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Dr. Reinhard Hermle, Jörg Siebert, Dagmar Schumann und Herwart Groll vom. Bischöflichen Hilfswerk Misereor, denen ich neben vielen intensiven Gesprächen.
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Gedruckt mit finanzieller Unterstützung des Bischöflichen Fonds zur Förderung der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz.

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Michael Rosenberger

Im Brot der Erde den Himmel schmecken Ethik und Spiritualität der Ernährung

Inhalt

Vorwort 11

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Im Christentum eine »ethikfreie Zone«? 15 1.1 Mehr als »Food Ethics«. Die Vielschichtigkeit menschlichen Essens

18 1.2 Ethik und Spiritualität auf der Suche nach einer Ernährungsgestalt.  Zur Herangehensweise dieser Untersuchung

20 1.3 Mahlreligion par excellence.  Die Sonderstellung des Christentums

23 1.4 Die Globalisierung des Tellers.  Essen in der industrialisierten und ökonomisierten Weltgesellschaft

24 1.5 Vom Kleinen zum Großen.  Die Gliederung dieses Buchs

26 1.6 Essen und Trinken als Kristallisationskern menschlicher Identität.  Das Potenzial einer Ernährungsethik und -spiritualität

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2 Die verborgenen Botschaften der Ernährung. Zur Methodik des Vorgehens 31 2.1 Zwischen Hunger und Essen liegt die Küche. Ernährung in der Spannung von Natur und Kultur

31 2.2 »Der Mensch ist, was er isst. Und er isst, was er ist.« Die symbolisch-rituelle Codierung der Nahrungsaufnahme

34 2.3 Werte und Tugenden als ethischer und spiritueller Gehalt der Symbole

51 2.4 Die Eucharistie als christliche Gestalt der Ernährung

62 2.5 Konzentrisch sich weitende Kreise. Der Aufbau der Abhandlung

66

3 Essen und Trinken als Ein-verleiben und Ver-zehren 67 3.1 Einverleiben und Prestige: Abhängigkeit schätzen

68 3.2 Einverleiben und Zugehörigkeit: Beziehungen verzehren

73 3.3 Einverleiben und Lust: Maßvoll genießen

77 3.4 Einverleiben und Sicherheit: Dem Leben trauen

93 3.5 Gutes gut einverleiben.  Hinweise für eine umfassende Diätetik

96 3.6 Essstörungen als Störung der Leibbeziehung und der (Tisch-)Gemeinschaft

102 3.7 In der Eucharistie Gott verzehren

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4 Essen und Trinken zwischen Mahl-Zeit und Fasten-Zeit 121 4.1 Der Trend: Fast Food on the Road

122 4.2 Zeit(en) und Orte für das Mahl

125 4.3 Zeit(en) und Orte für Einkauf und Zubereitung des Mahles

137 4.4 Cook it yourself und Slow Food.  Ethik und Spiritualität der Mahl-Zeiten und -Orte

143 4.5 Zeiten des Verzichts. Das Fasten

150 4.6 Mahl-Zeiten und Fasten-Zeiten der Eucharistie

165 4.7 Epilog: »This is my body«

171

5

Essen und Trinken als Tisch-Gemeinschaft 173 5.1 Den Anderen zulassen.  Mahlgemeinschaft und Zugehörigkeit

177 5.2 Einander ansehen.  Mahlgemeinschaft und Ansehen

200 5.3 Die Freude teilen.  Mahlgemeinschaft und Lust

201 5.4 Sich binden.  Mahlgemeinschaft und Sicherheit

202 5.5 Regeln im Dienst gelingender Tischgemeinschaft

206

5.6 Die Bewirtung der Fremden als Prüfstein der Gastfreundschaft

212 5.7 Jesus als Fresser und Säufer. Die Mahlgemeinschaften Jesu

218 5.8 Die Gemeinschaftsmähler in den paulinischen Gemeinden

223 5.9 Die Eucharistie als Brotbrechen

226

6 Die ganze Welt an einem Tisch. Das Problem des »Welthungers« 231 6.1 Hunger und Mangelernährung in den armen Ländern.  Eine Bestandsaufnahme

