90 Tage Island

Zeitraum nach Island, und so beschloss ich, für drei Monate dort zu arbeiten und zu leben. Im Vorfeld habe ich einen Englisch-Intensivkurs gemacht und ein ...
5MB Größe 6 Downloads 489 Ansichten
Sonja Grünbaum

90 Tage Island Autobiografische Erzählung

Alle Namen der hier auftretenden Personen wurden geändert.

Inhalt EINLEITUNG........................................................................ 5 April ................................................................................. 7 Mai ................................................................................ 23 Juni .............................................................................. 105 Juli ............................................................................... 171 August ......................................................................... 219 Impressum ................................................................... 223 Buchempfehlung ... ...................................................... 225 Buchempfehlung ... ...................................................... 228

EINLEITUNG

Wenn sich um einen herum nichts ändert beziehungsweise verändert, dann muss man sein Leben selbst in die Hand nehmen, und als ganz plötzlich mein Vater verstarb und ich mich nicht einmal mehr von ihm verabschieden konnte, wusste ich, wie schnell sterben geht. Da entschied ich, etwas zu ändern. Nächstes Jahr werde ich fünfzig Jahre. Wo stehe ich? Was möchte ich noch erleben? Manchmal habe ich den Eindruck die meisten Menschen leben als würden sie zweihundert Jahre alt werden. Ich erinnere mich noch genau an meinen vierzigsten Geburtstag – wenn die kommenden zehn bis fünfzehn Jahre auch so schnell vergehen muss ich mich beeilen. Seit sechs Jahren bereisen wir im Sommer das isländische Hochland mit unserem isländischen Freund, und von der ersten Minute an hat mich dieses Land fasziniert. Ja, ich möchte einmal in meinem Leben für einen längeren Zeitraum nach Island, und so beschloss ich, für drei Monate dort zu arbeiten und zu leben. Im Vorfeld habe ich einen Englisch-Intensivkurs gemacht und ein wenig Isländisch gelernt.

5

Natürlich habe ich auch einige Male verzweifelt vor der Englischlektion gesessen und mich gefragt: Ist es das alles wert? Ich konnte die letzte Lektion nicht mehr beenden, da ich, als ich das Froschgesicht von dem Interviewer in der Englischlektion gesehen habe, dachte, ich muss jetzt den PC aus dem Fenster schmeißen. Eine Erscheinung, wenn man den Stoff von eineinhalb Jahren in sechs Monaten bewältigen möchte. Jetzt kann ich sagen, jede Sekunde und jeden Cent war es wert, meinem Herzen zu folgen. Mit allen Höhen und Tiefen, die man auch auf der Reise seines Lebens erlebt.

6

April 26. April Drei Uhr nachts. Gestern war ich ›very exhausted‹; schöne Wendung für ›fix und fertig‹. In den letzten Tagen, besser in den letzten Wochen, wache ich nachts auf und kann nicht mehr einschlafen, da alles so aufregend ist. Nachdem ich beschlossen hatte einen Tag früher das Auto zu bepacken, kam mir in der Nacht die Idee, doch noch etwas umzuräumen im Kofferraum, alles etwas besser zu verstauen. An der Tankstelle hatte ich mir am Nachmittag das ›Reifenwechseln‹ zeigen lassen und mir, als ich den Reifen aus seiner Versenkung nahm, fast einen Bruch gehoben. Der Tankstellenwart sagte mir, es sei in jedem Falle besser, wenn mir dabei jemand helfen könnte, was jedoch in Island, wenn man alleine unterwegs ist, nicht ganz so einfach ist, da zumal sehr, sehr wenige Menschen da vorbeikommen, wo ich mich eventuell gerade in der Landschaft befinde. Morgen geht es endlich los. Nach acht Monaten Vorbereitung mit Lernen, Unterkünften planen, Zollgeschichten mit meinen Bildern die ich mitnehme, Kontakte knüpfen, Versicherungen abklären, Auto prüfen. Mit Markus, einem Bekannten, fahre ich nach Dänemark und dann weitere drei Tage mit der Fähre über die Färöer Inseln nach Island.

