit angelegtes und solides Fundament zur Verfügung gestellt.

Rahmenbedingungen der Kommissionsarbeit Wie bei jeder anderen Untersuchung dieser Art beeinflussten Wirtschaftlichkeitserwägungen die Konzeption und Durchführung der Untersuchungen. Die Arbeit der Kommission musste angesichts der Möglichkeiten des kommunalen Auftraggebers von vornherein so konzipiert werden, dass öffentliche Finanzmittel in möglichst geringem Umfang benötigt würden. Tatsächlich stand der Kommission ein Budget in Höhe von etwa 100.000 EUR in Jahresscheiben zur Verfügung. Diese Mittel sind vor allem für Sach- und Reisekosten, für Honorare und Aufwandsentschädigungen einzelner Hilfskräfte sowie für die Finanzierung der Öffentlichkeitsarbeit der Kommission verwendet worden. Dagegen war es notwendig, die wissenschaftliche Tätigkeit der überwiegenden Mehrzahl der Kommissionsmitglieder unentgeltlich zu leisten. Für viele aufwendige Arbeiten – so etwa Recherchen, Datenerfassungen, Transkriptionen – ist die Kommission, wie bereits erwähnt, auf ehrenamtliche Unterstützung angewiesen gewesen. Während dies einerseits die Dauer der Untersuchungen verlängerte, konnten andererseits auf diese Weise Aufgaben bewältigt werden, die allein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten hätten als nicht finanzierbar unterbleiben müssen. Dennoch war es auch für die Kommission wichtig, sowohl die Untersuchungsansätze als auch die methodische Ausprägung der einzelnen Untersuchungen wirtschaftlich zu gestalten – also ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Aufwand für einzelne Arbeiten und dem erwarteten Beitrag im Hinblick auf das

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Untersuchungsziel zu gewährleisten. In den jeweiligen Ergebnisdokumentationen wird ausgewiesen, welche methodischen Erwägungen die Kommissionsarbeit leiteten und in welchen Perspektiven sich prinzipielle Beschränkungen der Untersuchung ergaben.

Mitglieder der Kommission In die Dresdner Historikerkommission wurden berufen: Wissenschaftliche Leitung  Prof. Dr. phil. Rolf-Dieter Müller Wissenschaftlicher Direktor, Militärgeschichtliches Forschungsamt der Bundeswehr, Potsdam Kommissionsmitglieder  Götz Bergander Journalist, Publizist, Berlin  Dr. phil. Horst Boog Leitender Wissenschaftlicher Direktor a.D., Militärgeschichtliches Forschungsamt der Bundeswehr, Stegen  Wolfgang Fleischer Militärhistoriker, Wissenschaftlicher Oberrat im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr Dresden, Dresden  Thomas Kübler Amtsleiter des Stadtarchivs Dresden, Dresden  Dipl.-Ing. Matthias Neutzner Historiker, Publizist, IG »13. Februar 1945« e. V., Dresden  Dr. rer. pol. et phil. Rüdiger Overmans ehemals Militärgeschichtliches Forschungsamt der Bundeswehr, Freiburg  Dr. phil. Alexander von Plato ehemaliger Direktor des Institutes für Geschichte und Biographie, Stade  Friedrich Reichert Dipl.-Historiker, Stadtmuseum Dresden, Dresden  Nicole Schönherr M.A. Historikerin, Dresden  Dr. phil. Helmut Schnatz Studiendirektor a. D., Koblenz

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 Dr. phil. Thomas Westphalen Abteilungsleiter im Landesamt für Archäologie, Dresden  Dr. phil. Thomas Widera Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der Technischen Universität Dresden, Dresden Koordination der Kommissionsarbeit  Peter Teichmann, Landeshauptstadt Dresden, Dresden (bis September 2008)  Thomas Kübler, Amtsleiter des Stadtarchivs Dresden, Dresden (ab Oktober 2008); Nicole Schönherr, Historikerin, Dresden (ab Oktober 2008)

Organisatorische Struktur der Kommissionsarbeit Nach der initialen Aufgabenklärung und Methodendiskussion entschied sich die Kommission, ihre Arbeit in vier Teilprojekte zu strukturieren. Dabei stand jeweils ein methodisch bestimmender Forschungsansatz im Mittelpunkt. Folgende Teilprojekte wurden gebildet:  Teilprojekt 1 »Statistisch-geografische Analyse der Bergung, Registratur und Bestattung der Luftkriegstoten« (Leitung: Matthias Neutzner),  Teilprojekt 2 »Statistische Erhebungen im Vergleich« (Leitung: Rüdiger Overmans),  Teilprojekt 3 »Untersuchung der dokumentarischen Überlieferung und von Erzählbildern« (Leitung: Rolf-Dieter Müller) sowie  Teilprojekt 4 »Oral History: Subjektive Erinnerungszeugnisse« (Leitung: Alexander von Plato). Der Austausch der Teilprojekte untereinander erfolgte im individuellen Dialog der Kommissionsmitglieder sowie in mehreren gemeinsamen Workshops in Dresden. Es zeigte sich rasch, dass innerhalb und zwischen den Teilprojekten ein flexibler Austausch von Aufgaben, Ressourcen und Zwischenergebnissen notwendig würde. Dennoch bildeten die Teilprojekte das organisatorische Rückgrat der Kommission. Je nach methodischem Ansatz wurden die Arbeiten in den Teilprojekten als zusammenhängende Untersuchungen durch Projektteams oder als koordinierte Folge von Einzelstudien durch Kommissionsmitglieder ausgeführt.

Verlauf der Kommissionsarbeit Nach der Konstituierung der Kommission im November 2004 konnte, wie bereits erwähnt, die Arbeit zunächst nur in begrenztem Umfang aufgenommen werden. Noch fehlte die lokalpolitische Legitimation für

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Kommission und Untersuchung, noch stand das geplante Kommissionsbudget nicht zu Verfügung. Diese Situation änderte sich erst mit dem zustimmenden Stadtratsbeschluss im Januar 2007. Die erste Phase der Kommissionsarbeit musste sich daher auf jene Arbeiten beschränken, die eng an ohnehin bestehende Forschungsvorhaben einzelner Kommissionsmitglieder angrenzten (und damit weitgehend ohne finanzielle Aufwände abgewickelt werden konnten) oder für die eine Fremdfinanzierung6 erreicht wurde. Gleichwohl waren Öffentlichkeit und Medien von Anfang an intensiv an den Planungen, Arbeiten und Ergebnissen der Kommission interessiert. Eingedenk dessen trat die Kommission mehrfach an die Öffentlichkeit, am ausführlichsten in einem öffentlichen Ganztagsworkshop am 26. April 2006 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden. In Presse und Veranstaltungen forderte die Kommission mehrfach zur Mitarbeit auf: Die Dresdnerinnen und Dresdner und alle anderen Interessierten wurden gebeten, ihre Erinnerungen, Hinweise und Überlegungen für die Kommissionsarbeit zugänglich zu machen. Tatsächlich entstanden daraufhin mehrere Hundert Kontakte, die Eingang in die Untersuchungen fanden. 7 Parallel fragte das Dresdner Stadtarchiv ab August 2005 bei mehr als 800 Archiven und Institutionen in der gesamten Bundesrepublik nach relevanten Archivunterlagen zu Todesfällen von Flüchtlingen aus Dresden nach. 8 In Zusammenarbeit mit dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e.V. an der TU Dresden gelang es der Kommission, im Frühjahr 2006 relevante Bestände des Russischen Militärarchivs Moskau durch Mitarbeiter des Hauses auswerten zu lassen. Im Mittelpunkt der Recherchen standen die dort aufbewahrten Archivunterlagen deutscher Behörden aus dem Jahr 1945. 9 Mit der Bestätigung (und Erweiterung) des Kommissionsauftrags durch den Dresdner Stadtrat im Januar 2007 konnten die laufenden Arbeiten der Kommission intensiviert und noch ausstehende Untersuchungen gestartet werden. Im darauf folgenden Jahr veröffentlichte die Kommission anlässlich des Deutschen Historikertages in Dresden einen zusammenfassenden Zwischenbericht 10. Mit einer Pressekonferenz, einem Workshop, einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung und einer thematischen Stadtführung im Rahmen des Historikertages gab die Kommission einen breiten Einblick in Methoden und Zwischenergebnisse ihrer Arbeit. Die intensive, auch internationale, Berichterstattung der Medien bestätigte die Relevanz der Forschungen.

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So finanzierte die Fritz Thyssen Stiftung Befragungen von Dresdner Zeitzeugen, die für die Arbeit der Historikerkommission genutzt werden konnten.

7

Siehe dazu: Alexander von Plato/Nicole Schönherr, Die Erfahrung Dresden. In: Rolf-Dieter Müller/Nicole Schönherr /Thomas Widera (Hg.), Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945.Gutachten und Ergebnisse der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen, Dresden 2010, S. 189-210.

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Siehe dazu: Thomas Kübler, Die Aktenüberlieferung im Stadtarchiv Dresden. In: Rolf-Dieter Müller/Nicole Schönherr /Thomas Widera (Hg.), Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945, S. 51-60.

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Siehe dazu: Thomas Kübler, ebd., S. 51-60.

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Erklärung der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen der Luftangriffe auf die Stadt Dresden am 13./14. Februar 1945, Dresden 2008.

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Nachdem zum Jahresende 2009 alle Teilprojekte abgeschlossen werden konnten, legt die Kommission mit der Übergabe dieses Berichtswerkes an die Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Dresden am 17. März 2010 die Ergebnisse ihrer Arbeit vor. Damit hat die Kommission die vom Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden gestellte Aufgabe erfüllt. Gleichzeitig werden die Berichte und Materialien der Kommission für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht – im Internetauftritt der Landeshauptstadt Dresden, in einer Buchpublikation 11 und schrittweise im Dresdner Stadtarchiv.

Zu diesem Bericht Der Abschlussbericht fasst die wesentlichen Ergebnisse der Kommissionsarbeit zusammen. Er wird ergänzt durch die jeweiligen Einzelbeiträge der Kommissionsmitglieder. Neben diesen Berichten erarbeitete die Kommission weitere Ergebnisse, denen eine eigenständige über diese Untersuchung hinausweisende Bedeutung zukommt. Dazu gehören insbesondere das im Stadtarchiv Dresden angesiedelte Zeitzeugenarchiv, die elektronische Datenbasis personenbezogener Informationen zu Dresdner Luftkriegstoten und das Online-Kartenwerk »Dresden 1945«. Gliederung des Abschlussberichts Der Aufgabenstellung folgend, ist der Abschlussbericht – neben dieser Einleitung – in drei Untersuchungsberichte gegliedert:  Teil I. Untersuchungsbericht zur Zahl der Toten der Luftangriffe auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945,  Teil II. Untersuchungsbericht zu Tieffliegerangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945,  Teil III. Untersuchungsbericht zur Erinnerung der Dresdner Erlebnisgeneration. Elektronische Datenbasis personenbezogener Informationen zu Dresdner Luftkriegstoten Aus Sicht der Kommission ist es wünschenswert, auch nach Abschluss der Kommissionsarbeit das elektronische Register weiterzuführen, in dem diejenigen Menschen verzeichnet sind, die durch Luftangriffe auf Dresden getötet worden sind. 12

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Rolf-Dieter Müller/Nicole Schönherr /Thomas Widera (Hg.), Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945. Gutachten und Ergebnisse der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen, Dresden 2010.

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Siehe Kapitel »Auswertung der Datenbasis personenbezogener Informationen«.

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Teil I Untersuchungsbericht zur Zahl der Toten der Luftangriffe auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945

Registratur von Luftkriegstoten auf dem Dresdner Altmarkt, 25. Februar 1945 (Gerahmtes Diapositiv. Fotografie: Walter Hahn. StAD, 16.2.40, Hahn, Walter und Draber, Helmut, F12)

Zentraler Auftrag der Dresdner Historikerkommission war es, den »aktuellen Forschungsstand zur Zahl der durch die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 getöteten Menschen festzustellen«. Der folgende Teil des Abschlussberichtes dokumentiert die Ergebnisse der von der Kommission mit diesem Ziel unternommenen Untersuchungen.

Gegenstand und Ausgangssituation In den 37 Stunden zwischen dem späten Abend des 13. Februar 1945 und dem Mittag des 15. Februar 1945 wurde Dresden zum Ziel von vier alliierten Luftangriffen. Zunächst bombardierten in der Nacht zum 14. Februar 1945 knapp 800 Bomber des britischen Bomber Command in zwei aufeinander folgenden Angriffen das Stadtgebiet. Sie erzeugten großflächige Brände, die sich zu einem vernichtenden Feuersturm vereinigten. Nur Stunden später, am Mittag des 14. Februar 1945, setzten reichlich 300 Bomber der USAAF den Angriff fort. Am darauf folgenden Vormittag folgten noch einmal etwas mehr als 200, wiederum USamerikanische Bomber. Bei diesen vier Luftangriffen waren etwa 2.400 Tonnen Sprengbomben und – für Dresden von besonders verheerender Wirkung – fast 1.500 Tonnen Brandbomben über der Stadt abgeworfen worden. 13 Weite Teile der zentralen Stadtgebiete wurden nahezu vollständig zerstört. Zahlreiche Menschen, die sich in der Stadt aufgehalten hatten, starben. Zwei fotografische Motive, die heute den Bild-Ikonen des Zwanzigsten Jahrhunderts zugerechnet werden, symbolisieren diese bauliche und menschliche Dimension der Dresdner Katastrophe: Auf einer Fotografie von Richard Peter sen. scheint eine der Skulpturen am Rathausturm mit anklagender Geste auf die weiten Trümmerflächen zu weisen. 14 Fotografien von Walter Hahn zeigen die in den Straßen und Kellern der Stadt geborgenen und dann auf dem Dresdner Altmarkt aufgeschichteten und verbrannten Toten. 15 Die Bildsymbole stehen heute stellvertretend für das schon im Februar 1945 entstan-

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Zitiert nach: Götz Bergander, Dresden im Luftkrieg. Vorgeschichte – Zerstörung – Folgen, Weimar 2004, S. 401. Es gehörte weder zu ihrem Auftrag noch schien es der Kommission notwendig, die militärgeschichtliche Dimension der Luftangriffe auf Dresden neuerlich zu untersuchen. Dies war bereits mit aller notwendigen Sorgfalt in jahrzehntelangen Untersuchungen vor allem durch Götz Bergander erfolgt, der diesen Kontext als Mitglied in die Kommissionsarbeit einbringen konnte.

14

Deutsche Fotothek Dresden, df-ps_0000010. Veröffentlich zuerst in Richard Peter, Dresden – eine Kamera klagt an, Dresden 1949, Tf. 4. Siehe dazu: Wolfgang Hesse, Bild-Geschichte(n). In: Oliver Reinhard/Matthias Neutzner/Wolfgang Hesse (Hg.), Das rote Leuchten. Dresden und der Bombenkrieg, Dresden 2005, S. 166 – 261. Weiter Wolfgang Hesse, Der »Engel« von Dresden. Trümmerfotografie und visuelles Narrativ der Hoffnung. In: Gerhard Paul (Hg.), Das Jahrhundert der Bilder, Band 1, S. 730 - 737.

15

StAD, 16.2.40, Hahn, Walter und Draber, Helmut.

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dene Erzählbild der »Zerstörung Dresdens«, in dem nicht weniger als die Annahme einer fast vollständigen Auslöschung der Stadt und ihrer Menschen anklingt. 16 Bevor sich die Betroffenen ein Bild vom Ausmaß der Zerstörungen machen konnten, hatten die Dresdner Behörden bereits damit begonnen, die getöteten Menschen zu bergen und zu registrieren – noch in der Nacht des Feuersturms in den äußeren Stadtteilen, im zentralen »Schadensgebiet« ab dem Nachmittag des 14. Februar. 17 In den folgenden Tagen und Wochen wurden die Angaben der einzelnen Dienste, Einheiten und Einrichtungen zur Zahl der Getöteten auf verschiedenen Meldewegen an vorgesetzte Dienststellen übermittelt, dort zusammengefasst und den Landes- und Reichsbehörden berichtet. Nur sehr wenige bilanzierende Meldungen, die Aussagen zu den Gesamtverlusten an Menschenleben in Dresden enthalten, sind archivalisch überliefert. Die heute noch verfügbaren Dokumente aus den knapp drei Monaten zwischen den Luftangriffen und dem Kriegsende stammen ausschließlich von höheren Polizeidienststellen: Aus den Berichten des Dresdner Polizeipräsidenten als »Örtlichem Luftschutzleiter« stellte die Behörde des »Höheren SS- und Polizeiführer Elbe« eine bilanzierende »Schlußmeldung über die vier Luftangriffe auf den LS-Ort Dresden am 13., 14. und 15. Februar 1945« zusammen. Sie wurde am 15. März 1945 – also vier Wochen nach dem 13. Februar – nach Berlin abgesandt. Mit Stand vom 10. März enthält der Bericht die Zahl von 18.375 »Gefallenen«, insgesamt rechnete die Polizei »auf Grund der bisherigen Erfahrungen u. Feststellungen bei der Bergung« mit »etwa 25.000« getöteten Menschen. 18 Die Angaben aus Sachsen fanden mit zeitlicher Verzögerung mehrfach Eingang in die Lagemeldungen der Berliner Behörde des Chefs der Ordnungspolizei. Als letzter Dresden betreffender Eintrag wird dort für den Stichtag 31. März 1945 die »Zahl der geborgenen Gefallenen« mit nunmehr 22.096 Personen angegeben. 19 Weitere zusammenfassende Statistiken aus der Kriegszeit sind dokumentarisch nicht überliefert; lediglich einige wenige erhaltene Meldungen einzelner Dresdner Friedhöfe illustrieren den Fortgang der Bestattungen. 20 Nach dem 8. Mai 1945 setzten die neuen Verantwortlichen der Dresdner Stadtverwaltung verständlicherweise zunächst andere Prioritäten: Wichtiger als etwa die statistische Bilanz der Luftkriegstoten war die

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Die Formulierung »Zerstörung Dresdens« findet sich bereits ab 16. Februar 1945 in der deutschen Auslandspropaganda, im Inland verwendeten die Propagandisten sie etwas zögerlicher – erstmals wohl am 4. März 1945 in einem Artikel in der Wochenzeitschrift »Das Reich« (Siehe dazu ausführlicher: Matthias Neutzner, Vom Alltäglichen zum Exemplarischen. In: Oliver Reinhard/Matthias Neutzner/Wolfgang Hesse (Hg.), Das Rote Leuchten, S. 110 - 127). Parallel fand sie rasch Eingang in die Beschreibungen der Augenzeugen. Als geläufiges Sprachbild griffen Journalisten und Sachbuchautoren die Formulierung in den Jahrzehnten nach 1945 auf.

17

Siehe dazu ausführlicher: Matthias Neutzner, Die Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten, Dresden 2010, http://www.dresden.de/historikerkommission.

18

Schlußmeldung über die vier Luftangriffe auf den LS-Ort Dresden am 13., 14. und 15. Februar 1945 vom 15. März 1945 (Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (SächsHStAD), SED-BPA Dresden, V/2/052/006).

19

Chef der Ordnungspolizei, Lagemeldung Nr. 1414, 3.4.1945 (Bundesarchiv (BArch) R 19/341, Bl. 217). Weitere Lagemeldungen mit Angaben zu Dresden: Nr. 1396, 14.3.1945 (BArch R 19/341, Bl. 115 RS); Nr. 1404, 22.3.1945 (BArch R 19/341, Bl. 138 - 141).

20

Mehrere Meldungen zur Zahl bestatteter Luftkriegstoter auf dem Heidefriedhof, Johannisfriedhof und dem Neuen Annenfriedhof zwischen 27.2.1945 und 12.7.1945 (StAD, 9.1.13, Marstall- und Bestattungsamt, Nachträge 1 und 5). Neben den genannten Meldungen der Friedhöfe sind Einzelangaben zu Totenzahlen vom städtischen Einsatzstab, 22.2.1945, (StAD, 2.3.11, Stadtbauamt A, Nachtrag III, Bl. 16) und dem ebenfalls städtischen Vermißtennachweisdienst , 4.4.1945 (SächsHStAD, SED-BPA Dresden, V/2/052/018) überliefert.

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Registratur der Lebenden, deren Zahl und Zusammensetzung sich durch intensive Ab- und Zuwanderungen – so der verharmlosende Fachbegriff der Statistiker – deutlich verändert hatte. Zwar registrierten die Behörden weiter die im Februar in Dresden getöteten und die noch vermissten Menschen, eine zusammenfassende Zahl wurde jedoch erst Anfang des folgenden Jahres wieder interessant als der erste Jahrestag der Luftangriffe für eine propagandistische Großaktion genutzt werden sollte. In ihrem Werben um Unterstützung für den »Dresdner Aufbauplan« bezog sich die Stadtverwaltung auf die Februar-Luftangriffe, als deren Folge 25.000 getötete Menschen benannt wurden. 21 Drei Monate später wies das Statistische Amt der Stadt in seiner ersten veröffentlichten Bevölkerungsbilanz nach dem Krieg dieselbe Zahl aus.22 Zu diesem Zeitpunkt recherchierte jedoch das städtische Nachrichtenamt bereits erneut in dieser Angelegenheit, nachdem die bisherigen Zahlen in und außerhalb der Behörde auf Skepsis gestoßen waren. Wohl spätestens zum Jahresende 1946 legte man sich auf eine um 10.000 Personen höhere Zahl fest: 32.000 Menschen wurden als bestattet bilanziert, weitere 3.000 als noch nicht geborgen vermutet.23 Gleichwohl ging die Vermißtenstelle beim Polizeipräsidium Dresden noch im Januar 1947 in einer internen Auskunft von 25.000 »nachweislich durch Luftangriffe getöteten Dresdner Personen« aus. 24 Eine weitere dokumentarisch belegte Zahl findet sich in zwei zusammengehörigen Meldungen der Stadtverwaltung aus dem Dezember 1950: In leicht differenzierter Klassifizierung weisen sie zwischen 34.324 und 34.403 Kriegsgräber in Dresden aus, die im Zusammenhang mit dem »Bombenkrieg« gegen Dresden stehen – also nicht allein den Luftangriffen im Februar 1945 zuzurechnen sind. 25 Zwei Buchpublikationen hochrangiger SEDFunktionäre – zunächst 1955 Max Seydewitz mit »Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden«, vor allem aber zehn Jahre später Walter Weidauer mit »Inferno Dresden« – kanonisierten schließlich die 1946 in der Stadtverwaltung festgelegte Zahl von 35.000 Toten.26 Sie wurde bis zum Ende der DDR als offizielle Angabe von den Behörden verwendet, auch wenn hin und wieder einzelne Funktionäre im propagandistischen Überschwang höhere Zahlen nannten. Nach 1990 waren gelegentliche behördliche Angaben von Unsicherheiten geprägt, zumeist fand jedoch die tradierte Zahlenangabe weiter Verwendung. Auch eine neuerliche

21

Walter Weidauer, Rede zur Begründung des »Grossen Dresdner Aufbauplanes«, 13.2.1946 (StAD, 4.1.4, Dezernat Oberbürgermeister, Nr. 980, Bl. 25 - 28).

22

Dresdner Statistik. Vierteljahresberichte des Statistischen Amtes der Stadt Dresden, 63. Jg, April 1963, S. 6.

23

Für eine ausführlichere Darstellung und Quellenangaben siehe: Matthias Neutzner, Die Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten, a.a.O.

24

Suchdienst für vermisste Deutsche in der sowjetischen Besatzungszone, Beauftragter für das Land Sachsen, Bericht, 27.1.1947 (BArch DO 105/67, Bl. 22 - 25).

25

Meldung Dezernat Aufbau an das (Landes-)Ministerium für Arbeit und Aufbau, 13.12.1950 (StAD, 4.1.9, Dezernat Aufbau, Nr. 519, unpag.), sowie Aufstellung KWU Bestattung, 9.12.1950 (StAD, 4.1.14, VEB Bestattungseinrichtungen, Nr. 784, Bd. 5, unpag.). Aus den Angaben in den beiden Berichten geht nicht in allen Fällen sicher hervor, ob die Bestatteten durch Luftangriffe getötet worden waren. Dies war für den Zweck der Nachforschungen, die Registratur von Kriegsgräbern und Grabstätten von »Opfern des Faschismus«, unnötig. Insofern können die enthaltenen Angaben auch leicht differierend summiert werden.

26

Max Seydewitz, Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden, Berlin 1955 (weitere sechs Auflagen bis 1982 unter dem Titel »Die unbesiegbare Stadt – Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden«). Walter Weidauer, Inferno Dresden – Über Lügen und Legenden um die Aktion »Donnerschlag«, Berlin 1964 (weitere sieben Auflagen bis 1990).

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Registratur von Kriegsgräbern, die Anfang der 1990er Jahre in Regie der Stadtverwaltung entstand und seitdem fortgeschrieben wird, bestätigte diese Größenordnung. 27 Insgesamt kann festgestellt werden, dass die dokumentarisch nachgewiesenen Angaben der zuständigen Lokalbehörden über mehr als sechs Jahrzehnte hinweg eine Schwankungsbreite von maximal 10.000 Menschen aufwiesen. Spätestens seit der Mitte der 1960er Jahre wurde die Zahl von 35.000 Toten der FebruarLuftangriffe sowohl in der Lokalverwaltung als auch in Geschichtswissenschaft und Geschichtspolitik der DDR nicht mehr in Frage gestellt. Die überlieferten Angaben der zuständigen Behörden stellen sich also bei mancherlei Differenzen im Detail als in der Größenordnung konsistent dar. Ihnen standen jedoch von Anfang an völlig andere Überzeugungen und Behauptungen entgegen: Im unmittelbaren Eindruck der gewaltigen Zerstörungen mussten die Betroffenen – ähnlich wie in vielen anderen schwer getroffenen Städten – wesentlich höhere Verluste an Menschenleben annehmen als sie die Zählungen der Behörden auswiesen. Die Vermutungen der Dresdnerinnen und Dresdner in den ersten Wochen nach dem 13. Februar haben sich in mehreren zeitgenössischen Briefen erhalten: »Die Opfer fürchterlich hoch«, schrieb ein Augenzeuge am 18. März 1945. »Amtlich heißt es 20.000 Tote, aber was alle wissen, was man gesehen hat: man nennt 100.000 bis 200.000 und darüber. Ich habe Grausigstes gesehen.« 28 Aber nicht allein in der schriftlichen Überlieferung der Augenzeugen sind solch vielfach höhere Zahlenangaben dokumentiert, sondern auch in überlieferten behördlichen Dokumenten: Am 7. März 1945 wies die Presseabteilung des Berliner Auswärtigen Amtes die deutsche Gesandtschaft in der neutralen Schweiz an, ab sofort in ihrer Pressearbeit zur »Zerstörung Dresdens« die Angabe »Eher 200.000 als 100.000 Todesopfer« zu verwenden. 29 Zu diesem Zeitpunkt war bereits eine intensive und erfolgreiche Kampagne der deutschen Auslandspropaganda im Gange, die mit dem Beispiel Dresden den »angelsächsischen Bombenkrieg« als zentrale Anklage gegen die Kriegführung der Alliierten zu positionieren suchte. Meldungen über die »unerhörten Opfer an Menschenleben« in Dresden, die vor allem über die Presse der neutralen Staaten lanciert worden waren, fanden rasch eine weltweite Verbreitung. 30

27

Für eine ausführlichere Darstellung und Quellenangaben siehe: Matthias Neutzner, Die Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten, a.a.O.

28

Brief, Absender unbekannt, 18.3.1945 (Archiv IG »13. Februar 1945«). In den überlieferten Briefen aus dem Frühjahr 1945 weichen die mehrfach berichteten Zahlenangaben weit voneinander ab – von 20.000 bis 260.000 Toten. Selten werden Quellen für die Angaben genannt: »Zahlen d. Pg. von Ortsgruppe«, vermerkte ein Briefschreiber und gab »Gesamtverluste« von 200.000 Menschen an (Brief Hpfw. Dobbelgarten, Dresden, 23.2.1945, Archiv IG »13. Februar 1945« H041). Zumeist entstammten die Angaben jedoch dem Stadtgespräch: »Schlimme Zahlen schwirrten herum.« (Brief, Absender unbekannt, 21.2.1945, Archiv IG »13. Februar 1945« H066).

29

Auswärtiges Amt, Telegramm an Gesandtschaft Bern, 7.3.1945 (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Gesandtschaft Bern, Materialsammlung zum Luftkrieg, Bd. 3400, unpag.).

30

Siehe dazu ausführlich: Matthias Neutzner, Vom Alltäglichen zum Exemplarischen, a.a.O., S. 110 - 127.

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Während also die zuständigen Behörden zunächst von bis zu 25.000 getöteten Menschen ausgingen, war diese Zahl von den Berliner Propagandisten um ein Vielfaches überzeichnet worden. Dies blieb nicht ohne Auswirkungen auf die öffentliche Meinung in Dresden und anderswo. Vielen Augenzeugen waren die höheren Zahlen Bestätigung für die Größe der erlittenen Katastrophe; für Beobachter außerhalb Dresdens stimmten sie nur zu gut mit der medialen Darstellung der »radikalsten Auslöschung eines Stadtgebiets, die je stattgefunden hat« – so die kanadische Zeitung Toronto Star am 8. März 1945 – überein. Wenige Wochen nach den Luftangriffen auf Dresden hatte sich damit bereits jene Dualität der Überlieferungen und Überzeugungen eingestellt, die bis heute kennzeichnend für die Diskussion um die Dresdner Luftkriegstoten ist: Unabhängig und unbeeindruckt von den behördlichen Angaben wurden und werden Zahlen in nahezu beliebiger Dimension angeführt. Hunderte Beispiele aus mehr als sechs Jahrzehnten ließen sich aufführen – beginnend vielleicht mit dem ersten US-amerikanischen Korrespondentenbericht aus dem Nachkriegs-Dresden, der im Januar 1946 etwa 300.000 Tote meldete, während nur drei Wochen später ein kanadischer Journalist – ebenfalls aus Dresden – von 25.000 getöteten Menschen berichtete. 31 Seither ist in ungezählten Presseberichten, in Sachbüchern und Belletristik, in Filmen und Fernsehbeiträgen, in Postings von Online-Foren und -Blogs, in Stellungnahmen von Behörden, Parteien und Gruppierungen ein weiter Zahlenraum aufgespannt worden. Bis in die Gegenwart hinein werden den behördlichen Zahlen entweder drastisch höhere Angaben entgegengesetzt – 60.000, 100.000, 200.000, eine halbe Million oder mehr – oder behauptet, dass solche Zahlen ohnehin nicht zu ermitteln wären, womit sich ein unbegrenzter Raum für Spekulationen eröffnet. Als Belege für diese Angaben dienen in vielen Fällen persönliche Erinnerungen, oft auch Plausibilitätsüberlegungen und Vergleichskalkulationen. Fast immer werden die jeweiligen Argumentationen durch Zitate aus anderen Publikationen gestützt: In sechs Jahrzehnten kontroverser öffentlicher Debatte ist mittlerweile ein selbstreferentielles System entstanden, in dem sich für einige »populäre« Zahlenangaben eine eigenständige Publikationstradition herausgebildet hat. Eines jedoch ist allen Argumentationen jenseits der behördlichen Zahlen gemeinsam: Sie können sich offensichtlich nicht auf die in den Archiven überlieferten Dokumente mit Gesamtzahlen zu den Dresdner Luftangriffen stützen. Dort wo das der Fall zu sein schien – etwa bei David Irvings Bezügen auf einen »Tagesbefehl des Höheren SS- und Polizeiführers Elbe vom 22. März 1945« 32 – stellten sich die referenzierten Dokumente als Fälschung heraus, wurden falsch interpretiert oder existieren nicht.

