19 story de Vorsicht Suchtgefahr


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 Signalfarbe für den Supersportwagen: In „Verde Ithaca“ präsentiert Lamborghini sein neues Gallardo-Spitzenmodell.  Auf dem Sprung: Beim neuen Superleggera sind die vorderen Kotflügelflanken noch stärker akzentuiert.  Drehen an der Gewichtsspirale: Auch im Innenraum wurde kräftig abgespeckt.

Mehr Zeit

Vorsicht, Suchtgefahr! Mehr Leistung bei gleichzeitiger Senkung des Kraftstoffverbrauchs: Beim neuen Gallardo LP 570-4 Superleggera* leistet sich Lamborghini den Luxus von absolutem Purismus – dank Kohlefaser wiegt das Topmodell aus Sant’Agata Bolognese ganze 70 Kilogramm weniger als das Basismodell.

* Verbrauchs- und Emissionsangaben am Ende des Geschäftsberichts

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SUPERSPORTWAGEN MIT BODENHAFTUNG Faszinierende Bilder des neuen Gallardo-Spitzenmodells aus Sant’Agata unter: www.audi.de/gb2009/lamborghini

TEXT/MATTHIAS PFANNMÜLLER FOTOS/SJOERD TEN KATE

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euchtend grün lackiert steht, besser: duckt sich, der Wagen in einer Ecke der streng bewachten Werkhalle – und beschleunigt meinen Puls schon, bevor ich ihn überhaupt sehe. Ich nähere mich dem neuen Boliden aus Sant’Agata Bolognese mit gespanntem Blick. Allein der Name ist ein Versprechen: Gallardo LP 570-4 Superleggera*. Superleggera ist Italienisch und bedeutet übersetzt superleicht. Gegenüber dem Basis-Gallardo LP 560-4 hat das neue Coupé noch einmal 70 Kilogramm abgespeckt. Was sich wie eine nüchterne Zahl liest, offenbart den ganzen Kitzel des neuen Supersportwagens: Der Superleggera katapultiert den Fahrer aus dem Stand in nur 3,5 Sekunden – und damit ganze zwei Zehntelsekunden schneller – auf Tempo 100. In Sportwagenkreisen sind das Welten. Automobili Lamborghini steht für eine extreme Art, sich auf dem Asphalt fortzubewegen. Der Sportwagenschmiede haftet seit jeher etwas Rebellisches, Wildes, Unbezähmbares an. Dabei ist die Andersartigkeit kein Selbstzweck, sondern immer eine Triebfeder auf der Suche nach innovativen Lösungen. Man denke nur an den quer vor der Hinterachse eingebauten V12 des legendären Miura – zu einer Zeit, als andere Sportwagenhersteller noch mit Frontmotor oder starrer Hinterachse unterwegs waren. Unvergessen auch der 1971 vorgestellte Countach: Dieser kompromisslose Keil auf Rädern gilt nicht nur als Stilikone, sondern war auch der erste „Lambo“ mit längs im Heck angeordnetem Zwölfzylinder und nach oben schwenkenden Scherentüren. Beim „kleinen“

Gallardo hämmern zwar „nur“ zehn Zylinder hinter den Sitzen. Doch der zweisitzige Bolide ist das mit Abstand erfolgreichste Modell in der nunmehr 47-jährigen Geschichte der italienischen Marke; er bietet permanenten Allradantrieb und verfügt über einen Aluminium Space Frame. Doch für 70 Kilogramm Gewichtsersparnis in der neuen Leichtversion war eine Radikaldiät nötig – und Kohlefaser. Gewoben aus Abertausenden haarfeiner Kohlenstofffasern, mit Harzen getränkt und in riesigen Backöfen ausgehärtet, ist sie leichter und dennoch stabiler als die meisten anderen im Automobilbau verwendeten Werkstoffe. Der Nachteil: Wegen der zeit- und arbeitsintensiven Herstellung ist Kohlefaser ein sehr teurer Werkstoff. Das Leichtbaumaterial – bekannt aus Luft- und Raumfahrt – hat bei Lamborghini schon Tradition. Bereits 1988 kam mit dem CountachModell „25 Anniversario“ ein Supersportwagen mit Kohlefaserbauteilen auf den Markt. Heute beschäftigt die hauseigene Kohlefaserabteilung 30 Spezialisten – und diese haben beim neuen Superleggera die Essenz der Marke herausgekitzelt: extreme Sportlichkeit. Dabei hilft das superleichte Wundermaterial, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Denn mit einem geringeren Gewicht verringert sich auch der Kraftstoffverbrauch. Damit steht Leichtbau heutzutage zunehmend für Effizienz. Die Ingenieure haben Gewicht gespart, wo sie konnten, und viel Wert auf die Reduzierung ungefederter Massen gelegt. So steht der Zweisitzer auf zehnspeichigen Magnesium-