7

Das mit Markus hat sich kurzfristig ergeben, er ist auch Islandfan und möchte nach zwei Wochen dann wieder mit dem Flugzeug zurückkommen. Die Variante mit meinem eigenen Auto und meinen Gemälden für die Ausstellung in Reykjavik mit der Fähre, war in diesem Fall die günstigste, da ich ja auf Island für drei Monate ein Auto brauche. Im Augenblick denke ich, ich werde die drei Tage auf dem Schiff schlafen, so erschöpft fühle ich mich. Es soll ja schönes Wetter geben für die Überfahrt, das heißt auch, ruhige Fahrt mit dem Schiff.

27. April Ob man eine Expedition in den Himalaja auf die Achttausender macht oder eine Weltumsegelung oder eine lange Island-Reise, das Prinzip und das Ergebnis sind immer das Gleiche. Der Sieg, auf dem Gipfel zu stehen, ist das Ergebnis wochen- und monatelanger Vorarbeit mit allen Hindernissen, Problemen, Misserfolgen, zwischenzeitlicher Mutlosigkeit, finanziellen Engpässen, gesundheitlichen Rückschlägen, familiären Ereignissen, unglaublich bürokratischem Aufwand, Selbstzweifeln, technischen Komplikationen, dem seelischen Auf und Ab und so weiter. Durchhalten, alles auf eine Karte setzen – um daran zu wachsen oder mit Würde zu scheitern? Ich denke, es nicht versucht zu haben, ist schlimmer als alles Scheitern. (Man lebt nur einmal oder?) Diese Island-Reise hat noch drei weitere Beweggründe:

8

1. Mit dieser internationalen Ausstellung in Reykjavik kann ich meine kreativen Fähigkeiten zum Ausdruck bringen. Ich male seit siebenundvierzig Jahren und malen, fotografieren, schreiben und entwerfen sind meine Elemente. 2. Island und seine Menschen haben mich seit dem ersten Augenblick beeindruckt. Es sind Menschen mit unglaublichem Optimismus, Improvisationskünstler und offen für alles was kommt, da sie ja schon immer mit den elementaren Naturgewalten leben. Sie sehen in allem etwas Positives – was genau meinem Sinn entspricht. 3. Es verändert eingefahrene Wege. Manchmal muss man Abstand nehmen von allem wenn alles in Routine und Alltag erstarrt. Ich habe so gut es ging alles geplant, Unterkunft, Arbeit, Ausstellung, Kontakte, doch was am Ende dieser Reise sein wird oder was sich verändert – weiß niemand. Nun lasse ich alles auf mich zukommen. Es wird das Richtige sein, man muss nur zuversichtlich sein und vertrauen – ganz fest vertrauen. So, und um diesem Ganzen eine dramatische Stimmung zu geben, lege ich für den Anfang der Fahrt ›Carmina Burana‹ ein. O Fortuna! … (Zum Glück gefällt das Markus auch.) Nach sieben Stunden Autofahrt sind wir in Flensburg, unserem Zwischenstopp angekommen. Wir spazieren durch Flensburgs Innenstadt auf der Suche nach einem Brauhaus mit Hansen-Bier am Hafen. 9

Schöne alte, mit Stuck und vielen Balkonen verzierte Häuser säumen die Straßen. Viele Klinkerbauten mit Türmchen und Schnörkeln lassen diese Zuckerbäcker-Postkartenansicht aufleben. An einem Tisch mit Blick zum Hafen lassen wir uns unser Bier schmecken, und das Essen ist auch sehr reichlich und gut. Zwischen Essen und Biertrinken kommen mir immer wieder Bedenken, ob das, was ich nun vorhabe, denn auch wirklich das Richtige ist. Ich weiß es nicht, und beim Spaziergang nach dem Essen am Hafen mit Blick auf die Nordsee, habe ich das Gefühl von Heimweh – und das jetzt schon. Bei einem kleinen Fischerhäuschen machen wir Halt. Auf der Bank davor sitzt eine Seemannsfigur und wir haben unseren Spaß damit. Beide ärgern wir uns, dass wir keinen Fotoapparat mitgenommen haben, doch da fällt uns ein, dass Markus ja das Handy dabei hat. Lustige Bilder werden gemacht. Am Stand kauft Markus sich noch ein kleines Flensburger und ich frage, was denn ›SILD‹ sei. Das sind in Cherry eingelegte Heringe. Da fällt mir ein, wir könnten doch zwei Brötchen zum Frühstück mitnehmen. Ich bitte den Fischmann um eine kleine Tüte, da wir noch ein wenig herumlaufen möchten. Eine kleine Tüte hat er nicht, dafür eine große blaue mit ›Flensburger Bierflaschen‹-Aufdruck und es ist ein riesen Spaß. Die Brötchen verschwinden auf dem Boden dieser Tüte. Es ist ruhig, da nicht viele Leute unterwegs sind. Wir sitzen auf der Bank und hängen unseren Gedanken nach, schauen aufs Wasser mit den schönen alten Booten mit den 10