31

Korrespondentenberichte. In: The New York Times, New York, 3.1.1946, S. 5; sowie The Maple Leaf (Northwest Europe Edition), London, 23.1.1946, S. 2. Zitiert nach: Matthias Neutzner, Vom Anklagen zum Erinnern, a.a.O., S. 128 bzw. 134.

32

David Irving legte mit seiner Publikation »The Destruction of Dresden« (London 1963) eine erste englischsprachige Monografie zu den alliierten Luftangriffen auf Dresden vor, die eine lebhafte weltweite Resonanz fand. In den folgenden Überarbeitungen anlässlich von Neuauflagen und Übersetzungen änderte Irving seine Argumentationen und Schlussfolgerungen zur Zahl der Dresdner Luftkriegstoten mehrfach. Unter anderem bezog er sich ab Ende 1964 auf den genannten Tagesbefehl – zunächst ohne dessen Authentizität geprüft zu haben, später im Wissen darum, dass der Tagesbefehl eine Fälschung war. Siehe zusammenfassend Richard J. Evans, Der Geschichtsfälscher. Holocaust und historische Wahrheit im David-Irving-Prozess, Frankfurt 2001, S. 193 - 238, insbesondere S. 198ff.

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In der jahrzehntelangen Diskussion um die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten sind – wie oben angedeutet wurde – vielerlei Zweifel an der Korrektheit der behördlichen Angaben geäußert worden. Seit 1990 sah sich die Dresdner Stadtverwaltung in stärkerem Maß als bisher mit Aufforderungen konfrontiert, die bislang vertretene Zahl von 35.000 im Februar 1945 getöteter Menschen zu korrigieren. Ein wesentliches Argument dabei war, dass die behördliche Statistik von der DDR-Administration aus politischen Gründen verfälscht worden wäre, was nun unter veränderten Bedingungen aufgedeckt und revidiert werden könnte. Parallel ließen Mitte der 1990er Jahre auch neue lokalgeschichtliche Forschungen begründete Zweifel an den bisherigen Angaben der Stadtverwaltung entstehen. 33 Zugleich festigte sich die Bedeutung Dresdens als gesamtdeutscher Erinnerungsort, begleitet von intensiven und kontroversen geschichtspolitischen Debatten. Der 13. Februar als Jahrestag der Luftangriffe auf Dresden rückte immer mehr in das Scheinwerferlicht der internationalen Medien – und damit auch die Auseinandersetzung um die Totenzahlen. In dieser komplizierten Situation reagierte die Stadtverwaltung auf entsprechende Anfragen teils unsicher, teils mit vorsichtig vagen Angaben, teils mit dem routinierten Rückgriff auf die seit Jahrzehnten genannte Zahl. Seit dem Ende der 1990er Jahre wurde die Behauptung deutlich höherer Zahlen wesentlich intensiver als bisher in öffentlichen Manifestationen vertreten, ab dem Jahr 2004 mit dem Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag auch auf der parlamentarischen Bühne. Zusammenfassung Die hier nur skizzenhaft wiedergegebene Genesis der Zahlangaben zeigt bereits die Komplexität des Forschungsgegenstandes. Zusammengefasst stellte sich der Kommission die Ausgangssituation für die Untersuchung wie folgt dar:  Die Zahl der bei den Luftangriffen auf Dresden im Februar 1945 getöteten Personen ist seit mehr als sechs Jahrzehnten Gegenstand von Untersuchungen, Darstellungen und Diskussionen, die eine Fülle an Argumentationen und kontroversen Schlussfolgerungen hervorgebracht haben.  In der Folge existieren bereits seit 1945 zwei wesentliche Parallelüberlieferungen – einerseits Zahlenangaben der zuständigen Behörden in einer Größenordnung von 25.000 bis 35.000 getöteter Menschen, andererseits vielfach höhere Angaben, die von unterschiedlichen Akteuren mit differenzierten Motivationen vertreten werden.  Beide Überlieferungen werden – wenngleich in unterschiedlichem Maß – durch Untersuchungen gestützt, die einen wissenschaftlichen Anspruch zumindest erheben. Die dort verwendeten Argumentatio-

33

Hier sind vor allem die Recherchen von Friedrich Reichert zu nennen, der 1994 auf die im Dresdner Stadtarchiv überlieferten Meldungen der Friedhöfe aufmerksam machte. Reichert schloss aus den archivalisch überlieferten Dokumenten vor allem des Stadtarchivs Dresden auf die Zahl von 25.000 im Februar 1945 in Dresden getöteter Menschen. (Friedrich Reichert, Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit. In: Stadtmuseum Dresden (Hg.), Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit. Die Zerstörung Dresdens 1945, Altenburg 1994, S. 40 - 62).

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nen beziehen sich sowohl auf die archivalische Überlieferung als auch auf subjektive Erinnerungszeugnisse, technische Überlegungen oder statistische Vergleiche.  Beide Überlieferungen fanden und finden Rückhalt in der Erlebnisgeneration – offenbar jedoch in unterschiedlicher Intensität, zeitlicher Abfolge und regionaler Fokussierung.  Der Diskurs um die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten war und ist stark durch eine in ihrer Ausrichtung wechselnde propagandistische und politische Inanspruchnahme der Totenzahl als Argument beeinflusst. Diese Charakteristika des Forschungsgegenstandes bestimmten die methodische Ausrichtung der Untersuchungen der Kommission.

Perspektiven und Methoden der Untersuchung Die Kommission konzipierte ihre Untersuchungen multiperspektivisch und interdisziplinär. Der Forschungsgegenstand sollte also zum Einen aus allen denkbaren Perspektiven und mit allen für die Kommission erreichbaren methodischen Ansätzen untersucht werden. Auf diese Weise konnten Ergebnisse, die parallel auf unterschiedlichen Wegen erarbeitet wurden, miteinander verglichen werden. Die Kommission verband mit einem solchen multiperspektivischen Vorgehen die Erwartung, dass trotz methodischer Beschränkungen oder praktischer Schwierigkeiten in den Einzeluntersuchungen eine Gesamtaussage in hoher Qualität möglich sein würde. Zum Anderen sollte die Kommissionsarbeit nicht auf das »klassische« Methodenrepertoire der Geschichtswissenschaft begrenzt bleiben, sondern interdisziplinär weitere relevante Untersuchungsmöglichkeiten einschließen. So hätte beispielsweise eine Auswertung der in den Archiven überlieferten Unterlagen allein nicht ausgereicht, das Untersuchungsziel zu erreichen: Die nur lückenhafte archivalische Überlieferung lässt keine detaillierte Rekonstruktion des Geschehens in Dresden zu. Zudem ist ja gerade die jahrzehntelange Diskussion um die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten von prinzipiellen Zweifeln an der Korrektheit der in den Archiven aufbewahrten Dokumente begleitet gewesen. Es war also notwendig, sowohl die geschichtswissenschaftliche Betrachtung methodisch möglichst breit anzulegen als auch Untersuchungen in angrenzenden Disziplinen vorzunehmen. Daher erweiterte die Kommission den Untersuchungshorizont beispielsweise um Ansätze der Archäologie sowie der Geo- und Ingenieurwissenschaften. Im Einzelnen verfolgte die Kommission vier Untersuchungsperspektiven mit jeweils unterschiedlichen methodischen Ansätzen, die nachfolgend eingeführt werden sollen.

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Perspektive A: Neuerliche Ermittlung der Zahl der Dresdner Luftkriegstoten Seit dem Jahr 1945 haben die zuständigen Dresdner Behörden – wie oben bereits dargestellt – bislang dreimal eine Gesamtbilanz der bei den Februar-Luftangriffen auf Dresden getöteten Menschen gezogen: Zunächst ermittelten Stadtverwaltung und Polizei im Februar und März 1945 parallel zur laufenden Bergung und Registratur der Luftkriegstoten zusammenfassende Zahlenangaben und meldeten diese in mehreren Berichten an die zuständigen Zentralbehörden. Im Frühjahr 1946 bilanzierte die Kommunalstatistik der Stadtverwaltung die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten. Im Verlauf desselben Jahres legte das städtische Nachrichtenamt eine neuerliche Zahl fest, die in den folgenden Jahren schrittweise als endgültig fixiert und öffentlich gemacht wurde. In allen drei Fällen hatten die Ausführenden Zugriff auf die Originalunterlagen derjenigen Verwaltungen und Einrichtungen, die wenig vorher die Bergung, Registratur und Bestattung der Toten besorgt hatten. Gleichzeitig muss jedoch festgestellt werden: Die in den Dresdner Archiven aufbewahrten Unterlagen, die unmittelbar mit diesen Erhebungen im Zusammenhang stehen, erlauben es heute nicht, die jeweils verwendeten Methoden und maßgeblichen Rahmenbedingungen zu rekonstruieren. Aus der dokumentarischen Überlieferung zu diesen Bilanzen ist nicht abzulesen, wie die zusammenfassenden Zahlen vor Jahrzehnten ermittelt worden sind. Bedingtheiten, etwaige Fehler oder gar absichtsvolle Fälschungen können auf diese Weise nicht erkannt werden. Die Kommission ging daher von Anfang an davon aus, dass es notwendig sein würde, eine neuerliche Ermittlung der Zahl der bei den Luftangriffen gegen Dresden im Februar 1945 getöteten Menschen vorzunehmen. Für diese neuerliche Ermittlung wurden insgesamt drei methodische Ansätze verfolgt. Im Ergebnis dieser drei Untersuchungen und im Vergleich der Ergebnisse zueinander sollte die gesuchte Größenordnung zu ermitteln sein. Im Idealfall würden sich die Ergebnisse gegenseitig stützen, anderenfalls wären Begründungen für ermittelte Differenzen zu suchen. In allen Fällen könnten die jeweiligen Ergebnisse mit den archivalisch überlieferten Statistiken verglichen werden. Ansatz 1: Untersuchung der Bergung, Registratur und Bestattung der Luftkriegstoten Dieser Ansatz ging von der These aus, dass bei der Bergung und Bestattung der Luftkriegstoten dokumentarische Nachweise zu jeder getöteten Person angelegt worden waren und dass diese Nachweise heute im Wesentlichen noch auffindbar und auswertbar sind. Über die Zusammenfassung aller einzelnen personenbezogenen Unterlagen müsste damit die Zahl der Luftkriegstoten zumindest in ihrer Größenordnung ermittelt werden können. Dieses Vorgehen folgt dem gleichen Ansatz auf dem auch die Erhebungen der Jahre 1945 und 1946 beruhen. Die Untersuchung wurde im Teilprojekt 1 der Kommission unter Leitung von Matthias Neutzner durchgeführt.

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Ansatz 2: Untersuchung der Bevölkerungsbilanz der Stadt Dresden Grundgedanke dieser Betrachtung war es, die Zahl der Luftkriegstoten aus der Differenz der Zahl der Menschen zu ermitteln, die sich vor und nach den Februar-Luftangriffen in Dresden befanden. Maßgeblich für eine solche Bevölkerungsstatistik müssten, so nahm die Kommission an, die Unterlagen der Kommunalstatistik und der für die Versorgung der Menschen in der Stadt zuständigen Verwaltungen sein. Inwieweit die überlieferten dokumentarischen Quellen eine Rekonstruktion solcher statistischer Angaben zulassen, war zu prüfen. Die Untersuchung erfolgte im Teilprojekt 2 der Kommission unter Leitung von Rüdiger Overmans. Ansatz 3: Untersuchung der Beurkundungen im Personenstandswesen Sowohl im Deutschen Reich bis Mai 1945 als auch in den alliierten Besatzungszonen, der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland erfolgte (bzw. erfolgt) die Registratur des Personenstands – also von Geburt, Eheschließung und Tod – nach einheitlichen Grundsätzen. Dies ermöglicht prinzipiell eine zusammenfassende Auswertung der amtlich registrierten Todesfälle, die im Zusammenhang mit den Dresdner Luftangriffen im Februar 1945 stehen. Der darauf begründete Untersuchungsansatz ging von der These aus, dass die Zahl der Luftkriegstoten aus der Zahl der in Sterbebüchern beurkundeten Todesfälle und der gerichtlich ergangenen Todeserklärungen zumindest in ihrer Größenordnung ermittelt werden könne. Die Untersuchung erfolgte im Teilprojekt 2 der Kommission unter Leitung von Rüdiger Overmans.

Perspektive B: Untersuchung von Überlieferungen, Erzählbildern und Überlegungen zur Totenzahl Während die oben dargestellte Untersuchungsperspektive A darauf abzielte, die Zahl der bei den Luftangriffen auf Dresden im Februar 1945 getöteten Menschen neuerlich festzustellen, setzte sich die Kommission in einem weiteren Schwerpunkt ihrer Untersuchung ausführlich mit Überlieferungen, Erzählbildern und Überlegungen zur Totenzahl auseinander. Ausgangspunkt sind dabei die von den Dresdner Lokalbehörden 1945 und 1946 ermittelten Totenzahlen, die entweder ca. 25.000 (1945, Frühjahr 1946) oder 35.000 getötete Menschen (Ende 1946) ausweisen. Die Differenz der zeitgenössischen Zahlenangaben stand für diese Untersuchungsperspektive nicht im Mittelpunkt. Stattdessen analysierte die Kommission die große Zahl öffentlich zugänglicher Darstellungen zu den Auswirkungen der Luftangriffe auf Dresden, die in vielen Fällen von einer wesentlich höheren Totenzahl ausgehen – also die von den Lokalbehörden bilanzierten Zahlen nicht anerkennen. Die dabei festgestellten Überlieferungen, Erzählbilder und Überlegungen wurden zunächst kategorisiert.

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Die Kommission machte es sich anschließend zur Aufgabe, jede der identifizierten Kategorien einzeln zu untersuchen. Dabei ging es vor allem darum zu überprüfen, inwieweit die eventuell enthaltene Kritik oder die geäußerten Zweifel an den von den Lokalbehörden erarbeiteten Statistiken stichhaltig sind. Weiter war festzustellen, ob sich aus den untersuchten Argumentationen Hinweise auf oder gar Beweise für deutlich höhere Totenzahlen ergeben. Mit der Untersuchungsperspektive B stellte die Kommission also die Frage in den Mittelpunkt, ob Darstellungen, nach denen im Februar 1945 in Dresden weit mehr als 35.000 Menschen getötet worden seien, einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten. Als Konsequenz aus der Zahl der kategorisierten Argumentationen konzipierte die Kommission mehrere Arbeitspakete, die vor allem im Rahmen des Teilprojekts 3 unter der Leitung von Rolf-Dieter Müller bearbeitet wurden. Auch in den Teilprojekten 1 und 2 sind Untersuchungen in diesem Zusammenhang vorgenommen worden.

Perspektive C: Untersuchung der Erinnerung der Dresdner Erlebnisgeneration Bereits die ersten Überlegungen für die Ausrichtung der Kommissionsarbeit schlossen eine eigenständige Auseinandersetzung mit subjektiven Erinnerungszeugnissen ein. Im Erinnern der Dresdner Augenzeugen sollte dabei die subjektive Erfahrung, aber auch die nachfolgende individuelle und kollektive Reflexion des Erlebten deutlich werden. Daneben sah die Kommission von Anfang an vor, Erinnerungszeugnisse auch als eigenständige Quellen für die Untersuchung der Realgeschichte – und damit auch für die Ermittlung der Zahl der Luftkriegstoten – zu behandeln. Mit dem Beschluss des Dresdner Stadtrats vom 18. Januar 2007 wurde der Kommissionsauftrag explizit um die »Sammlung, Dokumentation und Interpretation von Zeitzeugenberichten« und eine Auseinandersetzung mit den Themen »Erinnerung« und »Vergangenheitsrekonstruktion« erweitert. Die ursprünglichen Planungen der Kommission waren auf diese Weise bekräftigt worden; die zu sammelnden Erinnerungszeugnisse wurden zudem als eigenständiges Ergebnis der Kommissionsarbeit formuliert. Entsprechend dieser Schwerpunktsetzung werden die Arbeiten der Kommission zu Erinnerungszeugnissen der Dresdner Erlebnisgeneration als eigenständiger Forschungsbericht bilanziert. Wie ursprünglich geplant, fanden Erinnerungszeugnisse – also beispielsweise Korrespondenzen, schriftliche Berichte oder dokumentierte Aussagen, etwa in lebensgeschichtlichen Interviews – auch in den Untersuchungen zur Zahl der Dresdner Luftkriegstoten Verwendung. Mit der Auswertung solcher Zeugnisse verband die Kommission jedoch weniger die Erwartung, zusammenfassende Angaben zur Zahl der Dresdner Luftkriegstoten zu erhalten. Stattdessen sollten sie vor allem für eine kritische Wertung der vorhande-

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nen dokumentarischen Quellen Verwendung finden. Die Kommission hoffte zudem, aus den Erinnerungszeugnissen Hinweise und Anregungen für die Ausrichtung ihrer Untersuchungen zu erhalten. Schließlich sollten die Ergebnisse der Kommissionsarbeit an den Auswertungen der Erinnerungszeugnisse verifiziert werden können. Die Untersuchung der Erinnerungszeugnisse erfolgte im Teilprojekt 4 der Kommission unter Leitung von Alexander von Plato.

Perspektive D: Untersuchung der Genesis der Zahlenangaben zu Dresdner Luftkriegstoten In der jahrzehntelangen Diskussion um die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 scheint es bislang unmöglich, die extrem divergierenden Angaben zur Anzahl der getöteten Menschen sachlich zu klären oder gar die Differenzen im öffentlichen Diskurs auszuräumen. Die Kommission sah es vor diesem Hintergrund als notwendig an, im Zusammenhang mit ihren Untersuchungen zur Zahl der Dresdner Luftkriegstoten auch nach einem Erklärungsansatz für die ungewöhnliche Zuspitzung der öffentlichen Diskussionen um dieses Thema zu suchen. Sie geht dabei von der These aus, dass im Ergebnis einer systematischen geschichtspolitischen Symbolbildung differierende autarke Überlieferungen zur Totenzahl entstanden. Im langjährigen, intensiven und teilweise weltweit geführten öffentlichen Diskurs um das Geschichtssymbol Dresden sind diese Überlieferungen verfestigt worden und nunmehr für eine kritische Untersuchung schwer erreichbar. Untersuchungen zu verschiedenen Aspekten der Genesis der Zahlenangaben wurden in den Teilprojekten 1 und 3 unternommen.

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Perspektive A: Neuerliche Ermittlung der Zahl der Dresdner Luftkriegstoten

Ansatz 1: Untersuchung der Bergung, Registratur und Bestattung der Luftkriegstoten

Ziel der Untersuchung Ziel der Untersuchung war es, die Zahl der bei den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 getöteten Menschen in ihrer Größenordnung zu ermitteln. Die Untersuchung erfolgte im Teilprojekt 1 der Kommission unter Leitung von Matthias Neutzner. Ein Team von insgesamt zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in wechselnder Zusammensetzung und Intensität übernahm in den verschiedenen Projektphasen die umfangreiche und komplizierte Erfassung der dokumentarischen Nachweise. Die Ergebnisse der Untersuchung werden über die folgende Zusammenfassung hinaus in einem Bericht zum Teilprojekt detailliert dargestellt. 34

Untersuchungsansatz Die Untersuchung war zweistufig angelegt: In einer ersten Projektphase sollten alle dokumentierten personengenauen Informationen zu Dresdner Luftkriegstoten recherchiert und in einer elektronischen Datenbasis verzeichnet werden. In einer zweiten Phase war geplant, die so erfassten Informationen vergleichend auszuwerten. Aus dem Vergleich hoffte die Kommission, Erkenntnisse über die Konsistenz der einzelnen Informationsquellen und über die Vollständigkeit der Überlieferung insgesamt gewinnen zu können. Auf dieser Grundlage sollte dann eine Gesamtbilanz der getöteten Menschen erstellt werden. Die erste Projektphase zielte also darauf, alle relevanten dokumentarischen Überlieferungen daraufhin auszuwerten, ob sie Informationen zu einzelnen Personen enthalten, die im Februar 1945 in Dresden ums Leben gekommen sind – unabhängig davon, ob man ihre Personalien ermitteln konnte oder ob sie als »Unbekannte Tote« verzeichnet wurden. Damit folgte die Untersuchung der Kommission einem prinzipiell anderen Ansatz als alle bisherigen Argumentationen zur Zahl der Dresdner Luftkriegstoten: Trotz eines jahrzehntelangen Disputes – geführt von Historikern und Publizisten, Politikern und Aktivisten verschiedenster Überzeugungen – hat es seit 1946 nicht einmal mehr den Versuch gegeben, alle vorhandenen Nachweise zu einzelnen getöteten Personen zu finden und auszuwerten. Die Überlegungen und Spekulati-

34

Siehe Matthias Neutzner, Die Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten, a.a.O.

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onen bezogen sich auf einzelne Archivdokumente, auf einzelne Aussagen von Zeitzeugen, auf technische und statistische Argumente – nachgezählt hat niemand mehr. Wohl hätte eine solch aufwendige Untersuchung auch die Möglichkeiten des einzelnen Forschers oder Diskutanten überstiegen; aber auch die lokalen Behörden unternahmen jahrzehntelang nichts, die strittige Frage noch einmal ernsthaft zu untersuchen. Dagegen sollten nunmehr alle verfügbaren personengenauen Informationen zu den im Februar 1945 in Dresden getöteten Menschen erfasst werden – dem wissenschaftlichen Selbstverständnis der Kommission gemäß so vollständig als möglich und in jedem einzelnen Fall unter kritischer Würdigung der jeweiligen Quellen. Dabei ging die Kommission, wie oben bereits ausgeführt, von der These aus, dass bei der Bergung und Bestattung der Luftkriegstoten dokumentarische Nachweise zu jeder getöteten Person angelegt wurden und dass diese Nachweise heute im Wesentlichen noch auffindbar und auswertbar sind. Diese Grundannahme war selbstverständlich in der Untersuchung abzusichern – einerseits durch eine Konsistenzprüfung der Untersuchungsergebnisse selbst, andererseits durch eine Betrachtung des realgeschichtlichen Umfelds. Die elektronische Datenbasis wurde so konzipiert, dass für jeden Nachweis einer getöteten Person alle dokumentierten Informationen erfasst werden können – neben allen erreichbaren personenbezogenen Angaben auch solche zu den Umständen des Todes, der Bergung und der Bestattung. Für ortsgenaue Informationen – vor allem Wohnort und Ort der Bergung – sollten dabei geografische Koordinaten ermittelt werden, die eine automatisierte Verarbeitung in einem Geografischen Informationssystem erlauben. Die elektronische Datenbasis musste es schließlich ermöglichen, aus der Vielzahl der Einzelinformationen Erkenntnisse über die realgeschichtlichen Abläufe zu gewinnen. Die Untersuchungen erfolgten in mehreren, teils parallel ausgeführten Arbeitsschritten. Die konzeptionellen Überlegungen dazu sollen im Folgenden zusammen mit den jeweiligen Ergebnissen knapp dargestellt werden.

Schritt 1: Analyse der Soll-Abläufe von Bergung, Registratur und Bestattung der Luftkriegstoten Aus der archivalischen Überlieferung lässt sich umfassend rekonstruieren, dass und wie sich die Dresdner Behörden auf zunächst mögliche, später wahrscheinliche Luftangriffe auf ihre Stadt vorbereiteten. Die Kommission konnte sich hier auf bereits vorliegende Untersuchungen 35 beziehen, die durch weitere Recherchen ergänzt wurden. Wie überall in Deutschland schlossen die präventiven Luftschutzmaßnahmen der Behörden auch in Dresden Vorkehrungen für die Bergung, Registratur und Bestattung von getöteten Menschen ein. Anschließend

35

Vgl. Matthias Neutzner, Martha Heinrich Acht. Dresden 1944/45, Dresden 2003, S. 27 - 33, 91 - 94.

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an Planungen der 1930er Jahre 36 entwickelten die Dresdner Stadtverwaltung und die örtliche Luftschutzleitung ein komplexes System organisatorischer Vorkehrungen, das im intensiven Austausch mit Verwaltungen anderer Städte 37 mehrfach an den sich verschärfenden Luftkrieg angepasst wurde. Ihre letzte Revision erfuhr die städtische Organisation im Herbst 1944: Angesichts der verheerenden Schäden, die alliierte Luftangriffe in vielen deutschen Städten verursacht hatten, plante nun auch Dresden »größere Verluste« an Menschenleben 38 ein. Nach einer heftigen Kontroverse zwischen Stadtverwaltung und Polizeipräsident im Vorjahr wurden neuerlich die Verantwortlichkeiten für die Bergung, Registratur und Bestattung der erwarteten Toten bekräftigt: 39 Der »Leichenbergungsdienst« oblag der Luftschutz- und Schutzpolizei; die Registratur und Identifizierung unbekannter Toter (»Identifizierungsdienst«) war allein der Kriminalpolizei vorbehalten. Den »Leichenbeförderungsdienst« und den »Begräbnisdienst« dagegen hatte das städtische Bestattungsamt unter Verantwortung eines »Leiters der Bestattungsmaßnahmen« zu gewährleisten. Es arbeitete dabei eng mit den Verwaltungen der überwiegend kirchlichen Dresdner Friedhöfe zusammen. Die zusammenfassende Registratur der Luftkriegstoten übernahm die Behörde des Polizeipräsidenten. Von dort waren Mitteilungen an den wiederum städtischen »Vermißtennachweisdienst« zu geben, der als Dienststelle des Verwaltungspolizeiamtes die Registratur aller Such- und Fundmeldungen von Dresdner Einwohnern übernahm. Sowohl die städtischen als auch die polizeilichen Dienststellen hatten eigene, parallele Meldewege an die zuständigen Vorgesetzten einzuhalten. Auf städtischer Seite war operativ dem »Einsatzstab zur Bekämpfung von Notständen nach Fliegerangriffen im Bereich der Landeshauptstadt Dresden« unter Führung des Oberbürgermeisters zu berichten; dieser wiederum erstellte zusammenfassende Meldungen an den Gauleiter der NSDAP als »Reichsverteidigungskommissar«. Die offizielle Statistik im Rahmen der Luftschutzorganisation führte der Dresdner Polizeipräsident als örtlicher Luftschutzleiter. Seine Meldungen waren Grundlage für die Berichterstattung an die Reichsbehörden, die dem zuständigen regionalen Befehlshaber der Ordnungspolizei oblag. 40

36

Bereits 1938 ließ das städtische Bestattungsamt die Dresdner Friedhöfe verfügbare Flächen für »Massenbestattungen« ermitteln (Schreiben 9.6.1938, Archiv Johannisfriedhof, E.1.I Ehrenhain, unpag.). Im Januar 1939 berieten sich die städtischen Verantwortlichen mit Verwaltungen des Ruhrgebietes über Vorkehrungen zur Bergung und Bestattung von Luftkriegstoten (vgl. u.a. Bericht 19.1.1939, StAD, 9.1.13, Marstallund Bestattungsamt, Nachtrag 3, Bl. 39ff.).

37

Nicht nur zentrale Auswertungen und Erfahrungsberichte anderer Städte wurden in Dresden studiert, auch unternahmen die Dresdner Verantwortlichen Studienreisen in luftkriegsbetroffene Städte, so nach Berlin, Leipzig und München (vgl. Neutzner, Martha Heinrich Acht, a.a.O., S. 92f.).

38

Niederschrift Luftschutzlehrplanspiel am 21.9.1944, 17.10.1944 (StAD, 9.1.13, Marstall- und Bestattungsamt – Nachtrag 3, Bl. 201f.).

39

Für eine ausführlichere Darstellung und Quellenangaben siehe: Matthias Neutzner, Die Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten, a.a.O.

40

Zuständiger Befehlshaber der Ordnungspolizei war der Höhere SS- und Polizeiführer Elbe in den Gauen Halle-Merseburg, Sachsen und im Wehrkreis IV.

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Diese organisatorischen Regelungen waren mit Sorgfalt und über mehrere Jahre hinweg erarbeitet worden; während erster Luftangriffe auf Dresden im Oktober 1944 und im Januar 1945 hatten sie sich weitgehend bewährt. Sie blieben bis zur Besetzung Dresdens durch sowjetische Truppen am 8. Mai 1945 in Kraft. Bis in die 1950er Jahre hinein wurden im Dresdner Stadtgebiet noch Luftkriegstote in namhafter Zahl gefunden. Ihre Bergung übernahmen in den ersten Wochen nach dem 8. Mai 1945 zunächst improvisierte Kommandos der Dresdner Stadtbezirke, ehe ab Juli 1945 neuerlich reguläre Bergungstrupps eingesetzt wurden – koordiniert durch das 6. Polizeirevier, ab 1950 durch den kommunalen Bestattungsbetrieb. Um die Bergungen zu dokumentieren, benutzte man zunächst die vorhandenen Formulare und Nachweise weiter. Die Bergungstrupps fertigten parallel knappe Berichte an. Aus der Analyse dieser organisatorischen Vorkehrungen für die Bergung, Registratur und Bestattung der Luftkriegstoten bestimmte das Projektteam die möglichen Ansätze für eine Recherche nach personenkonkreten Nachweisen von Luftkriegstoten. Bei einer idealen Umsetzung der beschriebenen Regelungen hätten für jeden getöteten Menschen – abhängig vor allem von Ort und Zeitpunkt des Todes oder der Bergung – mehrere Nachweise angelegt sein müssen: Zunächst war die Bergung auf einem polizeilichen Kennzettel in doppelter Ausfertigung (Kennzettel I und II) zu vermerken. Wertsachen des Toten mussten in vorbereiteten »Wertsachenbeuteln« verwahrt und an die Polizei übergeben werden. Falls ein Identifizieren nicht möglich sein würde, waren Stoffproben der Kleidung auf »Kleiderkarten« aufzubewahren. Die Reviere der Schutzpolizei als örtlich koordinierende Stellen hatten zusammenfassende Bergungslisten zu führen. Nach dem Transport zur »Gefallenensammelstelle« – also dem Heide- oder Johannisfriedhof – war jeder Tote in einer Eingangsliste und einer Eingangskartei zu erfassen, ehe die Bestattung selbst in einem Beerdigungsnachweis vermerkt werden musste. Eine der beiden Ausfertigungen des polizeilichen Kennzettels (Kennzettel II) hatte nach der Bestattung mehrere Dienststellen zu durchlaufen; sie war unter anderem als Grundlage für die doppelte Registratur der getöteten Person bestimmt – zunächst in einer Kartei beim Polizeipräsidenten, danach im Register des städtischen Vermißtennachweisdienstes . Die Kriminalpolizei hätte dann eine Aufhebungsanzeige erstellen müssen, auf deren Grundlage das für den Ort des Todes zuständige Standesamt den Tod beurkunden würde. War dies nicht möglich, etwa weil ein getöteter Mensch nicht identifiziert werden konnte, so würden die Angehörigen eine Todeserklärung beim Amtsgericht am Ort des Todes – also beim Amtsgericht Dresden – erwirken. Für die Bergungen und Bestattungen nach dem Mai 1945 waren adäquate Verfahren und Nachweise zu erwarten.