233 6.2 »Unser Brot für morgen gib uns heute« (Lk 11, 3).  Ernährungssicherheit (Sicherheit)

237 6.3 »Jeder sitzt unter seinem Weinstock« (Mi 4, 4).  Ernährungssouveränität (Ansehen)

257 6.4 »Wer das Korn geerntet hat, soll es auch essen« (Jes 62, 9).  Fairer Handel (Zugehörigkeit)

261 6.5 »Das Brot schmeckte wie Honigkuchen« (Ex 16, 31).  Einfachheit teilen (Lust)

276 6.6 »Gebt ihr ihnen zu essen!« (Mk 6, 37).  Eine ethische Gesamtschau

278 6.7 »Und alle aßen und wurden satt.« (Mk 6, 42).  Biblische Hungererfahrungen und Sättigungshoffnungen

280 6.8 Eucharistie als Weltverantwortung

286

7 TischgenossInnen und Nahrungsquelle. Tierethische Aspekte der Ernährung 291 7.1 Wohlstandssymbol.  Fleischverzehr am Beginn des 21. Jahrhunderts

292 7.2 Mitgeschöpfe als NahrungsproduzentInnen.  Die Frage der Nutztierhaltung

304 7.3 Das Leben nehmen. Zu einem Ethos des Schlachtens

309 7.4 Auf Fleisch verzichten. Der Vegetarismus

320 7.5 Die Gier beherrschen.  Maß- und genussvoller Fleischkonsum

344 7.6 Tiere als TischgenossInnen.  Die biblische Utopie vom Schöpfungsfrieden

351 7.7 Die Eucharistie – eine vegetarische Speise

353

8 Das Lebenshaus als Nähr-Boden. Ernährung und Ökologie 355 8.1 Die Übernutzung des Lebenshauses Erde. Bestandsaufnahme

356 8.2 Die Enträumlichung und Entzeitlichung der Ernährung

368 8.3 Umrisse nachhaltiger Landwirtschaft

370 8.4 »Brot wirft man nicht weg!«.  Was machen mit dem Überfluss?

375

8.5 Unterwegs zu einer Gestalt nachhaltiger Ernährung

379 8.6 Die »Naturreinheit« der eucharistischen Gaben

394

9 Das Mahl im Himmel – der Himmel im Mahl 397 9.1 Im Brot der Wüste: Milch und Honig

398 9.2 Im Mahl der Endzeit: Überfluss

401 9.3 Am Tisch mit Jesus: Herrschaft

404 9.4 Beim (Hochzeits-)Mahl des Himmels: Erde

406 9.5 Im Mahl des Gehenkten: Leben

409 9.6 Ernährung, die Mut macht, und Glaube, der schmeckt

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Literaturverzeichnis 415 Register 433