Holzmasten und Tagelagen. Es ist eine wunderbar leichte Stimmung, ein Stück Freiheit und Leichtigkeit. Im Hotel angekommen bemerke ich, dass wir das Zimmer mit der Nummer 7 haben und davor liegen zwei große Sitzkissen in meiner Lieblingsfarbe moosgrün. Gleich zwei, links und rechts, die anderen Zimmer haben rote oder blaue Kissen davor. Soll das heißen, ich bin auf dem richtigen Weg? Man macht sich aber auch immer so komische Gedanken. Nach dem Duschen fallen wir wie Steine in unsere Betten und schlafen auch gleich ein. Wecken um 5.30 Uhr. In der Nacht wache ich plötzlich auf mit der Sorge, dass Auto könnte nicht richtig abgeschlossen sein. Die Aufregung eben … Kann nicht mehr einschlafen – also aufstehen und nachsehen – das Beste.

28. April Um 4.30 Uhr wecken mich die Vögel auf, und um Markus mit dem Licht nicht zu stören, gehe ich ins Bad, um zu schreiben. Guten Morgen, freue mich schon auf mein FrühstücksFischbrötchen mit Tee. Kaffee kann ich nicht trinken, da wird mir immer kotzübel beim Autofahren und wir müssen noch weitere vier Stunden bis Hirthals in Dänemark fahren. Die Fähre geht um 15.00 Uhr und man sollte vier Stunden vorher dort sein. Und noch durch den Zoll – bin schon gespannt, was das noch wird mit meinen Bildern.

11

Auf unserem Rückweg zum Hostel gestern Abend sind wir noch bei einem riesigen Stein-Löwen auf einem Sockel in einem Park vorbeigekommen und konnten keinen Zusammenhang mit irgendetwas erkennen, bis wir eine Gravur am Fuße des Sockels entdeckten, auf dem stand: Wieder errichtet zum Gedenken der Freundschaft zwischen Dänemark und Deutschland. Gut, dass wir das gelesen haben. Beim Frühstück hat Markus für seinen schwarzen Tee sogar eine frische Zitrone dabei, welch ein Luxus. Der ›Checkpoint‹ in Hirthals öffnet erst um 12.00 Uhr. Wir haben noch Zeit und suchen den Ortskern – finden ihn jedoch nicht und kaufen das Allernötigste an der Tankstelle. Zurück beim Checkpoint parken wir direkt neben dem Sandstrand. Ich starte hier meine Filmaufnahmen und Fotos. Möchte ja ein Roadmovie drehen, jeden Tag ein paar Sequenzen. Markus hat schon Anschluss mit anderen wartenden gefunden. Wir fahren mit der Smyrirline Fähre, und es dauert Stunden, bis alle Container verladen sind und wir auf die Fähre fahren können. Eine steile Rampe führt hinauf auf Deck 4.11. Ganz wichtig, sich das zu merken, sonst bringen dich die anderen um, wenn es wieder zum Runterfahren geht und du nicht rechtzeitig bei deinem Auto bist. Meinen Rucksack habe ich vorsorglich vorbereitet griffbereit. Auf wenige Zentimeter und mit eingeklappten Spiegeln wird eingewiesen. Alle Mitfahrer müssen schon vorher aus dem

12

Auto, da es keine Möglichkeit zum Aussteigen gibt auf den Autodecks. Es ist eine schöne Fähre mit Restaurants, Bars und sogar einem Fitnessraum mit Schwimmbad und Sauna. Nach tollen Foto- und Filmaufnahmen an Deck haben wir schrecklichen Hunger und begeben uns direkt zum Büfett. It‘s closed – open in two hours. In zwei Stunden sind wir verhungert und so machen wir ein Picknick in unserer Kabine. Das Zimmer ist ein Traum, mit einem Fenster in Fahrtrichtung zum Bug. Kühlschrank, Kleiderschrank, sogar WC mit Dusche und Fernseher – alles da. Perfekt. Wir haben Kümmelkäse, Kräuterschinken und Makrelenpastete mit Roggenbrot und super gutem Fruchtjoghurt. Dazu ein Bier. Ein Glas Rotwein haben wir bei der Abfahrt an Deck getrunken – auf eine schöne Reise. Ein Pärchen aus Mainz leistet uns Gesellschaft. Sie sind mit einem alten Bundeswehrgeländewagen für vier Wochen durch Island unterwegs. Es ist gleich eine nette Unterhaltung und wir lachen eine Menge. Die See ist sehr ruhig und wir erleben einen wunderschönen Sonnenuntergang. Das leichte Schaukeln wiegt uns in den Schlaf. Es ist alles noch ein wenig unwirklich, doch ich fühle mich richtig gut.