Schritt 2: Recherche nach auswertbaren Überlieferungen Nachdem aus der Analyse der organisatorischen Regelungen die oben skizzierte Typisierung personengenauer Nachweise für Dresdner Luftkriegstote ermittelt worden war, recherchierte das Projektteam, wie die geplanten Regelungen nach dem 13. Februar 1945 tatsächlich umgesetzt worden sind. Dabei ging es vor al-

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lem darum zu ermitteln, welche der vorgesehenen personengenauen Nachweise angelegt worden sind und ob diese Nachweise in den Archiven überliefert wurden. Dazu untersuchte das Projektteam systematisch jene Archivbestände, in denen die Unterlagen der jeweilig für die Aufbewahrung der Nachweise zuständigen Dienststellen vermutet werden konnten. Nachweise über die Bergung und Registratur der Dresdner Luftkriegstoten Polizeiliche Kennzettel für bekannte und unbekannte Tote konnten in zwei Archivbeständen aufgefunden werden – einerseits in der »Totenkartei« des Dresdner Einwohner- und Standesamtes 41 (zumeist Kennzettel II), andererseits in den Unterlagen der Verwaltung des Alten Annenfriedhofs 42 (zumeist Kennzettel I aus Bergungen in den ersten Nachkriegsjahren). Bereits bei der ersten Sichtung der erhaltenen Bestände wurde deutlich, dass die Kennzettel nicht vollständig überliefert sind. Von den Nachweislisten der Polizeireviere sind allein jene des 9. und 17. Polizeireviers erhalten.43 Wertsachenbeutel werden mehrfach in behördlichen Schriftwechseln der Jahre 1945 und 1946 erwähnt. Obwohl sie also tatsächlich verwendet worden sind, konnten keine personengenauen Nachweise zur Verwahrung der Wertsachen der getöteten Menschen in den Archiven ermittelt werden. Kleiderkarten werden in den überlieferten behördlichen Dokumenten nicht genannt; lediglich zwei Erinnerungsberichte zur Tätigkeit des Dresdner Vermißtennachweisdienstes erwähnen eine »Stoffkarte«, die aber ebenfalls nicht überliefert ist. Unter anderem aus den Bearbeitungsvermerken auf den polizeilichen Kennzetteln II ist erkennbar, dass die Getöteten tatsächlich in der Behörde des Dresdner Polizeipräsidenten und beim städtischen Vermisstennachweis registriert worden sind. Die polizeiliche Registratur wurde vermutlich kurz vor oder nach dem Ende der Kriegshandlungen vernichtet; auch personengenaue Unterlagen des Dresdner Vermißtennachweisdienstes konnten trotz breiter Recherche bislang nicht ermittelt werden. In aufwendigen Untersuchungen war es dem Projektteam möglich, die Organisationsgeschichte der Vermisstennachweise und Suchdienste sowohl der Stadtverwaltung als auch des Landes Sachsen zu rekonstruieren. Dabei wurde deutlich, dass diese Dienststellen auch nach Kriegsende ihre Aufgabe trotz aller zeitbedingten Schwierigkeiten mit behördlicher Sorgfalt wahrgenommen hatten. In ihren Registern waren die nach den Dresdner Luftangriffen vermissten und die dabei getöteten Menschen verzeichnet, soweit und solange es für die Aufgabe der Dienste – die Auskunftserteilung über Vermisste – von Bedeutung war. Mit der Zentralisierung der Suchdienste in der Sowjetischen Besatzungszone wurden die lokalen Einrichtungen ab 1946 schrittweise aufgelöst. Ihre Personenkarteien erhielt der zentrale »Suchdienst für vermisste Deutsche in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands« in Berlin; einzelne Registraturen mit spezieller

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Landeshauptstadt Dresden, Einwohner- und Standesamt, Urkundenstelle, »Totenkartei«. Zusätzlich drei Bände »Straßenverzeichnis zur Totenkartei des ehemaligen Vermißtennachweises Dresden« als nachträglich fortgeschriebene Teilabschrift der Kennzettel.

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Verwaltung der Annenfriedhöfe Dresden, Archiv Alter Annenfriedhof, vier Ordner »Kennzettel der geborgenen Terrorleichen« (1945 - 1947).

43

SächsHStAD, 10799, Feuerschutzpolizei, Nr. 2 und Nr. 4.

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Ausrichtung verblieben im Hauptmeldeamt der Volkspolizei in Dresden. Mit dem Übergang des zentralen Suchdienstes an das Deutsche Rote Kreuz in der DDR im Jahr 1955 gelangten die zentral geführten Karteien dorthin. Die zunächst in Dresden verbliebenen Nachweise konnten bislang nicht ermittelt werden. Es ist zu vermuten, dass sie nach der Erledigung der jeweiligen Aufgabenstellungen vernichtet worden sind. 44 Berichte über die Bergung von Luftkriegstoten in den Jahren 1945 bis 1957 sind in den Unterlagen des kommunalen Bestattungsbetriebes in weiten Teilen überliefert. Zudem finden sich Zweitschriften einzelner Bergungsberichte mehrfach in Unterlagen der Dresdner Friedhöfe, wo zudem die Bestattung der geborgenen Personen registriert wurde. 45 Nachweise über die Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten Für beide zur Aufnahme von Luftkriegstoten vorbereiteten Dresdner Friedhöfe – Heidefriedhof und Johannisfriedhof – sind Register der Luftkriegstoten in verschiedener Form überliefert, die gesondert neben den Nachweisen der regulären Bestattungen anderer Toter geführt wurden. 46 Die heute vorhandenen Register stellen Abschriften von Vorgängerdokumenten dar, die nicht mehr existieren. Ihrem Charakter nach entsprechen sie eher Begräbnisnachweisen als den vorgeschriebenen Eingangslisten und -karteien. Wahrscheinlich haben die Bestattungskommandos auf den beiden Friedhöfen auf eine separate Dokumentation des »Eingangs« verzichtet. Das Projektteam untersuchte die Nachweise aller 31 weiteren Friedhöfe im Dresdner Stadtgebiet (bezogen auf die Grenzen vom Februar 1945) sowie zusätzlich von 17 relevanten Friedhöfen in der Umgebung der Stadt. In allen Fällen sind die Bestattungen auf den jeweiligen Friedhöfen lückenlos 47 in Begräbnisund/oder Lagebüchern dokumentiert. Für mehrere Friedhöfe existieren darüber hinaus teils umfängliche Archivmaterialien, die u. a. Begräbnisanzeigen, Schriftwechsel und weitere personenbezogene Nachweise beinhalten. Dabei ist es zumeist möglich, Luftkriegstote eindeutig von sonstigen Bestattungen zu unter-

44

Für eine ausführlichere Darstellung und Quellenangaben siehe: Matthias Neutzner, Die Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten, a.a.O.

45

StAD, 9.1.14, VEB Bestattungseinrichtungen, Nr. 789, Bd. 1, sowie Nr. 790 - 797.

46

Landeshauptstadt Dresden, Verwaltung Heidefriedhof, »Kartei Bombenopfer«, »Namentliches Verzeichnis der identifizierten Leichen im Ehrenhain der Bombenopfer vom 13./14.2.1945«, unbenanntes Verzeichnis mit Bestattungen zwischen 1947 und 1957. Verwaltung des Elias-, Trinitatis- und Johannisfriedhofs zu Dresden, »Ehrenhain – Register und Lagebuch« (4 Teile), »Register Ehrenhain«, »Ehrenhain Johannisfriedhof A-D«.

47

»Lückenlos« bedeutet hier, dass die Nachweisführung keine erkennbaren zeitlichen Unterbrechungen oder logische Inkonsistenzen aufweist.

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scheiden. 48 Für das Teilprojekt erwiesen sich die umfangreich und vollständig erhaltenen Unterlagen der Friedhöfe als zentrale Quelle. Nachweise zu Dresdner Luftkriegstoten aus dem Personenstandswesen Im Personenstandswesen – hier der behördlichen Registratur von Todesfällen – waren zwei Nachweisgruppen relevant: einerseits Dokumente zu Beurkundungen von Todesfällen durch die Standesämter, andererseits Nachweise gerichtlicher Todeserklärungen. Für Beurkundungen hätten regulär Aufhebungsanzeigen vorliegen müssen; dass Verfahren ist aber offensichtlich in vielen Fällen nicht eingehalten worden. Die beurkundeten Todesfälle selbst sind doppelt dokumentiert: Sie werden einerseits natürlich in den standesamtlichen Sterbebüchern verzeichnet; zusätzlich aber führt das Einwohner- und Standesamt Dresden eine »Luftangriffskartei« mit Angaben zu beurkundeten Dresdner Luftkriegstoten. 49 Auch Todeserklärungen im Zusammenhang mit den Luftangriffen auf Dresden sind mehrfach überliefert. Für die in Dresden ergangenen Todeserklärungen liegen die Akten des Amtsgerichts Dresden vor, 50 zusätzlich sind Beschlusskopien in den Unterlagen des Dresdner Hauptmeldeamtes erhalten. 51 Die hier dokumentierten Todeserklärungen sind – zusammen mit denen aller anderen deutschen Amtsgerichte – zusätzlich im zentralen Buch der Todeserklärungen beim Standesamt Berlin I verzeichnet. Weitere Nachweise Im Laufe der Recherchen durch das Projektteam wurden weitere relevante Archivbestände ermittelt, die personengenaue Nachweise zu Dresdner Luftkriegstoten enthalten – so unter anderem Meldungen auswärtiger Gemeinden über Dresdner Einwohner, die infolge der Luftangriffe im jeweiligen Meldeort verstorben waren, 52 oder Listen getöteter Angehöriger Dresdner Unternehmen und Einrichtungen. 53 Insgesamt machten die Recherchen überraschend vielfältige Quellen offenbar: Zahlreiche Bestände mit Einzelnachweisen konnten ermittelt werden. Dennoch wurden prinzipielle Fehlstellen deutlich: Weder die

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In den regulären Friedhofsunterlagen – also den für alle Bestattungen verwendeten Registern – sind Bestattete, deren Tod auf den Luftkrieg zurückzuführen ist, in der Regel durch grafische Hervorhebungen oder schriftliche Vermerke (»Luftangriff«, »durch Luftangriff gefallen«, »Terrorangriff«, »Bombenterror«, »Terroropfer« oder ähnliche) gekennzeichnet. In der offiziellen Terminologie des NS-Regimes galten zivile Opfer von Luftangriffen als »Gefallene« des Krieges. Ihre Gräber waren, wie die Gräber getöteter Militärangehöriger, als »Kriegsgräber« auszuweisen, denen eine besondere Pflege zukam. Die Markierung im Friedhofsregister klassifizierte das jeweilige Grab als »Kriegsgrab«. Die Kennzeichnungen wurden auch nach dem 8. Mai 1945 fortgeführt.

49

Landeshauptstadt Dresden, Einwohner- und Standesamt, Urkundenstelle, »Luftangriffskartei«.

50

Die Archivakten des Amtsgerichts Dresden wurden beim Hochwasser 2002 stark beschädigt. Für die Auswertung durch das Projektteam standen aber elektronische Register für die Beschlüsse der Jahre 1945 bis 1947 sowie 1990 bis 1993 zur Verfügung.

51

SächsHStAD, 11378, Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen, Nr. 847 bis 853.

52

SächsHStAD, 11378, Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen, Nr. 847.

53

Informationen zu getöteten Mitarbeitern der Dresdner Bank (SächsHStAD, 13135, Dresdner Bank, Nr. 76) sowie zu Mitarbeitern der Deutschen Post (Gedenkschrift »Zum Gedächtnis der bei den Kriegshandlungen ums Leben gekommenen Postangehörigen im OPD-Bezirk Dresden«, StAD, 6.2.5, Untersuchungskommission 13. – 15. Februar 1945).

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Bergung noch die Registratur der Dresdner Luftkriegstoten würden aus den Archivunterlagen vollständig rekonstruierbar sein. Dagegen erschienen die Unterlagen zur Bestattung bei erster Betrachtung als nahezu lückenlose Überlieferung.

Schritt 3: Erarbeiten von Bezugsinformationen in der elektronischen Geodatenbasis Die recherchierten Informationen zu jedem einzelnen Luftkriegstoten sollten, so die Planung der Kommission, in einer elektronischen Datenbasis erfasst und damit einer automatisierten Auswertung zugänglich gemacht werden. Wie bereits erwähnt, plante die Kommission auch die räumliche Dimension der Abläufe zu untersuchen. Dazu sollten alle konkret nachweisbaren Orte, die mit dem Schicksal von Betroffenen im Zusammenhang stehen, automatisiert in Karten dargestellt werden – sowohl die Wohnorte als auch die Orte der Bergung und Bestattung der getöteten Menschen. Zu Beginn der Kommissionsarbeit existierte keine elektronische Karte der Stadt Dresden in ihrer baulichen und administrativen Situation im Februar 1945. Die Kommission musste also zunächst eine solche elektronische Geodatenbasis schaffen. Ausgehend von historischen Flurstücksdaten des Städtischen Vermessungsamtes erstellte das Projektteam eine digitale Stadtkarte und parallel dazu ein elektronisches StraßenHausnummern-Kataster der unzerstörten Stadt: Jede Adresse im Stadtgebiet erhielt auf diese Weise eine geografische Koordinate zugewiesen, so dass nunmehr eine automatisierte Verortung von Informationen möglich wurde. In einem zweiten Schritt erfassten die Mitarbeiter des Teilprojektes weitere raumbezogene Informationen zur historischen Situation vor und nach den Luftangriffen im Februar 1945 – beispielsweise den Zerstörungsgrad jedes bebauten Quartiers im Stadtgebiet.

Schritt 4: Erfassung der überlieferten Informationen in der elektronischen Datenbasis Die Erfassung der personenbezogenen Informationen zu Dresdner Luftkriegstoten konnte im Laufe des Jahres 2005 in der Urkundenstelle des Dresdner Standesamtes beginnen, nachdem zuvor datenschutzrechtliche Voraussetzungen geklärt worden waren. Sie erreichte – abhängig von der Verfügbarkeit ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – im Verlauf des Jahres 2008 ihre höchste Intensität und war im Spätsommer 2009 abgeschlossen. Zunächst wurden die bereits beschriebenen Primärquellen ausgewertet, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten stehen. Im Verlauf des Projektes ergab sich die Chance, die Erfassung auch auf die oben erwähnten Nachweise des Personenstandswesens zu erweitern. Erfasst wurden dabei standesamtliche Beurkundungen von Todesfällen und gerichtliche Todeserklärungen. Insgesamt erfasste das Projektteam 57.569 dokumentarisch belegte Einzelinformationen zu Dresdner Luftkriegstoten. 3.278 dieser Informationen betreffen einen oder mehrere unbekannte Tote. Die restlichen

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54.291 Informationen beziehen sich auf ca. 24.900 namentlich bekannte Menschen, wobei zu einer Person in der Regel mehrere, in manchen Fällen bis zu fünf Einzelnachweise aus unterschiedlichen Quellen vorliegen. Die erfassten Informationen betreffen alle acht Luftangriffe auf Dresden zwischen dem 7. Oktober 1944 und dem 17. April 1945. Unter den Einträgen sind auch solche zu Personen, bei denen die Zuordnung zu den Luftkriegstoten unsicher oder – in wenigen Fällen – bei nachträglicher Bewertung ausgeschlossen ist. In jedem Fall wurde Wert darauf gelegt, möglichst viele verfügbare Informationen zur Person und zu dem mit der Person verbundenen historischen Geschehen festzuhalten. So erlaubt die Datenbasis die Erfassung von mehr als 100 Einzelinformationen pro Person. Auf diese Weise sollten breite Datenanalysen ermöglicht und Anhaltspunkte für eine möglichst genaue Rekonstruktion des Geschehens gegeben werden. Die Auswertung der vielen unterschiedlichen Quellen traf auf zahlreiche Schwierigkeiten. Zu Beginn der Untersuchung war völlig unklar gewesen, in welcher Zahl, in welchen Beständen und in welcher Ausprägung Primärquellen zu Dresdner Luftkriegstoten zu finden sein würden. Damit erwies sich nicht nur eine systematische Planung der Erfassung als unmöglich, gleichzeitig musste mit jeder neu erschlossenen Quellengattung die Struktur der Informationsbasis angepasst werden. Aus Art und Zustand der ausgewerteten Unterlagen selbst resultierten weitere Schwierigkeiten: Kennzettel, mit Bleistift in den Straßen der zerstörten Stadt beschrieben, waren zu entziffern. Verzeichnisse, Listen, Register und zahlreiche Einzelnachweise unterschiedlichster Art mussten analysiert werden. Der schlechte Erhaltungszustand vieler Unterlagen erhöhte den Erfassungsaufwand und führte zu Unsicherheiten in der Interpretation. Von besonderer Bedeutung war es, die Informationen zu einzelnen Personen dem Luftkriegsgeschehen zuzuordnen. Dies erwies sich in der Mehrzahl der Fälle als möglich. Zumeist enthielten die ausgewerteten Dokumente explizite Hinweise auf Luftangriffe als Todesursache – etwa Einträge wie »Terrorangriff« in Friedhofsunterlagen. In vielen Fällen ließen sich solche Zuordnungen auch aus dem Kontext der Quelle ableiten – etwa bei Listen und Verzeichnissen mit explizitem Verweis auf einen oder mehrere Luftangriffe. Schließlich ergab ein eventuell verzeichnetes Todesdatum Hinweise auf den Zusammenhang zum Luftkrieg. Wenn Zweifel an der Zuordnung blieben, wurde die jeweilige Information dennoch erfasst, um diese Unsicherheitsfaktoren im Ergebnis berücksichtigen zu können. Bedeutend schwieriger erwies sich die Differenzierung der Folgen der einzelnen Luftangriffe auf Dresden untereinander. In den Zahlenangaben der lokalen Behörden im Jahr 1946 waren die Dresdner Luftkriegstoten pauschal angegeben und nicht nach den acht Luftangriffen auf Dresden differenziert worden. Auch spätere Betrachtungen unterschieden in der Regel die am 2. März oder 17. April 1945 getöteten Menschen nicht von den Luftkriegstoten der Februar-Angriffe. Tatsächlich ist das mit letzter Sicherheit auch nicht möglich – beispielsweise war es kaum feststellbar, ob ein Dresdner, der Ende April 1945 in einem Pirnaer Krankenhaus starb, im Februar, im März oder im April 1945 in Dresden verwundet worden war. Das Pro-

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jektteam ordnete dabei zweifelhafte Fälle prinzipiell den Februar-Angriffen zu, um eine Maximalzahl ermitteln zu können.

Schritt 5: Konsolidierung der erfassten Daten Angesichts mehrerer Zehntausend Datensätze aus höchst unterschiedlichen Quellen war es notwendig, die erfassten Daten vor der Auswertung in der elektronischen Datenbasis zu konsolidieren. Über automatisierte Routinen und manuelle Nachbearbeitungen konnten so eindeutige Zuordnungen erreicht, Informationen ergänzt und Erfassungsfehler korrigiert werden. Dabei wurde jede Veränderung an den erfassten Informationen protokolliert, sodass die Aufbereitung der Datenbasis für jeden einzelnen Datensatz nachvollziehbar bleibt. Die Konsolidierung der erfassten Daten betraf zunächst die folgenden Informationen:  Konsolidierung von Bestattungsorten bei unterschiedlichen Bezeichnungen und Schreibungen;  Konsolidierung von Wohnadressen und Bergungsorten (als georeferenzierte Adresse) im Dresdner Stadtgebiet bei unterschiedlichen Schreibungen;  Automatisierte Ermittlung des Geschlechts anhand von Vornamen-Referenztabellen;  Konsolidierung von Angaben zu Geburtsdatum, Geburtsjahr und Alter;  Vereinheitlichung von Angaben zu Titel, Dienstgrad und Staatsangehörigkeit;  Konsolidieren der Zuordnungen zu den einzelnen Luftangriffen. In einem folgenden Schritt wurden die Einzeldatensätze analysiert, um ein Personenregister zu erstellen, in dem jede in Dresden getötete und namentlich bekannte Person nur einmal verzeichnet ist. Dies geschah zunächst durch eine automatische Zuordnung derjenigen Datensätze, die eindeutig einer einzigen Person zugehören. Danach wurden Zweifelsfälle softwaregestützt ermittelt und soweit als möglich manuell zugeordnet.

Schritt 6: Auswertung der Daten Die konsolidierte Datenbasis bot nun die Möglichkeit, den ersten Teil des Untersuchungsansatzes zu realisieren: Zum ersten Mal seit den Jahren 1945/46 war es auf diese Weise möglich, die Dresdner Luftkriegstoten neuerlich zu »zählen« – anstatt die Zahl, wie so oft seitdem geschehen, allein aus sekundärer Überlieferung zu zitieren, aus verschiedensten Erwägungen heraus abzuschätzen oder spekulativ zu behaupten. Wie beschrieben, enthält die Datenbasis Einzelnachweise zur Bergung, Bestattung und Registratur der Luftkriegstoten sowie – in Erweiterung des ursprünglichen Untersuchungsansatzes – Einzelinformationen zu Beurkundungen im Personenstandswesen. Von diesen vier Informationskategorien erwiesen sich zwei

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als offenkundig unvollständig, so dass sie als Grundlage für eine summarische Zusammenfassung ausschieden. Dies betraf zunächst die Informationen zur Bergung der Luftkriegstoten. Für fast zehntausend im Februar 1945 getötete Menschen existieren personengenaue Bergungsnachweise – zumeist als Kennzettel der Kriminalpolizei, 54 als zusammenfassende Berichte der mit der Bergung befassten Organisationen55 sowie – in einigen wenigen Dokumenten unterschiedlicher Art überliefert – als Berichte über die Bergung einzelner Menschen. Die aus diesen Informationen summierte Zahl der Luftkriegstoten steht im offensichtlichen Widerspruch zu allen überlieferten zusammenfassenden Statistiken. Auch im Vergleich der Datenbestände untereinander wird insbesondere die unvollständige Überlieferung der Kennzettel deutlich: Die in Bestattungsnachweisen gelegentlich enthaltenen Referenzen auf Kennzettel offenbaren, dass der erhaltene Bestand nicht vollständig sein kann. Wie bereits dargestellt, oblag die zusammenfassende behördliche Registratur der Getöteten der Behörde des Dresdner Polizeipräsidenten. Eine parallele Registratur jeder einzelnen Person führte der städtische Vermißtennachweisdienst. Zu beiden Registern sind bislang keine archivalischen Überlieferungen bekannt, auswertbare Daten zur behördlichen Registratur der Luftkriegstoten standen somit nicht zur Verfügung. Im Gegensatz dazu waren bei der Recherche und Erfassung der Informationen aus dem Personenstandswesen keine Zweifel an der Vollständigkeit und Konsistenz dieser Überlieferung entstanden. Die erfassten Informationen bildeten daher einen Ausgangspunkt für ergänzende Untersuchungen im Teilprojekt 2 der Kommission, deren Ergebnisse in einem der folgenden Abschnitte bilanziert werden. Von den vier genannten Informationskategorien der Datenbasis erwiesen sich schließlich die Einzelnachweise zur Bestattung als geeignete Grundlage für die Ermittlung der Totenzahl. Nach der Auswertung der erfassten Informationen und im Ergebnis der parallelen Untersuchung der dokumentarischen Überlieferung zum Bestattungsgeschehen konnte bilanziert werden: Die in der Datenbasis erfassten Einzelnachweise bilden das Bestattungsgeschehen weitgehend vollständig ab. Da die Kommission im Ergebnis anderer Untersuchungen 56 davon ausgeht, dass die in Dresden getöteten Menschen bis auf sehr wenige Ausnahmen tatsächlich geborgen und bestattet worden sind, lässt sich aus der Zahl der im Einzelfall nachgewiesenen Bestattungen auf die Größenordnung der Zahl der Luftkriegstoten schließen. Die Zahl und die Art der Bestattungsnachweise differieren je nach Bestattungsort: Die lokalen Behörden hatten geplant, die Leichen getöteter Menschen auf zwei Dresdner Friedhöfen zu sammeln, zu registrieren

54

Landeshauptstadt Dresden, Einwohner- und Standesamt, Urkundenstelle, »Totenkartei«.

55

Verzeichnisse der geborgenen Luftkriegstoten im 9. und 17. Polizeirevier (SächsHStAD, 10799, Feuerschutzpolizei Dresden, Bd. 2 und 4); Bergungsberichte der Technischen Nothilfe vom März 1945 (StAD, 4.2.17, Stadtbauamt A, Nachtrag 3); sowie Berichte der Bergungstrupps der Polizeireviere und des kommunalen Bestattungsbetriebes zwischen 1945 und 1957 (StAD, 9.1.14, VEB Bestattungseinrichtungen, Nr. 789, Bd. 1, Nr. 790 - 797).

56

Vgl. mehrere Untersuchungsansätze in Untersuchungsperspektive B.

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und zu bestatten – dem städtischen Heidefriedhof an der nördlichen Stadtgrenze sowie dem evangelischlutherischen Johannisfriedhof im östlichen Stadtteil Tolkewitz. Beide Friedhöfe waren als »Gefallenensammelstelle« ausgewiesen; auf beiden Friedhöfen hatte die Stadtverwaltung 1943/44 Begräbnisflächen für Luftkriegstote vorbereiten und als »Ehrenhain« ausgestalten lassen. Tatsächlich ist die Mehrzahl der durch die Luftangriffe auf Dresden ums Leben gekommenen Menschen auf diesen beiden Friedhöfen bestattet worden. Daneben aber fand das Projektteam relevante Bestattungsnachweise auch in den Unterlagen ausnahmslos aller weiteren Friedhöfe im Dresdner Stadtgebiet. Zudem konnten zahlreiche Einzelnachweise dafür erbracht werden, dass im weiteren Umland der Stadt Luftkriegstote aus Dresden bestattet worden sind; dies betraf entweder vor Ort gestorbene Verletzte oder Flüchtlinge und zur auswärtigen Bestattung aus Dresden überführte Tote. Schließlich sind improvisierte Bestattungen im Stadtgebiet außerhalb der Friedhöfe nachweisbar – wie auch die systematische Beseitigung solcher »wilder« Grabstellen in den Jahren nach 1945. Heidefriedhof und Johannisfriedhof Dresden Auf den beiden für die Aufnahme von Luftkriegstoten bestimmten Friedhöfen arbeiteten ab dem 14. Februar 1945 Bestattungstrupps unter der Leitung von Beamten des Stadtgartenamtes mit etwa 50 Mann Gesamtstärke. Sie verzeichneten die zu den Friedhöfen transportierten Leichen und besorgten die Bestattung in Reihengräbern im Bereich der vorbereiteten »Ehrenhaine«. Die Nachweisführung erfolgte in Registern, die separat zu den üblichen Friedhofsunterlagen geführt wurden. Zusätzlich zu diesen Nachweisen ermittelte das Projektteam auf beiden Friedhöfen weitere Bestattungen von Luftkriegstoten in Privatgräbern. Auf dem Heidefriedhof traf nach dem 5. März die Asche von 6.865 Toten ein, die in den Tagen zuvor auf dem Dresdner Altmarkt eingeäschert worden waren. Die Bestattungsdienste auf beiden Friedhöfen wurden am 22. Februar 1945 angewiesen, die Zahl der Bestatteten regelmäßig an die Stadtverwaltung zu melden. Mehrere dieser Meldungen sind im Original überliefert.57 Die Auswertung der Einzelnachweise in der Datenbasis ergab mehr als 3.700 auf dem Johannisfriedhof bestattete Menschen, die mit großer Wahrscheinlichkeit durch die Februar-Luftangriffe getötet worden waren. Diese Zahl stimmt bei nur minimaler Abweichung mit den in den erwähnten Dokumenten berichteten Angaben überein. 58 Anders für den Heidefriedhof: Die zeitlich letzte Meldung vom Heidefriedhof datiert vom 30. April 1945. Sie weist 10.430 Bestattete aus – nicht eingerechnet die auf dem Altmarkt eingeäscherten Toten. Aus den Einzelnachweisen der Datenbasis können davon bislang lediglich etwa 3.700

57

StAD, 9.1.13, Marstall- und Bestattungsamt, Nachträge 1 und 5.

58

Bezogen auf den Zeitpunkt der letzten überlieferten Meldung vom Johannisfriedhof: Für den 12.7.1945 werden 3.462 Bestattete angegeben (StAD, 9.1.13, Marstall- und Bestattungsamt, Nachtrag 1, unpag.); 3470 sind für diesen Zeitpunkt in der Datenbasis dokumentiert.

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Fälle sicher bestätigt werden; fast zwei Drittel der Bestattungen auf dem Heidefriedhof sind damit zurzeit im Einzelfall nicht belegt. 59 Da die überlieferten Meldungen aus dem Zeitraum von Ende Februar bis Ende April 1945 jedoch in sich schlüssig sind, erscheint die höhere, gemeldete Zahl durchaus wahrscheinlich. Das Projektteam hat hilfsweise versucht, aus den in der Datenbasis registrierten Grabnummern, aus Lageplänen und Luftbildern die räumliche Situation der Bestattungen in den acht Grabfeldern des Ehrenhains für die Luftkriegstoten zu rekonstruieren. Die dabei ermittelten Größenordnungen für die Gesamtkapazität und die Belegungssituation des Ehrenhains stützen die dokumentarisch überlieferte Angabe. Es muss also vermutet werden, dass die Einzelnachweise in den Unterlagen des Heidefriedhofs unvollständig überliefert sind. Das Projektteam entschloss sich daher, die höhere Zahl aus den behördlichen Meldungen zu verwenden. Weitere Friedhöfe im Dresdner Stadtgebiet In den ersten drei Wochen nach dem 13. Februar 1945 wurde die Mehrzahl der geborgenen Leichen nach den beiden großen Friedhöfen verbracht, wie dies die gültigen Regelungen vorsahen. Parallel erreichten es Angehörige jedoch, getötete Familienmitglieder in privaten Grabstellen auf vielen weiteren Dresdner Friedhöfen bestatten zu lassen. Für März und April 1945 ergab die Auswertung der Datenbasis fast genauso viele Bestattungen auf den Friedhöfen im Stadtgebiet wie im gleichen Zeitraum auf Heidefriedhof und Johannisfriedhof zusammen. Verantwortlich dafür waren vor allem die immer größer werdenden Transportschwierigkeiten, die eine Beisetzung in der Nähe der Bergungsorte erzwangen. Für diese dezentralen Bestattungen existierten jedoch keine Meldewege, sodass sie in der Statistik der Lokalbehörden zunächst unberücksichtigt blieben. Auch bei den Erhebungen in den Jahren 1945/46 fand nur eine Auswahl der Friedhöfe Berücksichtigung. Die Friedhofsverwaltungen verzeichneten Luftkriegstote mit der gleichen Sorgfalt und den gleichen Verfahren wie jede andere Bestattung auch, kennzeichneten sie jedoch in der Regel als solche. Die relevanten Einzelnachweise können also relativ eindeutig ermittelt werden. Sie belaufen sich für alle Friedhöfe im Stadtgebiet – bezogen auf die im Februar 1945 gültigen Grenzen – auf mehr als 2.600 Menschen, die sicher oder wahrscheinlich während der Februar-Luftangriffe den Tod fanden. Die aus der Datenbasis ermittelten Zahlen stimmen dabei für jene Friedhöfe mit den dokumentarisch überlieferten Angaben überein, die bei den nachträglichen Erfassungen berücksichtigt wurden – allerdings nur dann, wenn auch die dort bestatteten Toten aller weiteren Luftangriffe eingerechnet werden. Offensichtlich differenzierten die Behör-

59

Die angegebenen Zahlen und Relationen beziehen sich auf die Nachweise in den Bestattungsunterlagen des Friedhofes selbst. Zusätzlich liegen etwa 1.700 Hinweise zu weiteren Bestattungen auf dem Heidefriedhof aus anderen personenkonkreten Quellen vor – beispielsweise aus verschiedenen Bergungsnachweisen. Rechnet man diese Angaben ein, so wären etwa 5.400 Bestattungen auf dem Heidefriedhof nachgewiesen, also etwas mehr als die Hälfte der letzten gemeldeten Zahl.