Vorwort

In den letzten Jahren erlebt das Thema Ernährung einen unglaublichen Boom. Kochshows in den Fernsehprogrammen überbieten sich gegenseitig; Kücheneinrichtungen können gar nicht teuer und edel genug sein; Sternerestaurants vermehren sich merklich. Und doch verharrt der prozentuale Anteil des Einkommens, den die Deutschen für Essen und Trinken ausgeben, unverrückt bei mageren 14 Prozent. Kann man das anders interpretieren als so, dass die Menschen einerseits eine tiefe Sehnsucht nach gutem Essen und Trinken verspüren, andererseits aber auch eine große Hilflosigkeit wahrnehmen, die nicht nur das Einkaufen und Kochen betrifft, sondern auch Zeit und Zeitrhythmen für die Mahlzeiten, Geschmacksschulung und Qualitätsbewusstsein, Gemeinschaftsleben und Lebenskultur? Sind gutes Essen und Trinken in der modernen Industriegesellschaft ein verlorenes Paradies? Auch wenn man nicht in geschichtsvergessener Romantik die »guten alten Zeiten« beschwört, die sicher nicht besser, sondern schlicht anders waren, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass mit der Ernährungsfrage Paradiesessehnsucht und Heilserwartungen verbunden sind. Zugleich vollzieht sich eine gewaltige Ethisierung der Ernährung. Fleischkonsum, umweltzerstörende Methoden der Landwirtschaft, Welternährung, Gesundheit und vieles mehr sind Fragen, die heute spürbar in jedem Bissen und jedem Schluck enthalten sind. Manchen verdirbt es die Lust am Essen und Trinken, wenn sie an solche ethischen Probleme denken. Insofern lohnt es, sich nach einer in sich stimmigen Ethik und Spiritualität der Ernährung zu fragen. In meinen Vorlesungen, Vorträgen und wissenschaftlichen Publikationen tue ich das seit etwa fünfzehn Jahren. Jetzt ist es an der Zeit, die gewonnenen Erkenntnisse in einem umfassenden Werk zusammenzufügen. Dieses Buch ist also Frucht langjähriger Vorarbeiten. Als ich mit ersten Notizen und Skizzen begann, hätte ich nie gedacht, dass es zum Zeitpunkt seiner Publikation auf einen solchen Boom des Ernährungsthemas treffen könnte. Ich sage Dank für die vielfältige Infrastruktur, die die Abfassung dieses Buches ermöglicht und gefördert hat: ◆ meinen studentischen Hilfskräften Olga Schnutt, Jennifer Mostögl und Rosemarie Brenn, die in den Jahren 2007 bis 2011 einen breiten Grundstock an Literatur recherchiert und zusammengestellt haben; Vo r w o r t

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◆ meiner Universitätsassistentin Dr.in Edeltraud Koller, die den nervenaufreibenden Transfer der Literaturdaten in die Online-Datenbank Laechaem am Ende doch erfolgreich bewältigt hat; ◆ dem Bibliotheksdirektor Ingo Glückler, der das Projekt der Online-Datenbank ebenso tatkräftig unterstützt hat wie den Aufbau eines Literaturschwerpunkts »Ethik und Spiritualität der Ernährung« in der Bibliothek der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz; ◆ der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz für das Privileg eines Forschungsfreisemesters, wie es außerhalb des akademischen Bereichs kaum ein Beruf genießen kann; ◆ dem Pontificium Collegium Germanicum et Hungaricum für die Gastfreundschaft während meines römischen Studienaufenthalts und der Pontificia Universitas Gregoriana für die unkomplizierte Nutzung der Bibliothek, die mir die romanischsprachigen Zugänge zum Thema erschloss. Ebenso sage ich Dank für die inhaltlichen Impulse, die ich jenseits der verwendeten Literatur in zahlreichen Kontexten des direkten Gesprächs und des unmittelbaren Erlebens empfangen durfte:

◆ Dr. Reinhard Hermle, Jörg Siebert, Dagmar Schumann und Herwart Groll vom Bischöflichen Hilfswerk Misereor, denen ich neben vielen intensiven Gesprächen auch die Teilnahme an einer ExpertInnenreise zu landwirtschaftlichen Projekten in Nordargentinien und Paraguay im März 2001 verdanke. ◆ Karl Ludwig Schweisfurth und den Herrmannsdorfer Landwerkstätten sowie Prof. Dr. Franz-Theo Gottwald und der Schweisfurth-Stiftung, mit denen ich mich seit vielen Jahren zu ökologischen und tierethischen Themen der Ernährung austauschen kann. ◆ Der Projektgruppe des Forschungsprojekts »Umgang mit der Schöpfung«, das von 2009 bis 2012 unter der Leitung von Prof. Dr. Bernhard Freyer von der BOKU Wien die Frage nachhaltiger Lebens- und Wirtschaftsstile in Benediktinerklöstern untersucht hat, sowie den beteiligten benediktinischen Partnerklöstern Altenburg, Kremsmünster, Seitenstetten, St. Paul im Lavanttal, Münsterschwarzach und Plankstetten. Auf dem Hintergrund dieser Arbeit entstanden vor allem die Überlegungen zu den Impulsen der Regel Benedikts, die in diesem Buch enthalten sind. ◆ Zahlreichen LandwirtInnen aus dem ökologischen Landbau in Deutschland und Österreich, deren tagtägliche Praxis die Nagelprobe für meine Thesen ist.