13

29. April Um 2.00 Uhr nachts machen Markus und ich einen Nachtspaziergang an Deck. Der Halbmond steht orangefarben am Horizont und der Himmel ist sternenklar. Wir sehen den großen Wagen am Bug – stimmt – Richtung Norden. Es sind leichte Wellen und es bläst ein frischer, für diesen Breitengrad jedoch lauer Wind. Ich erwache um 5.30 Uhr dänischer Zeit und fühle mich ausgeschlafen wie schon lange nicht mehr. Blauer Himmel und die Sonne scheint auf die Bugstange vor unserem Fenster. Wir haben ja auch wirklich die schönste Kabine auf dem Schiff mit dieser Aussicht. Herrlich, ich bin voller Tatendrang, und Hunger habe ich auch. Ab 7.00 Uhr gibt es Kaffee und Frühstück in der Cafeteria und ich suche mir einen schönen Platz am Fenster, um zu essen und zu schreiben. Da kommt ›Aasgeier‹ zu mir an den Tisch; wir haben ihn beim Warten vor der Fähre getroffen und sind mit ihm ins Gespräch gekommen. Es wird gesprochen ›Ausgeir‹, wir merken uns den Namen mit Aasgeier. Er handelt mit Fliegen zum Fliegenfischen und wir haben ein sehr tiefgehendes Gespräch über Glaube, Meditation, Lebenseinstellung und Homöopathie – das alles in Englisch natürlich – und jetzt merke ich das Gelernte, doch ein paar Spezialausdrücke fehlen, die man jedoch mit Umschreibungen ergänzen oder erklären kann. Es ist ein geschenkter Tag; ruhige See, blauer wolkenloser Himmel und Sonne satt. Jetzt muss man sich vorsehen, keinen Sonnenbrand zu bekommen.

14

Aasgeier verabschiedet sich und ich schreibe noch ein wenig weiter. Später bei meinem Morgenspaziergang an Deck treffe ich den Mann mit der großen Kamera und der Scheibe vor seinem Objektiv wieder. Wir kommen ins Gespräch, nachdem es mich natürlich schon interessiert, was es mit dieser außergewöhnlichen Scheibe auf sich hat. Er ist Holländer und erklärt mir mit Stolz und bereitwillig die Funktion des Filters, welcher extreme Lichtverhältnisse ausgleicht. Er fährt jetzt drei Wochen durch Island und bedauert es sehr, dass er nicht zu meiner Ausstellung nach Reykjavik kommen kann, dafür gebe ich ihm meine Karte mit der Homepage. Morgen früh um 6.00 Uhr erreichen wir die Färöer Inseln und haben fast den ganzen Tag Zeit für einen Ausflug auf den Inseln. Markus und ich wollen schon um 5.00 Uhr aufstehen, um schöne Fotos von der Ankunft zu machen. Plötzlich kommt Markus in die Kabine, ich hatte mich ein wenig ausgeruht vom Sonnenbad an Deck – die Sonneneinstrahlung auf dem Meer ist ja schon sehr stark – und sagt, ich müsse sofort mitkommen, er hat zwei tolle Leute kennengelernt und ich soll Fotoapparat und Kamera mitnehmen. Wir treffen uns in der Sky-Bar. Paul und Erich. Paul mit türkisblauen Haaren, gelben Hosen und lilafarbenem Hemd, einem bunten Schal und einer Menge indischen Schmuck ist Holländer und erzählt, er hat in seinem Leben 170 Länder bereist. Leider hat er schon ein Bier zu viel getrunken und die englische Verständigung wird etwas mühsam. Wir machen ein sehr farbenfrohes Bild zusammen; ich mit moosgrüner Jacke und dieses bunte Unikum. 15