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den bei den Erhebungen in den Jahren zwischen 1945 und 1950 nicht nach den einzelnen Luftkriegsereignissen. Friedhöfe im Dresdner Umland und auswärtige »Verbringungsorte« Das Projektteam ermittelte für mehr als 130 Orte außerhalb Dresdens Hinweise auf Bestattungen von Dresdner Luftkriegstoten. Bei ausführlichen Untersuchungen der Unterlagen von 17 ausgewählten Friedhöfen – unter anderem in Pirna, Meißen, Freital, Radebeul und Radeberg – konnten tatsächlich entsprechende Einzelnachweise erschlossen werden. Eine groß angelegte Abfrage des Dresdner Stadtarchivs an mehrere Hundert Archive und Einwohnermeldeämter in Deutschland sicherte diese Rechercheergebnisse insoweit, als sich keine Hinweise auf weitere Bestattungsorte ergaben. Die Datenbasis des Teilprojekts enthält etwa 860 Einzelnachweise zu Menschen, die während der Dresdner Luftangriffe im Februar 1945 getötet worden sind und die sehr wahrscheinlich außerhalb der Stadt bestattet wurden. 60 Improvisierte Bestattungen Sowohl auf den bei der Bergung ausgestellten Kennzetteln als auch in überlieferten Dokumenten sind Hinweise darauf zu finden, dass in einigen Dutzend Fällen Tote provisorisch außerhalb von Friedhöfen bestattet worden waren. In den Jahren zwischen 1946 und 1950 ermittelte die Stadtverwaltung solche Bestattungsorte und sorgte aus stadthygienischen Gründen für eine Überführung der sterblichen Überreste auf einen regulären Friedhof. Diese Vorgänge sind mehrfach dokumentiert – sowohl in zusammenfassenden Dokumenten der Lokalbehörden als auch in Berichten der Bergungstrupps und in den Verzeichnissen der jeweiligen Friedhöfe. Die Datenbasis des Teilprojekts verzeichnet also auch diese Einzelfälle.

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse Aus den oben dargestellten Einzelergebnissen lässt sich eine Gesamtbilanz ziehen: Die Untersuchung des Bestattungsgeschehens ergab personengenaue Nachweise zu etwa 19.000 Menschen, die im Februar 1945 in Dresden durch Luftangriffe getötet worden waren. Dieser Zahl mussten begründbare Maximaldifferenzen aus den unterschiedlichen Untersuchungsperspektiven zugerechnet werden. Solche Differenzen resultieren sowohl aus Unsicherheiten in der Zuordnung der Fälle zu einzelnen Luftangriffen als vor allem auch aus der erwähnten Differenz zwischen heute noch nachweisbaren und 1945 berichteten Bestattungszahlen des Heidefriedhofs. Die Kommission hat – wie bei allen Bewertungen von Unsicherheiten – ihrem Untersuchungsergebnis die jeweiligen Maximalzahlen zugrunde gelegt.

60

Für weitere 700 Luftkriegstote liegen Hinweise auf eine Bestattung außerhalb Dresdens vor, die bislang jedoch nicht durch Unterlagen der jeweiligen Friedhöfe bestätigt sind.

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Aus der Perspektive der Bestattung resultierte damit eine Maximalzahl von etwa 25.000 im Februar 1945 durch Luftangriffe getöteter Menschen. Dieses Untersuchungsergebnis wurde mehrfach abgeglichen: Zunächst durch Konsistenzprüfungen der einzelnen Informationsbestände der Datenbasis untereinander. Daneben erfolgte ein Abgleich auch mit den vorhandenen Registern von Kriegsgräbern sowohl des Grünflächenamtes der Landeshauptstadt Dresden als auch – mit landes- und bundesweiter Ausdehnung – des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Die Auswertung der erhobenen Falldaten, der neu erschlossenen Archivalien und ihr Vergleich mit den amtlichen Statistiken der unmittelbaren Nachkriegszeit machen deutlich: Insgesamt ist die Bergung, Registratur und Bestattung der Luftkriegstoten in Dresden – gemessen an der Situation in der schwer zerstörten Stadt – bemerkenswert geordnet verlaufen. Zwar musste angesichts der enormen Größe der Katastrophe vielfach improvisiert werden, sodass sich teils erhebliche Abweichungen vom geplanten Vorgehen ergaben. Alle verfügbaren Unterlagen belegen aber, dass die Zivilverwaltungen und die Polizei bemüht waren, die Ordnungsmäßigkeit im Umgang mit den Luftkriegstoten aufrecht zu erhalten.

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Ansatz 2: Untersuchung der Bevölkerungsbilanz der Stadt Dresden

Ziel der Untersuchung Ziel der Untersuchung war es, die Zahl der bei den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 getöteten Menschen in ihrer Größenordnung zu ermitteln. Dies sollte im Wesentlichen durch einen Vergleich der Zahl der Menschen, die sich vor den Februar-Luftangriffen in Dresden aufhielten mit der Zahl derer, die danach noch in Dresden weilten oder die Stadt verlassen hatten, geschehen. Die methodischen Vorarbeiten für die Untersuchung wurden im Teilprojekt 2 der Kommission durch Rüdiger Overmans ausgeführt und aus anderen Teilprojekten heraus unterstützt. Um die Zahl der Menschen zu ermitteln, die sich unmittelbar vor den Luftangriffen in Dresden befanden, war es zunächst notwendig, die wesentlichen Personengruppen zu identifizieren, die in einer solchen Bevölkerungsbilanz betrachtet werden müssen:  (1) Ständige Einwohner im Stadtgebiet Dresdens,  (1a) abzüglich der Einwohner, die sich im Militäreinsatz befanden,  (1b) abzüglich der Einwohner, die sich zu kriegsbedingten Dienstverpflichtungen – beispielsweise als Verwaltungsbeamte oder Eisenbahner – außerhalb der Stadt befanden,  (1c) abzüglich der Einwohner, die Dresden aus anderen Gründen – beispielsweise privater oder beruflicher Art – verlassen hatten;  (2) Auswärtige Zivilpersonen,  (2a) als Flüchtlinge (insbesondere aus Niederschlesien) auf der Durchreise,  (2b) als einquartierte Flüchtlinge / Evakuierte für einen kurzfristigen oder dauerhaften Aufenthalt in Lagern oder Privathaushalten der Stadt,  (2c) als Arbeitskräfte im Einsatz in Dresdner Unternehmen oder Behörden,  (2d) als Personen, die sich aus anderen Gründen – beispielsweise privater oder beruflicher Art – in Dresden aufhielten;  (3) Militärangehörige in der Dresdner Garnison, den verschiedenen militärischen Einheiten, Stäben und Dienststellen, in Wehrmachtslazaretten etc.;  (4) Auswärtige Hilfs- und Ersatzkräfte in Polizei und anderen Diensten – beispielsweise als »Ergänzungsmänner« der Feuerlöschpolizei;  (5) Kriegsgefangene in den Dresdner Lagern;  (6) Zwangsarbeiter in den Dresdner Lagern und Betriebsstätten von Industrie, Handwerk und Behörden;  (7) Häftlinge der Dresdner Außenstellen von Konzentrationslagern und den Dresdner Gefängnissen; und weitere Gruppen.

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Für die Situation nach den Luftangriffen wäre in all diesen Gruppen mindestens zu unterscheiden gewesen zwischen:  (a) Menschen, die in Dresden verblieben waren – in ihren bisherigen Wohnungen / Quartieren, in Notunterkünften, bei Verwandten etc.;  (b) Menschen, die Dresden verlassen hatten,  da sie in Dresden nicht mehr über Unterkunft, Ernährungsmöglichkeiten etc. verfügten,  da sie bei den Luftangriffen verletzt und in auswärtige Krankenhäuser transportiert worden waren,  da der Grund ihres Aufenthaltes in der Stadt entfallen war – beispielsweise durch die Zerstörung von Unternehmen oder Behörden,  da sie sich in Dresden nicht mehr sicher fühlen konnten,  da sie die Stadt auf Anordnung hin verlassen mussten – beispielsweise als Häftlinge, Zwangsarbeiter etc.;  (c) Menschen, die durch die Luftangriffe getötet worden waren. Schon die Aufzählung macht bereits das grundlegende Problem des Untersuchungsansatzes deutlich: Mindestens für jene Gruppen, in denen eine Personenzahl im vierstelligen Bereich zu erwarten war (und das betrifft alle der oben genannten), hätten belastbare Zahlenangaben in der dokumentarischen Überlieferung ermittelt werden müssen. In mehreren Teilprojekten der Kommission wurden dazu intensive Archivrecherchen durchgeführt, die sich auf die nachfolgend beschriebenen Schwerpunkte konzentrierten. Kommunalstatistik Zur Einwohnerzahl im Dresdner Stadtgebiet vor und nach den Luftangriffen existieren summarische Angaben des Statistischen Amtes der Stadtverwaltung, die im April 1946 erstmals publiziert wurden. Sie weisen folgende Personenzahlen aus:  »Vor dem Angriff (Ende 1944)«:

566.735 Einwohner,

 »Nach dem Angriff (April 1945)«: 368.519 Einwohner. 61 Zu beiden Zahlenangaben konnte keine ergänzende Überlieferung gefunden werden. Es ist daher aus heutiger Sicht nicht mehr zu ermitteln, auf welchen Erhebungsgrundlagen die Angaben beruhen und wie sie sich zu den oben genannten Personengruppen abgrenzen. Bevölkerungszählungen fanden vor den Luftangriffen letztmalig im Mai 1939, danach erstmalig wieder im November und Dezember 1945 statt. 62 Die berichteten Zahlen von Ende 1944 und April 1945 müssen also auf andere Weise aus Verwaltungsunterlagen zusammengestellt worden sein. Sie beziehen sich lediglich auf die Einwohnerschaft der Stadt, berücksich-

61

Dresdner Statistik. Viertelsjahresberichte des Statistischen Amtes der Stadt Dresden, 63. Jg., April 1946, Dresden 1946.

62

Vgl. Statistisches Amt, Dresden im Zahlenspiegel, undatiert, erstellt Anfang 1946 (LHD, Kommunale Statistikstelle); Statistisches und Wahlamt: Tätigkeitsbericht über das Jahr 1946 (StAD, 9.2.2, Zusammenarbeit mit dem Rat der Stadt Dresden, Nr. 119, Bd. 1, unpag.).

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tigen also auswärtige Personen in Dresden nicht. Sie erlauben zudem keine Aussagen darüber, welcher Teil der Bevölkerungsdifferenz von knapp 200.000 Personen die Stadt verlassen hatte und welcher Teil getötet worden war. Ernährungswesen Ein alternativer Ansatz, um die oben aufgeführten Gruppen von Zivilpersonen (Gruppen 1 und 2) quantitativ zu erfassen, wäre die Auswertung von Unterlagen des Ernährungswesens und der Flüchtlingsbetreuung gewesen. Verantwortlich für die Organisation der Lebensmittelverteilung an alle Personen, die sich dauerhaft in Dresden aufhielten, waren das städtische Ernährungsamt und seine Ausgabestellen für Lebensmittelkarten in den Stadtbezirken. Durchreisende Personen – also auch Flüchtlinge – wurden von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt versorgt.63 Trotz intensiver Archivrecherchen konnten für beide Organisationen keine Unterlagen ermittelt werden, aus denen statistische Angaben zur Lebensmittelversorgung vor und nach den Februar-Luftangriffen hätten gewonnen werden können. Vermutlich wurden die einschlägigen Karteien und Akten, soweit sie nach den Luftangriffen noch erhalten oder wieder hergestellt worden waren, in den letzten Kriegstagen systematisch vernichtet. 64 Wanderungsbewegungen Um die Zahl der vor den Februar-Luftangriffen nach Dresden transportierten Flüchtlinge zumindest in ihrer Größenordnung zu bestimmen, wären prinzipiell auch Unterlagen aus dem Transportwesen – vor allem der Deutschen Reichsbahn – geeignet gewesen. Auf deren Grundlage hätte auch die Abwanderung der Überlebenden nach den Luftangriffen zumindest in Teilen rekonstruiert werden können. Auch in diesem Kontext blieb die Archivrecherche erfolglos. Eine groß angelegte Abfrage von Archiven möglicher Aufnahmegemeinden ergab nur in sehr wenigen Fällen Anhaltspunkte.

Schlussfolgerungen In der Vorbereitung der Untersuchung wurde deutlich, dass die vorhandenen Quellen eine Ermittlung der Zahl der Menschen, die sich vor und nach den Februar-Luftangriffen in Dresden aufhielten, nicht mit der für das Untersuchungsziel nötigen Genauigkeit zulassen. Dies betrifft insbesondere die Zahl auswärtiger Zivilpersonen in der Stadt am 13. Februar 1945 sowie den Umfang der Abwanderung aller Personengruppen nach den Luftangriffen. 65 Damit musste das Vorhaben, eine Bevölkerungsbilanz für das Stadtgebiet aufzustellen, fallen gelassen werden.

63

Vgl. Matthias Neutzner, Martha Heinrich Acht, a.a.O., S. 72f.

64

Ende April 1945 erließ das Ernährungsamt Anordnungen zur Vernichtung von »Lebensmittelbedarfsnachweisen« und Abrechnungsunterlagen (siehe ebd., S. 107). Vergleichbare Anordnungen sind auch für andere Aktenbestände ergangen.

65

Für andere Personengruppen – beispielsweise Militärangehörige, KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und weitere – können solche Zahlen in unterschiedlicher Genauigkeit ermittelt werden.

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Ansatz 3: Untersuchung der Beurkundungen im Personenstandswesen

Ziel der Untersuchung Ziel der Untersuchung war es, die Zahl der bei den Luftangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 getöteten Menschen in ihrer Größenordnung zu ermitteln. Die Untersuchung wurde im Teilprojekt 2 der Kommission durch Rüdiger Overmans ausgeführt. Herrn Overmans standen Hilfskräfte sowohl im Einwohner- und Standesamt Dresden als auch im Standesamt I Berlin zur Verfügung. Die Untersuchung ist in einem eigenständigen Bericht des Teilprojektes ausführlich dokumentiert. 66

Untersuchungsansatz Der Untersuchungsansatz geht davon aus, dass die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten in ihrer Größenordnung aus der Zahl der standesamtlich beurkundeten Todesfälle und der gerichtlich ergangenen Todeserklärungen ermittelt werden kann. Beide Quellengruppen basieren auf Regelungen aus dem Personenstandswesen – dem Personenstandsgesetz aus dem Jahr 1937 67 und dem Verschollenheitsgesetz vom 1939 68 – die im Wesentlichen gleichermaßen für das Deutsche Reich, die DDR und die Bundesrepublik galten und gelten.69 Standesamtliche Beurkundung des Todesfalls Nach diesen Regelungen ist der Tod einer Person als Sterbefall beim Standesamt des Todesortes anzuzeigen. Er wird dort in einem »Sterbebuch« beurkundet. Alle in Folge der Februar-Luftangriffe in Dresden gestorbenen Personen, deren Identität festgestellt werden konnte, müssen also in den Sterbebüchern der Dresdner Standesämter verzeichnet sein. Hinzu kommen Personen, die außerhalb Dresdens an den Folgen der Luftangriffe verstarben. Ihr Tod wird im Sterbebuch des örtlich zuständigen Standesamtes vermerkt. Für die Untersuchung waren also zunächst aus den Sterbebüchern der Dresdner Standesämter alle Beurkundungen im Zusammenhang mit den Februar-Luftangriffen zu ermitteln. Als Auswertungsmethode wurde festgelegt, die Sterbebücher der Jahrgänge ab 1945 vollständig durchzusehen und relevante Sterbefälle

66

Siehe Rüdiger Overmans, Das Buch für Todeserklärungen und die Heimatortkarteien – Auswertung von Massendatenbasen. In: Rolf-Dieter Müller/Nicole Schönherr/Thomas Widera (Hg.), Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945, a.a.O., S. 119-140.

67

Personenstandsgesetz vom 3.11.1937, veröffentlicht im Reichsgesetzblatt I, 1937, S. 1146ff.

68

Gesetz über die Verschollenheit, die Todeserklärung und die Feststellung der Todeszeit vom 4.7.1939, veröffentlicht im Reichsgesetzblatt I, 1939, S. 1186 - 1192.

69

Zu den Regelungen des Personenstandswesens siehe ausführlich: Rüdiger Overmans, Das Buch für Todeserklärungen und die Heimatortkarteien – Auswertung von Massendatenbasen, a.a.O.

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auszuzählen. Die Durchsicht sollte jahrgangsweise soweit erfolgen bis die Zahl der registrierten Todesfälle für mehrere Jahre im einstelligen Bereich liegen würde. Eine Durchsicht aller Sterbebücher aller Gemeinden, in denen Personen außerhalb Dresdens an den Folgen der Luftangriffe gestorben sein könnten, wäre gleichermaßen undurchführbar wie angesichts der zu erwartenden Zahl von Todesfällen unnötig gewesen. Um die Zahl der außerhalb Dresdens Verstorbenen einbeziehen zu können, sollten stattdessen entsprechende Ergebnisse aus dem Teilprojekt 1 Verwendung finden. Todeserklärungen der Amtsgerichte Voraussetzung für die standesamtliche Beurkundung des Todes ist, wie oben beschrieben, dass der Tod einer Person zweifelsfrei festgestellt und von einem dazu Berechtigten beim Standesamt angezeigt wurde. Im Falle der Februar-Luftangriffe auf Dresden war dies für viele Tote nicht der Fall, sodass ihr Tod nicht standesamtlich beurkundet sein kann. Nach den Regelungen im Personenstandswesen werden solche Personen von einem Amtsgericht auf Antrag für tot erklärt. Zuständig dafür ist zunächst das Amtsgericht am letzten Wohnort des Toten. Unter den Bedingungen der Kriegs- und Nachkriegszeit erwiesen sich die Ermittlung des letzten Wohnortes oder die Beurkundung dort oft als nicht durchführbar, sodass eine UNKonvention im Jahr 1950 Todeserklärungen auch durch andere Amtsgerichte ermöglichte. 70 Seit 1938 werden alle Todeserklärungen zentral beim Standesamt I Berlin gesammelt und in ein Buch für Todeserklärungen eingetragen, sodass mehrfache oder unrichtige Gerichtsbeschlüsse identifiziert werden können. Um die Zahl der Todeserklärungen zu ermitteln, die sich auf die Dresdner Luftangriffe beziehen, empfahl sich daher eine Untersuchung im Standesamt I Berlin. Das »Buch« für Todeserklärungen liegt als sehr umfangreicher Dokumentenbestand vor, der historisch bedingt unterschiedliche Formen aufweist. 71 So erfolgte zwischen 1948 und 1990 die zentrale Erfassung der Todeserklärungen getrennt für den Bereich der DDR und der BRD. Zudem existierten zeitweise eigenständige Register für das Saarland (1948-1957) sowie die Städte Wiesbaden (1945-1947) und Krakau (19411944). Im Rahmen der Untersuchung war der gesamte Dokumentenbestand daher zunächst durchzusehen, auszuzählen und hinsichtlich seiner Struktur zu kategorisieren. Dabei wurden 1.356.242 dokumentierte Todeserklärungen in sieben Dokumentengruppen ermittelt. Einen solch großen Datenbestand einzeln zu untersuchen, hätte einen immensen Arbeitsaufwand erfordert, der zudem unnötig gewesen wäre: Das Untersuchungsziel – die Ermittlung der Totenzahl in ihrer Dimension (also nicht auf Hunderte von Personen exakt) – kann bereits durch die Untersuchung einer ausreichend großen Stichprobe aus der Grundgesamtheit aller gerichtlichen Todeserklärungen erreicht werden. 72 Die Größe der Stichprobe war dabei so

70

Vgl. Joseph Nisot, Die Konvention vom 6. April 1950 betreffend den Nachweis des Todes von Personen, die im Laufe der Kriegsjahre verschollen sind. In: Zeitschrift für ausländisches Recht und vergleichbares Recht, (1950), Nr. 2.

71

Zur Quellensituation vgl. ausführlich: Rüdiger Overmans, Das Buch für Todeserklärungen und die Heimatortkarteien, a.a.O.

72

Zu den methodischen Überlegungen vgl. ausführlich: ebd.

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festzulegen, dass die angestrebte hohe statistische Sicherheit (Signifikanzniveau 99%) erreicht werden konnte. Als dafür ausreichend wurde eine Stichprobengröße von 4.000 Eintragungen – also etwa drei Promille der Grundgesamtheit – ermittelt. Über differenzierte Entnahmeregeln für jede Dokumentengruppe konnte sichergestellt werden, dass die Entnahme der zu prüfenden Einträge in einem konstanten Intervall über alle Fälle der jeweiligen Gruppe hinweg erfolgte. Nicht erfasste Todesfälle Der methodische Ansatz erfasst einige Personengruppen nicht: Zunächst ist es denkbar, dass für getötete Personen weder eine standesamtliche Beurkundung des Todesfalls erfolgte noch eine Todeserklärung beantragt wurde. Solche Fälle werden jedoch als eher selten eingeschätzt, da Beurkundungen des Todes von Angehörigen regelmäßig für viele zivilrechtliche Sachverhalte – beispielsweise im Familien- oder Erbrecht – benötigt werden. Dennoch war die Größenordnung auch dieser Fälle zu berücksichtigen. Sie kann jedoch nur geschätzt werden. Weiterhin gelten die Regeln des Personenstandswesen für einige Gruppen in Dresden Getöteter nicht oder nur eingeschränkt: Dies betraf beispielsweise Häftlinge der NS-Konzentrationslager, deren Tod bis zum Ende des Krieges nicht standesamtlich beurkundet werden durfte. Die Zahl möglicher Todesfälle in diesen Personengruppen muss daher zusätzlich betrachtet werden.

Untersuchungsergebnisse Die Untersuchung konnte im geplanten Umfang nach den oben dargestellten methodischen Grundlagen durchgeführt werden. Folgende Ergebnisse wurden erzielt: Standesamtliche Beurkundung des Todesfalls Bei der Auszählung der relevanten Beurkundungen in den Sterbebüchern der Dresdner Standesämter konnten die Todesfälle, die mit den Februar-Luftangriffen auf Dresden im Zusammenhang stehen, zuverlässig identifiziert werden: Dies war einerseits über das Todesdatum, andererseits über explizit formulierte Verweise auf die Luftangriffe 73 möglich. Die Auswertung erfolgte für die Jahrgänge 1945 bis 1974. Bereits für die Jahrgänge ab 1965 wurden pro Jahr nur noch Beurkundungen von einem bis maximal sieben relevanten Fällen festgestellt; damit war das formulierte Abbruchkriterium sicher erreicht. Insgesamt wurden 7.090 beurkundete Sterbefälle mit Bezug auf die Dresdner Luftangriffe vom 13. bis 15. Februar 1945 ermittelt. Mit den Untersuchungen im Teilprojekt 1 der Kommission konnte die Anzahl der außerhalb Dresdens bestatteten Toten der Dresdner Februar-Luftangriffe auf etwa 850 eingegrenzt werden. Damit ist ein Anhalts-

73

Beispiel für einen Urkundentext: »[..] ist in der Zeit vom 13. bis zum 18. Februar 1945 […] in Dresden […] bei einem feindlichen Luftangriff gefallen« (Sterbebuch der Bezirksverwaltung IV Dresden, 1945, Nr. 911).

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punkt auch für eine Maximalzahl möglicher Beurkundungen von Todesfällen auswärtiger Standesämter gegeben, die tatsächlich niedriger liegen dürfte.74 Todeserklärungen der Amtsgerichte Als erster Schritt der Auswertung des Buches der Todeserklärungen beim Standesamt I Berlin erfolgten Konsistenzprüfungen zwischen den Überlieferungen aus den über mehrere Jahrzehnte getrennt geführten Registern für die DDR und die BRD. Dabei konnten keine systematischen Abweichungen erkannt werden. 75 Anschließend wurde eine Stichprobe von 4.000 Eintragungen nach der festgelegten Methodik entnommen und untersucht. Davon waren 73 Eintragungen zwischenzeitlich aufgehoben; weitere 18 erwiesen sich aus unterschiedlichen Gründen als nicht auswertbar. Unter den verbleibenden 3.998 Eintragungen konnten insgesamt 31 Todeserklärungen ermittelt werden, die sich auf Tote der Dresdner Luftangriffe im Februar 1945 beziehen. Fast alle Eintragungen betrafen Dresdner Einwohner (29 Fälle); die Mehrzahl wurde beim Amtsgericht Dresden beurkundet (26 Fälle). Die Auszählung erfolgte getrennt nach Dresdner Bürgern und Flüchtlingen sowie nach dem Ort der Beantragung der Todeserklärung. 76 Die Zuordnung zu den Dresdner Luftangriffen erfolgte über das Todesdatum, d.h. alle Einträge mit einem Todesdatum 13., 14. oder 15. Februar 1945 wurden zunächst als relevant angesehen. Bei fast allen diesen Einträgen war aus unbekanntem Grund zusätzlich explizit vermerkt, dass es sich um Tote der Dresdner Luftangriffe handelt. Lediglich für drei Einträge mit dem oben genannten Todesdatum war dies nicht der Fall; die Nachprüfung bei den zuständigen Amtsgerichten ergab, dass sich nur eine Eintragung auf Dresden bezog. Die Zahlen der ermittelten Einträge konnten anschließend auf die Grundgesamtheit aller im Standesamt Berlin I registrierten Todeserklärungen bezogen werden. Dabei ergibt sich eine Zahl von 10.200 relevanten Einträgen. Insgesamt lässt sich verallgemeinernd feststellen, dass ca. 10.000 gerichtliche Todeserklärungen mit Bezug auf die Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 erstellt worden sind. Sie wurden weitestgehend in Dresden und für Dresdner Bürger beantragt. Alle anderen Fälle – also auswärtig wohnhafte Personen oder Flüchtlinge – stellen quantitativ unbedeutende Ausnahmen dar.

74

Unter den auswärts Bestatteten haben sich auch nicht identifizierte Tote befunden, deren Tod damit auch nicht standesamtlich beurkundet werden konnte. Zudem sind in dieser Zahl auch Personen eingeschlossen, die in Dresden starben, aber auswärts bestattet wurden, so dass ihr Tod in Dresden beurkundet wurde.

75

Zu den Konsistenzprüfungen siehe: Rüdiger Overmans, Das Buch für Todeserklärungen und die Heimatortkarteien, a.a.O.

76

Zu den Untersuchungsergebnissen siehe ausführlich: ebd.

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Nicht erfasste Todesfälle Die Zahl jener Dresdner Luftkriegstoten, die weder standesamtlich beurkundet noch für tot erklärt worden waren, musste geschätzt werden. In Abstimmung mit den Ergebnissen des Teilprojekts 1 der Kommission wurde eine Maximalzahl von 2.000 Personen angenommen. Schlussfolgerungen In der Zusammenschau der oben aufgeführten Ergebnisse ergibt sich folgendes Resümee: Aus der Untersuchung der Beurkundungen im Personenstandswesen kann die Zahl der bei den Luftangriffen auf Dresden im Februar 1945 getöteten Personen in ihrer Größenordnung rekonstruiert werden. Sie ergibt sich aus folgenden Einzelpositionen:  8.000 standesamtlich beurkundete Sterbefälle, davon  7.100 in Dresden angezeigt,  850 außerhalb von Dresden angezeigt,  250 angenommene sonstige Fälle;  10.000 gerichtliche Todeserklärungen, davon  8.000 in Dresden erklärt,  2.000 außerhalb von Dresden erklärt;  2.000 sonstige, im Personenstandswesen nicht erfasste Todesfälle. Damit beträgt die aus den Beurkundungen im Personenstandswesen nachgewiesene Zahl der bei den Luftangriffen auf Dresden im Februar 1945 getöteten Personen ca. 18.000; maximal ergibt sich aus dieser Untersuchungsperspektive eine Größenordnung von 20.000 Toten.

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Auswertung der Datenbasis personenbezogener Informationen Die im Teilprojekt 1 erarbeitete elektronische Datenbasis sollte in der ursprünglichen Projektplanung zunächst alle personenbezogenen Informationen zur Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten umfassen. Wie bereits dargestellt, wurde es im Verlauf des Projektes dank des großen Engagements ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglich, darüber hinaus auch Nachweise aus dem Personenstandswesen – also aus den Beurkundungen der Standesämter und den Todeserklärungen der Amtsgerichte – zu erfassen. Diese Beurkundungen liegen teilweise in Parallelüberlieferungen vor – im Einwohner- und Standesamt Dresden, in den Unterlagen der polizeilichen Meldebehörde, des Dresdner Amtsgerichts sowie im Standesamt I Berlin. Auch Informationen aus weiteren Quellen wurden ergänzend in die Datenbasis aufgenommen. Im Ergebnis konnte angenommen werden, dass nunmehr mit der Datenbasis eine nahezu vollständige namentliche Erfassung der in Dresden durch Luftangriffe getöteten Menschen vorliegen würde. Auch ein großer Teil der unbekannt Bestatteten, die nicht identifiziert worden sind, sollten nach jetzigem Stand durch die Registratur der Standesämter und Gerichte namentlich benannt werden können. Damit ergab sich eine weitere Möglichkeit, auf die Größenordnung der im Februar 1945 in Dresden getöteten Menschen zu schließen: In der Datenbasis sind Informationen zu etwa 24.900 namentlich bekannten Dresdner Luftkriegstoten enthalten, von denen etwa 20.100 sicher oder wahrscheinlich im Februar 1945 getötet wurden. Darüber hinaus enthält sie ca. 2.600 Nachweise zu etwa 6.300 Toten, die als »unbekannt« bestattet worden waren. Wenn für keinen dieser nicht identifizierten Toten in den Nachkriegsjahren eine gerichtliche Todeserklärung beantragt und erteilt worden wäre, dann würde sich eine Summe von 26.400 im Februar 1945 in Dresden getöteten Menschen ergeben. Das aber ist ausgeschlossen. Zwar ist es unmöglich, das Verhältnis dieser beiden Nachweisgruppen zueinander genau zu bestimmen, sehr wahrscheinlich aber wird für die Mehrzahl der anonym Bestatteten eine Todeserklärung beantragt und ausgestellt worden sein. Wäre dem so, dann würde die Größenordnung der von der Kommission ermittelten Zahl auch aus dieser Perspektive bestätigt werden. Auch wenn man dies prinzipiell in Zweifel zöge – wofür es keine Argumente oder gar Belege gibt –, hätte dies eine Maximalzahl von Luftkriegstoten in Dresden zur Folge, die um nur 6 Prozent oberhalb der von der Kommission ermittelten Größenordnung liegen würde. Jenseits der abstrakten Summierungen erlaubt die elektronische Datenbasis aber Erkenntnisse ganz anderer Art und Qualität: In der ungeheuren Zahl von bis zu 25.000 getöteten Menschen wird das einzelne Individuum wieder sichtbar, werden Details konkreter Biografien deutlich. So ist zu erfahren, dass zwei Drittel der in Dresden getöteten Menschen Erwachsene im Alter zwischen 18 und 70 Jahren waren. Unter ihnen befinden sich Angehörige aus fast zwanzig Nationen Europas und der Welt. Etwas mehr als die Hälfte von ihnen sind Frauen, jeder sechste Getötete war ein Kind oder Jugendlicher.