 Markante Form: Rückleuchten und Spoiler unterstreichen den aggressiven Charakter des Wagens.  Kohlefaseroptik: Das Leichtbaumaterial prägt auch die Ästhetik des Cockpits.

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* Verbrauchs- und Emissionsangaben am Ende des Geschäftsberichts

Hochleistungstriebwerk: Unter einer transparenten Motorhaube arbeitet ein 5,2-Liter-Mittelmotor.

schmiedefelgen, die das Gewicht um 13 Kilogramm senken. Kohlefaser-Keramik-Bremsscheiben und keramikbeschichtete Auspuffrohre tun ein Übriges. Letztere sind nun zu viert und gerade abgeschnitten, wodurch sich paarweise eine stufenförmig versetzte Anordnung ergibt. Außenspiegel und Schwellerleisten sind ebenfalls aus Kohlefaser; auch der Heckspoiler besteht aus diesem Material. Wieder gibt es wahlweise einen größeren, fest stehenden Flügel, der noch mehr Druck auf die Hinterachse ausübt. Superleggera-typisch ist auch der dunkle Seitenstreifen auf den Flanken; beim LP 570-4 läuft er flacher aus und zeigt zudem die italienischen Nationalfarben. Besonders ins Auge sticht auch der mattschwarz lackierte Kohlefaserfrontspoiler mit abgerundeten Konturen, die einen interessanten Kontrast zur kantigen Frontpartie bilden. Beim LP 570-4 ragt die Nase zwei Zentimeter weiter hervor und reicht auch etwas tiefer herab. In Verbindung mit dem ebenfalls überarbeiteten Kohlefaserheckdiffusor sowie den vorne und hinten angepassten, voll verkleideten Unterböden konnte der Abtrieb nochmals erhöht und der Luftwiderstand weiter reduziert werden. Der Effekt: mehr Haftung und eine noch höhere Endgeschwindigkeit. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 325 km/h gehört auch dieses Auto einmal mehr zu den schnellsten, aber auch kompromisslosesten unter den Supersportwagen.

Im Innenraum herrscht ebenfalls Purismus pur: Mit 43 Kilogramm wurde hier am meisten abgespeckt. Türschalen, Schalensitze und andere Teile bestehen aus Kohlefaser, und das Armaturenbrett ist mit Alcantara bezogen. Wie schon beim ersten Gallardo Superleggera besteht ein Teil der Kabinenverglasung aus Polykarbonat. Unter der transparenten Motorhaube lauert das bildschöne 5,2-Liter-Aggregat, dessen Leistung um zehn auf nunmehr 570 PS, das entspricht 419 kW, gestiegen ist. Daraus ergibt sich ein überragendes Leistungsgewicht von gerade mal 2,35 Kilogramm pro PS. Bedenkt man, dass viele bereits ordentlich motorisierte Fahrzeuge pro Pferdestärke mehr als zehn Kilogramm bewegen müssen, vermittelt dieser Wert eine vage Ahnung davon, was beim Beschleunigen passiert – und zwar bei jeder Geschwindigkeit. Geschaltet wird beim Superleggera übrigens per LenkradPaddle des serienmäßigen e-gear-Getriebes, und so kann man ohne Zeitverzögerung in Millisekunden durch die Gänge zappen. Das vielleicht Schönste daran ist der heisere, dumpfe, ja lustvolle Motorsound, der jedes Herunterschalten mit wohldosiertem Zwischengas quittiert: Der neue Superleggera liefert ein Klangspektakel ab, das selbst hartgesottenen Sportwagenfans Tränen der Rührung in die Augen treibt – bella macchina! Matthias Pfannmüller ist Redakteur der Schweizer Automobil Revue. Aktuell arbeitet er zudem an einer Lamborghini-Chronik.

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