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◆ Der Projektgruppe »Jeder Bissen eine Gabe« im Krankenhaus der Elisabethinen Linz, die sich seit 2012 für einen achtsameren Umgang mit Lebensmitteln einsetzt. ◆ Dem Filmproduzenten Valentin Thurn (»Taste the Waste«), mit dem ich seit der erwähnten Reise nach Argentinien und Paraguay verbunden bin. ◆ Privatdozentin Dr.in Birgit Herting, Dott. Luigi Iacomelli und Dr. Thomas Wallnig, die mir in konkreten Einzelfragen sehr wertvolle Hinweise aus ihrer Fachkompetenz beigesteuert haben. ◆ Allen, mit denen ich das Thema im Laufe der Jahre diskutieren und vertiefen durfte, ob wissenschaftlich oder nicht, ob vor religiösem Hintergrund oder nicht. Ich widme dieses Buch all jenen, mit denen ich in den Jahren meines Leben gepflegt und qualitätvoll essen und trinken durfte – ganz besonders aber meinen italienischen FreundInnen. Sie sind uns Deutschsprachigen in puncto guten Essens und Trinkens noch immer einen großen Schritt voraus. Würzburg, am Vorabend des »fetten Donnerstags« 2014 Michael Rosenberger

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1 Im Christentum eine »ethikfreie Zone«? Zu Relevanz, Inhalt und Potenzial der Fragestellung

In einem leidenschaftlichen Plädoyer für eine ethisch reflektierte und verantwortete Praxis der Ernährung beschreibt der bekannte Philosoph Peter Singer eine merkwürdige Alleinstellung, die das Christentum seiner Wahrnehmung nach unter den großen Weltreligionen und sogar unter den Traditionen abendländischer Philosophie einnehme (Peter Singer 2005: 18–19): Während im antiken Griechenland und Rom wie auch im traditionellen Ethos von Judentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus das Ernährungsethos mindestens so relevant sei wie das Sexualethos, werde im Christentum das Ernährungsethos ausgeblendet: Jesus verbreite gegenüber den Fragen der Ernährung eine »Atmosphäre der Sorglosigkeit« – Nahrung sei für ihn ethisch unbedeutend geworden: »What is so striking in the food ethic proclaimed by Jesus, is the basic atmosphere of carelessness it conveys. All of a sudden, food intake seems to have become completely insignificant, from a moral point of view.« (Hub Zwart 2000: 117; zit. nach Peter Singer 2005: 19) Auch die christliche Tradition der Fleischabstinenz an Freitagen und in der Fastenzeit habe den Fleischverzehr nicht prinzipiell infrage gestellt. Ethische Überlegungen habe es im Christentum – unter der Perspektive der Tugend der Maßhaltung und des entgegengesetzten Kapitallasters der Völlerei – nur noch zur Menge, nicht aber zur Qualität des Essens gegeben. Womöglich, so die Vermutung Singers, habe die Absicht Jesu, die pharisäische Kasuistik des Essens auszuhebeln, ins gegenteilige Extrem geführt: Essen werde jedenfalls im Christentum zu einer weitgehend »ethikfreien Zone« (»eating has, until recently, been largely an ›ethics-free zone.‹« Peter Singer 2005: 19). Für die Zeit seit etwa 1975 diagnostiziert Peter Singer jedoch eine bemerkenswerte Wende im christlichen Abendland: Nun konsumiere man plötzlich bewusst vegetarisch, ökologisch und fair gehandelt. 1 I m C h r is te nt u m e i n e » e t h i k f re i e Zo n e «?

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