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Perspektive B: Untersuchung von Überlieferungen, Erzählbildern und Überlegungen Die Untersuchungen der Kommission, die, wie oben dargestellt, im Wesentlichen auf den Einzelnachweisen der Bestattung und den Unterlagen des Personenstandswesens basieren, ergaben eine Größenordnung für die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten, die niedriger als die bisher gebräuchlichen Angaben der Stadtverwaltung und vor allem niedriger als viele in der Öffentlichkeit kursierende Zahlenangaben ist. Es war daher von besonderer Bedeutung, alle bekannten Argumentationen zu prüfen, mit denen eine wesentlich höhere Zahl an Toten der Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 begründet wird. Die Kommission hat deshalb zunächst solche Argumente aus der Literatur, aus Medienbeiträgen, Erinnerungszeugnissen, eingegangenen Hinweisen und weiteren Materialien zum öffentlichen Diskurs ermittelt und kategorisiert. Danach sind die einzelnen Argumentationslinien in mehreren Untersuchungen verifiziert worden. Im Einzelnen wurden folgende Überlieferungen, Erzählbilder und Überlegungen untersucht:  Zahlenangaben aus Literatur und Medien Werden im schriftlich dokumentierten Diskurs um die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten abweichende Zahlenangaben genannt, die einer wissenschaftlichen, insbesondere quellenkritischen Überprüfung, standhalten?  Überlieferungen und Erzählbilder Enthalten Erinnerungszeugnisse und populäre Erzählbilder verifizierbare Zahlenangaben?  Unvollständige Registratur der Luftkriegstoten Erfolgte die Registratur der geborgenen Dresdner Luftkriegstoten so unvollständig, dass daraus auf wesentlich höhere Totenzahlen geschlossen werden muss?  Höhe der Verluste unter Flüchtlingen in Dresden Sind im Februar 1945 in Dresden so viele Flüchtlinge getötet worden, dass damit eine wesentlich höhere Totenzahl begründet oder die Ermittlung einer solchen Zahl gänzlich unmöglich würde?  Unterbliebene Bergung von Luftkriegstoten Ist eine größere Zahl im Februar 1945 getöteter Menschen bis heute nicht geborgen worden, so dass damit eine höhere Totenzahl begründet würde?  Ungeordnete Bestattung von Luftkriegstoten Wurde eine namhafte Zahl von Luftkriegstoten außerhalb der Friedhöfe bestattet, so dass deren Zahl in der Registratur der Friedhöfe fehlen würde?  Verheimlichte Bestattung von Luftkriegstoten Sind Dresdner Luftkriegstote »heimlich« von den zuständigen Behörden bestattet worden, um ihre Zahl in der Öffentlichkeit zu verschweigen?

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 Rückstandsloses Verbrennen im Feuersturm Sind zahlreiche Menschen in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 so vollständig verbrannt, dass keine sterblichen Überreste mehr vorhanden sind und damit ihre Zahl in der Verlustbilanz fehlt? Parallel zu diesen Untersuchungen diskutierte die Kommission die Überlieferung der Dresdner Verlustzahlen im Gesamtkontext des alliierten Luftkrieges und der zivilen Verluste im Zweiten Weltkrieg:  Statistische Überlegungen zum alliierten Luftkrieg gegen Deutschland Sind sehr hohe Totenzahlen in Dresden – also Angaben im sechsstelligen Bereich – im Kontext der Luftkriegsstatistik plausibel?  Überlegungen zu kriegsbedingten Gesamtverlusten Sind sehr hohe Totenzahlen in Dresden in der Gesamtbilanz der zivilen Verluste im Zweiten Weltkrieg darstellbar? Die methodischen Prämissen und Ergebnisse dieser Untersuchungen werden in den folgenden Kapiteln im Überblick dargestellt. In den Einzelbeiträgen der Kommissionsmitglieder sind detaillierte Aussagen zu einigen der beschriebenen Untersuchungen enthalten.

Zahlenangaben aus Literatur und Medien Es war selbstverständlich und notwendig für die Untersuchungen der Kommission, die breite Literatur, die zahlreichen Medienberichte und weitere öffentliche Stellungnahmen zu den Luftangriffen auf Dresden im Februar 1945 daraufhin auszuwerten, ob die dort getroffenen Aussagen zur Zahl der Dresdner Luftkriegstoten einer wissenschaftlichen Überprüfung standhalten. Insbesondere waren diejenigen Angaben zu prüfen, die wesentlich höhere als die von der Kommission ermittelten Totenzahlen ausweisen. Dabei konzentrierte sich die Durchsicht dieser Publikationen auf folgende Fragestellungen:  Dokumentarisch gestützte Zahlenangaben Enthalten die Publikationen Hinweise auf archivalisch überlieferte Dokumente mit Angaben zur Zahl der Dresdner Luftkriegstoten, die einer quellenkritischen Überprüfung standhalten?  Argumentationen zur Begründung von Zahlenangaben Enthalten die Publikationen nachprüfbare und plausible Argumentationen, die eine konkrete Zahlenangabe zu den Dresdner Luftkriegstoten begründen?  Zahlenangaben aus Erinnerungszeugnissen Enthalten die Publikationen Hinweise auf Erinnerungszeugnisse, denen glaubhafte Zahlenangaben zu den Dresdner Luftkriegstoten entnommen werden können?

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Angesichts der Fülle der vorhandenen und ausgewerteten Publikationen können die Ergebnisse dieser Untersuchungen im Folgenden lediglich zusammenfassend beschrieben und mit Beispielen illustriert werden.

Dokumentarisch gestützte Zahlenangaben Zunächst muss festgestellt werden, dass in zahlreichen ausgewerteten Texten Quellennachweise für zitierte Dokumente oder sonstige »Beweise« entweder gänzlich fehlen oder sich bei der Überprüfung als falsch erweisen. Das ist bei Medienberichten nicht verwunderlich, trifft aber auch auf einige Publikationen zu, die für sich einen wissenschaftlichen Anspruch reklamieren. 77 Könnte dies noch mit Nachlässigkeit erklärt werden, so haben in anderen Fällen Autoren ihre Argumentationen wissentlich auf Dokumente begründet, die ihnen bereits als Fälschung bekannt waren oder deren zweifelhafte Authentizität sie kennen mussten. Ein gut dokumentiertes Beispiel dafür sind die von Richard Evans beschriebenen Manipulationen in den Veröffentlichungen David Irvings. 78 Jenseits dieser extremen Fälle werden in zahlreichen Publikationen sehr hohe Zahlen der Dresdner Luftkriegstoten mit Rückbezügen auf andere Beiträge in Literatur und Medien begründet. Dabei ersetzen Zitate aus solchen Publikationen archivalisch belegte Quellen. So entsteht ein Dickicht von unbelegten Behauptungen und gegenseitigen Referenzen darauf. Aus der schlichten Vermutung, aus dem nicht belegten Dokument, aus der spekulativen Überlegung kann auf diese Weise in der intensiven Rezeption leicht eine scheinbare Beweisführung konstruiert werden. Typisch ist das Fehlen jeglicher Quellenkritik – sei es fahrlässig oder absichtsvoll. Als ein Beispiel für solche Argumentationen soll hier die Pressemitteilung der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag zum Zwischenbericht der Kommission anlässlich des Deutschen Historikertages im Oktober 2008 in Dresden angeführt werden. 79 Alle dort genannten »Belege« für viel höhere Totenzahlen (im Vergleich mit den im Zwischenbericht genannten) erweisen sich rasch als untauglich: Ohne jede weitere Erwägung bezieht man sich willkürlich auf zwei Presseberichte (einer aus dem Jahr 1945, einer von 1999), auf eine Quellensammlung zur Geschichte des Nationalsozialismus und auf den publizierten Erinnerungsbericht eines sowjetischen Politikers. Keine dieser Publikationen liefert einen nachprüfbaren Beleg für die angegebenen Zahlen von 200.000 bis 250.000 getöteten Menschen. Weiter werden nicht näher spezifizierte »Unterlagen des damaligen State Department« angeführt sowie ein Bericht des Internationalen Roten Kreuzes aus dem Jahr 1948. Auch hier fehlt jede Quellenkritik: Der letztgenannte Bericht weist eindeutig

77

Als ein neueres Beispiel sei hier genannt Wolfgang Schaarschmidt, Dresden 1945, München 2005. In dieser ersten Auflage des Buches sind zahlreiche Quellenangaben falsch, nicht nachvollziehbar oder fehlen. Selbst einzelne wörtliche Zitate aus Quellen erweisen sich als falsch oder werden bei mehrfacher Verwendung im Buch unterschiedlich wiedergegeben.

78

Siehe Fußnote 32.

79

NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Pressemitteilung vom 2.10.2008 (http://www.npd-fraktionsachsen.de/index.php?verweis=3,1,1&drucksache=pressemitteilungen&drucksacheid=742, abgerufen am 6.10.2009).

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aus, dass die dort genannte Zahl von 275.000 Toten in Dresden nicht auf eigenen Untersuchungen basiert, sondern von Genf aus »aus den Berichten von Reisenden und Augenzeugen, von Zeitungsmeldungen und den Aussagen von Hilfsorganisationen« zusammengestellt wurde – wiederum also aus nicht belastbaren (oder zumindest nicht nachprüfbaren) Angaben nach dem »Hörensagen«. 80 Typisch für viele Argumentationen sehr hoher Totenzahlen ist zudem, dass Gegenargumente – insbesondere die Schlussfolgerungen aus den verfügbaren Primärquellen – tendenziös unerwähnt bleiben. Auch innere Widersprüche der eigenen »Belege« werden in der Regel nicht thematisiert, solange sie die eigene Argumentation nur in der Tendenz stützen.81 Zusammenfassend kann bilanziert werden: Die umfangreichen Auswertungen von Literatur, Medienberichten und öffentlichen Stellungnahmen erbrachten keine Hinweise auf relevante und glaubhafte, archivalisch überlieferte Dokumente zu Dresdner Totenzahlen jenseits der von der Kommission ermittelten und ausgewerteten Überlieferung.

Argumentationen zur Begründung von Zahlenangaben Neben dokumentarischen Quellen und Zitaten spielen verschiedene Plausibilitätsüberlegungen oder Hochrechnungen eine wesentliche Rolle als Begründung für hohe Totenzahlen. Die populärsten dieser Argumentationen werden in den folgenden Abschnitten aufgegriffen; weitere seien hier lediglich genannt: So werden oft Zahlenangaben gänzlich unterschiedlicher Aussage summiert – beispielsweise Zahlen getöteter und vermisster Menschen (ohne in diesem Fall in Betracht zu ziehen, dass sich die übergroße Mehrheit der in Dresden vermisst Gemeldeten als lebend herausstellte), 82 oder Zahlen namentlich bekannter und unbekannter Toter (ohne zu berücksichtigen, dass beispielsweise beurkundete, namentlich bekannte Tote durchaus als unbekannt bestattet worden sein könnten). 83 Weit verbreitet sind Hochrechnungen unterschiedlichster Art. So werden etwa die Folgen der Luftangriffe für einen Ort in der Stadt auf das gesamte Stadtgebiet bezogen (ohne die starken lokalen Unterschiede, die

80

International Red Cross Committee. League of the Red Cross Societies, Report of the Joint Relief Commission of the International Rec Cross 1941 - 1946, Genf 1948, S. 103f.

81

So kommt eine als Manuskript publizierte Untersuchung von Manfred Böttcher über zahlreiche Herleitungen auf eine Spannbreite von 33.000 bis 115.000 Toten, ohne dass dies zu einer kritischen Wertung der verwendeten »Lösungsansätze« führen würde. Die um mehr als das Dreifache divergierenden eigenen Schlussfolgerungen bleiben unreflektiert, stattdessen scheint der Zweck eines polemischen Infragestellens anderer Ergebnisse erreicht: »Damit ist die Aufgabenstellung erfüllt, d.h. die 25.000 Toten können nicht stimmen!« (Manfred Gerhart Böttcher, Die Zäsur einer Stadt. Die Opferzahlen der Luftangriffe auf Dresden am 13./14./15. Februar 1945, Dresden 2010, S. 58).

82

Als ein Beispiel unter vielen siehe Böttcher, Die Zäsur einer Stadt, a.a.O, S. 31. Dagegen führte das Hauptmeldeamt beim Polizeipräsidium Dresden im Dezember 1946 aus: »Es ist festgestellt worden, dass von den in der Vermissten-Stelle als angeblich vermisst oder evakuiert registrierten Personen ca. 65-70% wieder in Dresden polizeilich gemeldet sind […], ca. 5-10% als amtlich (durch Rückmeldekarte) außerhalb Dresdens gemeldet sind. Der Rest gilt vorläufig noch als vermisst bezw. angeblich ausserhalb Dresdens wohnhaft.« (SächsHStAD, Landesbehörde der Deutschen Volkspolizei Sachsen, Nr. 378, Bl. 164, Hervorhebung im Original).

83

U.a. Böttcher, a.a.O., S. 99.

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räumliche Begrenztheit der Schadensgebiete überhaupt oder die Wirkungen auch der anderen Luftangriffe auf Dresden vor und nach dem Februar 1945 in Betracht zu ziehen). Andere Ableitungen beziehen sich auf militärische Ereignisse zu anderen Zeiten und an anderen Orten – von den Flächenangriffen des Bomber Command ab 1942 bis zum Anschlag auf das New Yorker World Trade Center im September 2001 (ohne die sachliche Zulässigkeit der Bezüge kritisch zu prüfen). 84 Die Kommission hat auch solche Argumentationen untersucht, sofern sie nicht offenkundig bloße Spekulation darstellen und sich damit der Überprüfung entziehen. Die am weitesten verbreiteten Argumentationen dieser Art werden in den folgenden Kapiteln aufgegriffen.

Zahlenangaben aus Erinnerungszeugnissen Die Mehrzahl aller Publikationen, in denen höhere als die von der Kommission ermittelten Totenzahlen angegeben werden, begründet dies mit einem oder mehreren Erinnerungszeugnissen – zumeist mit schriftlichen Berichten von Augenzeugen. Nicht selten stellen diese Erinnerungszeugnisse die wesentliche Argumentationsgrundlage für die getroffenen Schlussfolgerungen dar. Die Kommission hat sich, wie bereits dargestellt, in einem eigenständigen Teilprojekt mit der subjektiven Überlieferung des Dresdner Geschehens insgesamt auseinandergesetzt.85 Spezielle Aspekte – so die Erinnerungsberichte von Militärangehörigen – wurden gesondert untersucht.86 Zusammenfassende Ergebnisse werden in den folgenden Kapiteln ausgewiesen.

Überlieferungen und Erzählbilder In den Erinnerungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen wird die Dimension der Dresdner Katastrophe im Februar 1945 deutlich – vor allem in ihren Auswirkungen auf jede einzelne Lebensgeschichte, auf Familien und Nachbarschaften. Für die Untersuchungen der Kommission enthalten diese Berichte wertvolle Fakten, die das Wissen um die geschichtlichen Abläufe im Detail verbesserten. Im Teilprojekt 4 der Kommission wurden daher unter der Leitung von Alexander von Plato subjektive Erinnerungszeugnisse sowohl aus Literatur und Medien als auch aus verschiedenen, umfangreichen Dresdner Sammlungen ausgewertet. Die Kommission forderte die Erlebnisgeneration des Jahres 1945 mehrfach öffentlich auf, ihre Erinnerungen für die Untersuchungen zugänglich zu machen, was auf eine große Reso-

84

U.a. Böttcher, a.a.O., S. 16 (»Was für New York im September 2001 gilt, muss logischerweise auch für Dresden im Februar 1945 zutreffen.«).

85

Siehe Teil III in diesem Bericht, weiterführend: Alexander von Plato/Nicole Schönherr, Die Erfahrung Dresden, a.a.O.

86

Siehe Rolf-Dieter Müller, Die militärische Bedeutung Dresdens im Frühjahr 1945 und die Auswirkungen der alliierten Luftangriffe. In: RolfDieter Müller/Nicole Schönherr/Thomas Widera (Hg.), Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945, a.a.O., S. 75-100.

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nanz stieß. Das Projektteam führte zusätzlich zur bereits verfügbaren Überlieferung 40 lebensgeschichtlich angelegte Interviews mit Zeitzeugen. Insgesamt konnten auf diese Weise mehr als 1.300 persönliche Erinnerungszeugnisse unterschiedlicher Gattungen zusammengestellt und ausgewertet werden. Die Ergebnisse dieser Auswertung sollen an dieser Stelle nur so weit angeführt werden, wie sie die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten betreffen. Die darüber hinausreichende Untersuchung zur Erinnerung der Zeitzeugen, zu Vergangenheitsrekonstruktionen und biografischen Konsequenzen wird im Teil III dieses Berichtes dargestellt. In der Analyse des breiten, von der Kommission erschlossenen Bestandes an Erinnerungszeugnissen werden die Aussagen und Wertungen der Kommission tendenziell eher unterstützt, wenngleich einige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen auch abweichende Beobachtungen und Schlussfolgerungen vermitteln. Etwa 86 Prozent der ausgewerteten schriftlichen Berichte – nicht eingerechnet die Detailbefragungen zur Tiefflieger-Problematik87 – enthalten keine Aussagen zur Zahl der Dresdner Luftkriegstoten. Von den verbleibenden 14 Prozent der Erinnerungszeugnisse machen wiederum zwei Drittel die Überzeugung der Zeitzeugen deutlich, dass die Verluste in Dresden sehr hoch sein müssten – insgesamt also etwa 8 Prozent der in dieser Hinsicht auswertbaren Berichte. Ein vergleichbares Ergebnis vermittelte die Auswertung der lebensgeschichtlichen Interviews: Von insgesamt 90 befragten Personen machten 19 Angaben zur Gesamtzahl der Dresdner Luftkriegstoten; etwa ein Drittel dieser Zeitzeugen sprach von extrem hohen Zahlen. Mit diesem Analyseergebnis wird zunächst ein weit verbreitetes Vorurteil im Diskurs um die Dresdner Luftangriffe widerlegt: Es ist durchaus nicht so, dass »die« Zeitzeugen pauschal von sehr hohen Totenzahlen weit jenseits der Untersuchungsergebnisse der Kommission ausgehen. Bei der Detailprüfung wurde deutlich, dass keiner der Zeitzeugen, die Aussagen zur Totenzahl treffen, über einen Zugang zu behördlichen Informationen verfügt hatte, der verlässliche Angaben zu diesen Zahlen erlauben würde. Gleichwohl begründen einige der Zeitzeugen ihre Aussagen mit verschiedenen Beobachtungen und Überlegungen. Solche Argumentationen sind von der Kommission ausgewertet und in ihren Untersuchungen berücksichtigt worden. In vielen Fällen zeigt die Analyse der Erinnerungszeugnisse den Einfluss eines jahrzehntelangen kollektiven Erinnerns auf persönliche Erzählungen und Wertungen. Mit einem Teilbereich der Zeitzeugenerinnerung hat sich die Kommission im Besonderen beschäftigt: Rolf-Dieter Müller untersuchte im Teilprojekt 3 Erinnerungsberichte einzelner Militärangehöriger aus dem Umfeld der Dresdner Standortkommandantur der Wehrmacht. 88 Dabei wurde deutlich, dass die Verantwortlichen dort, von der Katastrophe überfordert, nur am Rande an den Bergungsarbeiten beteiligt gewesen

87

Die vom Militärhistorischen Museum der Bundeswehr (MHM) Dresden strukturiert durchgeführten Befragungen zu Tieffliegerangriffen (etwa 160 Personen) ließen keinen Raum für Äußerungen zur Gesamtzahl der Dresdner Luftkriegstoten.

88

Siehe Rolf-Dieter Müller, Die militärische Bedeutung Dresdens im Frühjahr 1945, a.a.O. Müller setzt sich insbesondere mit dem oft zitierten Erinnerungsbericht von Major Eberhard Matthes auseinander.

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waren und sich ansonsten hauptsächlich damit befassen mussten, das Trümmerfeld Dresden als »Festungsbereich« für den Endkampf herzurichten. Selbst die Zahl der Opfer unter den Soldaten – bei einer aktuellen Garnisonsstärke von rund 17.000 Mann offenbar nur ca. einhundert – ist ihnen nicht bekannt gewesen. Ihre nachträglichen Aussagen zu Gesamtzahlen der Dresdner Luftkriegstoten bleiben spekulativ.

Unvollständige Registratur der Luftkriegstoten Es ist bereits beschrieben worden, wie langfristig und sorgfältig sich die lokalen Verantwortlichen in Dresden auf die erwarteten Luftangriffe vorbereitet hatten. Die »Bestattungsmaßnahmen« waren geregelt – auch für die erwarteten »größeren Massen« Toter. 89 Nach dem 13. Februar 1945 konnten die Planungen jedoch nur teilweise realisiert werden: Die Zahl der Getöteten übertraf selbst die schlimmsten Erwartungen. Die weitgehende Zerstörung des gesamten Stadtkerns beraubte den Verantwortlichen eines großen Teils ihrer technischen Infrastruktur, in ihren Organisationen fehlten nun die getöteten oder aus der Stadt geflohenen Mitarbeiter. Dennoch: Alle vorbereiteten Dienste nahmen ihre Arbeit auf, mussten jedoch unter den Bedingungen der Katastrophe vielfach improvisieren. Beispiele für Abweichungen vom geplanten Vorgehen waren allerorts in der getroffenen Stadt zu erleben: Zwar standen ausreichend Arbeitskräfte für die Bergung der Toten zur Verfügung – neben der Luftschutzpolizei kamen vor allem Kriegsgefangene und militärische Einheiten zum Einsatz –, die viel zu geringe Zahl verfügbarer Fahrzeuge behinderte aber den Transport der Leichen zu den beiden Aufnahmefriedhöfen. So mussten entgegen der Planung die geborgenen Toten zunächst auf improvisierten Sammelplätzen in den Straßen gelagert und später über zwei Wochen hinweg gar auf dem Altmarkt mitten im Stadtgebiet verbrannt werden. Die Zahl der verfügbaren Beamten der Kriminalpolizei reichte nicht aus, um die getöteten Personen zu identifizieren und zu registrieren, sodass die Schutzpolizei aushelfen musste. Auf den beiden großen Friedhöfen waren die vorbereiteten Begräbnisflächen rasch belegt; Erweiterungen wurden nötig. Inmitten der Bemühungen der Behörden versuchten nicht wenige überlebende Einwohner, getötete Verwandte selbst zu bergen und für eine möglichst würdevolle Bestattung – oft in Familiengrabstätten auf anderen als den vorgesehenen Dresdner Friedhöfen oder gar außerhalb der Stadt – zu sorgen. Auch die Verantwortlichen verschiedener Organisationen und Unternehmen veranlassten Bestattungen und Überführungen für getötete Führungskräfte außerhalb des »normalen« Prozedere.90 Es verwundert nicht, wenn im Erleben solcher Improvisationen und angesichts der chaotischen Lebensverhältnisse in der schwer getroffenen Stadt bei Zeitzeugen der Eindruck entstand, dass die Toten kaum oder

89

Polizeipräsident Dresden, Niederschrift über das Luftschutzlehrplanspiel am 21.9.1944 (StAD, 9.1.13, Marstall- und Bestattungsamt, Nachtrag 3, unpag.). Vgl. Matthias Neutzner, Martha Heinrich Acht, a.a.O., S. 27 – 33.

90

Vgl. ausführlich: Matthias Neutzner, Die Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten, a.a.O.

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mindestens nicht vollständig registriert werden würden. Die deutsche Propaganda verstärkte diese Vermutung: Exakte Verlustzahlen wurden nicht veröffentlicht, stattdessen sprachen die Presseberichte vage von Tragödien, »die ungezählt sind«, von Zehntausenden, die in Massengräbern beigesetzt wurden, »ohne dass der Versuch einer Identifizierung möglich gewesen wäre.«91 Das in Erleben und Propaganda doppelt begründete Erzählbild ist bis in die Gegenwart hinein fest mit der Darstellung der Luftangriffe auf Dresden verbunden: In persönlichen Berichten, in einer Vielzahl von Buch- und Medienpublikationen wird der Eindruck erweckt, die verantwortlichen Behörden in Dresden seien überfordert und nicht in der Lage gewesen, die im Februar 1945 getöteten Menschen auch nur verlässlich zu zählen, geschweige denn detailliert zu registrieren. Wäre dem so, dann würden die von der Kommission ermittelten Verlustzahlen nicht annähernd korrekt sein können, stützen sie sich doch u. a. auf die Überlieferungen zum Bestattungsgeschehen. Die Kommission hatte daher zu untersuchen, ob eine solche Einschätzung dem historischen Geschehen gerecht wird. Diese Aufgabe war im Teilprojekt 1 zu lösen. Mehrere methodische Ansätze wurden verfolgt: Selbstverständlich war die dokumentarische Überlieferung daraufhin zu untersuchen, ob Indizien für eine in Größenordnungen unvollständige Registratur der Luftkriegstoten zu finden sein würden. Daneben sollte das Bergungs- und Bestattungsgeschehen anhand der vielen Tausend erfassten personenbezogenen Informationen im Detail nachvollzogen werden. Schließlich bietet die elektronische Datenbasis die Möglichkeit, Informationen aus verschiedenen Quellen automatisiert gegeneinander zu überprüfen. Aus der Sicht der dokumentarischen Überlieferung – sowohl der personenbezogenen Informationen als auch der Dokumente von Lokalbehörden – kann bislang bilanziert werden: In allen Phasen der Bergung und Bestattung – d. h. vom Februar 1945 an bis in die Gegenwart hinein – haben die zuständigen Behörden mit Nachdruck den Anspruch verfolgt, jeden einzelnen Luftkriegstoten zu erfassen. Es existieren zahlreiche Belege dafür, dass die verschiedenen Dienste und Organisationen auch unter dramatischen Rahmenbedingungen bemüht waren, die Registratur vollständig vorzunehmen und aufwendig selbst Einzelschicksale zu klären, wenn dazu Anlass bestand. Für die Untersuchungen im Teilprojekt 1 war, wie oben beschrieben, die Registratur auf den Friedhöfen maßgeblich. Auch hier geht die Kommission von einer weitgehend vollständigen Erfassung jeder einzelnen Bestattung aus. Im Bezug auf die vielen kleineren Friedhöfe besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass die Registratur der Bestattungen bis ins Detail exakt erfolgte. Auf dem Heidefriedhof und Johannisfriedhof, auf denen die Mehrzahl der Toten bestattet wurde, waren eigens abgestellte städtische Beamte für den ordnungsgemäßen Ablauf von Registratur und Bestattung verantwortlich. Ihre täglichen Meldepflichten an den städtischen Einsatzstab sind bereits erwähnt worden. Sie verfügten bis Kriegsende über etwa 50 Hilfskräfte – zumeist Kriegsgefangene. Unter den improvisierten Bedingungen der Arbeit auf beiden Friedhöfen

91

Rudolf Sparing, Der Tod von Dresden. In: Das Reich, Berlin, Nr. 9/1945 vom 4.3.1945.

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– insbesondere angesichts der ungeschulten Hilfskräfte – sind sicherlich Fehler bei der Registratur geschehen. In manchen Fällen mag es der Zustand der geborgenen Leichen – oder auch nur Leichenteile – erschwert haben, die Zahl der Toten exakt zu bestimmen. Die Kommission geht jedoch davon aus, dass die Fehlerquote allenfalls eine Größenordnung von einigen wenigen Prozent der Zahl der Bestatteten betragen haben kann. Ein Augenzeugenbericht soll stellvertretend die Situation auf den beiden Friedhöfen im Februar 1945 illustrieren: »Auf dem Johannisfriedhof war bereits eine Anlage als Massengrabanlage vorbereitet. [...] Die Toten wurden auf der Seite liegend, ohne irgendwelche Umhüllung [...] bestattet. Jeder Tote hat ein Feld von 60 cm. Meine Eltern durften zusammen liegen, obwohl die Reihe beim 2. Transport bereits aufgefüllt war. Durch menschliche Verständigung zwischen unserem Bekannten und den ausländischen Arbeitern dieser Beerdigungsarbeiten, konnte mein Wunsch, meine Mutter und meinen Vater wenigstens an einer gemeinsamen Stelle zu wissen, in Erfüllung gehen. Am Rande des Feldes stand ein Bauwagen und in diesem war ein Beauftragter, der die Abgelegten ordentlich registrierte. So ist die Stelle genau gekennzeichnet, C 8 12 und 13 (Teil C, Reihe 8, Grab 12 und Grab 13). […] Beispielhaft wurde in der doch sehr schwierigen Zeit auf diese Dinge die volle Konzentration und Gewissenhaftigkeit gelegt.«92 Während die geborgenen Toten auf die Friedhöfe transportiert und ihre Bestattung dort verzeichnet wurde, geschah die Registratur der auf dem Altmarkt verbrannten Leichen notwendigerweise bereits auf dem Platz. Auch die dorthin transportierten Toten waren bereits bei ihrer Bergung erfasst und mit den üblichen polizeilichen Kennzetteln versehen worden. Mehr als 500 solcher Kennzettel sind in der Datenbasis des Teilprojektes vermerkt. Es existieren keine behördlichen Dokumente, die über die Registratur der Toten vor der Verbrennung Auskunft geben. Dagegen werden im Dresdner Stadtarchiv 23 Fotografien des Dresdner Fotografen Walter Hahn aufbewahrt. Sie zeigen in mehreren Motiven eindeutig, dass auch die auf dem Altmarkt verbrannten Toten gezählt und registriert worden sind. 93 Die Kommission sieht daher keinen Grund, die für den Altmarkt vorliegenden Zahlenangaben der Polizeibehörde 94 in Frage zu stellen. Auch nach dem Ende des Krieges wurden, so die Einschätzung der Kommission, geborgene Luftkriegstote in der Regel registriert. Dabei erweist sich die Registratur der Bestattungen als zuverlässiger als die der Bergungen. Insbesondere für die Wochen zwischen dem 8. Mai 1945, als die Polizeibehörden ihre Tätigkeit einstellen mussten, und Oktober 1945, als die Berichterstattung neu aufgestellter Bergungstrupps be-

92

Bericht Anita John, 22.1.2007 (Archiv IG »13. Februar 1945« e.V.). Zum Tod der Eltern existieren in der Datenbasis des Teilprojektes 1 jeweils vier Informationen aus verschiedenen Quellen. Die Bergung der Toten erfolgte nach den vorliegenden Dokumenten am 18.2.1945, die Bestattung wenige Tage danach.

93

StAD, 16.2.40, Hahn, Walter und Draber, Helmut, F1 – F23. Auf der Fotografie F13 ist die Kennzeichnung einer Frauenleiche lesbar. Für die dort ausgewiesene Person sind in der Datenbasis des Teilprojektes vier Einzelnachweise erfasst: Es liegen die Informationen über die Bergung und Verbringung zum Altmarkt (Kennzettel), über die Bestattung der Asche auf dem Heidefriedhof, über die Registratur der Toten in der Straßenliste des Vermißtennachweisdienstes sowie über die standesamtliche Beurkundung des Todesfalles vor.

94

Auf dem Altmarkt wurden 6.865 Tote registriert (Schlußmeldung, a.a.O.).

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gann, liegen keine Einzelnachweise über die Bergung von Luftkriegstoten vor. Die Friedhofsverwaltungen verzeichneten jedoch – unbeeindruckt von den gesellschaftlichen Umwälzungen – nach wie vor jede Bestattung. In den Monaten danach normalisierten sich die Verhältnisse; Bergungen und Bestattungen wurden gleichermaßen zuverlässig dokumentiert. Die Kommission konnte also keine Hinweise dafür finden, dass zahlreiche Dresdner Luftkriegstote, deren Leichen geborgen worden waren, nicht registriert worden seien. Sie schätzt die Fehler in der Registratur, die nicht ausgeschlossen werden können, auf maximal eine dreistellige Zahl.

Höhe der Verluste unter Flüchtlingen in Dresden Ausnahmslos alle Darstellungen der Dresdner Katastrophe verweisen auf eine Besonderheit der Situation in der Stadt: Die an der Ostfront unaufhaltsam vorrückende Rote Armee veranlasste Millionen Deutsche aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und weiteren Gebieten zur Flucht. Ein Teil dieser Flüchtlinge befand sich am Abend des 13. Februar 1945 in Dresden – in Flüchtlingsunterkünften, in Privatwohnungen oder auf den Bahnhöfen – und geriet so in die Luftangriffe. Die deutschen Propagandisten griffen dies rasch auf: Bereits Ende Februar 1945 wurden in der Presse vor allem der neutralen Staaten die als außergewöhnlich hoch berichteten Menschenverluste in Dresden mit der Menge an Flüchtlingen in der Stadt erklärt.95 Seitdem ist in zahllosen Publikationen und Diskussionen argumentiert worden, dass in Dresden eine sehr hohe Zahl an Flüchtlingen ums Leben gekommen sei. Ihr Tod konnte, so die populären Erzählbilder, nirgends registriert werden. Die Zahl getöteter Flüchtlinge betrage Zehntausende und mehr – oder würde nie festgestellt werden können. Für die Kommission stellten diese Argumentationen einen zentralen Untersuchungsgegenstand dar. Zunächst sollte versucht werden, die Zahl der Flüchtlinge zu ermitteln, die sich am Abend des 13. Februar 1945 in Dresden aufhielten. Danach war zu prüfen, ob und in welchem Umfang getötete Flüchtlinge in Dresden nachweisbar sind. Schließlich sollte die Größenordnung dieser Gruppe unter den Dresdner Luftkriegstoten ermittelt werden. Wie oben bereits dargestellt, versuchte die Kommission in ihren Untersuchungen zur Bevölkerungsbilanz der Stadt auch die Zahl der Flüchtlinge in Dresden im Februar 1945 zu ermitteln. Dies erwies sich als unmöglich: Es sind keine aussagekräftigen Unterlagen derjenigen Organisationen überliefert, die für den Transport und die Betreuung der Flüchtlinge in Dresden zuständig waren. Auch eine im Dresdner Stadtar-

95

Zur deutschen Propagandakampagne um die Luftangriffe auf Dresden, insbesondere zum Flüchtlingsmotiv siehe Matthias Neutzner, Vom Alltäglichen zum Exemplarischen, a.a.O., S. 116, 121.

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chiv erhaltene »Flüchtlingskartei« erlaubt keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Situation.96 Die Zahl der Flüchtlinge in der Angriffsnacht in Dresden konnte daher nicht ermittelt werden. Die Kommission folgt jedoch den bereits publizierten Forschungsergebnissen von Kommissionsmitgliedern, die Darstellungen von mehreren Hunderttausend Flüchtlingen widerlegen und stattdessen eine Größenordnung zwischen »einigen Zehntausend« 97 bis »ungefähr 200.000« 98 schätzen. Sie stützen sich dabei vor allem auf die für die Flüchtlinge geltenden Aufenthaltsbeschränkungen in Dresden und den dokumentierten Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten. Auch die Untersuchungen im Teilprojekt 4 bestätigen diese Einschätzung: Konträr zu populären Überzeugungen schätzten die befragten Zeitzeugen die Zahl der Flüchtlinge, die im eigenen Wohnumfeld untergebracht waren – von wenigen Ausnahmen abgesehen – , als sehr gering ein. 99 In der bereits mehrfach erwähnten Datenbasis des Teilprojekts 1 sind durchaus auch Nachweise über Flüchtlinge enthalten, die während der Februar-Luftangriffe getötet worden waren. Das verwundert nicht, galten doch für die Bergung, Registratur und Bestattung auswärtiger Luftkriegstoter ausnahmslos dieselben Regelungen wie für getötete Dresdner Bürger. Aus den erfassten personenbezogenen Informationen lässt sich jedoch die Zahl der getöteten Flüchtlinge nicht exakt ermitteln: Ihr Anteil unter den unbekannten Toten ist nicht feststellbar; auch für bekannte Tote fehlen nicht selten Angaben über den letzten Wohnort. Nach dem momentanen Auswertungsstand können weniger als drei Prozent der in der Datenbasis verzeichneten Toten als Flüchtlinge klassifiziert werden. 100 Die Untersuchung der personenbezogenen Informationen zu Dresdner Luftkriegstoten hat keine Hinweise darauf erbracht, dass getötete Flüchtlinge nicht mit dem gleichen behördlichen Anspruch auf Ordnungsmäßigkeit geborgen, registriert und bestattet worden sind, wie er ebenso für alle anderen Toten – KZ-Häftlinge ausgenommen – galt. Ihre Zahl ist also mit Sicherheit in der Zahl der ermittelten Dresdner Luftkriegstoten enthalten. Bereits aus dieser Perspektive können – eingedenk der Ergebnisse der neuerlichen Ermittlung der Totenzahlen – Flüchtlinge nicht zu Zehn- oder gar Hunderttausenden in Dresden umgekommen sein. Eine weitere Untersuchung der Kommission stützt diese Einschätzung: Rüdiger Overmans analysierte im Teilprojekt 2 die Zahl vermisster Personen aus den schlesischen Gauen des Deutschen Reiches. Menschen aus Schlesien bildeten – bedingt durch die militärische Situation im Februar 1945 – die weitaus größte Gruppe der auswärtigen Flüchtlinge in Dresden. Ausgewertet wurden nun die Unterlagen der Heimatortskarteien der kirchlichen Suchdienste, die allein für Schlesien einen Umfang von mehr als 7 Millionen Karteikarten aufweisen. In einem statistisch gesicherten Auswertungsverfahren konnte lediglich ein marginaler Anteil der Vermissten mit den Luftangriffen auf Dresden in Verbindung gebracht werden. Die Untersu-

96

Siehe Thomas Kübler, Die Aktenüberlieferung im Stadtarchiv Dresden, a.a.O., S. 51-60.

97

Matthias Neutzner, Martha Heinrich Acht, a.a.O., S. 73.

98

Götz Bergander, Dresden im Luftkrieg, Köln 1994, S. 214.

99

Siehe Alexander von Plato/Nicole Schönherr, Die Erfahrung Dresden, a.a.O.

100

Weitere knapp drei Prozent entfallen auf Menschen aus anderen Orten außerhalb Dresdens, meist aus dem sächsischen Umland.

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chung kommt zu dem Schluss, dass Flüchtlinge aus Schlesien maximal im Umfang einer »niedrigen vierstelligen Zahl« 101 in Dresden getötet worden sein könnten. Aus dieser Untersuchungsperspektive ergeben sich also keine Anhaltspunkte für Totenzahlen jenseits der von der Kommission ermittelten Größenordnung.

Unterbliebene Bergung von Luftkriegstoten Im Erinnern der Augenzeugen blieben in der weiten Dresdner Trümmerlandschaft die getöteten Menschen eingeschrieben – auch als längst kein Passant mehr in den zerstörten Straßen auf Überreste von Toten traf. Das Bild der endlosen Ruinen stand stellvertretend für das Erzählbild zahlloser Toter; die riesige Fläche der Zerstörungen schien die hohe Zahl zu beweisen. Als gut zehn Jahre nach Kriegsende die Ruinen beräumt waren, machte die weite Leere die Dimension der Katastrophe umso sichtbarer. In den Jahren zuvor waren immer wieder Tote aus den Ruinen geborgen worden, nun hielt sich hartnäckig die Vermutung, dass unter den weiten Grasflächen noch Tausende oder Zehntausende Leichen verborgen seien. »Vielleicht sind es 50, vielleicht 70 Prozent aller Toten, die geborgen wurden«, schrieb Axel Rodenberger 1951. »Alle anderen liegen noch heute unter den Trümmern Dresdens.«102 Bis in die Gegenwart hinein wird diese Behauptung in den Diskussionen um die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten gebraucht. Die Kommission hatte daher zu untersuchen, ob in Dresden tatsächlich eine namhafte Zahl von getöteten Menschen nicht geborgen wurde – sei es vorsätzlich, aus Unachtsamkeit oder weil eine umfassende Bergung unmöglich war. Die Untersuchung geschah mit zweierlei Ansätzen: Einerseits wurde die dokumentarische Überlieferung unter diesem Gesichtspunkt analysiert, andererseits konnten umfangreiche Untersuchungsergebnisse der Stadtarchäologie zurate gezogen werden. Die Auswertung der Archivquellen zur Bergung der Dresdner Luftkriegstoten erfolgte im Teilprojekt 1 der Kommission; die Ergebnisse sind im zugehörigen Bericht dokumentiert. Mit großer Sicherheit kann nach der Auswertung der zeitgenössischen Aufzeichnungen ausgeschlossen werden, dass zu irgendeinem Zeitpunkt seit 1945 vorsätzlich auf die Bergung der Toten verzichtet worden wäre. Im Gegenteil belegt die dokumentarische Überlieferung das Bestreben der zuständigen Behörden, alle menschlichen Überreste im Stadtgebiet zu finden und zu bergen und schließlich für eine ordnungsgemäße Bestattung zu sorgen. Dies gilt sowohl für die Monate unmittelbar nach den Luftangriffen als auch für die Nachkriegszeit – einschließlich der Großflächenenttrümmerung in der ersten Hälfte der 1950er Jahre. Die Verantwortlichen hatten mehrfach gute Gründe dafür: Hygienische Gefährdungen insbesondere des Grundwassers mussten vermieden werden. Die polizeiliche Ordnung bei der Behandlung aller Toten war aufrecht zu erhalten. Pietät und

101

Siehe Rüdiger Overmans, Das Buch für Todeserklärungen und die Heimatortkarteien, a.a.O.

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Rücksicht auf die öffentliche Meinung verboten es gleichermaßen, die getöteten Menschen einfach unter den Trümmern zu belassen. Tatsächlich belegen die in der Datenbasis des Teilprojekts 1 erfassten personenbezogenen Informationen zu Luftkriegstoten, dass keine zerstörte Fläche von der Bergung ausgenommen wurde: In etwa 7.000 Fällen sind Bergungsorte in den Dokumenten erfasst worden. Sie betreffen ausnahmslos alle von Bomben getroffenen Stadtgebiete – auch jene Innenstadtquartiere, die Anfang März 1945 zunächst als »Tote Gebiete« von den Aufräumungsarbeiten ausgespart geblieben waren. In den Akten sind einige wenige Hinweise darauf überliefert, dass menschliche Überreste im Zuge der Enttrümmerung zusammen mit dem Bauschutt abgefahren worden sind. Die darauf folgende harsche Kritik der Verantwortlichen belegt jedoch die anderslautende Regelung. Sie macht deutlich, dass es sich hier nur um Einzelfälle handeln kann. Aus den überlieferten Dokumenten ist zwar nachweisbar, dass Tote unter allen Umständen geborgen werden sollten – nicht aber, ob dies immer gelang. Um dies zu klären, suchte die Kommission die Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Landesamt für Archäologie, das seit 1993 etwa 20 Prozent des mittelalterlichen Stadtkerns in archäologischen Grabungen untersucht hat. Im Beitrag von Thomas Westphalen und Jörg Wicke 103 werden die Ergebnisse der Arbeiten bilanziert: In aufwendigen Verfahren legten die Archäologen mehr als 450 Keller frei, die zumeist bei der Enttrümmerung mit Schutt verfüllt und dann versiegelt worden waren. In etwa 20 Prozent der Keller konnten sie intensive Brände nachweisen. In vielen Fällen belegten geborgene Funde eine für die Menschen im Keller tödliche Situation. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Grundstücke seit dem Februar 1945 gründlich von Toten beräumt worden waren. Lediglich in vier Kellerräumen sind sterbliche Überreste von insgesamt 18 getöteten Menschen gefunden worden, die sicher oder wahrscheinlich mit den Luftangriffen in Verbindung zu bringen sind. Alle Funde wurden kriminalpolizeilich untersucht. Im Ergebnis sowohl der Quellenauswertung als auch der archäologischen Untersuchungen schließt es die Kommission aus, dass eine größere Zahl von Dresdner Luftkriegstoten nicht geborgen worden sein könnte. Die quantitativen Unsicherheiten bewegen sich in diesem Kontext nach Einschätzung der Kommission allenfalls im dreistelligen Bereich.

Ungeordnete Bestattung von Luftkriegstoten In den von der Kommission ausgewerteten Quellen finden sich Hinweise darauf, dass in wenigen Fällen in Dresden getötete Menschen außerhalb der Friedhöfe bestattet worden sind. Die Datenbasis des Teilprojekts

102

Axel Rodenberger, Der Tod von Dresden, Dortmund 1952, S. 182f.

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1 weist etwa 20 Personen aus, die in Grundstücken im Stadtgebiet begraben worden sind. Nachweise darüber finden sich ausschließlich auf den bereits erwähnten Kennzetteln der Kriminalpolizei. In den Aufzeichnungen der Friedhöfe können diese Fälle zunächst nicht erfasst sein; in den zusammenfassenden Statistiken der zuständigen Behörden fehlen sie. Wären also solche Bestattungen in größerer Zahl erfolgt, so müssten die von der Kommission auf der Basis der Überlieferungen zur Bestattung der Luftkriegstoten ermittelten Zahlen um diese Größenordnung zu niedrig sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. In den Untersuchungen der Kommission ist deutlich geworden, dass die lokalen Behörden systematisch nach Grabstellen außerhalb der Friedhöfe suchten und diese auflösen ließen. Die dabei vorgenommenen Umbettungen sind in unterschiedlichen Dokumentenbeständen104 verzeichnet und in allen bislang bekannten Fällen als personenbezogene Information in der Datenbasis des Teilprojekts vermerkt. Die Wahrscheinlichkeit weiterer Bestattungen außerhalb von Friedhöfen ist äußerst gering. Die Zahl derjenigen, die eventuell dennoch auf diese Weise bestattet worden sind, kann für die Zwecke der Kommission vernachlässigt werden.

Verheimlichte Bestattung von Luftkriegstoten In der Diskussion um die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten war sechs Jahrzehnte lang noch nie argumentiert worden, die zuständigen Behörden hätten Bestattungen vorgenommen, die vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollten und die tatsächlich bis heute verborgen geblieben sind. Genau dieses behauptete jedoch ein groß aufgemachter Beitrag einer Dresdner Zeitung im Dezember 2005. 105 Anhand eines Luftbildes vom 25. März 1945 deutete der Autor mehrere im Luftbild auffällig hervorgehobene Flächen an der Südwestecke des Heidefriedhofs als »geheime Massengräber« von Luftkriegstoten. Die Kommission leitete daraufhin eine Untersuchung ein, die von Helmut Schnatz ausgeführt wurde. Er konnte anhand weiterer Luftbilder nachweisen, dass die fraglichen Flächen Rodungen darstellen, die bereits im Sommer 1944 begonnen und vor dem Februar 1945 die im Luftbild erkennbare Form erhalten hatten. Die publizierte These erwies sich damit als haltlos. Zusätzlich schlossen logistische Überlegungen massenhafte Bestattungen an den angegebenen Stellen aus. Vor allem aber ist für keine der seit 1945 zuständigen Lokalbehörden ein plausibles Motiv erkennbar, dass sie hätte veranlassen können, zehntausende Tote der Luftangriffe heimlich zu bestatten.

103

Thomas Westphalen/Jörg Wicke, Der 13. Februar 1945 aus archäologischer Sicht. In: Rolf-Dieter Müller/Nicole Schönherr/Thomas Widera (Hg.), Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945, S. 141-154.

104

Maßgeblich sind vor allem die Berichte der Bergungstrupps (StAD, 9.1.14, VEB Bestattungseinrichtungen, Nr. 789, Bd. 1 sowie Nr. 790 797) sowie Schriftwechsel der Landesverwaltung (SächsHStAD, 11391, Ministerium für Arbeit und Sozialfürsorge, Nr. 2104).

105

»Wurden hier 40 000 Leichen verscharrt?«, BILD Dresden vom 5.12.2005. Der Artikel verweist auf Thesen von Wolfgang Schaarschmidt.

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Rückstandsloses Verbrennen im Feuersturm In der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 führten die Luftangriffe im Dresdner Stadtzentrum zu einem gewaltigen Brand, dessen Charakteristika seither im Erzählbild »Feuersturm« summiert werden. Bereits nach dem ersten nächtlichen Luftangriff hatten sich einzelne Feuer auf ganze Straßenzüge ausgedehnt; etwa drei Stunden später wurden sie durch einen zweiten Luftangriff neuerlich ausgeweitet und verstärkt. Der Brand entwickelte eine urwüchsige Wucht an Luftgeschwindigkeiten und Temperaturen. »Feuersturm« wurde zur Metapher für die Angriffsnacht schlechthin. Es überrascht daher nicht, dass im Erinnern an die Dresdner Luftangriffe nicht selten die Vermutung geäußert wurde und wird, in diesem »Höllenfeuer« könnten »zahllose« Menschen 106 so verbrannt sein, dass von ihren Überresten nichts mehr zu finden wäre. Die Kommission hat eine solche Möglichkeit wissenschaftlich überprüfen lassen. Die Fragestellung bildete einen der Arbeitsschwerpunkte im Teilprojekt 3, der unter Leitung von Thomas Widera und unter Mitwirkung von Peter Teichmann bearbeitet wurde. Ihre Ergebnisse werden im Beitrag von Thomas Widera 107 ausführlich dargestellt. Das Projektteam wertete bereits vorliegende Untersuchungsergebnisse und vorhandene Quellen aus, initiierte weitere Expertengutachten und fasste die gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Dabei ist es zunächst notwendig gewesen, die Bedingungen festzustellen, unter denen menschliche Körper im Kontext der berichteten Brandsituation rückstandslos verbrannt sein könnten. Danach waren Indikatoren zu finden, aus denen ablesbar würde, ob solche Bedingungen in den betroffenen Gebieten der Dresdner Innenstadt entstanden waren oder nicht. Im Ergebnis insbesondere der Untersuchung archäologischer Funde und fotografisch dokumentierter Brandschäden konnte das Projektteam nachweisen, dass die im Feuersturm tatsächlich erreichten Brandtemperaturen in der Mehrzahl der Keller- und Straßensituationen nicht ausreichten, Leichen rückstandslos zu verbrennen. Lediglich in einigen wenigen baulichen Situationen könnten die dafür notwendigen Bedingungen aufgetreten sein. Die Kommission schließt daher aus, dass eine größere Zahl von Menschen – also einige Tausend oder gar Zehntausend – in der Bombennacht quasi »spurlos« verschwunden seien.

106

Exemplarisch etwa in der Inschrift am Mahnmal für die Dresdner Luftkriegstoten auf dem Heidefriedhof: »Wie viele starben? Wer kennt die Zahl? | An Deinen Wunden sieht man die Qual | Der Namenslosen die hier verbrannt | Im Höllenfeuer aus Menschenhand« (Autor: Max Zimmering; errichtet 1954/55).

107

Thomas Widera, Expertengutachten zu Brandtemperaturen. In: Rolf-Dieter Müller,/Nicole Schönherr/Thomas Widera (Hg.), Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945, S. 155-176.

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Statistische Überlegungen zum alliierten Luftkrieg gegen Deutschland Während alle oben beschriebenen Untersuchungen die Folgen der Luftangriffe gegen Dresden zum Gegenstand hatten, untersuchte die Kommission auch das Luftkriegsgeschehen selbst. 108 Insbesondere sollte ermittelt werden, ob und wie sich die Auswirkungen der Luftangriffe auf Dresden in den Kontext vergleichbarer Luftkriegsereignisse einordnen. Grundlage der Untersuchungen, die Helmut Schnatz ausführte 109, waren statistischen Angaben der vom britischen Bomber Command geführten Kartei »USSAF & Bomber Command Attack Data«. Die dort verzeichneten Informationen ermöglichten es verlässlich, wesentliche militärtechnische Eckdaten für alle britischen Flächenangriffe auf deutsche Städte zwischen Mai 1942 und April 1945 zu gewinnen. Von besonderem Interesse waren dabei die Zahl der jeweils eingesetzten Flugzeuge und die Gesamttonnage der abgeworfenen Spreng- und Brandbomben. Im Vergleich mit den aus verschiedenen deutschen Quellen zusammengestellten Zahlen von Luftkriegstoten in den angegriffenen Städten konnte die tödliche »Effizienz« der Luftangriffe quantifiziert werden: Sie wurde als Verhältnis der Zahl getöteter Menschen je Tonne Abwurfmunition bestimmt. Von den untersuchten 238 Luftangriffen auf deutsche Städte erreichte das Bomber Command in mehr als 90 Prozent der Fälle ein Verhältnis von weniger als 1 Toter pro Tonne Abwurfmunition, bei weiteren 8,4 Prozent waren es bis zu 5,5 Tote pro Tonne. Lediglich die mit dem Dresdner Geschehen vergleichbaren Luftangriffe auf Darmstadt, Pforzheim und Hamburg 110 erreichten ein Verhältnis zwischen 11,3 und 14,5. Legt man die in Hamburg maximal erreichte »Effizienz« zugrunde, so würden die Februar-Luftangriffe auf Dresden 111 statistisch gesehen etwa 38.900 Tote erreicht haben können. Die britischen Luftangriffe am 13. und 14. Februar 1945 auf Dresden waren aus der Sicht des Bomber Command vielfach geübte Routine; in Dimension und Angriffstaktik unterschieden sie sich nicht von den allnächtlich gegen andere deutsche Städte gerichteten Luftschlägen. Es ist unmöglich, dass ihre Auswirkungen ein Mehrfaches der »effizientesten« britischen Luftangriffe erreicht haben könnten. Die oft genannte Zahl von 135.000 Toten 112 beispielsweise würde eine Verdreifachung der Effekte der Hamburger Luftangriffe voraussetzen. Behauptete man noch höhere Dresdner Totenzahlen, so wäre die Dimension der Gesamtverluste aller britischen »area bombings« auf deutsche Städte erreicht: Während des gesamten

108

Horst Boog, Die Zerstörung der Stadt Dresden am 13./14. Februar 1945 und die damalige Gesamtkriegslage. In: Rolf-Dieter Müller/Nicole Schönherr/Thomas Widera (Hg.), Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945, S. 61-74.

109

Helmut Schnatz, Die vergleichende Ermittlung von Todesopfern der britischen Luftangriffe (area bombings) auf deutsche Städte. In: RolfDieter Müller/Nicole Schönherr/Thomas Widera (Hg.), Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945, S. 101-118.

110

Bezogen auf die Luftangriffe auf Darmstadt am 11./12.9.1944, auf Pforzheim am 23./24.2.1945 und auf Hamburg am 27./28.7.1943.

111

Während der britischen Luftangriffe auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 wurden insgesamt 2.680,8 Tonnen Bomben abgeworfen.

112

Die Totenzahl 135.000 wurde von David Irving geprägt (u.a. David Irving, Der Untergang Dresdens, München 1985, S. 241) und seitdem zahlreich aufgegriffen. Zuletzt verwendete sie Wolfgang Schaarschmidt 2005 mit explizitem Bezug auf Irving (Wolfgang Schaarschmidt, Dresden 1945. Dokumentation der Opferzahlen, München 2005, S. 237), die in einer zweiten, überarbeiteten Auflage des Buches jedoch wieder fallen gelassen wurde (Wolfgang Schaarschmidt, Dresden 1945. Daten. Fakten. Opfer, Graz 2010, S. 225).

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Krieges wurden etwas mehr als 200.000 Menschen durch die Flächenangriffe des Bomber Command auf deutsche Städte (Dresden ausgenommen) getötet. Es ist absurd anzunehmen, dieser Effekt einer mehrjährigen militärischen Operation wäre allein mit den beiden nächtlichen Angriffen auf Dresden erreicht oder gar übertroffen worden – schließlich kamen im Februar 1945 gegen Dresden 0,8 Prozent der insgesamt eingesetzten Zahl an Bombern zum Einsatz, die wiederum 0,8 Prozent der insgesamt verwendeten Bombentonnage abwarfen. Während damit deutlich wird, dass sehr hohe Zahlen der Dresdner Luftkriegstoten – also viele Zehn- oder gar mehr als Einhunderttausend – die Vernichtungskapazität des Bomber Command weit überstiegen hätten, ergibt diese Untersuchungsperspektive jedoch keine verlässlichen Angaben für die tatsächliche Zahl. Abhängig vom konkreten Angriffsverlauf und den Bedingungen in der angegriffenen Stadt können die Totenzahlen deutlich um die oben angegebene statistische Größe schwanken – nach oben wie nach unten. Sie sind in jedem Fall jedoch so hoch, dass die Luftangriffe im Februar 1945 zu den schwersten des alliierten Luftkriegs gegen Deutschland gerechnet werden müssen.

Überlegungen zu kriegsbedingten Gesamtverlusten Die Kommission prüfte die im öffentlichen Diskurs genannten sehr hohen Dresdner Totenzahlen auch im Kontext der deutschen Gesamtverluste des Zweiten Weltkrieges. Im Beitrag von Rüdiger Overmans sind solche Plausibilitätsüberlegungen dargestellt. Auch aus dieser Untersuchungsperspektive ergibt sich: Wenn die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten im sechsstelligen Bereich vermutet wird, so würde diese Dimension unverhältnismäßig im Bezug zu den dokumentierten Gesamtzahlen für die im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommenen deutschen Zivilpersonen stehen. Bei den Untersuchungen im Teilprojekt 2 der Kommission wurden ca. 370.000 Todeserklärungen für deutsche Zivilisten ermittelt – eine Zahl, die zivile Todesfälle seit 1938 im Kontext von NS-Verbrechen, Luftkrieg und Vertreibung beinhaltet. Wenn im Februar 1945 in Dresden beispielsweise 300.000 Menschen getötet worden wären, so müssten angesichts von ca. 10.000 standesamtlich beurkundeten Todesfällen 290.000 Todeserklärungen für Dresdner Luftkriegstote vorliegen – im Ergebnis also mehr als drei Viertel aller zivilen Todeserklärungen in Deutschland für den gesamten Zweiten Weltkrieg, was im historischen Gesamtzusammenhang schlicht unmöglich ist.

Zusammenfassung der Ergebnisse Im Ergebnis der von der Kommission vorgenommenen Untersuchungen wird festgestellt: Bei den Luftangriffen auf Dresden vom 13. bis 15. Februar 1945 wurden bis zu 25.000 Menschen getötet.

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Diskussion des Ergebnisses Das Untersuchungsergebnis der Kommission weicht sowohl von den zuletzt 1946 fixierten Angaben der Lokalbehörden, als auch von der großen Mehrzahl der im öffentlichen Diskurs genannten Zahlen ab. Es war und ist daher von besonderer Wichtigkeit, das Ergebnis kritisch zu diskutieren und auf seine Plausibilität hin zu prüfen. Die Kommission hat dies aus mehreren Perspektiven getan.

Vergleich mit der dokumentarischen Überlieferung Wie bereits erwähnt, liegen bilanzierende Angaben der lokal zuständigen Behörden zur Zahl der Dresdner Luftkriegstoten vor allem aus dem Frühjahr 1945 und dem Jahr 1946 vor. Dabei gingen die Behörden zunächst von ca. 25.000 in Dresden getöteten Menschen aus. Während dies in der polizeilichen Schlussmeldung von Mitte März 1945 noch eine begründete Schätzung sein musste – die Bergung und Bestattung war schließlich noch nicht abgeschlossen – bilanzierte auch das Statistische Amt der Dresdner Stadtverwaltung im April 1946 diese Zahl. Sie ist parallel als Aussage der Suchzentrale in der Behörde des Dresdner Polizeipräsidenten im Februar 1947 überliefert. Die durch die Kommission ermittelte Totenzahl entspricht in der Größenordnung diesen zeitgenössischen Angaben der zuständigen Behörden. Im Vergleich mit den Bilanzen der Kommunalstatistik und der Suchzentrale ergeben sich Unterschiede lediglich bei der Differenzierung der Toten nach Bestattungsart. Zudem schließt die Zahlenangabe der Kommunalstatistik die getöteten Personen für alle acht Luftangriffe auf Dresden ein, sodass dieses Amt faktisch von weniger als 25.000 im Februar 1945 umgekommenen Personen ausgegangen ist. Im Verlauf des Jahres 1946 legte das städtische Nachrichtenamt eine neuerliche, um 10.000 Menschen höhere Gesamtzahl der Dresdner Luftkriegstoten fest. Diese neue Zahl von nunmehr 35.000 Toten fand in den folgenden Jahren langsam Verbreitung, 1965 wurde sie in einer Buchpublikation des ehemaligen Dresdner Oberbürgermeisters Walter Weidauer mit Nachdruck als amtliches Ergebnis positioniert. Die Überlegungen und Festlegungen des Nachrichtenamtes aus dem Jahr 1946 sind jedoch nirgendwo dokumentiert. Auch Weidauer als Beteiligter konnte sich zwei Jahrzehnte später lediglich auf vage Erinnerungen einiger ehemaliger Mitarbeiter stützen. In seiner Darstellung geht die Differenz von zusätzlich 10.000 getöteten Menschen auf eine Zeugenaussage des Friedhofsgärtners Zeppenfeld zurück, der für den städtischen Heidefriedhof eine wesentlich höhere Zahl bestatteter Toter behauptete. Aber auch dessen Aussage ist nirgendwo schriftlich festgehalten oder in den zeitgenössischen städtischen Unterlagen erwähnt. Sie steht im Widerspruch zu ausnahmslos allen dokumentarisch überlieferten Meldungen des Friedhofs aus dem Frühjahr 1945. 113

113

Siehe dazu ausführlicher: Matthias Neutzner, Die Bergung, Registratur und Bestattung der Dresdner Luftkriegstoten, a.a.O.

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Die Kommission bewertet die vor allem von Weidauer vertretene Zahl als nicht belegbar und nicht korrekt. Die Untersuchung im Jahr 1946 ist in den überlieferten Akten der Stadtverwaltung bislang nicht nachweisbar, ihre Methodik kann nicht nachvollzogen werden. Vermutlich stellt die Zahl 35.000 das Ergebnis einer internen Aushandlung dar, die der allgemeinen Skepsis einiger Funktionäre und eines Teils der Bevölkerung gegenüber der zunächst behördlich festgestellten Bilanz der Luftkriegstoten Rechnung trägt. Im Ergebnis sieht die Kommission keinen Anlass, vor diesem Hintergrund die eigenen Untersuchungsergebnisse in Frage zu stellen. Aus der dokumentarisch gestützten Rekonstruktion der Realgeschichte haben sich für die Kommission keine prinzipiellen Zweifel an der Eignung der ausgewerteten Primärquellen – also der Dokumente zur Bergung, Registratur und Bestattung der Toten sowie der Beurkundungen aus dem Personenstandswesen – ergeben.

Absicherung des Ergebnisses gegen Behauptungen deutlich höherer Totenzahlen Die Kommission hat, wie oben dargestellt, in größtmöglichem Umfang versucht, Argumentationen für deutlich höhere Zahlen der Dresdner Luftkriegstoten, die im öffentlichen Diskurs gebraucht werden, zu prüfen. Zusammenfassend kann dazu festgestellt werden: Aus keiner der untersuchten Perspektiven – also weder bei der Rekonstruktion der realgeschichtlichen Abläufe des Jahres 1945 noch bei der Prüfung von dokumentarischen Überlieferungen und Erinnerungen oder etwa in statistischen und militärtechnischen Untersuchungen – können belastbare Argumente für Totenzahlen von 100.000 und mehr festgestellt werden. Damit ergeben sich auch aus dieser Sicht keine Zweifel am Untersuchungsergebnis der Kommission.

Klärung bestehender Ergebnisdifferenzen Wie oben diskutiert, haben die beiden ausgeführten Untersuchungsansätze der Kommission zu einem um ca. 20 Prozent abweichenden Ergebnis bei der Maximalzahl der Toten der Februar-Luftangriffe auf Dresden geführt. Die Kommission hat erhebliche Anstrengungen unternommen, auch diese Ergebnisdifferenz zu klären und damit das Untersuchungsergebnis im Detail weiter abzusichern. Über die elektronische Datenbasis bietet sich die Möglichkeit, noch breiter als bisher personengenaue Überlieferungen unterschiedlicher Provenienz zu erschließen. Die Datenbestände können untereinander – und mit Informationen, die auf anderen methodischen Wegen erschlossen wurden – abgeglichen werden, um auf diese Weise die Konsistenz der Informationsbasis zu verbessern. Solche Ansätze und Arbeiten reichen über den Untersuchungsauftrag der Kommission hinaus. Sie würden es ermöglichen, die Nachweisführung weiter zu präzisieren und Differenzen auch im Detail schrittweise zu klären.

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Fazit Die Kommission sieht ihr Untersuchungsergebnis zur Zahl der bei den Luftangriffen auf Dresden vom 13. bis 15. Februar 1945 getöteten Menschen als ausreichend gesichert an. Mit ihrer aufwendigen und detaillierten Untersuchung möchte die Historikerkommission dazu beitragen, an die Zerstörung des Dresdner Stadtzentrums im Februar 1945 als Zäsur der Stadtgeschichte und als tief eingetragene Erfahrung in den Biografien der Betroffenen zu erinnern und wissenschaftlich darzustellen. Sie ist dabei von der Verantwortung geleitet, die aus der Bedeutung des Dresdner Geschehens als Geschichtssymbol resultiert. In der Konsequenz des von Deutschland ausgegangenen Krieges wurde Dresden im letzten Kriegsjahr durch alliierte Luftangriffe schwer zerstört. Innerhalb weniger Stunden starben viele Tausend Menschen – Zivilisten und Militärangehörige, Dresdner und Flüchtlinge, aber auch Zwangsarbeiter, Häftlinge und Kriegsgefangene. Für die wenigen noch nicht ermordeten jüdischen Mitbürger bedeuteten die Luftangriffe Gefahr und Rettung vor Deportation gleichermaßen. Ein verantwortliches Erinnern an das Schicksal aller dieser Menschen setzt ein ernsthaftes und andauerndes Bemühen um die Korrektheit der geschichtlichen Darstellung voraus.

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Teil II Untersuchungsbericht zu Tieffliegerangriffen auf Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945

Oakland Summary – Field Order 1622A vom 14. Februar 1945, 17.00 Uhr. Dieser erste Bericht der amerikanischen Radar- und Funküberwachung nach dem Luftangriff der USAAF auf (unter anderem) Dresden erwähnt einen Luftkampf der 356. Fighter Group im Bereich der Stadt. (Air Force Historical Research Agency, Maxwell, Alabama (AFHRA), Eighth Air Force Mission Files, Microfilm B 5018)

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Gegenstand Im Unterschied zur Frage nach der Zahl der Dresdner Luftkriegstoten war der Gegenstand »Tieffliegerangriffe« im originären Untersuchungsauftrag der Dresdner Historikerkommission nicht enthalten gewesen. Erst in der lokalpolitischen Diskussion um die Kommission wurde angeregt, auch dieses strittige Thema untersuchen zu lassen. Der eingangs bereits erwähnte interfraktionelle Antrag, auf dessen Grundlage der Stadtrat im Januar 2007 den Untersuchungsauftrag für die Kommission festschrieb, führte diese erweiterte Aufgabenstellung ein: Auf der »Grundlage bisheriger Forschungen und Quellen sowie archäologischer Untersuchungen« sollte festgestellt werden, »ob es vom 13. bis zum 15. Februar 1945 zu Tieffliegerangriffen über Dresden gekommen ist.« 114 Der Begriff »Tieffliegerangriffe« steht hier stellvertretend für zwei Sachverhalte – einerseits gezielte Angriffe auf die Menschen in Dresden durch Flugzeuge in sehr niedriger Flughöhe, andererseits Beschuss mit Bordwaffen überhaupt, auch aus höher fliegenden Maschinen heraus. Wiederum mag die Aufgabenstellung verwundern: Im dramatischen Gesamtgeschehen der Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 erscheint beides als lediglich militärtechnisches Detail. Tatsächlich spielten Tiefflieger und Bordwaffenbeschuss in der unmittelbaren Reflektion zunächst kaum eine Rolle: Die Akteure in der Luft berichteten sie genauso wenig, wie die große Mehrzahl der Betroffenen in der angegriffenen Stadt. In den Briefen aus dem Februar 1945 wurden Tiefflieger nur sehr selten erwähnt – und wenn doch, dann in fast allen Fällen eher als illustratives Erzählbild (»…die Bomben krachten, Bordwaffen schossen, alles rannte in den nächsten Keller« 115) oder als Stadtgespräch (»…und anscheinend wurde dort sogar mit Bordwaffen geschossen. Es haben sich schlimme Szenen abgespielt« 116). Gleichwohl berichteten auch einige wenige Menschen aus Dresden, selbst beschossen worden zu sein oder Tiefflieger erlebt zu haben – darunter ein Dresdner Feuerwehrmann. 117 Erschienen hier solche Angriffe also allenfalls als Episode, so stellte sich das in der deutschen Kriegspropaganda bald anders dar. Zunächst vom Stadtrand als Angriffe auf die fliehenden Menschen berichtet, verlegte am 4. März 1945 der prominenteste Text der deutschen Propagandakampagne das Geschehen in das Zentrum der Stadt. Der ausführliche Artikel in Goebbels Wochenzeitschrift »Das Reich« behauptete nun auch eine völlig andere Dimension des Geschehens: »Um Mitternacht erschien am glutroten Himmel des Elbtals eine zweite britische Luftflotte und richtete mit Sprengbomben und Bordwaffen unter den Menschenmassen auf den Grünflächen ein Blutbad an, wie es bis dahin allenfalls die Phantasie eines Ilja Ehrenburg hätte ersinnen können.« 118 Rasch fand diese Beschreibung weite Verbreitung, eine

114

Siehe Fußnote 5.

115

Brief Dora Baumgärtel, 15.2.1945 (Archiv IG »13. Februar 1945« e.V., HB010).

116

Brief Herbert Hultsch, 27.2.1945 (Archiv IG »13. Februar 1945« e.V., HB058).

117

Bericht Waldmann, Zugführer des 3. F. Zuges der 9. Bereitschaft der Dresdner Feuerlöschpolizei, 15.2.1945 (SächsHStAD, 10799, Feuerschutzpolizei Dresden, Nr. 1, Einsatzbericht 214).

118

Rudolf Sparing, Der Tod von Dresden, a.a.O.

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Dresdnerin notierte Ende April 1945 über den Großen Garten: »[…] Hunderttausende, die in ihrer Angst, in ihrer Todesnot, hierhin geflüchtet waren und nun hier elend umkamen durch Feuer und Bordwaffenbeschuß.« 119 Als nunmehr selbstverständlicher Teil der symbolischen Erzählung von der »Zerstörung Dresdens« fanden Bordwaffenbeschuss und Tiefflieger auch in den Darstellungen der Nachkriegsjahre Erwähnung. Vor allem David Irving festigte in seinem 1964 erschienenen Buch diese Motive mit ausführlichen Schilderungen – die exakt recherchiert erschienen, sich allerdings reichlich zehn Jahre später bei Götz Berganders Nachprüfung als fantasievolle Erfindungen erwiesen. Bis dahin aber war das Erzählbild vielfach gestärkt worden, im privaten Erinnern genauso wie beispielsweise in der DDR-Propaganda. Anders als das anonyme Töten mit Bomben, die aus mehreren Kilometern Distanz abgeworfen wurden, schienen Tiefflieger und gezielte Schüsse aus Bordwaffen eine individuelle Tötungsabsicht, vielleicht gar Tötungslust, zu beweisen. Der Gegensatz zwischen hilflosem Flüchtling am Boden und hochgerüstetem Piloten ließ das Geschehen noch eindeutiger moralisch verwerflich erscheinen. So stärkte und stärkt das Tiefflieger-Motiv eine anklagende Interpretation der Luftangriffe, wie sie heute unter anderem für geschichtsrevisionistische Zielsetzungen typisch ist. Im persönlichen Erinnern nicht weniger Betroffener (und ihrer Familien) repräsentiert die Erzählung stellvertretend erlittenes Unrecht. Götz Bergander hatte, wie erwähnt, in seiner 1977 erschienenen Monographie »Dresden im Luftkrieg« die Berichte über Tieffliegerangriffe kritisch untersucht. 120 Er war dabei – gestützt sowohl auf deutsche und alliierte dokumentarische Überlieferungen als auch auf Augenzeugenberichte – zu dem Schluss gekommen, dass die behaupteten Massaker durch Tiefflieger nicht stattgefunden haben. Seine Feststellungen trafen gleichermaßen auf Anerkennung in der Fachöffentlichkeit wie auf heftigen Widerstand einiger Vertreter der Erlebnisgeneration. Ähnliches wiederholte sich mehr als zwanzig Jahre später, als Helmut Schnatz die Ergebnisse umfangreicher Recherchen zu dieser Thematik in einer Studie veröffentlichte.121 Er hatte noch einmal Zeugenaussagen und Akten ausgewertet, zusätzlich auch umfangreiche militärtechnische Erwägungen angestellt und war zu ähnlichen Ergebnissen wie Bergander gekommen. Die öffentliche Präsentation seines Buches im Jahr 2000 in Dresden geriet zum Eklat: Schnatz und die seine Ergebnisse stützende Fachwissenschaft gerieten in eine heftige Auseinandersetzung mit der Familienüberlieferung einiger Betroffener; gleichzeitig nutzte die extreme Rechte der Bundesrepublik das Thema zur geschichtspolitischen Profilierung. Seither hat das scheinbare Detail im militärischen Ablauf der Luftangriffe gegen Dresden nichts von seiner symbolischen Bedeutung eingebüßt. Noch immer repräsentiert das Tiefflieger-Motiv eine Gegenerzählung zur beherrschenden Deutung des alliierten Luftkriegs als Teil eines legitimen und moralisch gerechtfertigten Verteidigungskrieges gegen das nationalsozialistische Deutschland.

119

Bericht Dora Baumgärtel, Ende April 1945 (Archiv IG »13. Februar 1945« e.V., HB059).

120

Götz Bergander, Dresden im Luftkrieg, Köln 1977.

121

Helmut Schnatz, Tiefflieger über Dresden? Legenden und Wirklichkeit, Köln 2000.

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Ziel der Untersuchung Die Kommission hatte zu untersuchen, ob zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 Tieffliegerangriffe gegen Dresden stattgefunden haben. Aus diesem Auftrag heraus richtete sich die Untersuchung nicht mehr allein darauf, jenes Erzählbild eines massenhaften Angriffs mit Bordwaffen auf die aus der brennenden Stadt fliehenden Menschen zu überprüfen. Darüber hinaus war nunmehr festzustellen, ob nicht auch einzelne Angriffe mit Bordwaffen und durch tieffliegende Flugzeuge stattgefunden haben. Der Untersuchungsauftrag setzte dabei einen klar begrenzten zeitlichen Fokus: Tieffliegerangriffe vor dem 13. Februar und solche nach dem 15. Februar 1945 waren durch die Kommission nicht zu untersuchen.

Untersuchungsansätze Im Auftrag an die Kommission gab der Stadtrat bereits einige Untersuchungsperspektiven vor: Neben der für die geschichtswissenschaftliche Arbeit selbstverständlichen Auseinandersetzung mit der dokumentarischen Überlieferung, sollten nunmehr auch archäologische Untersuchungsmethoden verwandt werden. Die Bedeutung einer Auseinandersetzung mit den Erinnerungszeugnissen der Erlebnisgeneration ergab sich unmittelbar aus der oben beschriebenen Ausgangssituation. Damit verfolgte die Kommission folgende vier Untersuchungsansätze:  Ansatz 1: Die bisherigen Forschungen und die dokumentarische Überlieferung zum Themenkomplex »Tiefflieger über Dresden im Februar 1945« waren erneut auszuwerten.  Ansatz 2: Alle erreichbaren Erinnerungszeugnisse der Erlebnisgeneration mussten daraufhin überprüft werden, ob und in welcher Weise sie Tieffliegerangriffe belegen.  Ansatz 3: Mit archäologischen Methoden sollte nach Spuren von Tieffliegerbeschuss auf solchen Flächen gesucht werden, auf denen in der Erinnerung von Augenzeugen Tieffliegerangriffe stattgefunden hatten.  Ansatz 4: Militärtechnische Überlegungen waren einerseits anzustellen, um die Berichte über Tieffliegerangriffe auch aus dieser Perspektive zu untersuchen. Andererseits sollte so auch nach Ansätzen gesucht werden, zu erklären wieso die Erinnerungen der Augenzeugen sich in dieser Frage so extrem unterscheiden. Die Untersuchungen zum Aufgabenkomplex »Tiefflieger« wurden im Teilprojekt 3 der Kommission durch ein Projektteam des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr (MHM) Dresden unter der Leitung von Wolfgang Fleischer durchgeführt. Parallel setzte sich Kommissionsmitglied Helmut Schnatz erneut mit der dokumentarischen Überlieferung auseinander.

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Untersuchungsergebnisse Die methodischen Überlegungen zu allen vier Ansätzen werden im Folgenden gemeinsam mit den jeweiligen Untersuchungsergebnissen knapp beschrieben. Für detaillierte Schilderungen sei auf den Bericht der MHM-Projektgruppe verwiesen. 122

Ansatz A: Analyse der dokumentarischen Überlieferung Aus der Untersuchung der dokumentarischen Überlieferung – sowohl aus deutschen als auch aus alliierten Quellen – können Angriffe mit tieffliegenden Flugzeugen im Dresdner Stadtgebiet für alle fraglichen Zeiträume nahezu ausgeschlossen werden. In den bisherigen Kontroversen um das Thema wurden solche Angriffe »traditionell« für die Nacht der beiden britischen Luftangriffe, d.h. vom 13. zum 14. Februar 1945, sowie für die Zeit unmittelbar nach dem ersten amerikanischen Angriff, also am Mittag des 14. Februar 1945, behauptet. Erst vor wenigen Jahren wurde die These öffentlich, Tieffliegerangriffe amerikanischer Flugzeuge könnten auch bereits am Vormittag des 14. Februar 1945 stattgefunden haben. Die Analyseergebnisse werden im Folgenden in dieser zeitlichen Einteilung berichtet.

Tieffliegerangriffe in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 In der Nacht der beiden schweren britischen Bombardements waren Tieffliegerangriffe bereits deswegen nicht möglich, weil das Bomber Command keine Flugzeugtypen über Dresden im Einsatz hatte, die sie hätten fliegen können. Die leichten zweimotorigen »Mosquitos« des Markierungsverbandes für den ersten Nachtangriff flogen zwar in niedriger Höhe über Dresden, waren aber unbewaffnet. Die Fernnachtjäger, höchstens fünf, die den Kampfverband für den zweiten Nachtangriff decken sollten, befanden sich aus navigatorischen und meteorologischen Gründen nicht über der Stadt. Für die schweren viermotorigen Bomber, die das Gros der angreifenden Verbände bildeten, können solche Angriffe im Tiefflug in der konkreten Situation über Dresden mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Zwar hätten deren Besatzungen das Zielgebiet auch aus der großen Angriffshöhe mit Bordwaffen beschießen können; dies wäre jedoch militärisch sinnlos und zudem inmitten des Bombardements am Boden kaum wahrnehmbar gewesen.

122

Siehe Wolfgang Fleischer/Udo Hänchen, Tieffliegerangriffe auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945. In: Rolf-Dieter Müller/Nicole Schönherr/Thomas Widera (Hg.), Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945, S. 177-188.

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Tieffliegerangriffe am Vormittag des 14. Februar 1945 Nachdem in der fachwissenschaftlichen Untersuchung Tieffliegerangriffe über Dresden bestritten worden waren, wurde im Jahr 2006 die These öffentlich, solche Angriffe hätten bereits am Vormittag des 14. Februar zwischen 10 und 11 Uhr – also vor dem Eintreffen der ersten amerikanischen Bomber in Dresden stattgefunden. 123 Argumentative Basis dieser Überzeugung sind Augenzeugenberichte, die in den vergangenen Jahren dokumentiert worden waren. Sie scheinen – im Gegensatz zu allen bisher diskutierten Erinnerungszeugnissen – eine zeitliche Korrektur des erinnerten Geschehens nahezulegen. 124 Aus der Analyse der militärischen alliierten Unterlagen ergeben sich deutliche Zweifel an dieser These: Die breite Überprüfung der britischen, amerikanischen und französischen Einsatzakten machte deutlich, dass die infrage kommenden taktischen Großverbände der Alliierten nicht über Flugzeugtypen verfügten, mit denen sie Dresden hätten erreichen können, dass die geflogenen Zeiten ihrer am Vormittag des 14. Februar 1945 eingesetzten Fighter Groups und Squadrons für einen Flug nach Dresden zu kurz waren und dass der von ihnen beflogene Raum nicht weiter als bis zur Linie Bremen-Hannover-Kassel-Stuttgart-Ulm gereicht hatte. 125 Lediglich die amerikanische 8. (strategische) Air Force wäre für solche Angriffe in Frage gekommen; deren Jagdverbände aber waren als Begleitschutz für die Bomberverbände zugeteilt worden und standen für separate Angriffe zur fraglichen Zeit nicht zur Verfügung. Auch im Licht der deutschen Unterlagen ergibt sich ein ähnliches Bild: Ein alliierter Jagdverband hätte das gesamte Reichsgebiet von West nach Ost überfliegen müssen. Es ist ausgeschlossen, dass er dabei unentdeckt geblieben wäre, weil die Luftraumüberwachung bereits östlich des Rheins – und erst recht in Mittelund Ostdeutschland – noch intakt war. Der Verband hätte unweigerlich in den von ihm beflogenen Warngebieten Fliegeralarm auslösen müssen. In Dresden war jedoch in der Angriffsnacht um 2:15 Uhr entwarnt worden, Fliegeralarm erging erst wieder am 14. Februar 1945 um 12 Uhr. In Oelsnitz/Vogtland, Hof, Reichenbach/Vogtland, Auerbach/Vogtland, Plauen und Chemnitz wurde Fliegeralarm zwischen 11:30 Uhr und 11:45 Uhr gegeben. Die kontinuierlichen Luftlagemeldungen der Warnstelle Langenberg bei Gera, die den thüringisch-sächsischen Luftraum erfassen, enden in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 um 3:47 Uhr und vermelden erstmalig um 11:47 Uhr einen Jagdverband und um 11:49 Uhr einen Bomberverband über Thüringen, beide mit Ost-Kurs. 126 So bleibt festzustellen: Am Vormittag des 14. Februar 1945

123

Interview Tiefflieger 1945 – Legende oder Wirklichkeit? Gert Bürgel forscht aus Leidenschaft und Neugier über die Ereignisse von 1945, Wochenkurier vom 12.7.2006.

124

Gert Bürgel, Tiefflieger 1945. Motivation, Recherche, Analyse, erste Ergebnisse. Ein Beitrag zur Lösung des Historikerstreits. Vortrag am 17. März 2007, Geschichtsmarkt Dresden, S. 6f.

125

Headquarters 9th Air Force, Summary of Operations No 45, National Archives at College Park/Maryland, RG 243, Entry 25, file 2.f. (5); Air Force Historical Research Agency, Maxwell, Alabama (AFHRA), Mission Reports of 50th, 324th, 358th Fighter Groups, XII TAC, 1st TACAF, Microfilm A-6354; Daniel Decot, Pilotes francais sur l’Alsace et l’Allemagne, Paris 1990, S. 352ff.; 2nd TAF, Daily Logs, National Archives at Kew, Air 37/718; Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force, Air Staff, Summary of Operations 24 hours ending Sunset 14th February, 1945, No 121, AFHRA Microfilm B 5693.

126

Helmut Schnatz, Tiefflieger über Dresden?, a.a.O., S. 173f.

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war der sächsische Luftraum insgesamt, also auch in Dresden, bis ca. 11:30 Uhr »feindfrei«. Bis heute – auch in einer kürzlich erfolgten neuerlichen Publikation der These127 – steht eine Erklärung dafür aus, welche militärische Einheit die behaupteten Tieffliegerangriffe über Dresden hätte durchführen können.

Tieffliegerangriffe am Mittag des 14. Februar 1945 Auch die im Anschluss an den amerikanischen Luftangriff am 14. Februar 1945 – d.h. zwischen 12.17 Uhr und 12.31 Uhr – berichteten Tieffliegerangriffe können aus den verschiedensten Gründen nicht stattgefunden haben. Die amerikanischen Jagdflugzeuge, die als Begleitjäger die schweren viermotorigen Bomber zu schützen hatten, folgten strikten Befehlen: Jeweils der Hälfte ihrer Jagdgruppen (Group A) waren auf dem Rückflug – also nicht über dem Ziel Dresden – Tieffliegerangriffe lediglich für den Fall erlaubt, dass keine deutschen Jäger die abfliegenden Bomber gefährdeten. Genau das war jedoch der Fall, denn die beiden deutschen Jagdgeschwader 300 und 301 stellten sich den Amerikanern entgegen und fochten mit ihnen vor, während und nach dem Bombenangriff auf Dresden Luftkämpfe aus, die sich nicht nur über Westsachsen, sondern auch im Luftraum nahe Dresden erstreckten. In diesem Fall hatte der Schutz der Bomber für die amerikanischen Jagdverbände absoluten Vorrang. 128 Die Luftkämpfe in der Dresdner Umgebung sind mehrfach belegt, unter anderem durch Abschüsse zweier deutscher Jagdflugzeuge. 129 In ihren Einsatzberichten erwähnten die Fighter Groups des Dresden-Verbandes Tiefangriffe (»strafings«) im Stadtgebiet von Dresden mit keinem Wort, wohl aber die erwähnten Luftkämpfe. Im Übrigen zeigt die schnelle Entwarnung am 14. Februar 1945, dass der Luftraum über der Stadt rasch geräumt wurde und die amerikanischen Verbände nach dem Abwurf der Bomben mit ihrem Jagdschutz unverzüglich abflogen. Insgesamt ist also festzustellen: Aus der Analyse der dokumentarischen Überlieferung – gleichermaßen in alliierten wie deutschen Quellen130 – ergibt sich, dass selbst einzelne Tieffliegerangriffe über Dresden zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 nahezu ausgeschlossen werden können. Für einen massenhaften oder systematischen Angriff mit Bordwaffen auf die aus Dresden fliehende Bevölkerung – wie in der Propagandaerzählung im März 1945 behauptet – existiert kein Beleg.

127

Wolfgang Schaarschmidt, Dresden 1945. Daten. Fakten. Opfer, Graz 2010, S. 247ff.

128

Air Force Historical Research Agency (AFHRA), Maxwell/Alabama, Microfilm B 5018 Eighth Air Force Mission Files, Field Order 1622A, 14 February 1945.

129

Schreiben der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht an Helmut Schnatz vom 23.4.2007. Schreiben von Eberhardt Kretschel, Niederbobritsch, 5.3.1996, an Helmut Schnatz.

130

Eine Ausnahme hiervon bildet die oben bereits erwähnte Schlussmeldung des Höheren SS- und Polizeiführers Elbe vom 15. März 1945 (a.a.O.). Bezeichnenderweise wird die dortige Erwähnung von angeblichem Bordwaffenbeschuss in der späteren Lagemeldung Nr. 1404 des Chefs der Ordnungspolizei vom 22. März (a.a.O.) nicht wiederholt.

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Ansatz 2: Auswertung subjektiver Erinnerungszeugnisse Wie bereits erwähnt, trafen die bisherigen fachwissenschaftlichen Untersuchungen auf Skepsis und Widerstand, scheinen ihre Ergebnisse doch im Gegensatz zu den Erinnerungen der Augenzeugen zu stehen. Es war auch aus diesem Grund notwendig, noch einmal eine breit angelegte Untersuchung der Erinnerungszeugnisse vorzunehmen. Diese Aufgabe führte Udo Hänchen aus der Projektgruppe des MHM mit studentischer Unterstützung aus. Nach Presseaufrufen erklärten sich 164 Dresdnerinnen und Dresdner sowie ehemalige Einwohner der Stadt bereit, ihre Aussagen protokollieren zu lassen. Parallel wertete das Team die zu diesem Zeitpunkt bereits im Teilprojekt 4 der Kommission zusammengetragenen Erinnerungszeugnisse nach Hinweisen auf Tieffliegerangriffe aus. Von den auf diese Weise ermittelten 220 relevanten Zeitzeugenberichten enthielten 103 auswertbare konkrete Informationen; die restlichen Berichte betrafen entweder nicht den fraglichen Zeitraum oder erwiesen sich als zu ungenau. Insbesondere waren für die Projektgruppe Angaben zum Zeitpunkt und Ort der Beobachtungen wichtig. Diese Angaben wurden in eine Stadtkarte übertragen, um die geplanten archäologischen Untersuchungen räumlich spezifizieren zu können. Unter den ausgewerteten Berichten, in denen Tieffliegerangriffe erinnert werden, betrafen etwa 20 Prozent die Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945. Die knappe Hälfte der Berichtenden verortete ihre Beobachtungen in der Elbaue und in den dicht daran anschließenden Stadtgebieten. In der übergroßen Mehrzahl machten die Augenzeugen keine Angaben zur Zahl der angreifenden Flugzeuge, wenn doch, so erinnerten sie sich an eine oder eine kleine Anzahl von Maschinen. Lediglich ein Berichtender sprach von 100 bis 300 Flugzeugen. Zu identischen Orten liegen teilweise einander widersprechende Augenzeugenberichte vor, darunter auch solche, die Tieffliegerangriffe explizit ausschließen. Insgesamt kann folgende Schlussfolgerung gezogen werden: Angriffe mit Bordwaffen im Tiefflug durch eine größere Anzahl von Flugzeugen werden auch durch die Erinnerungsberichte der Augenzeugen nicht gestützt. Für die Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 muss in Zweifel gezogen werden, dass die Berichterstatter angesichts des komplexen Ablaufes der Bombardierung und der daraus resultierenden Geräuschkulisse überhaupt in der Lage waren, Abschuss- und Einschlaggeräusche zu unterscheiden. Berichte über nächtliche Tieffliegerangriffe erscheinen der Projektgruppe daher als zweifelhaft. Für die Tagesstunden des 14. Februar 1945 kann der großen Zahl von Augenzeugen jedoch nicht unterstellt werden, dass ihren Berichten jede reale Grundlage fehlen würde – auch wenn die Kommission auf der Basis der dokumentarischen Überlieferung Tieffliegerangriffe für diesen Zeitraum ausschließt. Möglicherweise haben die Berichtenden die erwähnten Luftkämpfe zwischen amerikanischen und deutschen Jagdflugzeugen als Tieffliegerangriffe wahrgenommen. Deren rasche Überflüge waren zeitlich und örtlich lediglich sehr begrenzt erlebbar; dies würde auch die sehr heterogene Berichterstattung der Augenzeugen erklären können.

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Ansatz 3: Archäologische Untersuchungen Es lag nahe, in jenen Stadtgebieten, die in der Erinnerung der Augenzeugen von Bordwaffen beschossen worden waren, mit archäologischen Mitteln nach den Hinterlassenschaften eines solchen Beschusses zu suchen. Würden auf diesen Flächen Munitionsreste aus den Maschinengewehren der alliierten Flugzeuge gefunden werden können, so wäre dies ein starkes Indiz für Bordwaffenbeschuss gewesen. Die Untersuchungen der Projektgruppe des MHM mussten dazu zunächst theoretisch vorbereitet werden. Dabei wurden die zu suchenden Munitionstypen spezifiziert und aus den flug- und waffentechnischen Gegebenheiten Mindestgrößen der zu untersuchenden Flächen bestimmt. Die Auswertung vergleichbarer Suchaktionen in anderem Zusammenhang machte deutlich, dass die gesuchten Munitionsreste mit zeitgemäßen Technologien tatsächlich geortet und geborgen werden können. Aus der Kartierung der Beobachtungen der Augenzeugen ergab sich eine größere Zahl von Verdachtsflächen im Dresdner Stadtgebiet. Die Mehrzahl dieser Flächen war jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg so stark verändert worden, dass eine Suche nach den vergleichsweise kleinen Artefakten unmöglich schien. Lediglich sechs Verdachtsflächen befinden sich heute noch in nahezu originalem Zustand. Diese Flächen – fünf betrafen Schilderungen von Tieffliegerangriffen bei Tag, eine bei Nacht – wurden anschließend im Auftrag des Kampfmittelbeseitigungsdienstes der Landespolizeidirektion Sachsen untersucht. Die aufwendigen Untersuchungen führte eine private Munitionsbergungsgesellschaft mit jeweils neun bis zehn Mitarbeitern und vier Tiefensonden aus. Für keine der untersuchten Flächen konnten Munitionsreste festgestellt werden, die mit Tieffliegerangriffen in Verbindung zu bringen sind. Stattdessen wurden auf zwei Untersuchungsflächen im Großen Garten zahlreiche Bombensplitter und Fragmente von Stabbrandbomben geortet und sichergestellt. Die archäologischen Untersuchungen erbrachten also keine Beweise für Tieffliegerangriffe zwischen dem 13. und 15. Februar 1945 gegen das Dresdner Stadtgebiet.

Ansatz 4: Militärtechnische Untersuchungen Militärtechnische Erwägungen spielten in den Untersuchungen zur Rekonstruktion des Luftkriegsgeschehens im Zusammenhang mit den Tieffliegerangriffen bereits eine wesentliche Rolle, wie in den Erläuterungen zum Untersuchungsansatz 1 beschrieben wurde. Sie waren ebenfalls notwendig, um die Methodik der archäologischen Untersuchungen zu entwickeln. Auch in einer weiteren Perspektive nutzte die Projektgruppe des MHM militärtechnische Untersuchungen: Dabei ging es darum zu versuchen, den Widerspruch zwischen der relativ häufigen Wahrnehmung nächtlicher Tieffliegerangriffe durch die Augenzeugen und den Untersuchungsergebnissen der Kommission, die

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solche Angriffe ausschließen, zu klären. Angeregt durch die Bergung von 51 Gehwegplatten in DresdenJohannstadt, von denen sieben Durchschläge der in großen Mengen abgeworfenen 1,7 kg schweren britischen Stabbrandbomben aufwiesen, wurde ein Feldversuch mit Nachbildungen solcher Brandbomben durchgeführt. Dabei konnte eine Geräuschentwicklung nachgewiesen werden, die bei massenhaftem Abwurf von Brandbomben der von Bordwaffenbeschuss entspricht. Angesichts von fast 5.500 Brandbomben pro Quadratkilometer, die in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 auf Dresden abgeworfen wurden, könnte dies ein Erklärungsmuster für die Berichte über den nächtlichen Beschuss aus Tieffliegern darstellen.

Schlussfolgerungen Mit den Untersuchungen der Kommission konnte zweifelsfrei festgestellt werden, dass in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 die Menschen im schwer getroffenen Dresden nicht durch Bordwaffen oder von tieffliegenden Maschinen der britischen Verbände beschossen worden sind. Für die Tagesstunden des 14. Februar ergibt sich ein widersprüchliches Bild: Einerseits berichtet eine Anzahl in sich heterogener – und teils auch gegensätzlicher – Augenzeugenberichte über Tieffliegerangriffe durch ein einzelnes oder einige wenige Flugzeuge. Andererseits lassen die Untersuchungsergebnisse der Kommission solche Angriffe aus mehreren Perspektiven heraus als nahezu ausgeschlossen erscheinen. 131 In jedem Fall existiert nicht der geringste Beleg für das lange Zeit populäre Erzählbild eines »Blutbads«, das alliierte Jagdflieger unter den aus der Stadt flüchtenden Menschen angerichtet hätten. Insofern bestätigt sich auch eine Ausgangsannahme der Kommission: Die gesonderte Untersuchung von Bordwaffenbeschuss und Tieffliegerangriffen ist für die Ermittlung der Zahl der Dresdner Luftkriegstoten nicht von Bedeutung.

131

Für einen Erklärungsansatz zu diesem Widerspruch siehe: Helmut Schnatz, Nachträge zum Komplex Tiefflieger, http://www.dresden.de/historikerkommission.

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Teil III Untersuchungsbericht zur Erinnerung der Dresdner Erlebnisgeneration

Dresden, Versorgungsstelle für Fliegergeschädigte, Williamstraße (Fotografie, Aufnahmedatum und Fotograf unbekannt. Archiv IG »13. Februar 1945« e.V.)

Vorbemerkungen In den Auseinandersetzungen um die Dresdner Luftkriegstoten kommt den subjektiven Erinnerungszeugnissen der Erlebnisgeneration eine große Bedeutung zu, denn die Bombardierung im Februar 1945 hat tiefe Spuren in den Biografien der Überlebenden hinterlassen. Es ist die Aufgabe der geschichtswissenschaftlichen Spezialdisziplin »Oral History«, solche Überlieferungen wissenschaftlich zu untersuchen. Im Mittelpunkt steht dabei die Bedeutung dieser traumatisierenden Erlebnisse für die weitere Lebensgeschichte: Dies sind Fragen nach den Folgen des Verlustes von nahen Verwandten und Freunden, von Hab und Gut, von Lebensumfeld und Orientierung. Oder Fragen nach den Auswirkungen von Umsiedlungen, eingeschränkter Ausbildung oder anderen, teils weitreichenden Folgen des Krieges. Und es geht darum, den Einfluss der öffentlichen Debatten, der politisch-ideologischen Kontroversen im Kalten Krieg und danach, die Überlagerungen dieser Diskurse auf die »eigentlichen« Erinnerungen und auf die Erzählungen in Rechnung zu stellen. Kurz: Die »verarbeitete Geschichte« steht im Zentrum der Oral History. Dagegen ist die Rekonstruktion der Realgeschichte – also von »facts and figures« – nicht ihre besondere Stärke. Das heißt auch, dass aus den Erfahrungsberichten der Erlebnisgeneration nicht unmittelbar auf bilanzierende Kenngrößen der Geschichte geschlossen werden kann: Die Zahl der Menschen, die infolge der Luftangriffe auf Dresden ums Leben kamen, ist aus Erinnerungszeugnissen nicht direkt ablesbar – wenngleich in einigen Schilderungen durchaus Aussagen zu einer solchen Zahl enthalten sein können.

Sammlung subjektiver Erinnerungszeugnisse Der Auftrag des Dresdner Stadtrates an die Historikerkommission umfasste explizit auch »die Sammlung, Dokumentation und Interpretation von Zeitzeugenberichten«. An das auf diese Weise entstehende Archiv waren mehrere Erwartungen geknüpft: Die Erinnerungszeugnisse sollten helfen, die Untersuchungen der Kommission zur Zahl der Luftkriegstoten im Februar 1945 und zu etwaigen Tieffliegerangriffen fachlich auszurichten und ihre Ergebnisse kritisch zu hinterfragen. Über diesen engeren Gegenstand der Kommissionsarbeit hinaus wurde von der Kommission eine wissenschaftliche Reflexion des Problems von »Erinnerung und Vergangenheitsrekonstruktion unter Einbeziehung von Zeitzeugen« erwartet. Schließlich galt es, die Berichte der Zeitzeugen auch jenseits der Untersuchung »für die Erinnerung der Stadt zu bewahren und lebendig zu halten«, so die Formulierung der Aufgabenstellung im Stadtratsbeschluss. Diese Aufgaben wurden im Teilprojekt 4 der Kommission durch die Projektgruppe »Oral History« unter Leitung von Alexander von Plato bearbeitet. Aufbauend auf teils jahrelangen Forschungsvorhaben mehrerer Dresdner Initiativen und Einrichtungen konnte die Gruppe eine umfangreiche Sammlung subjektiver Erinnerungszeugnisse zusammentragen und erschließen. Diese Sammlung wird im Dresdner Stadtarchiv

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aufbewahrt. Sie enthält lebensgeschichtliche Interviews, Korrespondenzen, Berichte, Tagebücher und vereinzelte private Fotoalben zur lokalen und regionalen Geschichte im Zwanzigsten Jahrhundert mit einer Fokussierung auf die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs und seiner Folgen. Die Sammlung ist gleichermaßen wichtige Forschungsgrundlage wie bedeutungsvolles Arbeitsergebnis der Dresdner Historikerkommission. Es liegen mittlerweile Überlieferungen unterschiedlicher Art und Qualität von 1.314 Personen der Erlebnisgeneration vor – darunter insgesamt 90 lebensgeschichtliche Interviews. Ihnen ist das Erleben – auch Überleben – der Luftangriffe im Februar 1945 gemeinsam; darüber hinaus berichten sie in sehr unterschiedlicher Breite und Fokussierung über den geschichtlichen und biografischen Kontext jener Ereignisse. Ausgangspunkt für das Zusammentragen der Erinnerungszeugnisse waren die existierenden Sammlungen in Dresden, so etwa das seit 1987 aufgebaute Archiv der Interessengemeinschaft »13. Februar 1945« e.V., Sammlungen des Stadtmuseums Dresden und des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr Dresden – um nur einige zu nennen. Parallel bat die Projektgruppe in Presseaufrufen um Erinnerungsberichte und um die Bereitschaft zum Interview. Viele Dresdner Bürgerinnen und Bürger überließen der Kommission Material, beantworteten Fragebögen oder standen für Gespräche und als Interviewpartner bereit. Die Projektgruppe dokumentierte etwa 50 bereits vorliegende lebensgeschichtliche Interviews; weitere 40 Interviews wurden in einem separaten Forschungsprojekt zu den Erinnerungen an die Bombardierung Dresdens 132 erarbeitet und ebenfalls für die Untersuchungen der Kommission bereitgestellt. Die erfreuliche Breite der Sammlung erschwerte gleichzeitig ihre Auswertung: Die heterogenen Quellen gehören teils sehr verschiedenen Gattungen an, stammen aus unterschiedlichen Zeiten und variieren in ihrer Informationsdichte stark. Zunächst war es daher nötig, das »Erinnerungsarchiv« in geeigneter Weise zu erschließen. Nunmehr steht es auch für weitere Untersuchungen – unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Belange – zur Verfügung. Die große Zahl der Erinnerungszeugnisse besitzt in ihrer Gesamtheit eine hohe Aussagekraft.

132

Die Fritz Thyssen Stiftung hat diese Untersuchung, die von Klaus-Dietmar Henke (Dresden) und Alexander von Plato (Hagen) beantragt wurde, dankenswerterweise 2006 und 2007 gefördert.

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Forschungsergebnisse

Erfahrungsgeschichtliche Erkenntnisse Nach erfahrungsgeschichtlichen Gesichtspunkten und im Hinblick auf den engeren Untersuchungsauftrag der Kommission ausgewertet, ergaben sich aus den persönlichen Erinnerungsberichten eine Fülle von Hinweisen und Anregungen – so beispielsweise…  zur Erwartung von Luftangriffen oder zur Hoffnung auf »Verschonung«,  zu Um- und Ausquartierungen in die nähere oder fernere Umgebung der Stadt,  zu den Schrecknissen von Bombardement und Feuersturm in verschiedenen Teilen Dresdens,  über das Leben ohne die Umgekommenen oder mit verletzten Familienmitgliedern,  zu den Hilfen und den Schwierigkeiten in den zeitweilig weit über die Kleinfamilie hinausgehenden Familienverbänden,  über die mindestens zeitweilige Flucht in die Umgebung von Dresden, sei es zu Fremden, sei es zu Angehörigen mit all den Komplikationen und Unterstützungen, die die von den Luftangriffen Betroffenen in der näheren und weiteren Umgebung erfuhren,  zu Brüchen in der Ausbildung, wenn beispielsweise Heranwachsende aus Finanznot ihre höhere Schulausbildung aufgeben und eine Lehre beginnen oder Hilfsarbeiten verrichten mussten,  über die Versuche, das eigene Haus oder die Wohnung notdürftig herzurichten, wenn es irgend ging,  über die tiefe und verbreitete Identifikation mit der »Kunststadt Dresden« und vieles weitere mehr. Die Schilderungen der interviewten Personen sollen an zwei Beispielen knapp skizziert werden.

Bericht Gottfried Sch. Der junge Gottfried Sch., Jahrgang 1930, floh nach dem ersten Angriff in den Großen Garten. Hier erlebte er zusammen mit seinen Eltern den zweiten Nachtangriff. Dabei verlor er den Kontakt zu ihnen. Zurück zu seinem Elternhaus, fand er dieses nur noch zerstört vor. Mit seinem Großvater machte er sich in den nächsten Tagen auf die Suche nach seinen Eltern. Zunächst gab es keine Spur von ihnen, doch dann sah Gottfried die Einkaufstasche seiner Mutter: »Opa, hier müssen sie darunter sein, denn hier ist die Tasche!« Und dann sahen wir gleich, so ein bisschen daneben, meine Mutter. Sie lag aber so auf dem Boden, mit dem Gesicht nach unten, sodass ich ihr Gesicht nie wieder gesehen habe. Mein Großvater, der sie dann eine Woche später mit dem Nachbarn auf einem Radanhänger abgeholt hat, der hat gesagt: ›Ihr Gesicht sah

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friedlich aus.‹ Aber der ganze Körper, sie hatte einen Pelzmantel an, und der war versengt, richtiggehend und auch die Beine waren schwarz. Auch seinen Vater fanden sie so im Großen Garten. Die Großeltern von Gottfried waren nach dem Tod der Eltern bald mit der Erziehung ihrer Enkel überfordert. Gottfrieds Bruder, der beim Angriff sein Augenlicht verloren hatte, musste in ein Heim gegeben werden. Er selbst begann nach Ende des Krieges eine Ausbildung als Bäcker, für die Höhere Schule war kein Geld da. Eigentlich wollte er Missionar werden, belegte deshalb Abendkurse, um das Abitur nachzuholen. Später studierte er Medizin, folgte seinen Geschwistern in den Westen. Hier wurde er Chefarzt in einem Krankenhaus. Sein blinder Bruder ging in die USA, der Kontakt zu ihm ist abgebrochen.

Bericht Rosemarie I. Rosemarie I., 1927 geboren, stammt aus Schlesien. Am 20. Januar 1945 begab sie sich mit ihrer Mutter auf die Flucht, der Vater war noch im Krieg. Eingepfercht in einem Güterwagen, gelangten sie über Breslau bis Königszelt zu Verwandten. Weiter ging es zu Fuß bis nach Schweidnitz. Hier trafen sie den Vater und gingen gemeinsam zurück nach Königszelt. Schließlich kamen sie nach Görlitz. Am 13. Februar 1945 stiegen sie in einen Zug, der um 15 Uhr in Dresden eintraf. Ihr Anschlusszug hatte Verspätung, so dass sie auf dem Hauptbahnhofgelände blieben, bis sie in einen Luftschutzkeller gewiesen wurden. An etwa 200 Menschen im Luftschutzkeller kann sich Rosemarie erinnern. Hier erlebten sie beide Nachtangriffe auf Dresden. »[.] es muss so gegen drei Uhr morgens gewesen sein, als sich plötzlich von außen die Tür öffnete und Männer da waren, von der Feuerwehr wahrscheinlich, die uns rausholten. Was heißt uns? Von den vielleicht 200 Leuten, die da in unserem Keller waren, sind [vielleicht] etwa 20 rausgekommen. Was mit den anderen geworden ist, da waren wir nicht in der Lage, danach zu gucken oder uns zu interessieren. Ich hab’ mich sofort erbrochen durch die Rauchvergiftung. Meine Mutter hatte mehr mit den Augen zu tun.« Vermutlich die gleichen Feuerwehrleute brachten Rosemarie und ihre Eltern auch aus der Stadt. So gelangten sie nach Dippoldiswalde, wieder zurück nach Kipsdorf und schlussendlich nach Schönfeld. Nach ihrem Studium war Rosemarie als Neulehrerin tätig, danach arbeitete sie als Lehrerin an der Fachschule für Kindergärtnerinnen in Leipzig und 15 Jahre bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.

Einige strittige Erinnerungen und ihre Interpretationen Auch der Diskurs der vergangenen Jahre um den geschichtlichen Kontext der Luftangriffe auf Dresden, um Bewertungen und Deutungen, ist nicht frei von populären Argumentationsmustern. So schien es manchem Akteur, als würde die Erlebnisgeneration sich kollektiv einheitlich und in besonderer Hartnäckigkeit Er-

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kenntnissen der Geschichtswissenschaft entziehen und stattdessen auf tradierten Erzählbildern und Wertungen beharren. So wird oft behauptet, die Augenzeugen des 13. Februar 1945 würden unisono sehr hohe Zahlen der Dresdner Luftkriegstoten behaupten, eine völlige Zerstörung der Stadt berichten, von Hunderttausenden Flüchtlingen in Dresden sprechen und hartnäckig auf Tieffliegerangriffen bestehen. Die Ergebnisse der statistischen Erhebungen aus den Aussagen aller 1.314 Personen bestätigen solche Behauptungen jedoch in weiten Teilen nicht. Der Projektgruppe gelang es, alle 90 teils mehrstündigen Interviews und alle 1.224 subjektiven Erinnerungszeugnisse unterschiedlicher Art detailliert auszuwerten. Für die Interviewtranskriptionen wurden über 200 quantifizierbare Aussagen erhoben, für die anderen subjektiven Erinnerungszeugnisse 74 Merkmale. Von den 1.314 Urhebern dieser Erinnerungszeugnisse hatten reichlich 900 die Luftangriffe in Dresden selbst miterlebt, ein Viertel davon war durch den Tod von Familienangehörigen, Freunden oder Bekannten betroffen. Knapp 40 Prozent der Berichtenden waren ganz oder teilweise ausgebombt. 133 Bei der Auswertung der Erinnerungszeugnisse wurden – konträr zu den geschilderten Überzeugungen – folgende Fakten deutlich:  Die Zeitzeugen machen kaum Aussagen zur Zahl der im Februar 1945 in Dresden getöteten Menschen.  Nur eine Minderheit der Berichtenden bezeugt Bordwaffenbeschuss und Tieffliegerangriffe.  In den meisten Erinnerungsschilderungen spielen Flüchtlinge nur eine geringe Rolle.  Der Grad der Zerstörung Dresdens im Februar 1945 wird sehr unterschiedlich erinnert – von der Vernichtung von Teilen der Innenstadt bis zu einer nahezu vollständigen Zerstörung der ganzen Stadt.

Die Zahl der Dresdner Luftkriegstoten Die persönlichen Berichte sind eher karg an Zahlen. Ohnehin besitzen Angaben Einzelner beispielsweise zur Gesamtzahl der Luftkriegstoten wenig Aussagekraft, waren ihnen doch in der Regel autorisierte Quellen für solche Angaben nicht zugänglich. Wenn sich die Projektgruppe dennoch mit dieser Frage auseinandersetzte, so ist dies der Tatsache geschuldet, dass sich die Medien, aber auch die Wissenschaft immer wieder auf eben solche subjektiven Äußerungen beziehen und dann »den« Zeitzeugen pauschal unterstellen, sie würden von sehr hohen Totenzahlen ausgehen. Diese Einschätzung kann jedoch durch die Untersuchungen der Kommission nicht bestätigt werden.

Tieffliegerangriffe auf Dresden Umstritten ist, wie im Teil II dieses Berichtes bereits ausgeführt, auch die Frage, ob es im Februar 1945 nach oder zwischen den britischen Luftangriffen bei Nacht und den amerikanischen Tagesangriffen zu

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Bordwaffenbeschuss durch Tiefflieger gekommen ist. Die quantitative Auswertung der Berichte ergab, dass nur eine qualifizierte Minderheit Tiefflieger Mitte Februar 1945 erlebt hat. Die dennoch bestehenden Widersprüche, die sich hier zwischen den Erkenntnissen der wissenschaftlichen Forschung und einer Minderheit von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ergeben, sind im Teilbericht II bereits diskutiert worden.

Zahl der Flüchtlinge am 13. Februar 1945 in Dresden Hielten sich Hunderttausende oder gar eine Million Flüchtlinge während der Luftangriffe im Februar 1945 in Dresden auf? Auch unter diesem Blickwinkel wurden alle gesammelten Erinnerungszeugnisse geprüft. Das Ergebnis der Untersuchung ergab ein klares Bild: Erstaunlich wenige Zeitzeuginnen und Zeitzeugen machten in ihren Berichten Angaben zu Flüchtlingen oder berichteten von Einquartierungen in ihrem Haus oder in ihrer Nachbarschaft. Auch in der subjektiven Erinnerung der Zeitzeugen bestätigen sich also die Erzählbilder einer mit Flüchtlingen »vollgestopften« Stadt nicht.

Der Wert der Erinnerungszeugnisse Bei allen Unsicherheiten bezüglich der realgeschichtlichen Korrektheit von Erinnerungszeugnissen stellen sie sich in einem Untersuchungsfeld als unverzichtbar heraus: Sie sind die wesentliche Quelle für die Untersuchung von Folgen und Bedeutungen des Erlebten für die Betroffenen, ihre Familien und Freunde. Subjektive Erinnerungszeugnisse bilden die Basis eines »kollektiven Gedächtnisses«, das sich auch im Fall der Luftangriffe auf Dresden in der unablässigen Interaktion in den Familien, im Freundeskreis, mit Nachbarn, in anderen sozialen Gruppen und unter dem Einfluss von Schulen, Medien und Politik herausbildet und festigt. Aber auch ein vorschnell abwertendes Urteil über den Wert der Zeitzeugenforschung für die Realgeschichte, also für die Fakten und Daten, ist falsch. Als Beispiel seien die Erinnerungen von Überlebenden der Mathildenstraße genannt, die aus Interviews, Schilderungen und Korrespondenzen gewonnen wurden. Sie machen zunächst deutlich, dass auch in dieser stark zerstörten Straße zahlreiche Menschen die FebruarLuftangriffe überlebten. Die Aussagen, die zu Einquartierungen, zur Zahl der in die Keller Geflüchteten, zur Zahl der noch Lebenden oder Verstorbenen in den Nachbarhäusern und vielen weiteren Details gemacht worden sind, haben zudem auch erheblichen Wert für die realgeschichtliche Rekonstruktion des Geschehens. Jenseits der historischen Forschung stehen Bildungsaufgaben zur Geschichte, die von enormer Bedeutung für die soziale und politische Zukunftsfähigkeit unserer Demokratie sind. Die durch die Kommission er-

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Siehe dazu: Alexander von Plato/Nicole Schönherr, Die Erfahrung Dresden, a.a.O.

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schlossenen Erinnerungszeugnisse können hier eine bedeutende Quelle für anschauliche Wissensvermittlung und aktive Auseinandersetzung sein.

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Literaturauswahl Die Auswahl dient der Information über weiterführende, ergänzende oder den Diskurs um die Untersuchungsgegenstände illustrierende Literatur. Luftkrieg gegen Dresden  Addison, Paul/Crang, Jeremy A. (Hg.): Firestorm. The Bombing of Dresden 1945, London 2006.  Bergander, Götz: Dresden im Luftkrieg. Vorgeschichte – Zerstörung – Folgen, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Weimar 1994.  Cooper, Alan W.: Target – Dresden, Keston 1995.  Fleischer, Wolfgang: Das Kriegsende in Sachsen 1945. Eine Dokumentation der Ereignisse in den letzten Wochen des Krieges, Wölfersheim-Berstadt 2004.  Fritze, Lothar/Widera, Thomas (Hg.): Alliierter Bombenkrieg. Das Beispiel Dresden, Göttingen 2005.  Gretzschel, Matthias: Als Dresden im Feuersturm versank, Hamburg 2004.  Heuser, Franz-Josef (Hg.): Sachsen im Bombenkrieg, Dresden 2005.  Irving, David: Der Untergang Dresdens, Gütersloh 1964.  Walter Kempowski, Der rote Hahn – Dresden im Februar 1945; München 2001.  Kurowski, Franz: Bomben über Dresden, Wien, 2001.  McKee, Alexander: Dresden 1945. Das deutsche Hiroshima, Wien 1983.  Müller, Rolf-Dieter: Der Feuersturm und die unbekannten Toten von Dresden. In: GWU, 59 (2008), S. 169-175.  Müller, Rolf-Dieter/Schönherr, Nicole/Widera, Thomas (Hg.): Die Zerstörung Dresdens 13. bis 15. Februar 1945, Gutachten und Ergebnisse der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen, Dresden 2010.  Musgrove, Frank: Dresden and the Heavy Bombers  Neutzner, Matthias: Die Erzählung vom 13. Februar. Mythos Dresden, Faszination und Verklärung einer Stadt. In: Dresdner Hefte, 84 (2005), S. 38-48.  Matthias Neutzner (Hg.): Lebenszeichen – Dresden im Luftkrieg 1944/45. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Dresden 1994.  Matthias Neutzner (Hg.): Martha Heinrich Acht – Dresden 1944/45, 4., durchgesehene Auflage, Dresden 2003.

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 Neutzner, Matthias: »Wozu leben wir noch? Um zu warten, bis die Russen kommen?« Die Dresdner Bevölkerung vom 13. Februar bis 17. April 1945. In: Dresdner Hefte, 41 (1995), S. 7-18.  Neutzner, Matthias: Dresden! – Die Erinnerung an den 13. Februar.. In: Geschichte der Stadt Dresden. Band 3: Von der Reichsgründung bis zur Gegenwart. Hg. von Holger Starke unter Mitwirkung von Uwe John im Auftrag der Landeshauptstadt Dresden, Stuttgart 2006, S. 517-528.  Paul, Wolfgang: … zum Beispiel Dresden. Schicksal einer Stadt, Frankfurt a. M. 1964.  Plato, Alexander von: Erinnerungen an ein Symbol. Die Bombardierung Dresdens im Gedächtnis von Dresdnern. In: BIOS, 20 (2007), S. 123-137.  Reichert, Friedrich: Fakten, Dokumente und Bilder über den Luftkrieg gegen Dresden 1944/45. In: Dresdner Geschichtsbuch 10, Altenburg 2004, S. 248-277.  Reinhard, Oliver/Neutzner, Matthias/Hesse, Wolfgang (Hg.): Das rote Leuchten. Dresden und der Bombenkrieg, Dresden 2005.  Rodenberger, Axel: Der Tod von Dresden, Dortmund 1951.  Schaarschmidt, Wolfgang: Dresden 1945. Daten · Fakten · Opfer, 2., überarbeitete und aktualisierte Neuauflage, Graz 2010.  Schmitz, Walter: Die Zerstörung Dresdens. Antworten der Künste, Dresden 2005.  Schnatz, Helmut: Tiefflieger über Dresden? Legenden und Wirklichkeit, Köln 2000.  Seydewitz, Max: Zerstörung und Wiederaufbau von Dresden, 1. Auflage Berlin (Ost) 1955.  Seydewitz, Max: Die unbesiegbare Stadt. Zerstörung und Neuanfang von Dresden, 6., neu bearbeitete und erweiterte Auflage Leipzig 1982.  Stadtmuseum Dresden (Hg.): Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit. Die Zerstörung Dresdens 1945, Altenburg 1994.  Taylor, Frederick: Dresden, Dienstag, 13. Februar 1945. Militärische Logik oder blanker Terror? München 2004.  Michael Ulrich: Dresden – Nach der Synagoge brannte die Stadt; Leipzig 2002.  Weidauer, Walter: Inferno Dresden. Über Lügen und Legenden um die Aktion »Donnerschlag«, 8., gekürzte Auflage, Berlin 1990.  Winfried Werner, ...oder Dresden, Dresden 1987.  Widera, Thomas: Dresden im Zweiten Weltkrieg. Krieg, Zerstörung und Besetzung von Dresden. In: Geschichte der Stadt Dresden. Band 3: Von der Reichsgründung bis zur Gegenwart. Hg. von Holger Starke unter Mitwirkung von Uwe John im Auftrag der Landeshauptstadt Dresden, Stuttgart 2006, S. 497-514.

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Luftkrieg / Luftschutz / Zweiter Weltkrieg  Arnold, Jörg/Süß, Dietmar/Thießen, Malte (Hg.): Luftkrieg. Erinnerungen in Deutschland und Europa, Göttingen 2009.  Boog, Horst: Die strategische Bomberoffensive der Alliierten gegen Deutschland und die Reichsluftverteidigung in der Schlussphase des Krieges. In: Müller, Rolf-Dieter (Hg.), Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 10/1, München 2008, S. 777-884.  Boog, Horst: Strategischer Luftkrieg in Europa und Reichsluftverteidigung 1943-1944. In: Militärgeschichtlichen Forschungsamt (Hg.): Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 7, Stuttgart 2001, S. 1-415.  Boog, Horst/Boelcke, Willi A. (Hg.): Luftkriegführung im Zweiten Weltkrieg. Ein internationaler Vergleich, Herford 1993.  Craven, Wesley Frank/Cate, James Lea (Hg.): The Army Air Forces in World War II, Bd. 3, Chicago 1951.  Davis, Richard G.: Carl A. Spaatz and the Air War in Europe, Washington 1992.  Freeman, Roger A.: Mighty Eigth War Diary, London 1981.  Fritze, Lothar: Die Moral des Bombenterrors. Alliierte Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg, München 2007.  Grayling, Anthony C.: Among the Dead Cities. Was the Allied Bombing of Civilians in WWII an Necessity or a Crime? Bloomsbury 2006.  Groehler, Olaf: Bombenkrieg gegen Deutschland, Berlin 1990.  Hampe, Erich: Der zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg. Dokumentation und Erfahrungsberichte über Aufbau und Einsatz, Frankfurt a. M. 1963.  Hanke, Heinz Markus: Luftkrieg und Zivilbevölkerung, Frankfurt a. M. 1991.  Harris, Arthur T.: Bomber Offensive, London 1947.  Hastings, Max: Bomber Command, London 1980.  Kettenacker, Lothar (Hg.): Ein Volk von Opfern? Die neue Debatte um den Bombenkrieg 1940-1945, Berlin 2003.  Middlebrook, Martin/Evritt, Chris: The Bomber Command War Diaries, London 1985.  Rolf-Dieter Müller: Der Bombenkrieg 1939 – 1945, 2. Auflage, Berlin 2004.  Neillands, Robin: The Bomber War, London 2001.  Overmans, Rüdiger: Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg, München 1999.  Probert, Henry: Bomber Harris - His Life and Times, London 2001.  Rumpf, Hans: Der hochrote Hahn, Darmstadt 1952.

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 Schnatz, Helmut: Die Zerstörung der deutschen Städte und die Opfer. In: Hessische Landeszentrale für politische Bildung, Polis 39 (2004), S 30-46.  Schumacher, Björn: Die Zerstörung deutscher Städte im Luftkrieg. »Morale Bombing« imVisier von Völkerrecht, Moral und Erinnerungskultur, Graz 2008.  Ten Dyke, Elizabeth A.: Dresden - Paradoxes of Memory in History, London, New York 2001.  Thiessen, Malte: Gemeinsame Erinnerungen im geteilten Deutschland. Der Luftkrieg im »kommunalen Gedächtnis« der Bundesrepublik und der DDR. In: Deutschland Archiv, 41 (2008), S. 226-232.  Verrier, Anthony: The Bomber Offensive, London 1968.  Webster, Sir Charles/Frankland, Noble: The Strategic Air Offensive Against Germany 1939-1945, Bd. 3, London 1961.

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Danksagungen Die Dresdner Historikerkommission dankt allen nachfolgend genannten Personen und Institutionen für Ihre engagierte Unterstützung, ohne die eine so breit angelegte und aufwendige Untersuchung nicht möglich gewesen wäre. Darüber hinaus gilt der Dank allen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern sowie allen weiteren Bürgerinnen und Bürgern, die mit zahlreichen Hinweisen, Kommentaren und Kritiken die Untersuchung engagiert begleitetet haben.

 Gebhard Aders, Altenberge/Westfalen  Kerstin Arnold, Dresden  Bayerisches Staatsministerium der Finanzen  Roswitha Bednarz, Dresden  Angelika Beer, Dresden  Ralf Blank, Hagen  Hubert Bläsi, Heilbronn  Bundesarchiv Berlin, Kerstin Risse  Bundesarchiv-Lastenausgleichsarchiv Bayreuth, Leiter Ulrich Ringsdorf  Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg i. Br.  Dieter Busch, Winterbach  Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (WASt), Berlin  Werner Dettmar, Kassel  Deutsches Hygiene-Museum Dresden  Yvonne Dießner, Dresden  Dresdner Seniorenakademie, Zeitzeugenkabinett  Werner Eckel, Kirkel-Limbach  Tobias Eger, Dresden  Einwohnermeldeämter im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland  Einwohner- und Standesamt Dresden, Abteilungsleiter Standesamt Frank Neubert  Einwohner- und Standesamt Dresden, ehemalige Mitarbeiterinnen Gerda Häring, Hansi Stark und Rosemarie Tuch

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 Ev.-Luth. Regionalkirchenamt Dresden  Filmmuseum Berlin – Deutsche Kinemathek, Fotoarchiv, insbesondere Wolfgang Theis  Erwin Folz, Ludwigshafen  Fritz Thyssen Stiftung  Cordula Gast, Dresden  Waltraud Girbig, Hattersheim  Sabine Graul, Dresden  John M. Gray, Waverly/Ohio, USA  Hans Grimminger, Augsburg  Annett Grune, Dresden  Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V. an der TU Dresden  Alexander Helbig, Dresden  Wolfgang Hesse, Dresden  Petra Höhne, Dresden  IDU Ingenieurgesellschaft für Datenverarbeitung und Umweltschutz mbH, insbesondere Dietmar Bothmer, Dagmar Clemens, Thomas Höhne, Nico Major, René Neidt und Kazik Jarema  Imperial War Museum, London  Ingenieurgemeinschaft Frauenkirche Dresden, Professor Wolfram Jäger  Institut für Geschichte und Biographie der FernUniversität Hagen  Institut für Kartographie, TU Dresden  Institut für Keramik, Glas- und Baustofftechnik der TU Bergakademie Freiberg, Kathrin Häußler  Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig, Professor Rüdiger Lessig, Erhardt Wilk  Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V.  Interessengemeinschaft »13. Februar 1945« e. V., insbesondere Anita John, Rudolf Eichner und Helga Skoczowsky  International Committee of the Red Cross, Historical Archives, Genf  Sven Felix Kellerhoff, Berlin  Kommunal- und Kreisarchive im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland  Norbert Krüger, Essen  Landesarchiv Berlin  Landeshauptstadt Dresden, Veranstaltungsbüro 2006

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 Landeshauptstadt Dresden, Städtisches Vermessungsamt, insbesondere Amtsleiter Helmut Krüger  Landeskriminalamt, Kriminaltechnischer Dienst  Landespolizeidirektion Zentrale Dienste Sachsen, Kampfmittelbeseitigungsdienst  Bianca Lange, Dresden  Jim Larsen/Verlag NeunundzwanzigSechs, Moosburg  Sebastian Lindner, Dresden  Melanie Mai, Dresden  Hans-Werner Mihan †, Potsdam  Militärgeschichtliches Forschungsamt der Bundeswehr  Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (MHM) Dresden  Christian Mögel, Dresden  Till Neutzner, Dresden  Marcel Oswald, Dresden  PARITÄTISCHE Freiwilligendienste Sachsen gGmbH  Markus Plattner, Wuppertal  Polizeidirektion Dresden, Kriminalpolizei  Gerhard Raiss, Stadtarchiv Eschborn  Markus Rosenthal, Berlin  Ingolf Roßberg, Dresden  Sächsische Landeszentrale für politische Bildung  Sächsisches (Staatsarchiv) Hauptstaatsarchiv Dresden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter  Isabel Schellenberger, Dresden  Schloßbergmuseum Chemnitz  Peter Schmidt, Dresden  Ina Schubert, Dresden  Uljana Sieber, Dresden  Stadtarchiv Dresden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter  Stadtmuseum Dresden  Stadtrat der Landeshauptstadt Dresden  Stadtverwaltungen, Bezirksämter, Landratsämter, Gemeindeverwaltungen und Gemeindeämter der Bundesrepublik

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 Standesamt I Berlin, Sachgebietsleiter Bernd Schulz  Stiftung Frauenkirche Dresden  Straßen- und Tiefbauamt der Landeshauptstadt Dresden, Amtsleiter Reinhard Koettner  Technische Universität Dresden, Institut für Geschichte, Lehrstuhl für Zeitgeschichte, Professor Klaus-Dietmar Henke  Peter Teichmann, Dresden  Lars Trenkmann, Dresden  Anton Tuch, Dresden  Verwaltungen der kommunalen, ev.-luth. und katholischen Friedhöfe in und um Dresden  Lutz Vogel, Weimar  Karl-Heinz Woll, Hannover  Jürgen Zapf, Messel  Gerrit Zwanenburg, Baarn (NL)

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